Daniel Witzke, ehemals künstlerischer Leiter bei „Aida“, über seine Off-Broadway-Pläne und Trends in der deutschen Musicallandschaft.
Daniel Witzke war Schauspieler, Stage Manager, Regieassistent, Abendspielleiter und Inspizient. Nach drei Spielzeiten an der Wiener Staatsoper wurde Daniel Witzke von der Stage Holding als künstlerischer Leiter für die Essener „Aida“-Produktion engagiert. Momentan inszeniert er die Off-Produktion „Die letzten 5 Jahre“.
Herr Witzke, haben Sie Pläne in London oder New York tätig zu werden?
Daniel Witzke: Tatsächlich gibt es etwas Spruchreifes. Ich arbeite seit der „Aida“-Zeit enger mit Michael Kunze zusammen. Er hat ein Stück über Lotte Lenya, die legendäre Ehefrau von Kurt Weill, geschrieben. Es handelt sich um eine One-Woman-Show, an der wir schon seit längerer Zeit arbeiten. Am 12. Dezember 2005 wird das Stück in Form eines Readings vor ausgewähltem Publikum in New York erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Andrea Marcovicci, ein US-Star, die in den 70er und 80er Jahren in Filmen mit Woody Allen, Michael Caine und Alan Delon gespielt hat und sich danach vor allem als Sängerin im Cabaret-Bereich einen Namen gemacht hat, wird die Titelrolle spielen. Michael Kunze zeichnet das Portrait einer starken, eigenwilligen Frau, der Text hat ein enormes dramatisches Potential. Natürlich hoffen wir, ein paar Produzenten von dem Stoff überzeugen zu können.
Die Musik wird aus Kurt Weills Songkatalog stammen?
Wir haben natürlich an den Einsatz von Musik gedacht. Mit Musik von Weill ist es etwas kompliziert, weil die dafür zuständige Kurt Weill Foundation unheimlich restriktiv arbeitet und erstmal sämtlichen Gebrauch von Weill-Musik verbietet. Zumal gibt es gleichzeitig ein anderes Musicalprojekt von Harold Prince, welches sich mit Lenya beschäftigt. Somit hat, was das Musikalische betrifft, die Kurt Weill Foundation das Vorrecht. Wir müssen einen Weg finden, dieses neunzig Minuten lange Ein-Frauen-Stück anders musikalisch zu bebildern – wie wir das machen werden, kann ich noch nicht sagen.
Wer sind für Sie die momentan innovativsten Theaterschaffenden?
Ach, das sind immer nur ein paar Namen, die man kennt. Sicherlich ist Michael Kunze ein Altmeister, der immer wieder – und das seit vielen Jahren – für aufregende und neue Impulse sorgt und ohne den die deutsche Musicallandschaft sicher nicht denkbar wäre. Ich zähle auch Wolfgang Adenberg und Benjamin Baumann zu den kommenden Größen. Auch Leute wie Peter Lund oder Thomas Zaufke haben Akzente gesetzt. Ich vergesse da jetzt sicherlich einige. Es gibt eine gute Gruppe von jungen und motivierten Theaterleuten, die Bewegung reinbringen wollen. An dieser Stelle muss ich noch sagen, dass mein Kollege und Freund Andreas Gergen am Schlossparktheater hervorragende Arbeit leistet und sicherlich zu den wichtigsten Theaterpersönlichkeiten in Deutschland gehört, weil er Mut und Visionen hat, die er seit Jahren durchsetzt. Er ist einer dieser jungen innovativen Theatermacher und Regisseure – sowohl mit „Pinkelstadt“, als auch aktuell mit der Berliner Operette „Wie einst im Mai“ hat er das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ich denke im Schlossparktheater werden noch einige Stücke zu sehen sein, die normalerweise nie das Licht der Welt in Deutschland erblickt hätten.
Und wer ist für Sie außerhalb des deutschsprachigen Raumes besonders innovativ?
In Amerika ist es die Gruppe um Jason Robert Brown, Andrew Lippa und Michael John LaChiusa. Auch Jason Moore, der Regie bei „Avenue Q“ führte, zähle ich dazu. Es gibt einige sehr innovative junge Leute. Ich mag das Kräftebündeln sehr. Es hat zwar immer über den Atlantik reichende Kontakte gegeben, aber ich glaube, dass diese Kontakte gerade zwischen den aktuell kreativ Schaffenden jungen Wilden in Deutschland und den USA noch dichter werden müssen. Christoph Drewitz und ich haben das Ziel, dieses Netzwerk noch enger zu spannen, die Leute mehr zusammenzubringen und den Austausch zu verbessern. Mauern im Kopf und falsche Vorstellungen voneinander wollen wir einbrechen. Die Leute müssen zusammen arbeiten, wenn die Zukunft des Musicals aus etwas anderem bestehen soll, als aus Großproduktionen.
Welche Produktionen würden Sie gerne in Deutschland sehen?
Ich möchte mehr von den nicht gespielten großen Klassikern sehen. Ich möchte Produktionen wie „South Pacific“, „Brigadoon“, „Candide“ oder wie „Mame“ sehen. Die großen und erfolgreichen Klassiker aus Amerika möchte ich sehen, nicht nur immer „Hello, Dolly!“, „Kiss me, Kate“ oder „My Fair Lady“. Da rede ich jetzt nicht mal von den kleinen feinen Werken mit dem speziellen Publikum, sondern wirklich von Publikumsreißern. Das würde ich mir wünschen: Große Shows in großem Broadwayformat.
Was möchten Sie gerne mal inszenieren?
Ich möchte gerne „Side Show“ inszenieren. „Side Show“ ist für mich ein großartiges Werk mit einer hochdramatischen Musik und einer fantastischen Geschichte, die meiner Ansicht nach wesentlich stärker ist als „Jekyll & Hyde“. Ich bin mir aber im Klaren, dass so ein Stück nicht aus eigenen Kräften bewältigt werden kann. Dafür braucht man ein Theater mit einem Orchester und einem Ensemble, zu dem man dann Gäste hinzuengagiert. Momentan überlege ich welche Theater ich kontaktieren könnte. Ich denke an ein Haus wie St. Gallen unter der Operndirektorin Franziska Severin. Ich habe sie noch nicht angesprochen, aber ich hoffe, dass sie schon etwas von dem Stück gehört hat. Also „Side Show“ wäre das, was ich sofort machen würde.
Was sagen Sie zu dem Trend der Compilation-Shows?
Der Trend macht mich etwas stutzig, weil sich die Shows eigentlich selbst kopieren und wiederholen. Das soll nicht heißen, dass sie schlecht sind, sondern sie sind immer nach einem gewissen Muster gestrickt, was mir meist zu einfach ist. Das ist aber eine persönliche Geschmackssache. Shows wie „Mamma Mia!“ unterhalten das Publikum wunderbar, spielen vor ausverkauften Häusern, erzielen großen wirtschaftlichen Erfolg und die Leute verlassen gut gelaunt das Theater. Das finde ich gut, denn ich möchte, dass die Leute gut gelaunt das Theater verlassen. Wenn „Mamma Mia!“ das bei den Menschen erreicht, dann macht es was richtig. Ob das nun künstlerisch anspruchsvoll ist, das steht auf einem anderen Blatt.
Was denken Sie über die Spielplanpolitik der Stage Holding?
Es ist für mich ein Thema, das man schwer beurteilen kann. Es wird natürlich hauptsächlich aufgrund von Marktanalysen entschieden. Wieder muss ich sagen, wenn eine Show wie das „Phantom der Oper“ das Publikum auch in Essen unterhält, dann ist das gut. Vom künstlerischen Standpunkt aus, kann ich diesem ständigen Aufwärmen von jahrelang gelaufenen Shows allerdings nichts Gutes abgewinnen.
Welchen Broadwayshows, die momentan erfolgreich am Broadway laufen, würden Sie für Deutschland Chancen einrechnen?
Es gibt ja zum Beispiel diese große Diskussion bezüglich „Wicked“. Tatsächlich ist „Der Zauberer von Oz“ in Deutschland nicht so bekannt, aber er ist auch nicht vollständig unbekannt. Genauso wie man in Deutschland den Thanksgiving Day kennt, kennt man auch den Film oder das Buch „Der Zauberer von Oz“. „Wicked“ ist eine so unglaubliche Show, in einer für mich selten da gewesenen Größenordnung, allein von der Erzählweise her. Ich glaube schon, dass die Show in Deutschland funktionieren würde und auch ihr Publikum finden würde. Auch ein Musical wie „Avenue Q“, das sehr erfolgreich in New York läuft und auch im letzten Jahr mit Tonys prämiert wurde, kann ich mir gut in Deutschland vorstellen. Nachdem „Pinkelstadt“ bewiesen hat, dass man diesen extrem zynischen und sarkastischen Wortwitz ins Deutsche übertragen kann, bin ich mir relativ sicher, dass auch „Avenue Q“ funktionieren würde.