Quelle: Pixabay / KaiPilger
Quelle: Pixabay / KaiPilger

Ingos Fernsehsessel - "Heut' gehn wir bummeln" ("On the Town")

Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.

Am 13.04. wäre einer der großen Musical-Regisseure der goldenen Traumfabrikzeit 100 Jahre alt geworden: Stanley Donen. Deshalb ziehe ich von meinem Fernsehsessel aus mit drei Matrosen durch das New York der 1940er Jahre. „Heut‘ gehn wir bummeln“ („On the Town“) von 1949 ist der erste von Donen zusammen mit Gene Kelly inszenierte Film und ging als erstes Musical, das teilweise an Originalschauplätzen entstand, in die Filmgeschichte ein. Das zugrunde liegende Bühnenstück von Leonard Bernstein dient dabei nur als Gerüst für ein komödiantisches und tänzerisches Feuerwerk!

Drei Matrosen der U.S. Navy – Gabey (Gene Kelly), Chip (Frank Sinatra) und Ozzie (Jules Munchin) – haben 24 Stunden frei und wollen New York erkunden. Gabey verliebt sich in der U-Bahn in das Bild von „Miss Untergrund“ Ivy Smith (Vera-Ellen) und die drei machen sich auf die Suche nach ihr. Dabei geraten sie an die Taxifahrerin Hildy (Betty Garrett), die sich direkt für Chip interessiert. Im Museum für anthropologische Geschichte entdeckt die Wissenschaftlerin Claire (Ann Miller) eine Ähnlichkeit zwischen Ozzie und dem Modell eines prähistorischen Mannes. Sie will ihn für ihre Studie auswerten. Gabey überlässt seine Kumpane den Frauen, zieht allein weiter und findet schließlich Ivy. Alle treffen sich, wie vorher verabredet, auf dem Empire State Building und bummeln gemeinsam durch das New Yorker Nachtleben.

Dass ein Hollywoodstudio die Rechte eines erfolgreichen Broadway-Musicals kaufte und dann den Stoff für seine Zwecke – und für seine Stars – zurechtzimmerte, war ab der frühen Tonfilmzeit gang und gäbe. So auch hier. Nur drei Songs und zwei Ballettmusiken haben es aus Leonard Bernsteins Partitur in den Film geschafft. Sechs neue Songs und die Instrumentalmusik, die auch Motive von Bernstein verarbeitet, stammen von Roger Edens. Er bekam dafür einen Oscar für die Beste Musik in einem Musicalfilm.

Meine Theorie zu den Änderungen: Bernsteins Kompositionen sind recht anspruchsvoll und Gene Kelly, der Gabey-Darsteller, war ihnen womöglich nicht gewachsen. Kelly war zwar ein ordentlicher Schauspieler, vor allem aber ein sportlicher und ideenreicher Tänzer. Seine Singstimme war dagegen durchschnittlich, etwas dünn und mit nicht sehr großem Tonumfang. Es ist schon auffällig, dass es im Film kein einziges Solo gibt. Frank Sinatra soll damit gelockt worden sein, Bernsteins „Lonely Town“ singen zu dürfen, aber der Song wurde später gestrichen. Alle Songs sind mindestens Duette, wenn nicht gar Sextette. Edens hat sie sehr tänzerisch und auf darstellerische Umsetzung hin komponiert. Dazu kommt Gene Kellys witzige und energetische Choreographie. Jede Nummer ist ein cineastisches Kleinod, aber musikalisch ist es fröhliche Durchschnittsware.

Die Optik war seinerzeit sensationell neu. Die Eröffnungsnummer „New York, New York“ wurde an Originalschauplätzen gedreht, was es vorher noch nie in einem Musicalfilm gegeben hatte. Letztendlich waren es allerdings nur wenige Szenen, die wirklich vor Ort entstanden sind. Das hat einerseits mit dem hohen Aufwand zu tun und andererseits waren die Dreharbeiten mühsam, weil Menschenmassen – vor allem Fans von Frank Sinatra – die Drehorte belagerten. Aus heutiger Sicht ist der Schnitt von „New York, New York“ zu einer Dialogszene auf dem Times Square vor einer Rückprojektion ziemlich plump. Ignoriert man das und einige künstliche Studio-Settings, dann kann man sich zumindest an einigen wirklich großen dreidimensionalen Kulissen erfreuen, etwa in der Sequenz auf dem Empire State Building.

Im Gegensatz zu dieser Imitation der Realität sind die Ballettsequenzen bewusst irreal gehalten. Die erste – „Miss Turnstiles Ballet“ – zeigt Ivy Smith bei den Dingen, die sie, laut Plakat, den ganzen Tag so macht: Hausarbeit, sich in der High Society bewegen, Balletttanz, Malerei und Sport. Vera-Ellen wirbelt durch eine spärlich ausgestattete gelbe Kulisse. Vor allem der Sportteil nötigt mir höchsten Respekt ab. Das ist toll getanzt und choreografiert. In „A Day in New York“ verarbeitet Gabey die Erlebnisse des Tages. Vor dem Schattenriss der Big-Apple-Skyline tanzen Kelly und Vera-Ellen (die anderen vier Darsteller werden gegen Tänzer ausgetauscht) in Kellys verspieltem Stil eine Mischung aus Jazztanz und klassischem Ballett.

Im Gegensatz zur musikalischen Seite ist im Drehbuch etwas mehr vom Original erhalten geblieben. Es stammt, wie das Broadway-Musical, von Betty Comden und Adolph Green und steckt voller pointenreicher Dialoge. Schon in der Ursprungsversion ist auffällig, dass die Frauen viel cleverer und zupackender sind als die hilflosen Matrosen, die ungeschickt durch den Großstadtdschungel streifen. Auch dass Hildy / Chip und Claire / Ozzie es offensichtlich nicht beim keuschen Kuss belassen, ist ungewöhnlich für einen Film dieser Entstehungszeit.

Trotz komödiantischer Handlung liegt über der Musicalvariante ein melancholischer Schatten. Sie spielt im Zweiten Weltkrieg und die Matrosen sind auf dem Weg zu einem nicht näher genannten Kriegsschauplatz. Es ist möglich, dass nicht alle den Einsatz überleben. Deshalb ist der Abschied von ihren New Yorker Bekanntschaften mehr als nur der Abschied von einer Ein-Tages-Romanze. Dieser Aspekt kommt in der Filmversion nicht vor. Die Handlung ist in die Nachkriegszeit verlegt. Das Regie-Duo legte mehr Wert auf Gute-Laune-Unterhaltung.

Gene Kelly und Stanley Donen lernten sich 1941 bei der Produktion von „Pal Joey“ am Broadway kennen. Kelly feierte mit diesem Stück seinen Durchbruch, Donen war als Tänzer und Assistent des Bühnenmanagers engagiert. Danach wechselten beide zum Film und arbeiteten dort weiter zusammen – Donen als Choreograf, Kelly als Darsteller. Ihre aus heutiger Sicht wichtigste Zusammenarbeit war 1952 „Singin‘ in the Rain“, eins der besten Filmmusicals überhaupt. Bei den Dreharbeiten zu „Vorwiegend heiter“ („It’s Always Fair Weather“) im Jahr 1955 zerstritt sich das Duo jedoch. Nach wenig kreativen Routine-Produktionen wie „Picknick im Pyjama“ („The Pajama Game“) von 1957 und weil das Publikumsinteresse an Filmmusicals abebbte, verfilmte Donen mit durchwachsenem Erfolg dialogreiche Komödien, die ihre Bühnenherkunft nicht verleugnen konnten. In den 1960er Jahren drehte er zwei parodistische Krimis: „Charade“ von 1963 ist auch dank der Chemie des Duos Audrey Hepburn / Cary Grant ein Klassiker geworden; „Arabeske“ kopierte 1966 das erfolgreiche Konzept, diesmal mit Sophia Loren, einem überraschend lustigen Gregory Peck und einer abgedrehten Optik. Die melancholische Beziehungskomödie „Zwei auf gleichem Weg“ („Two For the Road“) mit Audrey Hepburn und Albert Finney, die sich stilistisch an der französischen Nouvelle Vague orientierte, ist meiner Meinung nach sein heute unterschätztester Film und unbedingt sehenswert. Danach drehte er eine Reihe Flops – u.a. 1974 eine Musicalversion von „Der kleine Prinz“ („The Little Prince“) mit Musik von Frederick Loewe – bis er sich mit zwei erschreckend schlechten Filmen aus dem Kino verabschiedete: Der Science-Fiction-Streifen „Saturn 3“ von 1980 wird von Trashfilm-Fans kultisch verehrt – was ihn aber nicht besser macht – und „Schuld daran ist Rio“ („Blame It On Rio“) ist trotz Sally Field und Michael Caine so unlustig, dass man weinen möchte.

Dabei konnte Stanley Donen richtig gut Komödien inszenieren. Er hatte bei „Heut‘ gehn wir bummeln“ aber auch ein Ensemble versammelt, das vor Spielfreude zu platzen scheint und wunderbar harmoniert. Keiner der Darstellerinnen und Darsteller spielt sich in den Mittelpunkt. Alle außer Gene Kelly und Frank Sinatra dürften den meisten heute unbekannt sein. Die Tänzerin Vera-Ellen hatte nur eine kurze Hollywood-Karriere, ist aber einigen vielleicht aus „Weiße Weihnachten („White Christmas“) von 1954 ein Begriff. Betty Garrett, obwohl hinreißend lustig, schaffte es nie in Hollywoods A-Liga. Nach „Heut‘ gehn wir bummeln“ spielte sie sechs Jahre in keinem Film. Warum, lest ihr in meiner Kolumne zu My Sister Eileen“. Ann Miller stahl in Nebenrollen den jeweiligen Hauptdarstellerinnen oft die Schau (wie etwa 1953 in Kiss Me, Kate“), aber als Filmmusicals aus der Mode kamen, war auch ihre Karriere vorbei. Jules Munchin fällt durch seine Grimassen und seinen zappeligen Slapstick auf, aber das fügt sich problemlos in diesen Cast, der völlig außer Rand und Band über meinen Bildschirm fegt.

Ich kann schwer sagen, ob mir die Musical- oder die Filmversion besser gefällt. Das Bühnenstück ist musikalisch anspruchsvoller und ich mag seine ruhigen Momente, der Film hat aber eine Energie, der man sich schwer entziehen kann. Ich mag einfach beide!

 
Overlay