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 Drama
Cabaret Wie geht's weiter?
© Kerstin Schomburg
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Von den wilden Partys der goldenen 1920er Jahre ist im Berliner KitKat Club nicht mehr viel zu merken. Die Nationalsozialisten haben schon zu viel Macht über die öffentliche Meinung erlangen können und die anstößigen Auftritte der Nachtclub-Diva Sally Bowles können in der Hamburger "Cabaret"-Version auch nicht recht für freudige Stimmung sorgen. Stattdessen überzeugt das betagte Paar Fräulein Schneider und Herr Schultz mit seiner schicksalhaften Liebesgeschichte, die aus den als Nebenrollen angelegten Rollen Publikumslieblinge macht.
(Text: Laura Peter) Premiere: | | 15.02.2020 | Rezensierte Vorstellung: | | 19.02.2020 |
© Kerstin Schomburg
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Das Hansa-Theater bietet eine wunderbare Spielstätte für "Cabaret", ist es doch selbst ein Varieté voller historischer Details und schön glänzender Kronleuchter. An den Tischen im Publikumsraum werden die Gäste ebenso bedient wie einst im Berliner KitKat Club Anfang der 1930er Jahre.
Auch wenn Sally Bowles trotz ihrer exzentrischen Art eine warme Seite hat, gelingt es Anneke Schwabe - obwohl sie gesanglich stark ist - nicht so recht, einen Funken Restsympathie für Bowles beim Publikum zu wecken. Man fragt sich vielmehr, warum der gutmütige und überzeugend gespielte Cliff Bradshaw (Sven Mattke) sich so von ihr um den Finger wickeln lässt. Mehr Nahbarkeit dagegen erwecken Fräulein Schneider (Ilona Schulz) und der jüdische Herr Schultz (Peter Franke), die zum falschen Zeitpunkt ihres Lebens ihre Liebe füreinander entdecken. Setzt Peter Franke mit seinem liebevollen Bariton an, dann wird einem ganz warm ums schwere Herz.
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Für den Conférencier findet Regisseur Ulrich Waller eine Kabarett-Ikone als Idealbesetzung: Tim Fischer passt wunderbar in seine Rolle und stöckelt auf Highheels und in den schillernden Roben von Kostümbildnerin Ilse Welter über die Bühne und durchs Publikum. Bei ihm bleibt am Ende offen, ob er im NS-Deutschland bleiben wird. An seiner grell geschminkten Maske scheinen alle Anfeindungen geradezu abzuprallen. Die Show muss immerzu weiter gehen. Tim Fischer spielt ihn so eindrucksvoll fern von den menschlichen Emotionen der anderen Rollen, dass sich vermuten lässt, dass er in der Kunst sein geistiges Exil finden wird.
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Im Ensemble läuft kurz nach der Premiere noch nicht alles rund. Hier und da wackelt es gesanglich und auch die Tontechnik ist nicht immer da, wenn sie gebraucht wird. Die siebenköpfige Band überzeugt dagegen unter der Leitung von Matthias Stötzel und Mathias Weibrich in gewohnter "Cabaret"-Manier in passenden Kostümen und gut zu sehen am Bühnenrand.
Da die Bühne klein ist, ist auch das Bühnenbild von Raimund Bauer eher sparsam. Es gibt jedoch ein effektvolles rechteckiges Türenelement, welches für überraschende Auf- und Abgänge sorgt und den KitKat-Liedern ein wenig Schwung einzuhauchen vermag.
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Das Stück wird von einer Stummfilmfrequenz eingeleitet. Schnell danach wird klar, dass es im Hamburger KitKat Club etwas norddeutscher zugeht als in Berlin. Immer wieder finden Matrosen ihren Weg über die Bühne und in die Band und auch die Hamburger Reeperbahn wird erwähnt. Das geschichtsträchtige Berlin verblasst in Wallers Inszenierung, so wie auch Sally Bowles verblasst: Die Geschichte der verzweifelt nach Schutz vor der grausamen Wirklichkeit suchenden Diva Sally Bowles wird von der ganz nahbaren Liebesgeschichte eines alten Paares übertönt, das sich nicht traut, sich gemeinsam gegen die Nationalsozialisten aufzulehnen. Im Film kommen sie überhaupt nicht vor, in Hamburg schenkt man ihnen die volle schmerzliche Aufmerksamkeit. Ein wenig vermisst man dabei die sympathischen Züge der exzentrischen Sally Bowles; ihre Liebe zu Cliff Bradshaw wird nahezu überflüssig. Darunter leiden auch ein wenig die gut dargebotenen jazzigen Auftritte im KitKat Club, die in Anbetracht der traurigen Umstände um den jüdischen Herrn Schultz nicht so recht fröhlich erscheinen können. So wird das Publikum in die Rolle des Publikums der 1930er Jahre versetzt, das zwar verzweifelt an den letzten Strohhalmen aus Kunst und Vergnügungssucht der 1920er Jahre festhält, dem es aber nicht gelingen mag, die von Rassismus und Feindlichkeiten getriebenen schmerzlichen Momente des Alltags zu verdrängen.
(Text: Laura Peter)

Verwandte Themen: Produktion: Cabaret (St. Pauli Theater Hamburg)
Kreativteam
Besetzung
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Zuschauer-Rezensionen
Die hier wiedergegebenen Bewertungen sind Meinungen einzelner Zuschauer und entsprechen nicht unbedingt den Ansichten der Musicalzentrale.
 1 Zuschauer hat eine Wertung abgegeben:

    32172 Große Show und unerwartete, hinreißende Protagonisten
25.02.2020 - Ich dachte wirklich, mit der Inszenierung im Tipi am Kanzleramt in Berlin hätte ich das ultimative "Cabaret" gesehen.
Doch die Version im Hamburger Hansa Theater ist sozusagen "die Alternative zum Ultimativen":
Liegt der Reiz in Berlin auch darin, die Show sozusagen am "Originalschauplatz" erleben zu dürfen, verdichtet das alt-ehrwürdige Varieté-Theater in Hamburg die Atmosphäre dadurch, dass man sich faktisch in einem Saal befindet, der mit seinen Tischlämpchen und Kellner-Ruf-Buttons wirklich der besagte Kit-Kat-Club im Berlin der Zwanziger Jahre sein könnte.
Die Szenen, die im Auditorium des Clubs spielen, werden somit auch wirklich dort ausgetragen, so unter anderem das Kennenlernem zwischen Cliff Bradshaw und Sally Bowles.
Man ist praktisch immer mitten im Geschehen, noch mehr sogar als im Tipi.
Es gibt einen leicht anderen Fokus als in Berlin, eine teilweise andere Anordnung der Songplazierung und dadurch folglich auch andere Höhepunkte.
Eröffnet wird das Ganze nach der Ouvertüre mit einer schlauen Stummfilmeinspielung, die Cliffs Zugreise in die Hauptstadt und das damit verbundene erste Zusammentreffen mit Ernst Ludwig zeigt.
Und dann betritt ER die Szene:
Chansonier Tim Fischer, der praktisch geboren wurde, um diese Rolle zu spielen.
Immer mystisch-undurchschaubarer Herr der Lage führt er als Mephisto und Zeremonienmeister durch das Geschehen.
Wie erwartet Weltklasse und ganz in der Tradition von Joel Grey.
Ihm zur Seite stehen 6 hervorragende Tänzer*innen, die jedem einzelnen Kit-Kat-Girl/Boy ein charakteristisches Eigenleben einhauchen.
Mitreißend choreografiert strahlen dann auch die Szenen im Club als wunderbare Showstopper, jede für sich einzigartig.
Die eigentlichen Stars der Show sind aber nicht ausschließlich Fischer und die Tänzer*innen, sondern, wie in der Urversion weitab vom Minelli-Glamour, das alte Liebespaar:
Die legendäre Ilona Schulz ("Linie 1") spielt Fräulein Schneider rührend leise-zurückhaltend und sieht dabei aus wie die Oma von Tweetie-Bird aus den Cartoons.
Ihr zur Seite steht Peter Franke als jüdischer Obsthändler Herr Schulz, der tatsächlich (ob es am Namen liegen mag...?) spielt, wie ein niedlicher Peter Frankenfeld.
Beide können sogar richtig gut singen, was für diese Rollen außergewöhnlich ist.
Und so werden ihre Szenen und Duette zu wahren Kleinoden, die ständige, aufrichtige Rührung hervorrufen.
Aus dem Publikum ist nicht nur einmal ein verzücktes "Ooooch..." zu hören.
Man lacht und leidet mit den beiden.
So sehr, dass dabei das meist als zentrale Figuren inszenierte Paar eher in den Hintergrund gerät:
Cliff Bradshaw sieht verdammt gut aus und ist auch sympathisch, damit endet aber praktisch schon die Tiefe der Rolle in dieser Inszenierung.
Sally Bowles ist mit Schauspielerin Anneke Schwabe sehr gut besetzt, sie charakterisiert die verlorene Frau, die ständig am Rande des Vulkans tanzt, höchst eindrücklich. Gesanglich lässt sie, obwohl hörbar keine ausgebildete Sängerin, keine Wünsche offen und bedient alle großen Hits der Show adäquat, auch wieder im Ursinne des Charakters:
Als mittelmäßige, abgehalfterte Nachtclubsängerin.
Großartig ist auch Holger Dexne als Ernst Ludwig, der zunächst jovial-witzig-kumpelhaft etabliert wird, um sich dann in enormer Fallhöhe am Ende des ersten Aktes als fanatischer Nazi zu outen.
Begleitet wird das packende Geschehen von einer 6-köpfigen Live-Band unter der Leitung von Matthias Stötzel, die den ganzen Abend über ordentlich Druck macht und so die Showszenen befeuert, aber auch ganz elegant alle leisen Töne beherrscht.
Ulrich Waller ist unter dem deutlich sichtbaren Einfluss von Kim Duddy eine fesselnde "Cabaret"-Version gelungen, die sowohl den Fokus auf schillernde Show und im krassen Gegensatz auf Identifikation mit den wirklich relevanten Protagonisten legt.
Für mich bisher Deutschlands MUST-SEE-Theater des Jahres!
Auf nach Hamburg in den Kit-Kat-Club!

AdamPascal (67 Bewertungen, ∅ 4.2 Sterne)

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| Handlung | Berlin kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. mehr Der unbekannte amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw reist in die deutsche Hauptstadt, um Inspiration für sein neues Werk zu finden. Im Kit-Kat-Club ist Cliff ist fasziniert von Sally Bowles, neben dem zwielichtigen Conferencier absoluter Star des Etablissements. Schnell wird aus Cliff und Sally ein Paar, Sally wird schwanger. Doch der erstarkende Nationalsozialismus macht sich bemerkbar. Auf der Verlobungsfeier seiner Pensionswirten Fräulein Schneider mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schultz wird Cliff mit den politischen Entwicklungen in Deutschland konfrontiert und überdenkt seine Zukunftspläne.
| Weitere Infos | Aufführungsrechte: Verlag Felix Bloch Erben
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Die Kriterien für unsere Kurzbewertungen (Stand: Dezember 2014)
Buch*: Ist die Handlung in sich schlüssig? Kann die Story begeistern? Bleibt der Spannungsbogen erhalten oder kommt Langeweile auf?
NICHT: Besonderheiten der konkreten Inszenierung des Theaters.
Kompositionen*: Fügen die Kompositionen sich gut in das Stück ein? Haben die Songs Ohrwurmcharakter? Passen die gewählten Texte auf die Musik? Transportieren Text und Musik die selbe Botschaft?
NICHT: Orchestrierung, Verständlichkeit des Gesangs der Darsteller in der aktuellen Inszenierung.
* werden nur bei neuartigen Produktionen (z.B. Premiere, deutsche Erstaufführung usw.) vergeben
Inszenierung: Wie gut wurde das Stück auf die Bühne gebracht? Stimmen die Bilder und Charaktere? Bringt der Regisseur originelle neue Ansätze ein?
NICHT: Wie gut ist die Handlung des Stücks an sich oder die mögliche Übersetzung?
Musik: Kann die musikalische Umsetzung überzeugen? Gibt es interessante Arrangements? Ist die Orchesterbegleitung rundum stimmig? Muss man bei Akustik oder Tontechnik Abstriche machen?
NICHT: Sind die Kompositionen eingängig und abwechslungsreich? Gibt es Ohrwürmer? Gefällt der Musikstil?
Besetzung: Bringen die Darsteller die Figuren glaubwürdig auf die Bühne? Stimmen Handwerk (Gesang, Tanz, Schauspiel) und Engagement? Macht es Spaß, den Akteuren zuzuschauen und zuzuhören?
NICHT: Sind bekannte Namen in der Cast zu finden?
Ausstattung: Setzt die Ausstattung (Kostüme, Bühnenbild, Lichtdesign etc.) die Handlung ansprechend in Szene? Wurden die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten optimal genutzt? Bieten Bühne und Kostüme etwas fürs Auge und passen sie zur Inszenierung?
NICHT: Je bunter und opulenter ausgestattet, desto mehr Sterne.
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Di | 09.05. | 19:30 Uhr | | Mi | 10.05. | 19:30 Uhr | | Do | 11.05. | 19:30 Uhr | | Fr | 12.05. | 19:30 Uhr | | Sa | 13.05. | 19:30 Uhr | | So | 14.05. | 18:00 Uhr | | Di | 16.05. | 19:30 Uhr | | Mi | 17.05. | 19:30 Uhr | | Do | 18.05. | 19:30 Uhr | | Fr | 19.05. | 19:30 Uhr | | Sa | 20.05. | 19:30 Uhr | | So | 21.05. | 18:00 Uhr | | Di | 23.05. | 19:30 Uhr | | Mi | 24.05. | 19:30 Uhr | | Do | 25.05. | 19:30 Uhr | | Fr | 26.05. | 19:30 Uhr | | Sa | 27.05. | 19:30 Uhr | | So | 28.05. | 18:00 Uhr | | Mo | 29.05. | 18:00 Uhr | | Mi | 31.05. | 19:30 Uhr | | Do | 01.06. | 19:30 Uhr | | Fr | 02.06. | 19:30 Uhr | | Sa | 03.06. | 19:30 Uhr | | So | 04.06. | 18:00 Uhr | |
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