Ensemble © Manuel Harlan
Ensemble © Manuel Harlan

Fangirls (2024)
Lyric Hammersmith, London

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Dem australischen Musical „Fangirls“ gelingt ein besonderer Drahtseilakt: Es stellt das obsessiv-manische Verhalten einer jugendlichen Stalkerin auf hoch komödiantische Weise dar, ohne in eine Parodie zu verfallen – denn es zeichnet auch eindrücklich die psychischen und sozialen Schwierigkeiten nach, denen sich Teenager ausgesetzt fühlen. So liegen in diesem Musical Tränen der Rührung sehr nahe am Tränenlachen. Yve Blake hat mit Buch, Musik und Songtexten ganze Arbeit geleistet!

Die als ’socially awkward‘ beschriebene Edna ist Hals über Kopf in Harry, den Frontsänger einer Boyband, verliebt – wie so ziemlich jeder Teenager in Sydney. Nur geht Ednas Liebe für den Schönling weiter: Sie glaubt zu wissen, dass Harry sich wie in einem goldenen Käfig fühlt und an Depressionen leidet. Edna setzt sich zum Ziel, Harry auf seinem nächsten großen Konzert persönlich zu treffen. Ihre besten Freundinnen, die nerdige Brianna und die nach sexuellen Erfahrungen gierende Jules, entfernen sich aufgrund von Ednas entrücktem Verhalten immer mehr von ihr. Ednas Mutter ist die Kontrolle über ihre Tochter, die keinen Vernunftgründen mehr zugänglich ist, längst entglitten. Ohne Konzertticket schleicht sich Edna zur Veranstaltung – und entführt Harry kurzerhand. Die Fangemeinde entfacht in Wut und Vergeltungsdrang ob Harrys Verschwindens, während das Objekt ihrer Begierde in Ednas Schlafzimmer gefesselt und geknebelt von seiner Entführerin umsorgt wird. Edna kann die Entführung nicht ewig vor ihren zwei Freundinnen und ihrer Mutter verstecken, während die Fangemeinde, angeführt von der schier wahnsinnig werdenden Schulzicke Lily, auf Rachefeldzug geht…

Yve Blakes Buch gelingt der Spagat zwischen Parodie und ernstzunehmender Charakterstudie ungemein gut und wird durch Paige Rattrays Regie darin perfekt unterstützt. Der Zuschauer kann über die merkwürdigen Eigenheiten der Fangirls, die in den zumeist sehr poppigen Gute-Laune-Songs widergespiegelt werden, herzhaft lachen und sich unweigerlich in der Teenieschwarm-Geschichte wiederfinden. Dabei werden die manischen Verhaltensweisen der Hauptfiguren durch einfühlsame Lieder, bei denen nicht nur die Tränen der Charaktere fließen, mit ebenso großem Spielraum präsentiert. Das Stück beinhaltet einige unerwartete Plottwists und einen trotz der vielen lustigen Episoden durchaus spannenden Handlungsbogen, der zum Mitfiebern gleichzeitig für und gegen Ednas Taten und Entscheidungen einlädt. Die eingängigen Songs decken eine große emotionale Bandbreite ab und wirken vortrefflich zusammen als Score des Stücks. Klug eingesetzte Reprisen zeigen die Wandlung der Charaktere und die durchgängig harmonisch konzipierten Songtexte vermitteln sowohl Wortwitz als auch Herzschmerz.

Ebony Williams Choreographien sind von allerhöchster Güte und strotzen nur so vor Energie. Besonders moderne Tanzabläufe stehen hier im Fokus: Tiktok-Fans werden einige virale Choreos wiederfinden, die mit Contemporary-Elementen vermischt sind und – sofern man das sagen kann – mit Tanzabläufen, die im LGBTQ-Kulturkreis gefeiert werden, kombiniert. So sind Vogueging, Duckwalk und Death Drops nur drei Beispiele für sehr prominente Moves innerhalb von Williams überaus turbulenter Choreographie. Jessica Hung Han Yuns Licht und Tony Gayles Sound sind perfekt auf das Stück eingestellt und ein mutiger Griff an den Regler liefert eine mächtige Lautstärke, die dem peppigen Musical sehr gut zu Gesicht steht. Die fünfköpfige Band unter Candida Caldicots Leitung spielt die Popsongs fantastisch, sodass keine Wünsche offen bleiben.

Stephen Foleys und Kyle Maenzs Kostüme spiegeln die Jugendkultur perfekt wieder und geben den Charakteren allein schon durch ihr Aussehen eine Persönlichkeit, die sie durch die variierenden Kleidungsstücke für die Hauptfiguren durch weitere Facetten ergänzen. So ist Jules gemäß ihrer Kleidung nach Außen eine ihre Weiblichkeit überbetonende ’slut‘, wie ihre Freundinnen sie nennen, trägt aber zuhause eher niedlich-kindliche Kleidung oder wird in ihrer Freizeit auch mal im Karateanzug gesehen. So arbeitet das Kostümdepartment die Charakter optimal heraus. Auch das Bühnenbild unterstützt die Teenie-Ästhetik: Drei große, gebogene LED-Bildschirme liefern per Videoeinspielungen nahezu durchgängig Chatverläufe, Tiktok-Shorts, Insta-Posts und News-Videos, die die Story bestmöglich begleiten. Dabei tritt das Ensemble, das zum Großteil verschiedene Teenager in Ednas Umfeld spielt, per Videoeinspielungen auch als Influencer, Nachrichtensprecher, TV-Persönlichkeiten oder besorgte Angehörige des entführten Harrys auf.

Die Cast ist bemerkenswert divers besetzt, ohne dass dies im Stück selbst thematisiert wird. Hier sind KünstlerInnen komplett ungeachtet ihrer Hautfarbe, Körperform, Handicaps, Selbstidentität und Gender gecastet und alle gleichwertig eingesetzt, sodass hier nicht Aussehen oder Type-Casting, sondern lediglich das Talent und die Liebe zur Ausübung des Berufes im Fokus steht. Diese Entscheidung kann und sollte gefeiert werden – die Hoffnung, dass sich viele Produktionen an „Fangirls“ ein Vorbild nehmen, darf geäußert werden.

Max Gill, Eve de Leon Allen, Max James Hodge, Lena Pattie Jones und Nicky Wong Rush geben ein fantastisches, strahlendes Ensemble ab, das die aufwändigen Choreos mit Bravour meistert und beeindruckende Gesangsstimmen sowie perfektes Schauspiel mitbringt. Dabei wechseln sie ganz natürlich, ungeachtet ihres eigenen Geschlechts und Gender-Identität für ihre variierenden Rollen auch durch das Genderspektrum, ohne dabei auch nur den Hauch von Parodie zu erzeugen.

Terique Jarrett legt seinen Harry-Fan Salty sehr ’sassy‘ und ‚fierce‘ aus, wie er von seiner Freundin Edna auch im Stück beschrieben wird – und beweist dabei ebenfalls eine große, virtuose Gesangsstimme im Song „Feels so True“ oder im Duett mit Edna zu „Got no Chill“. Miracle Chance als Brianna und Mary Malone als Jules flankieren Hauptdarstellerin Jasmine Elcock mit perfekter Bühnenchemie im Lied „Actually Dead“, ohne jemals zu Nebencharakteren zu degenerieren, da sie ihren Figuren eine Plethora an Eigenheiten verleihen, die mal liebenswert, mal wirklich merkwürdig sind, aber immer eine große Portion Menschlichkeit versprühen. So zeigen sie zusammen mit Elcock in „Night of Our Lives“ ihre jugendlich-hoffnungsvolle Seite, während sie in „Disgusting“ durch die tiefen Unsicherheiten der drei Teenager zu Tränen rühren. Elcock ist als Enda ein wahrer Glücksgriff. Nicht nur, weil sie durch ihre Ausstrahlung überraschend authentisch als Teenagerin rüberkommt, sondern trotz ihres jungen Alters und der bisher eher wenigen Bühnenerfahrung eine fantastische schauspielerische Diversität an den Tag legt, die sie auch in Songs wie „Nobody“, „Learning to be Lonely“ und „Silly Little Girl“ eindrucksvoll präsentiert. Drei Darsteller vermögen es, einen noch bleibenderen Eindruck zu hinterlassen: Da wäre zum einen Thomas Grant als Harry, der mit seiner attraktiven, charismatischen Bühnenausstrahlung während der Konzertszenen zu „Concert Medley“ im zweiten Akt nicht nur das Fan-Ensemble zum Jubeln bringt. Wenn Harry privat auftritt und – von Edna gefesselt zu „Become Brand New“ – versucht zu entkommen, zeichnet er seinen Harry als ganz normalen, etwas einfältigen, verstörten jungen Mann. Auch West-End-Urgestein Debbie Kurup kann als Mutter Caroline gleichermaßen stimmlich wie energetisch mit der jungen Cast mithalten. Ihr gelingt es auf berührende Weise, die verzweifelte, aber immer unterstützende und liebevolle Mutter beispielsweise im Lied „Brave Thing“ zu zeichnen, die sogar bereit ist, für ihre Tochter Straftaten zu begehen, wenn es hart auf hart kommt. Und zu guter Letzt ist Gracie McGonigal als Lily eine wahre Offenbarung: Ihr extrem intensives Schauspiel, das einen großen Teil des Comedy-Potenzials des gesamten Musicals trägt, wird nur durch ihre Weltklasse-Gesangsstimme, die sie als Instrument im Finalsong „Maybe We’re More“ von einem Riff ins nächste führt, übertrumpft.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses rundum gelungene und facettenreiche Stück, das alles mitbringt, um ein voller Erfolg zu werden, demnächst im großen Stil auf die internationalen Bühnen zurückkehrt!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Buch / Musik / TextYve Blake
InszenierungPaige Rettry
BühneDavid Fleischer
ChoreographieEbony Williams
Video DesignAsh J Woodward
Licht DesignJessica Hung Han Yun
Sound DesignTony Gayle
Vocal Arrangements / OrchestrierungZara Stanton
Musikal. LeitungCandida Caldicot
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
EdnaJasmine Elcock
SaltyTerique Jarrett
HarryThomas Grant
JulesMary Malone
BriannaMiracle Chance
CarolineDebbie Kurup
LilyGracie McGonigal
Dom / EnsembleEve De Leon Allen
Greta / EnsembleMax Gill
Ash / EnsembleLena Pattie Jones
Pat / EnsembleMax James Hodge
DancerNicky Wong Rush
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
keine aktuellen Termine
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Sa, 13.07.2024 19:30Lyric Hammersmith, LondonPreview
Mo, 15.07.2024 19:30Lyric Hammersmith, LondonPreview
Di, 16.07.2024 19:30Lyric Hammersmith, LondonPreview
▼ 45 weitere Termine einblenden (bis 24.08.2024) ▼
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Overlay