Wenn die Berliner „3 Musketiere“ mit ihrer Starbesetzung werben, dann werden andere Namen genannt. Warum Kristin Hölck eine der renommiertesten deutschen Darstellerinnen, aber kein „Musical-Promi“ ist.
In sieben Ensuite-Musicals hat Kristin Hölck die weibliche Hauptrolle gespielt, so viele wie kaum eine andere deutsche Darstellerin: Les Misérables (Duisburg), Joseph (Essen), Cats (Hamburg), Napoleon (London), Elisabeth (Essen), Phantom der Oper (Stuttgart) und jetzt bei den 3 Musketieren (Berlin), wo sie neben der Königin Anna auch als Zweitbesetzung die Douwes-Rolle der Milady de Winter übernommen hat.
Dass die Qualität ihrer künstlerischen Arbeit weithin anerkannt ist, dafür spricht die Rollenbiographie. Warum trotzdem nicht jeder Musical-Stammzuschauer etwas mit dem Namen Kristin Hölck anfangen kann? Vielleicht liegt es daran, dass sie auf nur einer Cast-CD als Solistin zu hören ist (als Erzählerin in „Joseph“). Vielleicht daran, dass man sie selten auf Highlight-Galas sieht („Ich will spielen. Ich will eine Rolle mit Leben füllen.“). Und vielleicht auch an ihrer sympathischen, professionellen Art: „Ich liebe diesen Job. Aber mit der Zeit werden auch andere Dinge im Leben wichtig.“
Als Kristin Hölck 1995 ihre Musical-Ausbildung an der Stage School in Hamburg abschloss („gleich nach der Schule, nichts Ordentliches gelernt“), erlebte der Musical-Boom in Deutschland gerade seine letzte Hoch-Zeit. An Autobahnabfahrten wurden neue Theater gebaut, der damalige Marktführer Stella versuchte, mit neuen Musical-Standorten in Essen und Duisburg den „Broadway an der Ruhr“ (Werbeslogan) zu etablieren. Nach einem kleineren Engagement in Hamburg gehörte Kristin Hölck Anfang 1996 zum Premierenensemble von „Les Misérables“ und spielte die Eponine in Zweitbesetzung. Schon nach wenigen Monaten wechselte sie nach Essen, wo sie im Dezember als Erzählerin in „Joseph and the amazing technicolor dreamcoat“ ihre erste große Hauptrolle als Erstbesetzung spielte.
Nach dem Vorsingen meldeten sich die Produzenten lange Zeit nicht, sie und Andy Bieber, der dann die Titelrolle bekam, hingen in der Luft. „Das war ziemlich aufregend. Aber in dem Alter ist man jung und unbedarft, da macht einem das nicht so viel aus“, erinnert sich Hölck. „Joseph“ sei eine schöne Zeit gewesen, aber dramatische Musicals sind doch eher ihr Fall: „Manchmal habe ich mich ein bisschen nach Les Miz zurückgesehnt.“
Verlängert hat Kristin Hölck ihre Verträge nie, eineinhalb Jahre als Elisabeth waren das längste Engagement. „Das war immer eine bewusste Entscheidung. Ich spiele, weil ich gerne spiele – und nicht um leben zu können. Da gehen ich lieber manchmal das Risiko ein, nicht zu wissen, was da als nächstes kommt.“ Nach Joseph bekam sie aber nahtlos das nächste Engagement bei Cats in ihrer Heimatstadt Hamburg: „Das muss man ja irgendwann mal gespielt haben.“ Hölck gab die Grizabella: „ich, mit 24, als alte Katze – aber das liegt ja nicht in deiner Entscheidung“. Auch wenn sie das Lied „Memory“ liebt („so kitschig das ist, ich singe es heute noch gerne“), die Rolle will sie nicht noch einmal spielen: „Man ist immer so einsam auf der Bühne, während die anderen Spaß haben.“
Im schweizerischen St. Gallen spielte sie 2001 in der „3 Musketiere“-Musical-Version von George Styles – ganz anders als in Berlin, mit klassisch gehaltener Musik und großem, dramatischem Orchester. Kristin Hölck gab die Constance. Der damalige musikalische Leiter, David Charles Abell, war auch für die geplante Londoner „Napoleon“-Fassung zuständig und lud seine St. Gallener Hauptdarstellerinnen nach England zur Audition ein. Kurze Zeit später war Hölck für das Ensemble und als Understudy der Josephine verpflichtet – an der Seite von Uwe Kröger, der alternierend in der Titelrolle ebenfalls sein West-End-Debüt gab.
Dabei ist der britische Understudy kaum mit der deutschen Zweitbesetzung vergleichbar: „Ich hatte für die Rolle nicht eine einzige Probe, ich hatte noch nicht einmal alle Noten. Man schaut zu, erarbeitet alles für sich selbst – und irgendwann heißt es: Morgen spielst du.“ Das Engagement, mitzudenken und selbständig mitzuarbeiten, das gehört für sie selbstverständlich zum Job dazu. Ob sie auch in Berlin kurzfristig für die Constance einspringen würde? Kristin Hölck lacht. „Mit den Texten und den Kampfszenen dürfte es schwierig werden, aber wenn ich einen Tag zum Proben hätte – ich wäre vielleicht nicht gut, aber ich wäre okay. Im Notfall geht alles.“
Nach vier Monaten wurde „Napoleon“ abgesetzt. In England ein Musical über einen französischen Herrscher machen, dazu noch in einer Phase, in der der Trend zu Compilation-Shows und leichter Unterhaltung geht: „Das Stück hatte es schwer.“
Kristin Hölck kehrte nach Deutschland zurück, sprang in der Bonner „Les Misérables“-Inszenierung für die schwangere Vera Bolten ein und heuerte schließlich als alternierende Elisabeth in Essen an. Drei Vorstellungen in der Woche – obwohl sie sich für Notfälle bereithalten und deshalb in der Stadt bleiben musste, genoss sie die Freizeit: „Man hat Zeit für andere Sachen, etwa neue Sprachen lernen – dafür ist Alternierend ein schöner Job.“ Doch gerade für diese Rolle, für die sie wie viele ihrer Kolleginnen besonders schwärmt, wäre sie auch gerne öfter auf die Bühne gegangen: „Bei der Christine war das schon anders. Es war eine große Herausforderung, aber da waren drei Vorstellungen in der Woche auch genug.“
Wie sie auf die Idee gekommen ist, für das Stuttgarter Phantom vorzusingen? „Überhaupt nicht. Ich habe einen Anruf bekommen, ich solle mich für die Christine bewerben. Ich habe gesagt: Meint ihr wirklich mich? Ich kann das wohl singen, aber ich bin überhaupt nicht der Christine-Typ.“ Es sei toll gewesen, etwas völlig anderes zeigen zu können: „Normalerweise bin ich ja auf die Belt-Rollen festgelegt. Viele Musicaldarsteller sind viel flexibler als man glaubt, viele von uns können viel mehr – aber man wird beim Casting schnell in eine Schublade gesteckt.“ Trotzdem ist sie mit der Christine nie wirklich warm geworden: „Christine ist immer nur mädchenhaft, macht keine Entwicklung durch. Das macht die Rolle unglaubwürdig. Natürlich ist es ein Märchen, aber man will es doch auch glauben können.“ Mit einer neuen Inszenierung könne man aus dem Stück sicher mehr rausholen: „Das könnte eine Auffrischung gebrauchen.“
Bei den „3 Musketieren“ sei das Arbeiten sehr viel freier gewesen: „Hier sagt keiner: ,Du musst das so machen, aber ich kann dir nicht sagen warum‘. Die Zweitbesetzungen müssen sich natürlich an die Gänge der Erstbesetzungen halten, aber sie können die Rolle auf ihre eigene Art mit Leben füllen.“ Das liege auch an den vielen Sprechszenen, die den Akteuren mehr Spielraum geben als Musiknummern. „Hier hat sich vieles entwickelt – jede Rolle ist mittlerweile ein wenig anders als in der Premiere.“
Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie dramatische Stoffe wesentlich lieber mag als Compilation-Shows („Ich hoffe, der Trend geht vorbei.“). Für die Zukunft der Musketiere ist sie optimistisch: „Wir kommen super an, die Show verkauft sich gut – das scheint für Berlin genau das Richtige zu sein.“ Aber ewig wird Kristin Hölck, Jahrgang 1973, wohl auch in dieser Produktion nicht bleiben. „Ich plane nicht mehr, es ergibt sich immer was. Vielleicht mal die Evita spielen, vielleicht eine Familie gründen – für Beides bin ich ja langsam im richtigen Alter.“ Und dann ist da wieder dieses sympathische Lachen. Kristin Hölck zeigt auf der Bühne, was sie kann. Außerhalb der Show spart sie sich große Sprüchen und Gesten. Vielleicht ist sie deshalb kein Promi.