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NEUES FEATURE
Sie machen Musical möglich

Wer in einer Musical-Vorstellung sitzt, ahnt oft nicht, wie viele fleißige Hände notwendig sind, um das Stück fertig auf die Bühne zu bringen. Wir wollten es genauer wissen. Dafür hat uns das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau (GHT) einen exklusiven Blick hinter die Kulissen seiner diesjährigen Sommer-Produktion “Anything Goes” von Cole Porter (Premiere: 25. Mai) gewährt.

Probe “Anything Goes” mit Solisten, Chor und Ballett; oben: Alexandra Farkic (Reno Sweeney) © kw/muz

Mit nur 14 Grad ist es an diesem Dienstagmittag Anfang Mai recht frisch auf dem Görlitzer Theatervorplatz. Erstmals proben Solisten, Chor und Tanzcompagnie gemeinsam und gut eingemummelt das Pausenfinale “Anything Goes” im noch nicht ganz fertig gestellten Luxusliner-Bühnenbild.

Choreografin Lucy Costelloe (rechts vor der Bühne) probt mit dem Ballett © kw/muz

Choreografin Lucy Costelloe hat alle Hände voll zu tun, das Ballett in die Szene “einzubauen”. Gleichzeitig kämpfen die Tänzerinnen und Tänzer mit dem sehr rutschigen Bühnenboden, der sie wie auf einer Eisfläche steppen lässt.

Derweil versucht Regisseur Holger Hauer für das glitschige Problem eine Lösung zu finden. Dafür ruft er Ausstatter Karel Spanhak, mit dem er bereits bei der Open-Air-Inszenierung von “Herz aus Gold” in Augsburg zusammengearbeitet hat, an. Beide hoffen, dass der blaue Bühnenboden erhalten bleiben kann und nicht aus Sicherheitsgründen mit einem dunklen Tanzteppich abgedeckt werden muss.

Erster Durchlauf Pausenfinale “Anything Goes” mit Chor und Ballett © kw/muz

Letztendlich liegt die Problemlösung bei Jesco Huhle und seinen Mitarbeitern der Bühnentechnik. Momentan bereitet ihnen auch die Drehscheibe für schnelle Szenenwechsel auf dem Ozeandampfer Kopfzerbrechen. Noch rotiert der ganze Stolz der Produktion nicht so reibungslos, wie er es eigentlich sollte. Der technische Leiter des Görlitzer Theaters ist sich allerdings sicher das bis zur Premiere in den Griff zu bekommen.

Benjamin Bley und Holger Hauer © kw/muz

Inzwischen sitzt Holger Hauer mit seinem Regieassistenten Benjamin Bley wieder vor der Bühne. Unter einem Sonnenschirm auf der Rasenfläche, auf der später die Zuschauertribüne stehen wird, tüfteln sie an Textpassagen und planen die erste Beleuchtungsprobe, die für den Abend angesetzt ist. Zwischendurch verfolgt Hauer auch immer wieder die Probe und springt korrigierend auf die Bühne.

Handschriftliche Anmerkungen im Textbuch © kw/muz
Proben-Szene mit Michael Berner (Moonface Martin), Peter Fabig (Lord Evelyn Oakleigh) und Alexandra Farkic (Reno Sweeney) © kw/muz

Vom Balkon seines Arbeitszimmers im Theatergebäude hat Daniel Morgenroth, seit August 2021 GHT-Intendant und Geschäftsführer, einen grandiosen Blick auf den neuen Spielort für das Görlitzer Sommertheater auf dem Theatervorplatz. Nach Aussagen von Morgenroth vermindere die unmittelbare Nähe zum Haus zwar die Anstrengungen für die Infrastruktur, gleichzeitig hätten sich aber neue Herausforderungen aufgetan. “Da wir jetzt mitten in der Stadt spielen, haben wir frühzeitig die Kommunikation mit den Anwohnern gesucht, sie über unsere Pläne und etwaige Einschränkungen informiert. Als kleine Wiedergutmachung sind sie bei freiem Eintritt zur Generalprobe eingeladen worden.” Zusätzlich mussten Genehmigungen bei Ordnungs- und Grünflächenämtern, dem Denkmalschutz, der Feuerwehr und der Verkehrsbehörde eingeholt werden. Im Vergleich zu Produktionen im Haus vergibt Morgenroth auf einer “Kraftakt-Skala” von 1 bis 10 eine Sieben. Dabei lobt er das Herzblut, mit dem die Mitarbeiter bei der Sache seien.

Daniel Morgenroth © Pawel Sosnowski

“Sommertheater für ein breites Publikum ist wichtig für das Geschäft”, wiegelt Morgenroth ab. Immerhin müssen pro Open-Air-Vorstellung 420 Plätze verkauft werden, im Haus wären “nur” 399. “Wir bieten unserem Publikum ein großartiges Sommererlebnis rund um eine musikalische-komödiantische Schiffspassage mit einem Luxusliner.” Die Besucher könnten das auch beim Einlass, beim Gang zu ihren Plätzen bis hin zum Catering-Angebot auf dem Gelände miterleben.

Requisiteurin Yevgeniya Vlashchenko © kw/muz

Auch wenn sich Yevgeniya Vlashchenko gerade mit Hummer, Grünzeug und einem Eiswürfel beschäftigt, ist sie nicht für die Verpflegung vor, sondern auf der Bühne verantwortlich. Gerade arrangiert die Görlitzer Requisiteurin mit einer Heißklebe-Pistole die Plastik-Spezialitäten auf Tellern. Sie werden den Luxusliner-Passagieren in 19 Aufführungen serviert und müssen bis zur Dernière am 7. Juli appetitlich frisch aussehen. Was nicht in Kisten oder Körben in ihrem Arbeitszimmer lagert, holt Vlashchenko aus ihrem Lager im Keller des Gebäudes, wo vom Weihnachtsbaum bis zum Skelett alles ordentlich sortiert auf den Einsatz in einer der beiden in Görlitz beheimateten Sparten Musiktheater und Tanz wartet.

Geschäftiges Treiben in der Schneiderei © kw/muz

Hochbetrieb herrscht auch in der Schneiderei, denn bis zur Ausstattungsprobe in knapp einer Woche müssen alle Kostüme fertig sein. “Bis auf den Kapitän des Ozeandampfers haben alle anderen Rollen im Stück mehrere Umzüge”, erzählt Christina Sieber, Herren-Gewandmeisterin und Leiterin der Görlitzer Kostümabteilung. Gemeinsam mit ihrem Schneiderinnen-Team ist sie dafür verantwortlich, dass in “Anything Goes” 8 Solisten, 20 Damen und Herren des Opernchores sowie die 10 Mitglieder der Tanzcompagnie schick ausstaffiert sind.

Christina Sieber mit der Kapitänsuniform © kw/muz

Dafür werden 1/3 der Kostüme in aufwändiger Handarbeit extra angefertigt, 1/3 stammt aus dem Fundus und wird umgearbeitet und der Rest wird zugekauft. “Das sind bei uns vor allem Hüte und Schuhe, da wir weder über eine eigene Schuhmacherei noch eine Modistin verfügen”, so Sieber. So stecken zum Beispiel in der bereits erwähnten Kapitänsuniform für die Hose 30 Arbeitsstunden und in der Jacke nochmals 70. Das ist eine große Herausforderung, da in der Kostümabteilung insgesamt 10 Frauen beschäftigt sind.

Frank John, Leiter Tischlerei © kw/muz

Auch die Tischlerei ist personell “sportlich” besetzt. Hier entsteht zum Abschluss gerade die große Showtreppe. Den Rest der Bühnenbildteile für “Anything Goes” haben Leiter Frank John und seine Kollegin Luisa Schlenker bereits ausgeliefert. Was davon noch nicht bei den Proben auf dem Theaterplatz zu sehen ist, befindet sich noch im benachbarten Malsaal.

Im Malsaal: Uwe Kramer und Gregor Loops © kw/muz

Leiter Uwe Kramer und Theatermaler Gregor Loops legen hier letzte Hand an die Kabinenwände. Dabei befolgen sie die Farb-Vorgaben aus den Entwürfen von Bühnenbildner Karel Spanhak.

Bühnenbild-Skizzen von Karel Spanhak © kw/muz

Bei der Ausstattung für ein Open-Air-Stück ist es besonders wichtig, dass sie dabei wasserabweisende Farben verwenden, da das Bühnenbild während der gesamten Spielserie auf dem Theatervorplatz installiert bleibt und Wind und Wetter trotzen muss.

Maskenbildnerin Kirstin Hering beim Überarbeiten einer Perücke © kw/muz

Viel Fingerspitzengefühl erfordert die Arbeit von Maskenbildnerin Kirstin Hering, die bei unserem Besuch gerade die Ansätze einer Perücke für eine Chordame mit Echthaar ergänzt. “Es ist oft so, dass wir alte Stücke aus dem Fundus wiederverwenden, da in neuen Perücken 40 bis 60 Arbeitsstunden stecken”. Das Masken-Team in Görlitz besteht aus fünf Personen und betreut auch während der Vorstellungen die Darsteller. Außerdem müssen die Perücken regelmäßig auffrisiert und gewaschen werden.

Bei jeder Aufführung sind hinter den Kulissen auch Mitarbeiter der Bühnentechnik, der Beleuchtung und vom Ton im Einsatz. Nicht zu vergessen die fleißigen Hände der Ankleiderinnen, die Inspizienz und die Soufflage. Gemeinsam mit den Menschen auf der Bühne und im Orchestergraben machen sie alle es möglich, dass das Publikum einen schönen Musicalabend erleben kann. Und das nicht nur bei “Anything Goes” in Görlitz.

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