Das kann uns keiner mehr nehmen

Oliver Arno über seine Auslandserfahrung als deutschsprachiger Hauptdarsteller in der belgischen „Elisabeth“-Inszenierung, Phonetikunterricht und die Missachtung durch die belgische Presse.

Oliver Arno (29) hat Musikalisches Unterhaltungstheater am Wiener Konservatorium studiert und stand bereits in Musicals wie „3 Musketiere“, „Les Misérables“, „Miss Saigon“ und „Evita“ auf der Bühne. Aktuell ist er als Tod im Kunze/Levay-Musical „Elisabeth“ zu sehen und gastierte mit der Show nach Berlin und Zürich zuletzt in Antwerpen.

Während es im deutschsprachigen Raum relativ normal ist, dass ausländische Darsteller Hauptrollen übernehmen, ist es ja eher ungewöhnlich, dass deutschsprachige Musicaldarsteller in Belgien auftreten – noch dazu auf Flämisch. Wie war es für Sie, Flämisch zu lernen?

Es war wirklich eine ungeheure Erfahrung, natürlich mit positiven wie negativen Momenten versehen. Meine acht deutschen beziehungsweise österreichischen Kollegen und ich hatten ja bis zum Probenbeginn im Februar keinen Bezug zur flämischen Sprache, und dann sollten wir innerhalb von fünf Wochen in einer uns völlig neuen Sprache auftreten, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt?! Das hieß für uns: Jeden Tag acht Stunden Probe und anschließend ein bis zwei Stunden Phonetikunterricht.

Zum Probenbeginn und nach meiner ersten vernichtenden Phonetikstunde hatte ich mir fest vorgenommen, bis zur Premiere phonetisch zumindest so sicher zu sein, dass das Publikum verstehen kann, was ich singe. Von Woche zu Woche wurde ich dann immer sicherer, so dass ich mir vornahm, meinen Akzent auf ein Minimum zu reduzieren.

Durch die tägliche Arbeit mit der Sprache hatten wir bis zur Premiere ein wirklich sehr hohes Niveau erreicht, und auch noch während der vierwöchigen Spielzeit haben wir weiterhin Phonetikunterricht bekommen.

Durch den enormen Wortschatz, den wir für „Elisabeth“ lernen mussten, konnten wir eigentlich ziemlich schnell durch Wortkombinationen aus den verschiedenen Szenen die unsinnigsten Sätze mit den Kollegen sprechen (lacht). Ich habe mir auf jeden Fall nach der Dernière den Flämisch-Sprachkurs mit nach Österreich genommen und habe jetzt auch den Anspruch, die Sprache in Zukunft noch zu vertiefen.

Seit ich mich dieser enormen Herausforderung gestellt habe, habe ich vor unseren nicht-deutschsprachigen Kollegen noch mehr Respekt. Denn ich weiß jetzt, was es heißt, tagtäglich eine Hauptrolle in einer fremden Sprache zu verkörpern.

Denken Sie, dass die deutschsprachigen Castmitglieder phonetisch so fit waren, dass die Show keinen Schaden davontrug?

Ja, auf jeden Fall! Jeder noch so kleine Satz wurde fünf Wochen geübt. Natürlich konnte man bei dem einen oder anderen Satz einen kleinen Akzent heraushören, wenn der Zuschauer sich wirklich darauf konzentrierte. Aber das allgemeine Echo nach jeder Vorstellung war eindeutig: Den meisten Zuschauern ist gar nicht aufgefallen, dass etliche Nicht-Flamen zur Cast gehörten.

Wie wurde das Stück von den Belgiern aufgenommen? Immerhin wurde es letztendlich vorzeitig abgesetzt.

Was hatte ich für eine Angst vor der Premiere! Wie wird es sein, zum ersten Mal vor Publikum in einem fremden Land in einer fremden Sprache eine Hauptrolle zu singen? Werde ich überhaupt noch einen flämischen Satz rausbekommen? Und wenn ich das Flämische trotz der Aufregung nicht vergessen habe: Wie kommt mein Akzent dann beim Publikum an? Das waren Fragen, die uns alle beschäftigten.

Es war eine echte Erleichterung, zu sehen, dass es keinen Unterschied machte, ob ich den Tod in Deutschland, in der Schweiz oder in Belgien spielte. Ich kann mit Stolz behaupten, dass das Publikum das Stück geliebt hat – was an den Reaktionen unschwer zu erkennen war. Viele unserer belgischen Castmitglieder meinten, dass sie solch euphorische Ovationen in Belgien normalerweise nicht kennen. Wir bekamen auch schönes Feedback durch diverse Briefe, Mails und natürlich am Bühneneingang, an den sich doch immer wieder ein paar Einheimische hingewagt hatten, um mit uns eine Mischung aus Flämisch, Deutsch und Englisch zu sprechen.

Die Vorstellungen waren auch fast immer ausverkauft. Wenn man bedenkt, dass Antwerpen nur knapp 500.000 Einwohner hat und dass das Theater ganze 2.000 Sitzplätze fasst, ist das schon ein Erfolg. Umso weniger verstehen wir, dass „Elisabeth“ nach nur vier Wochen und 24 Vorstellungen abgesetzt wurde, nachdem ursprünglich eine Verlängerung in Antwerpen und ein zusätzliches Gastspiel in Gent angekündigt wurde.

Man muss dazu sagen, dass es sich in Antwerpen um eine Koproduktion zwischen der deutschen La Belle Musicalproduktions GmbH – die aber keinen Einfluss auf eine Verlängerung oder Absetzung hatte – und der belgischen Produktionsfirma handelte. Schon während der Probenphase gab es immer wieder Probleme mit der belgischen Produktionsfirma, da die nötigen vertraglichen Pflichten und Obliegenheiten nicht eingehalten wurden – zum Beispiel die rechtzeitige Anstellung von benötigten Dressern, Schneidern und Maskenbildnern, was natürlich zu Komplikationen während der Endprobenphase führte. „Elisabeth“ ist nun mal kein kleines Stück und benötigt viel Aufwand auch hinter den Kulissen, was die Belgier leider zu spät eingesehen haben. Als dann endlich kurz vor der Premiere die benötigte Anzahl an Mitarbeitern aushalf, mussten wir feststellen, dass – abgesehen von ein paar Ausnahmen – niemand eine wirkliche Ausbildung in dem jeweiligen Aufgabenbereich hatte, speziell die Dresser und Maskenbildner.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der belgischen Presse gemacht? Hat man Sie und Ihre deutschsprachigen Kollegen in Antwerpen genauso offen und herzlich empfangen wie Ihre ausländischen Kollegen beispielsweise von der deutschsprachigen Presse empfangen werden?

Mitnichten! Das war einer der Hauptgründe, wieso wir uns in Belgien überhaupt nicht willkommen fühlten. Schon bevor wir überhaupt nach Antwerpen kamen, mussten wir erfahren, dass in der Presse negativ über die deutschsprachigen Ankömmlinge geschrieben wurde, weil man wohl nicht wahrhaben wollte, dass an einem Stück, das in Flämisch aufgeführt wird, auch Ausländer beteiligt sind. Deswegen begann schon im Vorfeld eine Art Vorverurteilung der deutschsprachigen Castmitglieder.

Die Pressevorführung eine Woche vor der Premiere brachte auch keine Besserung. Da ich ja in Belgien die Chance bekam, als Tod die männliche Hauptrolle zu spielen, hat es mich schon sehr gewundert, dass ich da weder für ein Interview noch für ein Foto angefragt wurde. Selbst in der Pause und am Ende des Stücks, als wir uns im Gang zu den Garderoben versammelten, wurde ich von der Presse anscheinend absichtlich ignoriert und keines Blickes gewürdigt.

Zuerst bezieht man diese Ignoranz natürlich auf sich und sein darstellerisches Können. Aber es spricht wohl Bände, dass keines der deutschsprachigen Castmitglieder eine Interview- oder Fotoanfrage von der Presse bekommen hat – und das, obwohl immerhin drei Hauptrollen (Tod, Rudolf und Max, Anm. der Redaktion) von Deutschsprachigen übernommen wurden.

Einige der belgischen TV-Stationen haben bei der Premierenberichterstattung eine Inhaltsangabe des Stücks wiedergegeben, ohne Rollen wie Rudolf und den Tod zu erwähnen. Ich meine, welch größeren Affront kann man als Darsteller hinnehmen?! Wir waren aber nicht die Einzigen, die sich darüber geärgert haben. Den aus den Niederlanden stammenden Darstellern ging es da nicht anders. Keine einzige Presseanfrage, obwohl auch die Niederländer Hauptrollen innehatten.

Es wurden nur die bekannten belgischen Darsteller medial gepusht, und das wirklich intensiv. So bekam meine aus Belgien stammende Zweitbesetzung die Möglichkeit, in der Zeitung auf Fotos zu erscheinen und im Radio erwähnt zu werden.

Für uns Ausländer war schnell klar: Für die hiesige Presse ging es nicht um das wunderbare Musical „Elisabeth“, um Qualität oder um den Umstand, wie außergewöhnlich und einmalig es ist, dass sich neun deutschsprachige Künstler in Belgien auf der Bühne versuchen. Der belgischen Presse ging es vor allem darum, ihren Fokus auf die einheimischen Künstler zu setzen – völlig ungeachtet ihres Könnens.

Im deutschsprachigen Raum sind wir es ja bereits gewohnt, dass aus ausländischen Musicaldarstellern schnell Stars werden – manchmal sogar noch eher als im eigenen Land. Denken Sie, das ist als Deutscher oder Österreicher im Ausland auch möglich?

Ich denke prinzipiell, dass jeder, der wirklich Potenzial hat und sich durch herausragende Fähigkeiten aus der Masse hervorhebt, ein großartiger und angesehener Darsteller werden kann. Wir deutschsprachigen Künstler müssen jedenfalls keineswegs den Vergleich mit Kollegen aus anderen Ländern scheuen. Wir haben genauso viele Talente wie andere Länder.

Dennoch bilden Österreich und Deutschland ganz klar die Ausnahmen, was die Möglichkeit betrifft, als Ausländer ein wirklich hohes Ansehen im Musicalbereich zu erreichen. Ich denke einfach, dass gerade diese Länder aufgrund ihrer Vergangenheit großen Wert auf Offenheit bei der Vergabe von Jobs in der Musikbranche legen und deshalb gleiche Berufschancen für Menschen aus dem In- und Ausland gewähren. Hier akzeptieren die Zuschauer auch einen möglichen Akzent eines Darstellers, was zum Beispiel in Belgien vernichtende Kritiken nach sich ziehen würde.

Bei uns steht es wirklich jedem Künstler offen, Karriere zu machen. Auch die Presse unterscheidet nicht zwischen Einheimischen und Ausländern. Wer wirklich Talent hat oder eine tragende Rolle in einem Musical spielt, wird auch von den Medien entsprechend beachtet.

Gerade wegen der Erfahrung, die ich in Belgien gesammelt habe, würde ich es als fair erachten, wenn ausländische Künstler, die seit vielen Jahren im deutschsprachigen Raum arbeiten, ihre Interviews auch in der Sprache des Gastlandes geben.

Welches Fazit ziehen Sie nach Ihrer Zeit auf einer belgischen Bühne? Wie war die Stimmung unter den deutschsprachigen Kollegen in Belgien?

So schwer die Zeit dort auch war, möchte ich sie nicht missen. Denn abgesehen von der organisatorisch schwierigen Probenphase und dem Verhalten der Presse, ist es ein sehr interessantes Land mit sympathischen Menschen, wunderbaren Kollegen und einem begeisterungsfähigen Publikum. Gerade das Publikum gab uns auch die nötige Kraft, auf der Bühne alles Negative zu vergessen.

Es war mir zum Schluss eine Genugtuung, auch als Ausländer beim belgischen Publikum Anerkennung gefunden zu haben und als Ausländer bestehen zu können. Es war mir eine Genugtuung, jedem bewiesen zu haben, auch in dieser kurzen Zeit eine neue Sprache zu erlernen. Ich bin echt so stolz auf mich und meine Kollegen und auf das, was wir in Belgien erreicht haben. Das kann uns keiner mehr nehmen.

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