Der Film „Eiskalte Engel“ war Ende der 1990er ein Hit an den Kinokassen und konnte eine enorme Fangemeinde gewinnen. Die Adaption des Briefromans „Gefährliche Liebschaften“ verlegte die Geschichte vom Frankreich des 18. Jahrhunderts an die moderne New Yorker Upper East Side, wo „Buffy“-Darstellerin Sarah Michelle Gellar und der damalige Teenie-Schwarm Ryan Phillippe als verruchtes Stiefgeschwister-Paar ihr sexy Ränkespiel veranstalten. 25 Jahre später schafft es nun die Musical-Version ans West End in London und lässt mit viel Selbstironie und den Kult-Songs der Ära die 90er wieder aufleben.
Vielen Szenen und Dialoge wurden direkt aus dem Film in die Bühnenversion übernommen. Der größte auffällige Unterschied: Das Musical nimmt sich selbst nicht zu ernst. Das ist Fluch und Segen zugleich. Das Publikum feiert mit lautem Lachen und tosendem Applaus, wenn die Hits des ausgehenden 20. Jahrhunderts geschickt und mit Augenzwinkern in die Story eingefügt sind. Ob Macho-Football-Player Greg und Sebastians schwuler Freund Blaine beim heimlichen Date „Wannabe“ von den Spice Girls anstimmen („I tell you what I want, what I really, really want…“) oder Mauerblümchen Cecile nach ihrem ersten Orgasmus verzückt proklamiert „I saw the sign!“ – die Songauswahl passt wie die Faust aufs Auge, gewollt plakativ und von den Zuschauern mehr als dankbar angenommen. Die wenigen tragischen und emotionalen Momente der Geschichte verpuffen durch diesen fast schon parodistischen Ansatz allerdings.
Bevor die Show beginnt, klingt als kleines Easter Egg Sarah Michelle Gellars Stimme als „OJ Kathryn“ aus dem Off und ermahnt die Zuschauer in gewohnt bissiger Manier zum Abschalten der Mobiltelefone. Im Musical selbst wird die Rolle der nach außen wohlerzogenen, aber zutiefst durchtriebenen Elite-Schülerin von Rhianne-Louise McCaulsky übernommen. Ihre Kathryn Merteuil steht der Film-Vorlage in Sachen Charisma, Laszivität und Boshaftigkeit in nichts nach. McCaulskys Schauspiel ist dabei bewusst überzogen. Das passt zum humoristischen Gesamtkonzept des Musicals, aber etwas mehr Ernsthaftigkeit in der Darstellung würde Kathryn gut stehen. Gesanglich kann McCaulsky mit Powerstimme auf ganzer Linie überzeugen – Ihr kraftvolles Solo „Bitch“ im zweiten Akt ist ein wortwörtlicher Showstopper und bringt ihr zu Recht spontane Standing Ovations ein.
Daniel Bravo als Kathryns Komplize und Stiefbruder Sebastian Valmont, dessen hart erarbeiteter Ruf als Schürzenjäger ohne Gewissen ihm vorauseilt, erinnert nicht nur optisch an den jungen Ryan Phillippe. Er bleibt auch in der Charakterzeichnung von allen Akteuren seinem Leinwand-Alter-Ego am meisten treu und vollzieht die Wandlung vom skrupellosen Player zum ernsthaft verliebten jungen Mann emotional glaubhaft. Mit stimmlicher Strahlkraft interpretiert Bravo seine Songs, und die Chemie zwischen ihm und Abbie Budden als keuscher Annette, die er um jeden Preis verführen will, verleiht der Liebesgeschichte Authentizität. Auch Budden liefert eine rundum gelungene Darstellung ab – ihre Annette ist ein wunderbar dreidimensionaler Charakter: mal scharfzüngig, mal verletzlich, und immer stimmstark.
Bei den Nebenrollen dagegen wird – ähnlich wie bei McCaulskys Kathryn – an so mancher Stelle genüsslich zu Overacting gegriffen. Je nach Charakter funktioniert das manchmal mehr (grandios: Jess Buckby als latent rassistische Society-Dame, denen die Romanze ihrer Tochter mit dem Schwarzen Musiktutor ein Dorn im Auge ist) und manchmal weniger (Rose Galbraith als Cecile, deren übertriebene Naivität mehr nervig als lustig daherkommt). Im Zusammenspiel ist das Ensemble jedoch grandios und agiert, singt und tanzt mit einer unbändigen Spielfreude, die sich in den Zuschauerraum überträgt.
Neben der überaus geschickten Musikauswahl des Stücks – einer Kombination von vielen Songs aus dem Film sowie Hits, die zu jener Zeit im Radio auf und ab liefen; wunderbar interpretiert von der vierköpfigen Band, die auf einem Balkon auf der Bühne Platz findet – sind die Choreographien von Gary Lloyd mit all ihren Reminiszenzen an die 90er ein Highlight der Show.
Bei den Kostümen orientiert sich Ausstatterin Polly Sullivan eng am Film und setzt auf Schuluniformen, ‚preppy‘ 90er Jahre Mode und viel Sex-Appeal bei Kathryns Outfits. Es gibt keine aufwendigen Bühnenbildwechsel im kleinen, unterirdischen Theatersaal des Other Palace. Doch die stylische Kulisse und spärlich eingesetzte, aussagekräftige Requisiten stilisieren gekonnt die verschiedenen Spielorte der New Yorker Oberschicht, untermalt von Nick Richings‘ stimmungsvollen Lichtdesign.
Wenn Annette am Ende zu „Bittersweet Symphony“ Sebastians Tagebuch mit all seinen Aufzeichnungen über seine Eroberungen und Kathryns bösartigen Machtspielchen öffentlich macht, flattern überall Buchseiten als Flugblätter ins Publikum – ein schöner Effekt, um die Zuschauer noch mehr mit einzubeziehen.
„Cruel Intentions“ ist vor allem eins: ein Meisterstück in Sachen Unterhaltung, perfekt zugeschnitten auf diejenigen, die in den 1990er Jahren jung waren. Ein Blick in den Saal offenbart fast ausschließlich Spät-Dreißiger bis -Vierziger in den Sitzreihen, die lautlos die Texte ‚mitsingen‘ und das Theater am Ende mit sichtbar guter Laune verlassen. Ob das Konzept des Musicals abseits dieser Altersgruppe viel Anklang findet, ist fraglich; für späte Gen-X-ler und frühe Millenials ist es jedenfalls eine unterhaltsame, nostalgische und augenzwinkernde Reise zurück in ihre Jugend.
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