Thomas Borchert gehört mit seinen 33 Jahren Bühnenerfahrung zu den gefragtesten und profiliertesten Musicalstars des deutschsprachigen Raums. Zusammen mit seiner Frau Navina Heyne ist Borchert aktuell unter anderem am Theater Lüneburg in „Der Graf von Monte Christo“ zu sehen, wo wir die beiden vor der Vorstellung zu einem Gespräch getroffen haben. Dabei haben wir erfahren, wie sie ihre Rollen in Wildhorns Mantel-und-Degen-Musical sehen, welche Tücken und Vorteile die gemeinsame Arbeit auf und hinter der Bühne hat und was das Ehepaar demnächst noch so erwartet.
Ihr habt ja beide nicht nur jetzt im Moment einen enorm vollen Zeitplan mit vielen verschiedenen Engagements und seid dabei immer sehr viel unterwegs. Wie schafft Ihr das?
Navina Heyne: Es ist manchmal einfach schwierig und sehr anstrengend, alles unter einen Hut zu bekommen. Alles muss gut organisiert werden!
Thomas Borchert: Außerdem wird man ja auch nicht jünger. Eigentlich müssten wir mal lernen, etwas öfter „Nein“ zu sagen. Oftmals ist die Reiserei das Anstrengendste an dem Job – die ständigen Hotelwechsel und das immer neue Ankommen. Unsere Arbeit selbst lieben wir einfach sehr. Aber wir müssen, denke ich, noch lernen, uns gezielte „Urlaubsinseln“ in unseren turbulenten Terminkalender einzutragen, die wir dann auch einhalten.
NH: Was Energie zurück gibt, ist definitiv unser Leben auf dem Land. Die Natur, die Vögel, die Ruhe ist wunderbar. Und natürlich beseelt es uns auch sehr, wenn wir ein tolles Publikum haben. Das trägt uns durch die Zeit und gibt Kraft.
TB: Egal wie man sich verausgabt hat, man findet immer wieder neue Energie und ist auch nach einer Show noch so aufgeladen. Wenn der Körper dann aber signalisiert: „So, jetzt ist Schluss!“, dann sollte man auch darauf hören. Ein Vorsatz für das neue Jahr wäre, alles etwas entspannter angehen zu lassen und uns mal Off-Days zu gönnen!
Was steht denn aktuell neben dem „Graf von Monte Christo“ noch auf dem Plan? Und gibt es dann nicht auch Verwirrungen, wenn Ihr verschiedene Stücke parallel spielt?
NH: Also, heute sind wir direkt aus Magdeburg gekommen, wo wir unser Weihnachtskonzert gespielt haben. Davor waren wir in Hamburg und Berlin und als nächsten werden wir noch nach Bayern und Österreich reisen.
TB: Ich bin ja auch noch in Fürth bei der „Next to Normal“ Reunion. Darauf freue ich mich extrem! Zwischendrin geben wir, neben unseren Musical-Engagements und Konzerten, zudem noch Gesangscoachings. Und mit weiteren Solo- und Duo-Programmen sind wir auch immer wieder unterwegs. Ach, und zum Thema Duo-Shows: Unsere brandneue eigene Show „Let The Sky Fall – The BOND Concert Show“ feiert Anfang November 2024 in der Hamburger Laeiszhalle Premiere! Bei so einem umfangreichen Stück wie „Graf von Monte Christo“ kommt man bei dem ganzen Drumherum recht schnell raus und muss sich erstmal wieder an alles erinnern, wenn man in Lüneburg ankommt – nicht nur an die Texte, sondern z.B. auch an die Fechtchoreographien. Andererseits: Abwechslung ist definitiv gut und hält auch fit!
NH: Im Grunde genügt aber auch die sehr intensive sechswöchige Probenzeit. Wir gehen natürlich sicherheitshalber immer nochmal alles durch. Aber sobald man auf der Bühne ist, erinnert man sich – toi toi toi – an alles wieder. Man muss darauf vertrauen, dass man es kann.
TB: Genau. Es ist für jeden Schauspieler wichtig, sich nicht zu verkopfen und im Vorfeld alles zu zerdenken. Man geht auf die Bühne, stellt den „Graf“-Knopf an, und dann erinnert man sich.
Thomas, der Graf von Monte Christo ist ja eine sehr wichtige Rolle für Dich, die Du bereits auf dem Konzeptalbum und bei der Uraufführung in St. Gallen kreiert hast. Erzähle uns doch bitte von dem Stück, so wie Du es wahrnimmst.
TB: Meine Figur ist am Anfang gutgläubig, unbescholten und lebt unbeschwert nach bestem Wissen und Gewissen – ist aber, wie es oft bei Glückspilzen ist, von Neidern umgeben. Sie beneiden ihn um seine wunderschöne Frau und um seine Beförderung zum Kapitän und bringen ihn ins Gefängnis. Dann entsteht die Frage: Was passiert mit einem Menschen, der so viel Unrecht erleben muss? Was macht Besessenheit und Rache mit einem Menschen? Ist Vergeltung der richtige Weg gewesen? Seine Antwort am Ende ist: Nein – die Rache hat ihn und sein geliebtes Umfeld vergiftet. Nur Vergebung und Liebe führen ihn zurück ins Leben.
Diese Gefühle kennt jeder von uns in abgeschwächter Form. Dass man sich ungerecht behandelt fühlt und auf Fairness aus ist. Beide unsere Figuren zeigen, wie äußere Umstände und der Umgang damit, einen Menschen gebrochen zurücklassen. Wenn es zu spät ist, ist man klüger. Es gibt kein Schwarz und Weiß, kein Gut und Böse – aber das Schicksal schreibt die Menschen. Wie es eben im Leben ist. „Sie lebten glücklich bis an ihr Ende“ gibt es in der Regel nicht. Wir sind alle das, was das Leben aus uns gemacht hat. All das finden wir in Mercédès und Edmond.
Navina, Du spielst die Mercédès an Thomas‘ Seite. Wie würdest Du deine Rolle beschreiben?
NH: Meine Figur ist, genau wie die von Thomas, am Anfang einfach glücklich und wahnsinnig verliebt. Diese jugendliche Naivität wandelt sich aber nach Edmonds Verschwinden. Sie hält zunächst eisern an der Hoffnung fest, verliert aber am Ende sich selbst. Sie wird verbittert und muss sich in ihr ungewolltes Leben fügen. Verletzt wird sie dann beim erneuten Aufeinandertreffen, als sie merkt, dass Edmond kaum wiederzuerkennen ist. Sie fragt sich: Wie konnte ich diesen Menschen überhaupt lieben? Mercédès ist also eine sehr emotionale und traurige Figur.
Die Frage am Ende bleibt: Ist ein Happy End für die beiden am Ende überhaupt möglich nach allem, was passiert ist? Welches Ende es auch sein mag, kann der Zuschauer für sich entscheiden – das ist das beste, was wir mit dem Stück erreichen können!
Ist es nicht seltsam für Euch, auf der Bühne ein entfremdetes Paar zu spielen, wo Ihr doch in Wirklichkeit glücklich verheiratet seid?
NH: Es ist vor allem eins – schön! Klar gibt es Schwierigkeiten, wenn man sich gut kennt. Wir haben daher festgelegt, dass wir kein Privatleben mit auf die Bühne nehmen. Als Team funktionieren wir wirklich gut. Tiefes Vertrauen und Sicherheit sind bei uns die Basis.
TB: Wir werfen uns gegenseitig die Bälle zu. Ein Freund hat nach der Premiere von „Graf von Monte Christo“ zu uns gesagt: „Eure Verbindung ist so stark, dass man sie auch fühlt, wenn nur einer von euch auf der Bühne steht.“ Das ist sicherlich dem geschuldet, dass wir ein Paar sind. Das ist Segen, aber manchmal auch ein kleiner Fluch: Wir nehmen zwar das Privatleben nicht mit auf die Bühne, aber umgekehrt nehmen wir die Proben und Stücke oft mit in nach Hause. Da muss man vorsichtig sein, da es schwer ist, danach abzuschalten. Man redet lange über die Inhalte und die Rollenauslegung, was manchmal zu Diskussionen führt.
NH: Aber auch das kann ein Segen sein! Dadurch, dass wir uns so gut kennen, können wir uns Dinge sagen, die man vielleicht fremderen Kollegen niemals sagen würde. Das ist für die Rollenarbeit sehr wertvoll und man dringt noch tiefer in die Materie ein. Gleichzeitig bin ich trotzdem immer überrascht, wie wenig wir uns auf der Bühne privat fühlen. Sobald der „Knopf“ angeschaltet wird, sehe ich nicht mehr Thomas, sondern Edmond. Aber das Urvertrauen zwischen uns bleibt.
TB: Da hat Navina Recht. Es ist wirklich spannend und irgendwie auch magisch. Auch bei den Küssen…
NH: Genau, die Küsse! Wenn der Kuss sich auf der Bühne privat anfühlen würde, wäre es falsch. Wir sind in unseren Rollen und sehen uns gegenseitig als unsere Figuren!
Diese Bühnenmagie, die Euer Freund beschrieben hat, kann man ja auch schon auf der tollen DVD-Aufnahme von „Dracula“ in Ulm sehen!
NH: Erstmal, vielen Dank für diese lieben Worte. Das fühlt sich richtig gut an, das zu hören! Denn wir schauen in der Regel unsere Produktionen nicht selber richtig eingehend an. Wir haben damit beide unsere Schwierigkeiten…
TB: Das liegt daran, dass man mit sich selbst sehr hart ins Gericht geht. Der blöde Perfektionismus aktiviert sich dann. Wenn ich meine Rollen spiele, spüre ich sie ja. Ich bin sozusagen in einer Blase. Wenn man das dann von Außen sieht, ist man oft irritiert und denkt sich: „Ach, so sieht das aus?“ und man fängt im schlimmsten Fall an, alles zu überdenken, sodass die Performance beim nächsten Mal dann nicht mehr organisch wird. Außerdem sind ja solche Musicals für die Ferne ausgelegt, sodass man alles größer als für die Kamera spielen muss – das wirkt auf Video dann oft übertrieben. Daher schauen wir sowas nur zur Vorbereitung auf andere Shows und Wiederaufnahmen.
NH: So geht es mir auch besonders, seitdem ich YouTube mache! Wenn ich meine Videos bearbeite und mich dann selber sehe und höre, ist das jedes Mal wieder komisch. Da muss man dann durch!
Du bist ja als YouTuberin sehr aktiv und hast dort eine ganz besondere Nische gefunden, die eine Brücke zwischen Gesang und Komik darstellt. Ich habe mich bei Deinen Videos köstlich amüsiert!
NH: Das ist das Ziel! Ich erstelle eine Videoreihe, in der ich Kolleginnen und Kollegen interviewe. Dabei versuche ich, immer mit viel Freundschaftlichkeit und Humor da ran zu gehen. In meiner Reihe „Gesungenes Interview“ habe ich zum Beispiel schon mit Angelika Milster über Autofahren, Spiegeleier und die Männer gesungen. Das macht so viel Spaß!
[An dieser Stelle muss Navina uns leider verlassen, da die Vorstellung bald beginnt und sie in die Maske muss.]
Danke Navina für Deine Zeit!
Lieber Thomas, hast Du noch ein paar Minuten länger? Gerade wurde ja angekündigt, dass Du wieder in die Rolle des Grafen von Krolock in „Tanz der Vampire“ schlüpfen wirst! Wirst du ihm nicht manchmal überdrüssig?
TB: Nein, überhaupt nicht. Auf das Frühjahr freue ich mich sehr – Krolock ist immer für mich ein Highlight, ich liebe diese Rolle. Dass ich ab und zu für den Part angefragt werde, empfinde ich als richtiges Geschenk. Egal wie etabliert man ist, muss man sich normalerweise immer wieder aufs Neue beweisen, also auch vorsingen und -sprechen. Das mit „Tanz der Vampire“ nicht zu müssen, stimmt mich sehr dankbar!
Du bist ja generell irgendwie der „Grafen“-Darsteller: Krolock, Monte Christo und Dracula. Was ist Dein Lieblingsgraf?
TB: Das kann ich eigentlich gar nicht beantworten. Lustigerweise habe ich Monte Christo – den Grafen, den mir Frank Wildhorn auf die Stimmbänder geschrieben hat – am wenigsten gespielt. Tatsächlich nur bei der Uraufführung in St. Gallen und danach nicht mehr – bis mich das Theater Lüneburg angefragt hat. Was für eine tolle Chance, mit der ich gar nicht mehr gerechnet hätte! Obwohl ich, muss ich sagen, am Anfang doch skeptisch war, denn ich bin ja mittlerweile ein Stück älter geworden. Aber die tolle Regie in Lüneburg hat einen Weg gefunden, dass es trotzdem gut funktioniert. Eigentlich müsste Edmond „mein“ Graf sein. Aber Krolock steht auch sehr weit oben.
Vermischen sich Dracula und Krolock bei Dir? Es sind immerhin beides transsilvanische, blutsaugende Aristokraten, die einer einzelnen Dame nachstellen…
TB: Verstehe ich total, dass man das denkt. Ich trenne aber beide Figuren ganz strikt voneinander und lasse nicht zu, dass sie sich vermischen. Ich würde mir wünschen, dass in einem solchen Fall die Regie sofort auf mich zukommt und sagt: „Dein Dracula war aber heute sehr Krolock-esque.“ Das gilt es auf jeden Fall zu vermeiden!
Lass uns zum Schluss noch über Dein Herzensprojekt „Scholl – Die Knospe der weißen Rose“ reden. Da kommt ja jetzt die heiß erwartete Cast-Aufnahme raus, sogar als Doppel-CD!
TB: Auf die CD freue ich mich tierisch! Wie toll und selten ist das mittlerweile?! Mit einem 32-seitigen Booklet dabei! Großartig, oder?
Ja, gerade in einer Zeit in der generell nicht mehr so viele Musicals auf CD erscheinen! Was bedeutet Dir dieses Stück und wie ist es eigentlich entstanden?
TB: Das Stück bedeutet mir wirklich viel! Titus Hoffmann und ich haben eng Hand in Hand gearbeitet – unser erstes richtiges gemeinsames Projekt nach den 24-Stunden-Musicals in Ahrensburg, wo wir innerhalb einer Nacht ein 20-Minuten-Musical aus dem Ärmel geschüttelt haben. Das hat sehr viel Spaß gemacht, aber die Arbeit an „Scholl“, das mir Titus nach einem gemeinsamen Brainstorming als neues Projekt präsentiert hat, war natürlich viel komplexer und hat insgesamt 3 Jahre in Anspruch genommen.
Das Thema hat mich sofort gereizt, es hat mir in den Fingern gejuckt und ich konnte kaum abwarten, endlich anzufangen. Die ganze Arbeit mit Titus war intensiv und symbiotisch. In allen kreativen Schritten des Werkes hatte ich meine Finger im Spiel! Ich war mit Melissa King und Andrea Kingston zusammen am Casting beteiligt und wir haben die Besetzung handverlesen. Auch die Band übrigens! Das Theater Fürth hat uns da großzügig freie Hand gelassen und uns produktiv wie konstruktiv in unserem Sinne unterstützt. Dass Titus und ich dann komplett machen konnten, was und wie wir es wollten, war optimal.
Leider waren es nur neun Vorstellungen und ist wirklich schwer, eine Nachfolgeproduktion auf die Beine zu stellen. Wir hoffen natürlich, dass wir es nochmal spielen können. Das hätten sich alle am Projekt Beteiligten mehr als verdient, finde ich. Wir hatten das Glück, das Stück mehrmals workshoppen zu können, mit den Studenten der Theaterakademie August Everding, was auch nicht selbstverständlich ist. Alles hat sich so toll zusammen entwickelt. Jeder einzelne war mit Herzblut und Ideenreichtum dabei und wir haben alle auf Augenhöhe gearbeitet. Als ich dann das Bühnenbild das erste Mal gesehen habe und sozusagen am eigenen Leib erlebt habe, wie alles zusammenwirkte – einfach nur „WOW!“
Ist Dir ein kreativer Prozess besonders in Erinnerung geblieben?
TB: Ja, das erste Gedicht von Hans Scholl, das Titus ausgewählt hat und ich dann vertont habe. Es hat eigentlich keinen Titel, aber wir haben es „Diese Worte bleiben“ genannt. Ein wunderschönes Kleinod! Ich weiß noch genau, dass ich nach dem ersten Durchlesen direkt angefangen habe, dazu Klavier zu spielen und zu singen. Innerhalb von Minuten war alles da, es floss aus mir raus. Das war meine erste Begegnung als Komponist mit Hans Scholl und dieser Thematik. Es erschien mir, dass es eine Art Fügung war für mich.
Dann ist die CD ja ein tolles Weihnachtswunder! Wie werdet Ihr Weihnachten verbringen?
TB: Wir werden bei der Familie in Berlin sein und es ruhig angehen lassen. Aber am 26. Stehen wir schon wieder in Lüneburg auf der Bühne.
Apropos: Ich muss jetzt auch in die Maske! Als Mann kann ich mir zwar mehr Zeit lassen als Navina, aber die Show beginnt schon in etwas mehr als einer Stunde…
Vielen Dank, dass Ihr Euch so spontan kurz vor der Vorstellung Zeit für ein Interview genommen habt! Wir wünschen Euch beiden alles Gute und hoffen, dass wir uns bald wieder auf ein Pläuschchen treffen können. Frohe Weihnachten Euch beiden!
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