Sven Ratzke (Marlene), Johanna Asch (Viv) © Ann-Marie Schwanke-Siegersbusch
Sven Ratzke (Marlene), Johanna Asch (Viv) © Ann-Marie Schwanke-Siegersbusch

Marlene (seit 10/2023)
Renaissance-Theater, Berlin

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„Ich wurde nicht geboren, ich wurde erfunden“, sagt die Stimme einer Silhouette. Der Schatten im Lichtkegel lässt das Profil der Stilikone Marlene Dietrich unverkennbar erahnen. Zu sanften Klavierklängen berichtet die Stimme auf der dunklen Bühne von der Entstehung einer Legende, hinter der der Mensch Marie Magdalene zurückbleiben musste.

Der Vorhang hebt sich. Das Bühnenbild (Ezio Toffolutti) und die Ausstattung sind schlicht, aber zweckdienlich. In einem Raum mit verspiegelten Wänden steht ein Bett mit einer darin liegenden Person. Weitere Requisiten sind ein großes Blumenbouquet und ein mannshoher Reisekoffer, aus dem im Verlauf des Abends weitere Gegenstände hervorgezaubert werden. Der Koffer symbolisiert Marlene Dietrich als „die ewig Reisende“ und Heimatlose. Am linken Bühnenrand sitzt Pianist Jetse de Jong am Flügel. Er ist nicht Teil der Handlung, sondern für das hohe musikalische Niveau des Stückes verantwortlich.

Die erschreckend alt aussehende Person im Bett ist Marlene Dietrich, die zurückgezogen lebt und mit ihrem Schicksal hadert, in ihren letzten Lebenstagen in der Pariser Avenue Montaigne, Nr. 12. „Alle lieben die Legende, nicht die alte Frau“, lässt Sven Ratzke den einstigen Weltstar klagen. In der Inszenierung von Intendant Guntbert Warns schlüpft Ratzke in die Rolle der Marlene Dietrich. Was im ersten Akt vielleicht noch etwas sonderbar anmutet, erweist sich im zweiten Akt als absolut richtige Besetzungsentscheidung. Sven Ratzke verkörpert die Stilikone kongenial. Er geht ganz und gar in der Rolle auf und zeigt Marlene Dietrich in einer Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen: mit Starallüren und Stolz, Enttäuschung und Neid, Zerbrechlichkeit und Einsamkeit, Humor und Klugheit, Verführung und Sinnlichkeit. Die verschiedenen Kostüme von Ian Griffiths, vom goldbraunen Mantel übers Abendkleid bis zum obligatorischen Hosenanzug mit Zylinder, stehen Ratzke hervorragend und unterstützen im zweiten Akt die Illusion, die leibhaftige Marlene Dietrich vor sich auf der Bühne zu erleben. Der englische Theaterkritiker Kenneth Tynan, der mit ihr befreundet war, schrieb einst über sie: „Sie hat Sexappeal, aber keine klare Geschlechtsidentität.“ Vielleicht sah Regisseur Guntbert Warns auch daher die Zeit gekommen, die Rolle der Marlene Dietrich in seinem Stück bewusst nicht mit einer Frau zu besetzen.

Das Stück lässt sich nicht nur formal in zwei Akte gliedern, sondern auch musikalisch und dramaturgisch. Im ersten Teil dominieren die Monologe der gealterten Diva. Sie schwelgt in Erinnerungen und lässt das Publikum an ihrem ereignisreichen Leben teilhaben. Ihr zur Seite steht die junge Viv (Johanna Asch), die in erster Linie als Empfängerin der Monologe dient. Für ein wenig Irritation sorgt, dass einige bekannte Titel des Weltstars von Ratzke nur kurz angesungen werden, sodass bis zur Pause der Eindruck entsteht, es handele sich bei „Marlene“ um ein reines Sprechtheaterstück mit musikalischer Untermalung. Wer sich auf einen musikalischen Abend gefreut hat, wird bis dahin enttäuscht.

Nach der Pause dann die Kehrtwende: Das kleine Zimmer ist verschwunden und einer Showbühne mit einem lebensgroßen Herzspiegel gewichen. Im Abendkleid und in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht trägt Ratzke mit voller, sonorer Stimme souverän den Song „Illusions“ vor. In Erinnerung an die Freundschaft mit Edith Piaf folgt das Chanson „La vie en rose“, in englischer Sprache interpretiert. Bei „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ dreht Ratzke dem Publikum den Rücken zu, ist jedoch aufgrund des Herzspiegels und der verspiegelten Wände aus verschiedenen Perspektiven auch von vorne zu sehen. Ratzke interpretiert jedes Lied mit viel Hingabe und zollt der vielseitigen Künstlerin Marlene Dietrich Tribut. Zugleich beweist er seinen eigenen Facettenreichtum, und zwar so intensiv, dass es schwerfällt, sich eine andere Person in dieser Rolle vorzustellen. Sie scheint ihm wie auf den Leib geschrieben. Der hoch-emotionale Höhepunkt des Abends mit Gänsehaut und Wow-Effekt ist das Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“. Mit einer demutsvollen Verbeugung bedankt sich Ratzke für den lang anhaltenden Applaus des Publikums.

Während im ersten Akt die Dynamik fehlt, enthält der zweite Akt keine biografischen Informationen mehr, sondern ist ein Konzert, in dem sich ein Evergreen an den nächsten reiht. Diese Zweiteilung des Stücks ermöglicht es, zwei zutiefst unterschiedliche Seiten von Marlene Dietrich kennenzulernen: den gealterten und zweifelnden Menschen und den gefeierten Mythos auf dem Gipfel seines Erfolgs.

Originalfassung von Pam Gems in der Bearbeitung des Renaissance-Theaters Berlin
Deutsch von Angela Kingsford Röhl
Arrangements: Jetse de Jong, Svent Ratzke

 
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KREATIVTEAM
InszenierungGuntbert Warns
BühneEzio Toffolutti
 
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CAST (AKTUELL)
MarleneSven Ratzke
VivJohanna Asch
Am FlügelJetse de Jong
  
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TERMINE
So, 15.12.2024 18:00Renaissance-Theater, Berlin
Mo, 16.12.2024 19:30Renaissance-Theater, Berlin
Di, 17.12.2024 19:30Renaissance-Theater, Berlin
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 05.10.2023 19:30Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
Fr, 06.10.2023 19:30Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
Sa, 07.10.2023 19:30Renaissance-Theater, BerlinVoraufführung
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