Für das kleine Theater der Altstadt in Stuttgart ist diese Produktion von „La Cage aux Folles“ sichtbar ein Kraftakt. Aber man spürt auch, wie viel Herzblut von allen Beteiligten hier einfließt. Was Ausstattung und musikalische Begleitung angeht, muss man ein paar Abstriche machen, doch Uwe-Peter Spinner und Sascha Diener als Georges und Zaza harmonieren bestens, bringen die nötige Emotionalität mit und machen diesen Abend sehenswert.
Regisseurin und Intendantin Susanne Heydenreich transferiert Elemente ihrer Inszenierung des Naturtheaters Reutlingen von 2018 auf die Bühne im Stuttgarter Westen. Geschickt nutzt sie die Gegebenheiten vor Ort und bespielt den ganzen Theatersaal. Personen treten manchmal durch den Zuschauerraum auf und ab und auch die Empore wird eingebunden. Thomas Mogendorfs Bühnenbild besteht aus drei drehbaren Elementen, die den Club oder die Wohnung von Georges und Zaza darstellen. Kleine Veränderungen machen daraus auch ein Café oder ein Restaurant. Richtig viel Spielraum haben da Belina Mohamed-Alis Choreografien nicht. Es muss auch mal ein Möbelstück weggeräumt werden oder ein Darsteller kurz die Bühne verlassen, um Platz zu schaffen. Das wird charmant oder einigermaßen logisch in den Bewegungsfluss eingebaut. Die zusätzlich inszenierten Umbauten und Szenenübergänge überzeugen dagegen nicht immer, sind aber womöglich der schlichten Tatsache geschuldet, dass Zeit gebraucht wird, weil sich jemand umziehen muss. Die Kostüme, für die Sibylle Schulze verantwortlich zeichnet und die teilweise aus dem Fundus der Drag-Lokalgröße Frl. Wommy Wonder stammen, bilden passend die Spannweite zwischen schrill und elegant ab.
Auffällig ist, dass die Cagelles, deren Anzahl auf sechs reduziert wurde, aus Männern und (echten) Frauen bestehen. Das hat vermutlich rein praktische Gründe, denn einen inhaltlichen Anlass im Stück, dass Frauen in einem Travestieclub auftreten, gibt es nicht. Die drei Darstellerinnen haben zu ihren Cagelle-Rollen noch andere Funktionen. Choreografin Belina Mohamed-Ali übernimmt auch die Rolle der Phädra (der in dieser Inszenierung etwas unnötig eine frühere Affäre mit Georges‘ Sohn Jean-Michel hineingeschrieben wurde), Dorothea Förster spielt zusätzlich die Verlobte Anne und Charis Hager deren Mutter. Auch Regisseurin Heydenreich steht in den Rollen der Inspizientin Jacqueline und der Restaurantbesitzerin France auf der Bühne.
Die musikalische Begleitung wurde vorher eingespielt. Mikael Bagratuni hat Jerry Hermans Kompositionen dafür neu arrangiert. Die von Bagratuni im Programmheft erwähnte „intimere Note“, die er dem Original verleihen wollte, stellt sich dabei nicht ein. Man hat den Eindruck, als habe man ein „richtiges“ Orchester nachbilden wollen, aber das Ergebnis klingt künstlich – auch dass der Abend mit der Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang beginnt, ist ein zäher und seelenloser Start.
Für die Seele der Inszenierung sorgen dann Uwe-Peter Spinner und Sascha Diener. Sie überzeugen als Paar durch differenzierte Darstellung ihrer Rollen. Uwe-Peter Spinner nimmt man ab, wie sehr es seinen Georges belastet, dass Zaza nicht beim Treffen mit den zukünftigen Schwiegereltern seines Sohnes dabei sein soll. Sascha Diener dreht in den schrillen Momenten der Rolle entsprechend auf, zeigt aber bei allen großen Gesten, wie sehr Zaza die Ausladung trifft. Beide verfügen über angenehme Singstimmen, die gut zu den chansonartigen Liedern passen. Diener kann aber auch richtig in die Vollen gehen. Die Dialogszenen des Paares haben Tempo und Witz. Dieses Tempo fehlt leider anderen textlastigen Szenen.
Gesanglich überzeugen kann auch Ruben Dietze als Jean-Michel. Richtig sympathisch wird sein Charakter leider nie. Es schwingt kein bisschen Bedauern mit, wenn er von seinem Vater verlangt, Zaza auszuquartieren. Die Übermittlung der Botschaft überlässt er ganz selbstverständlich Georges.
Dirk Emmert macht aus dem rechtskonservativen Edouard Dindon, Jean-Michels zukünftigem Schwiegervater, ohne große Übertreibung eine egozentrische Witzfigur. Emmert verbindet dominantes Auftreten mit gezieltem Schmeichel-Einsatz. In dieser Produktion gehört Dindon der AFF an, der „Alternative für Frankreich“, was ziemlich plump gescherzt ist. Auch der unvermeidliche Gag, den Namen „Dingdong“ auszusprechen, ist mit von der Partie.
Trotz Schwächen hat „La Cage aux Folles“ in dieser Produktion einen handgemachten und improvisierten Charme, dem man sich schwer entziehen kann. Das Publikum in der ausverkauften Vorstellung amüsiert sich prächtig.
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Mehrere Begriffe ohne Anführungszeichen = Alle Begriffe müssen in beliebiger Reihenfolge vorkommen (Mark Seibert Hamburg findet z.B. auch eine Produktion, in der Mark Müller und Christian Seibert in Hamburg gespielt haben). "Mark Seibert" Wien hingegen findet genau den Namen "Mark Seibert" und Wien. Die Suche ist möglich nach Stücktiteln, Theaternamen, Mitwirkenden, Städten, Bundesländern (DE), Ländern, Aufführungsjahren...