Vor der Urauffühung im schweizerischen St. Gallen hat das Kreativteam mit Broadwaystars in New York am „Graf von Monte Christo“ gefeilt. Regisseur Andreas Gergen über den Stellenwert von Workshops und das Ansehen von Komponist Frank Wildhorn.
Mit vielen großen Namen befeuern Komponist Frank Wildhorn und das Theater St. Gallen die für März geplante Uraufführung von „Der Graf von Monte Christo“. Vorab soll eine mit zahlreichen europäischen Stars besetzte englischsprachige CD erscheinen. Zudem gab es einen Workshop in New York, an dem namhafte Broadwaydarsteller beteiligt waren. Andreas Gergen („Pinkelstadt“, „Dracula“) wird in St. Gallen inszenieren. Im Interview mit der Musicalzentrale zieht er ein Fazit des Workshops.
Die Uraufführung findet in deutscher Sprache und in der Schweiz statt. Warum dann vorab ein englischsprachiger Workshop in New York?
Das Autorenteam von „Der Graf von Monte Christo“ lebt und arbeitet in New York. Da lag es nahe, den ersten Workshop für dieses neue Stück in deren Heimat und vor allen Dingen in ihrer Muttersprache durchzuführen. Dieses direkte Erleben des Werkes in der eigenen Sprache ist im Entwicklungsprozess sehr wichtig für die Autoren. Außerdem konnte ich als Regisseur viele Erkenntnisse über die Intention der Autoren für die spätere Umsetzung gewinnen. Darüber hinaus handelt sich um ein Projekt, das schon jetzt das Interesse von vielen Broadway-Produzenten geweckt hat – und die Präsentation am Ende des Workshops war eine perfekte Gelegenheit, den Interessenten das neue Stück schon jetzt in adäquater Form vorzustellen. Es ist absolut großartig und im deutschsprachigen Raum nicht selbstverständlich, dass der Intendant des Theaters St. Gallen, Werner Signer, mit diesem Workshop einen solch wichtigen Entwicklungsschritt für das Musical ermöglicht hat.
Welche Eindrücke nehmen Sie aus dem Workshop mit? Was funktioniert am Stück schon gut, woran muss bis zur Uraufführung noch gearbeitet werden?
Das Stück hat im Großen und Ganzen eigentlich schon sehr gut funktioniert. Allerdings hatten wir glücklicherweise auch schon im Vorfeld alle sehr eng zusammengearbeitet, was in dieser Form nicht immer möglich ist. In New York wurden aber zum Beispiel noch die Untermalungsmusiken und Chorarrangements kreiert, die erst am Ende eines Entwicklungsprozesses in Zusammenarbeit mit Schauspielern entwickelt werden können, weil man die Szenen dazu ausprobieren und die jeweilige Atmosphäre musikalisch „einfangen“ muss. Dies ist ein unglaublich kreativer und aufregender Prozess, den ich besonders genossen habe.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Broadway-Darstellern? Sie hatten mehrere Darsteller aus „Tale of Two Cities“ in der Cast – eine Produktion, die genau am ersten Tag des Monte-Christo-Workshops überraschend seine vorzeitige Dernière hatte und als Millionenflop in die Geschichte eingeht.
Dass „Tale of Two Cities“ in dieser Woche schließen musste, war natürlich keine schöne Erfahrung für alle Beteiligten. Manche von ihnen waren schon vom ersten Workshop an dabei und haben bereits vor neun Jahren die ersten Demos dafür eingesungen. Hierzulande wäre eine derart lange Vorbereitungszeit kaum vorstellbar – dort ist das aber ganz normal. Auch an „Spring Awakening“ wurde beispielsweise insgesamt acht Jahre lang von der ersten Idee bis zur Premiere gearbeitet, wie Produzent Tom Hulce mir selbst erzählt hat. So eine kurzfristige Schließung dort ist wirklich hart, da die Darsteller sofort entlassen werden können und dann auch nicht mehr bezahlt werden. Das wäre in Deutschland so nicht möglich. Allerdings gehört es in New York auch irgendwie zum Alltag, dass eine Show schließt, wenn sie nicht mehr gut läuft – und das passiert regelmäßig. Für mich bedeutete dies ganz konkret, dass wir für den Workshop mehr Probenzeiten zur Verfügung hatten, weil die Schauspieler keine Vorstellungen zu spielen hatten. Es hat ihnen sicherlich auch geholfen, dass sie sich gleich wieder auf ein neues Projekt stürzen konnten. Die Zusammenarbeit mit den Broadway-Darstellern unterscheidet sich, mal ganz abgesehen von der Sprache, nicht wirklich von der mit deutschen Musicaldarstellern. Sie sind im optimalen Falle genauso gut vorbereitet und diszipliniert und haben gleichzeitig ähnliche Sorgen und Nöte in ihrem Privatleben zu meistern – Broadway-Star James Barbour zum Beispiel hat ein zehn Wochen altes Baby und hatte am ersten Tag keine Minute geschlafen. Aber er hat trotzdem einen tollen Edmund Dantés gegeben.
Was unterscheidet die Arbeit am Broadway von der Arbeit im deutschsprachigen Raum? Wovon können wir lernen? Und was ist möglicherweise in Europa besser?
Es ist für einen europäischen Regisseur wirklich ungewöhnlich, einen Workshop in New York inszenieren zu dürfen, und ich habe mich deshalb sehr über diese Aufgabe gefreut. Mir war der Vorgang vertraut. Christian Struppeck und ich waren ja mit „Ich war noch niemals in New York“ und „Der Schuh des Manitu“ eigentlich die Ersten in Deutschland, die große Workshops für neue Musicals durchgeführt haben. Wir mussten bei Produzenten, Agenten und Darstellern einige Überzeugungsarbeit leisten. Inzwischen stellen wir erfreut fest, dass auch andere Kollegen von dieser Methode Gebrauch machen, um ihren Stücken den Feinschliff zu geben. In New York war das alles natürlich viel selbstverständlicher. Dort gibt es fast täglich Workshops für alle Arten von Werken, auch in den Bereichen Schauspiel und Oper, die die Darsteller sehr gerne mitmachen, weil sie mit dieser Vorgehensweise vertraut sind. Zum Teil, weil sie sich den beteiligten Autoren und Produzenten empfehlen wollen. Aber auch als Training und Weiterbildung, oder wie es meine Hauptdarstellerin Brandy formulierte: „Das ist für uns eine Art Fingerübung, um fit zu bleiben.“ Die Vielfalt des Angebots in New York führt auch zu einer großen Offenheit gegenüber allen neuen Projekten, die hierzulande vielleicht noch nicht ganz so selbstverständlich ist. Dort, an diesem Ort der geballten Kreativität, probiert man sehr gerne und ständig etwas aus, denn man weiß nie, ob das noch unbekannte Werk vielleicht der nächste Broadway-Hit sein könnte…
Ist „Monte Christo“ für Komponist Frank Wildhorn die letzte Chance am Broadway, nachdem „Jekyll & Hyde“, „Civil War“ und insbesondere „Dracula“ wenig erfolgreich waren?
„Jekyll & Hyde“ hatte ja eine durchaus erfolgreiche Serie am Broadway und ging anschließend um die Welt. Auch „Scarlet Pimpernel“ lief gut und wurde sehr oft, auch bei uns, nachgespielt. Ich denke, Frank hat, wie jeder andere Komponist am Broadway, sehr erfolgreiche und auch weniger erfolgreiche Stücke gehabt. Da von einer „letzen Chance“ zu sprechen, würde ihm und seiner Arbeit nicht gerecht werden. Er war und ist immer noch einer von den Top-Musical-Komponisten in Amerika und arbeitet derzeit neben „Der Graf von Monte Christo“ an diversen anderen Projekten, darunter zwei neuen großen Broadway-Shows, „Wonderland“ und „Havanna“.
Während es „Jekyll & Hyde“ mittlerweile in das Repertoire vieler Stadttheater geschafft hat, sind die übrigen Wildhorn-Musicals im deutschsprachigen Raum wenig gefragt. Warum könnte „Monte Christo“ ein Erfolg werden? Was unterscheidet das neue Stück etwa von „Scarlet Pimpernel“, „Civil War“ und „Dracula“?
Es handelt es sich bei „Der Graf von Monte Christo“ um einen sehr starken Titel, der international sehr bekannt ist. Dieser Titel steht aber auch für eine großartige Geschichte, die mich schon immer fasziniert hat. Es geht um Rache, Vergebung und die Frage, wie weit man mit seiner Vergeltung gehen darf, ohne sich zu versündigen, indem man sich Gott gleich setzt – und natürlich auch um die ganz große Liebe, die in keinem Wildhorn-Stück fehlen darf. All das sind Themen, die sich vortrefflich für ein Musical eignen. Hinzu kommt, dass wir das Stück über weite Strecken gemeinsam entwickeln konnten und das Creative Team relativ früh in den Prozess einbezogen wurde. Das hat uns allen großen Spaß gemacht und war sicherlich vorteilhaft für das ganze Projekt. Die Auditions für die Produktion in St. Gallen haben bereits im Sommer stattgefunden und ich freue mich nun auf die Umsetzung dieses Musicals in einer tollen Besetzung. Der nächste Schritt auf dem Weg zur Premiere im März 2009 ist die Entwicklung des Bühnenbilds zusammen mit Broadway-Designer Allen Moyer („Grey Gardens“).