Neue Sachen müssen her!

Regisseur Ulrich Wiggers ist gerade ziemlich gut im Geschäft. Seine Neuinszenierung von Wildhorns „Artus Excalibur“ für die Freilichtspiele Tecklenburg wurde begeistert aufgenommen und „Satuday Night Fever“, die zweite Tecklenburger Großproduktion unter seiner Regie, wird mit Spannung erwartet. Ende des Jahres wird Wiggers die deutschsprachige Erstaufführung von „Love Story“ am Grenzland Theater in Aachen inszenieren, bevor er sich im Frühjahr 2017 Jason Robert Browns „Die Brücken am Fluss“ – ebenfalls erstmals hierzulande zu sehen – annehmen wird. Zwischendurch unternimmt er immer wieder kleine Ausflüge ins Schauspiel. Wie versteht Wiggers sich und seine Arbeit, was sagt er zu seinen aktuellen und anstehenden Projekten, welche Rolle spielen Zufälle in seinem Leben? Wir trafen den vielbeschäftigten Regisseur in Tecklenburg zu einem spannenden Gespräch.

Ulrich, du kommst aus dem Schauspiel, hast an der Folkwang Hochschule in Essen studiert. Inwieweit prägt das deine Regierarbeit? Du wirst oft für deine gute Personenregie gelobt.

Ich denke, das übt schon einen gewaltigen Einfluss darauf aus, wie ich an Stoffe herangehe. Ich war schon als Schauspieler ein ganz furchtbarer W-Fragensteller: „Wieso, weshalb, warum?“ Ich wollte es immer ganz genau wissen. In den frühen Jahren meiner Karriere, ganz besonders während meines Engagements am Schauspielhaus in Bochum, habe ich gelernt, Stücke zu lesen und auseinanderzunehmen. Zu hinterfragen, warum etwas im Text steht und etwas anderes gerade nicht dort steht oder gesagt wird. Das kommt mir gerade im Musicalbereich sehr zugute, weil man dort vermehrt in verknappter Form Szenen findet, auf die ein Song folgt. Und man muss einfach lernen, die Motivation deutlich zu machen, warum die Leute jetzt unbedingt singen „müssen“. [lacht]

Dabei ist der Textinhalt von zentraler Bedeutung, denn in den wirklich guten Musicals transportieren die Songs ja immer die Geschichte. Es geht eben nicht nur darum, schön zu singen, sondern die Geschichte weiterzuspinnen. Der Song ist kein bloßer Selbstweck. Das versuche ich auch den Darstellern im Rahmen meiner Arbeit immer wieder klarzumachen.

Gerade hast du „Artus“ in Tecklenburg erfolgreich auf die Bühne gebracht. Zuschauer, die die Uraufführung in St. Gallen gesehen haben, werden das Stück kaum wiedererkennen…

Die intensive, vierwöchige Probenzeit hat unglaublich viel Spaß gemacht! Da „Artus“ viele wirklich sehr knappe Szenen enthält war es mir umso wichtiger, sehr genau mit den Darstellern zu arbeiten, um die inneren Zustände und Motive ihrer jeweiligen Charaktere herauszuarbeiten – vor allem weil „Artus“ in St. Gallen immer als ein Stück beschrieben wurde, in dem die Charaktere blass blieben. Das habe ich gar nicht so empfunden, weil ich die Songs genau studiert habe und dann bemerkte, dass sie so unglaublich vielschichtig sind und man eine Menge daraus machen kann. Ich war also von der ersten Sekunde an ziemlich angetan von dem Stück und seiner Musik, wusste aber auch, dass ich mehr daraus machen kann.

Da kam das Angebot aus Tecklenburg ja wie gerufen…

Ich war unglaublich glücklich über diese Chance, den Stoff neu anzuschauen und mich dieses Themas anzunehmen, denn ich finde auch Britannien zur Zeit des 5.-6. Jahrhunderts sehr spannend. Ich habe wahnsinnig viel Literatur dazu gelesen. Dabei haben mir die düsteren Romane am besten gefallen. Das ist auch der Grund, warum die Ausstattung in Tecklenburg ziemlich düster ist. Inhaltlich passiert unglaublich viel und die Leute lassen sich innerhalb von Sekunden atmosphärisch einfangen, tauchen ein in das Stück.

„Musical – das ist, wenn die Leute auf einmal anfangen müssen zu singen“. So ähnlich hast du es gerade scherzhaft formuliert und das trifft wohl ziemlich gut, wie viele Menschen das Musical sehen. Wie bist du eigentlich vom Schauspiel zum Musical gekommen?

Mich hat Musical schon immer fasziniert. Schon während meiner Ausbildung als Schauspieler hatte ich immer das Gefühl, es muss noch mehr geben. Damals gab es an der Folkwang Hochschule in Essen noch keinen Musicaljahrgang, sondern lediglich eine Opern- und Tanzabteilung. Also bin ich dort hingegangen und habe gefragt, ob ich zwischendurch ein paar Gesangsstunden nehmen und mittrainieren darf. Ich wollte einfach mehr tun und ich wusste, es gibt das Musical. Ich hatte ein Ziel.

Und schließlich war mein allererstes Engagement überhaupt ein Musical. Helmut Baumann lud mich ein, zum Vorsprechen zu kommen für eine Produktion von „Chicago“ am Theater an der Wien – aber in einer anderen Fassung als der, die wir heute kennen. Ich bin hingefahren und habe den Job bekommen und so auch Rainhard Fendrich kennengelernt, der dort auch eine Rolle übernahm. Rainhard war damals noch nicht bekannt, aber seitdem sind wir die besten Freunde. In Esslingen habe ich dann Freddy in „My Fair Lady“ gespielt und ging danach ans Schauspielhaus in Düsseldorf. Aber egal, wo ich gerade auch war: Ich habe mich immer bemüht, Liederabende durchzusetzen.

Irgendwann bist du bei „Mamma Mia!“ in Hamburg gelandet, warst in der deutschen Uraufführung die Erstbesetzung des Bills.

Genau. Als ich eingeladen wurde, zum Casting zu kommen, habe ich spontan gesagt: „Aber ich kann doch überhaupt nicht singen!“ und bekam als Antwort: „Doch, wir haben gehört, das kannst du.“ Ich bin dann hingefahren, habe über Nacht einen Billy Joel Song eingeübt. Als ich dann gefragt wurde, was ich denn singen möchte, habe ich zunächst alle mit der Antwort, dass ich erstmal spielen möchte, überrascht und bekam ein langgezogenes „Okay! als Antwort. Nach der Szene wurde ich gefragt, ob ich denn jetzt singen möchte und habe das erneut ausgeschlagen, indem ich sagte, ich hätte noch eine andere Szene vorbereitet. Danach musste ich dann aber singen. [lacht] Wie ich so bin, hatte ich mir zu dem Billy Joel Song eine Geschichte ausgedacht, die ich beim Singen vermittelte – aber irgendwann war der Text weg! Ich habe dann auf „la la la“ weitergesungen und trotzdem versucht, meine Geschichte weiterzuerzählen. Als ich fertig war, bedankten sie sich und ich dachte, das war es jetzt! Aber weit gefehlt, denn sie kamen hinter mir her und teilten mir mit, ich wäre in der nächsten Runde. Ich konnte es kaum glauben. Und ja, dann bekam ich den Job!

Es gibt manchmal Dinge im Leben, die sollen einfach sein.

Den Eindruck habe ich auch und dafür gibt es in meinem Leben auch viele Indizien. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich dann gemerkt, wie viel nicht getan wird im Musical, wie viele verpasste Chancen es gibt. Es gibt so viele tolle Leute in dem Business und alle wollen sich gerne weiterentwickeln. Irgendwann kamen Leute zu mir, die wussten, ich komme aus dem Schauspiel und gehe ein wenig anders an Dinge heran. Sie fragten mich, ob ich ihnen bei den Vorbereitungen für ein Casting helfen könnte, also mit ihnen arbeiten würde. So habe ich gemerkt, was es für ein Potential gibt – und wie viel Spaß mir diese Arbeit macht!

So bist du also irgendwann auch Regisseur geworden. Dein Tecklenburg-Debüt hattest du dann 2013 mit „Der Schuh des Manitu“.

Wie ironisch, dass es ausgerechnet dieses Stück war, denn das war genau die Produktion, wegen der ich in Berlin aufgehört hatte. Ich spielte dort den Hombre und mochte die Aufführung nicht. Es gab so viele verpasste Chancen und vieles, was einfach unglücklich gelaufen war. Beispielsweise wurde im Vorfeld der Regisseur, der vorher hochgelobt aus Amerika kam, rausgeschmissen. Ich habe mich einfach nicht wohlgefühlt und irgendwann dachte ich: „Ich will das nicht mehr!“ und habe gekündigt – auch wenn alle dachten, ich wäre bescheuert.

In Tecklenburg wollte ich eigentlich schon immer arbeiten, aber gerade „Der Schuh des Manitu“? Och nee, ich war alles andere als begeistert! Meine Entscheidung, das Engagement nicht anzunehmen wollte ich dem Intendanten doch gerne persönlich erläutern. Aber als ich dann in Tecklenburg war, hatte ich einen Traum über „Der Schuh des Manitu“. Als ich wach wurde, dachte ich: „Du hast jetzt so viel über diese Aufführung geschimpft – dann mach es doch einfach jetzt besser!“ Nur rummeckern gilt nicht.

Also habe ich Sachen verändert und umgestellt. Das ist eine Sache, die charakteristisch für meine Arbeit ist, wenn ich merke, es macht so keinen Sinn. Beim „Schuh“ war es für mich zum Beispiel unmöglich, dass die größte Nummer „Ich trink Ouzo“ irgendwann im ersten Teil kam und die weitaus schwächere Nummer „Wilder Westen“ die große Pausennummer war. Also habe ich eine szenische Umstellung vorgenommen und die Leute mit „Ich trink Ouzo“ in die Pause entlassen. Und das hat super funktioniert. Alle kamen und fragten, warum wir das in Berlin nicht schon so gemacht hätten und tatsächlich haben sie es dann so übernommen. Das ist natürlich eine schöne Bestätigung meiner Arbeit und freut mich. Außerdem habe ich das ganze Bayrische rausgenommen, denn ich wollte unbedingt weg vom Film. Und weil alles so wunderbar funktioniert hat, darf ich diesen Sommer wieder hier arbeiten.

Und das gleich für zwei Großproduktionen: „Artus Excalibur“ und „Saturday Night Fever“ – das ist absolutes Kontrastprogramm. Wie macht man das? Ist es nicht schwierig, innerlich loszulassen, das Alte aus dem Kopf zu kriegen und Platz für neue Ideen zu schaffen?

Bei „Artus“ war es komischerweise ziemlich leicht, loszulassen – ganz einfach, weil ich so ein tolles Ensemble habe, menschlich wie darstellerisch. Jeder Einzelne ist ein Geschenk und es macht mir Spaß, jede einzelne Vorstellung zu schauen. Normalerweise ist die Arbeit eines Regisseurs ja mit der Premiere abgeschlossen und er reist weiter. Da hier aber parallel zu den „Artus“-Vorstellungen die Proben zu „Saturday Night Fever“ laufen, bin ich weiterhin vor Ort. Und ich werde dann immer nach der Vorstellung gebeten, zu kritisieren, was nicht gut war – aber bis auf winzige Kleinigkeiten bin ich einfach glücklich. Das ist schon außergewöhnlich.

Zur Vorbereitung auf beide Produktionen hatte ich etwa ein Jahr Zeit und ich habe diese Zeitspanne intensiv genutzt. Radulf Beuleke kam dann einige Tage zu mir nach Mallorca und wir konnten alles vorbereiten und meine Wünsche, was das Bühnenbild betrifft, besprechen. So wusste ich, es passt alles und ich hatte den Kopf frei, um mich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren.

Dass zwischen Produktionen nur vier Tage Pause liegen wie jetzt, ist eine absolute Ausnahme. Ende August fange ich im Aachener Grenzland Theater an mit den vierwöchigen Proben für das Schauspiel „Von Mäusen und Menschen“ [von John Steinbeck]. Vor „Love Story“ habe ich auch ein paar Wochen Zeit. Aber klar, Vorbereitungszeiten laufen manchmal parallel und wie bei allen kreativen Prozessen kann man nichts erzwingen, kann nicht sagen: So jetzt musst du Ideen haben für „Artus“, jetzt für „Love Story“.

Wenn ich nicht arbeite, lebe ich auf Mallorca und dafür bin ich sehr dankbar. Es inspiriert mich, am Meer spazieren zu gehen, mich dort in ein Café zu setzen und in die Brandung zu schauen. Und dann kommen die Bilder ganz automatisch. So hatte ich auch die Idee für den großen Auftakt bei „Artus“. Im Original singt ein Kind „Lass mich ruh’n auf dem Feld der Ehre“, aber mir war ganz klar, dass es für mich so nicht funktionieren würde. Ich wollte eine Schlacht haben und habe gedacht: „Ich habe 1 Minute und 22 Sekunden Zeit bevor der Erste singt – das schaffen wir!“ Und so war es dann auch. Ich finde, der Auftakt ist jetzt unheimlich atmosphärisch und packt einen gleich – man wird sofort in die Geschichte hineingezogen, emotional involviert.

Außerdem lese ich sehr viel. Wenn ich weiß, dass ich dieses oder jenes Stück inszeniere, lese ich es immer und immer wieder, so lange, bis ich es fast auswendig kann. Und dann kommen die Bilder.

Im März 2017 inszenierst du „Die Brücken am Fluss“, das Theater Trier hat die Rechte für die deutsche Erstaufführung erworben. Hast du da das Buch im Kopf oder den Film?

Ich kannte den Film bevor ich das Buch gelesen habe, aber ich habe ihn zunächst nie ganz gesehen. Erst als ich die Musik dazu kannte, habe ich das geschafft. Und ich muss gestehen, dass ich ihn nicht toll fand. Natürlich, er war gut, aber doch sehr langatmig. Die Musik ist schön und dass ich diese Geschichte jetzt umsetzen darf, ist eins der vielen Geschenke, die mir in meinem Leben als Regisseur schon passiert sind. Ich habe den Trierer Intendanten kennengelernt und war auf dem Weg zu ihm. Im Auto hörte ich „Die Brücken am Fluss“. Und als er im Gespräch auf einmal sagte: „Ich denke darüber nach, ‚Die Brücken am Fluss‘ zu machen“, konnte ich es kaum glauben.

Also mal wieder einer jener Zufälle…

Und für mich ein echtes Zeichen, wo ich dachte, das soll dann so sein. Ich freu mich sehr auf Trier und schätze auch den Intendanten Karl Sibelius sehr. Er ist ein hochinteressanter Mann, der etwas bewegen will, etwas wagt und der auch sicherlich aus einigen Ecken angefeindet wird, wie eigentlich fast immer, wenn man etwas wagt. Aber er hat die Stadt und das Theater wieder ins Gespräch gebracht und er hat mit Carin Filipcic, Norman Stehr, Sidonie Smith und vielen anderen wirklich tolle Leute im Ensemble, so dass ich nur einen Gast in der Hauptrolle brauche.

Findest du es schwierig, ein Stück zu inszenieren, an das die Leute eine bestimmte Erwartungshaltung knüpfen? Ist es nicht einfacher, ein neues Stück zu machen, was noch niemand wirklich kennt – also eine ganz weiße Leinwand zu haben und darauf zu malen? Oder kann man nicht sagen, leichter/schwieriger, sondern nur anders?

Es ist anders. „Saturday Night Fever“ gibt es als Film, „Rocky Horror“ gibt es als Film. Und genau, wie ich es bei „Der Schuh des Manitu“ gemacht habe, versuche ich mich so weit wie möglich davon zu lösen, damit der Vergleich gar nicht erst entsteht. „Saturday Night Fever“ lasse ich beispielsweise heute spielen, obwohl viele sagen werden: „Wie kann er nur, das ist doch 70er Jahre!“ Die wollen einfach Schlaghosen sehen – und das werden sie auch, denn ich mache den großen Tanzwettbewerb ganz einfach als Mottoparty. Aber ich will vermeiden, dass die Leute da sitzen und denken: Der John Travolta-Film ging aber ganz anders!

Und als ich zum Beispiel mit der Magdeburger Intendantin Karen Stone über „Rocky Horror“ sprach, sagte ich gleich, dass ich es vollkommen anders machen möchte als im Film. Und somit auch ganz anders, als die Fans es erwarten. Für mich war gleich klar, dass ein anderer Look her muss. Sonst hätte es für mich keinen Anreiz gegeben, es zu machen. Ich meine, dann können die Leute gleich woanders hinfahren und es sehen. Da gibt es ja genügend Auswahl.

Für Magdeburg habe ich mir dann vorgestellt, dass die Aliens im Juli 2015 auf dem Domplatz gelandet sind und es war klar, dass es eine extrem sexy Show sein muss voller Drogen – eine wirklich abgespacte Show! Und das ist uns gelungen. Natürlich gab es Fans, die es grauenvoll fanden – aber es gab eben auch die, die es großartig fanden. Eine Kritik ist mir besonders im Kopf geblieben. Sie trug die Schlagzeile „Anders, aber nicht artig“. Das fasste es sehr gut zusammen.

Viele sagen, wenn Stücke polarisieren, hätte man alles richtig gemacht…

Aber ich hatte auch eine Heidenangst! Als ich über den Domplatz ging und diesen gigantischen Bühnenaufbau sah und wusste, wie viel Geld da drinsteckt, dachte ich: „Was machst du, wenn die Leute es hassen?“ Es war ja auch sehr gewagt. Ich hatte beim Lesen des Stückes das berühmte Abendmahl-Bild von Da Vinci im Kopf, das war so die Ausgangsidee: Frank’n’Furter als eine Art Jesus, der seine Jünger um sich sammelt und glaubt, man kann Menschen erschaffen. Und so habe ich den großen Song „I’m Going Home“ als Abendmahl nachgestellt und beim letzten Ton haben alle die Positionen genauso eingenommen, wie sie auf dem Bild zu sehen waren. Bei der Premiere stand ich furchtbar aufgeregt hinter der Tribüne und dachte, jetzt werden sie gleich alle buhen. Aber genau das Gegenteil war der Fall: Die Leute hörten nicht auf zu klatschen!

Lass uns etwas ausführlicher über deine anstehenden Projekte sprechen, „Love Story“ in Aachen und „Die Brücken am Fluss“ in Trier. Beides sind hochemotionale, sehr tragische Stoffe.

„Love Story“ spielt ja in den 70er Jahren, aber wie schon „Saturday Night Fever“ will ich es in die Gegenwart holen. Auch heute noch sterben Menschen an Krebs. Das Thema hat nichts an Aktualität verloren. Die Geschichte wird in kurzen Rückblicken erzählt. Wie knapp diese sind, war mir zunächst gar nicht bewusst. Auch hier werde ich versuchen, meinen eigenen Weg zu finden, damit es für mich funktioniert. Also muss ich noch ein bisschen puzzeln – aber das mache ich wirklich gern. Generell wird es sehr hell werden: Ich habe einen weißen Raum im Kopf. Und wir haben mit Christian Fröhlich und Madeleine Lauw eine schöne, junge Besetzung! Eins kann ich versprechen: Es wird spannend.

Was „Die Brücken am Fluss“ angeht: Das muss von zwei reiferen Darstellern gespielt werden, denn es geht ja um zwei ältere Menschen, die denken, ihr Leben ist vorbei – und dann passiert plötzlich etwas, womit sie nie gerechnet haben: Liebe auf den ersten Blick. Sie sehen sich und es macht „Peng!“. Und das passiert beiden, so unterschiedlich sie auch sind: Einem Mann, der seit Jahren rumfährt und auf der Suche nach sich ist, einfach nicht zur Ruhe kommt, und einer Frau, die sehr häuslich ist und nicht das hat, was sie will. Trotz Mann und Kindern, die sie lieben, ist sie nicht happy. Und diese beiden Menschen treffen sich und es ist ein Feuerwerk.

Letzten Endes traut sie sich aber nicht, den Sprung zu wagen…

Ich finde es toll, dass sie es nicht macht. Es ist ganz groß, zu sagen, diese zwei-drei intensiven Tage gemeinsam reichen mir jetzt bis zum Ende meines Lebens und ich kann dafür nicht die Menschen verletzen, die ich geliebt habe und immer noch liebe. Ich kann mein Glück nicht auf deren Unglück aufbauen. Ich finde Francescas Entscheidung, ihr Glück hintenanzustellen, bewundernswert. Und als ihr Mann dann stirbt und sie vergeblich versucht, ihre große Liebe wiederzufinden, ist das zwar tragisch – aber im Tod kommen sie zusammen. Und wir werden auch kein abstraktes Bühnenbild haben mit Plastik und Projektionen, sondern eins mit einer richtigen Brücke.

Das klingt alles sehr vielversprechend. Lass uns mal etwas träumen: Stell dir vor, es kommt ein Intendant auf dich zu, stellt dir ein unbegrenztes Budget zur Verfügung und sagt zu dir: „Jetzt mach mal was Schönes!“ Welchen Stoff würdest du dir aussuchen, welche Stücke würden dich reizen?

Ich würde gerne „The Light in the Piazza“ machen. „West Side Story“ ist auch ein Stück, an dem ich mich gerne versuchen möchte. Ich finde die Musik einfach toll! „Jekyll & Hyde“ reizt mich ebenfalls sehr und ich würde es gerne mit Alexander Klaws machen, mit dem ich jetzt bereits zum zweiten Mal arbeite. Ich finde den Stoff spannend, habe aber eigene Ideen dazu und lese es auch musikalisch anders. Ich finde es einfach langweilig, immer und immer wieder dasselbe zu machen – neue Sachen müssen her!

Generell möchte ich neue, spannende Geschichten erzählen und brauche dafür auch gar nicht viel Geld. Bestes Beispiel ist Tecklenburg. Selbstverständlich ist es viel einfacher, eine Inszenierung am Stadttheater umzusetzen, wo dann einfach ein runder Tisch aus dem Boden hochgefahren wird und schon ist die Tafelrunde da. Aber zu überlegen, wie man es alternativ machen könnte, hat auch seinen Reiz. Über die jetzige Lösung habe ich sehr lange nachgedacht. Ich dachte, es müssen irgendwie Schilde sein, die zusammengefügt einen Tisch ergeben, und es müssen einzelne Menschen sein, die diese Schilder tragen. Und wenn sie zusammenkommen, entsteht eben ein großes Ganzes… die Tafelrunde als Symbol für diese Gemeinschaft und die gemeinsamen Werte. Am Anfang waren alle von meiner Idee nicht gerade angetan und haben die Klapptisch-Konstruktionen erstmal äußerst kritisch beäugt, aber hatten auch Vertrauen zu mir, so nach dem Motto: „Okay, wir gehen mal davon aus, er weiß, was er da tut.“ Wenn man sich die Szene jetzt anschaut, ist es einer der großen Gänsehaut-Momente der Produktion. Und dieser ist eben genau dadurch entstanden, dass wir andere Lösung finden mussten, andere Fantasien haben mussten. Und das kostet nicht viel.

Und du musst Leute haben, die sich auf diese anderen Lösungen einlassen.

Das stimmt. Als ich dem armen Ensemble während der „Artus“-Proben sagte, sie müssten bei „Alles ist vorbei“ in gebückter Haltung hereinkommen und auf ihren Rücken lägen Artus, Guinevere und Lancelot und sie würden dann zu Figuren im Sumpf, dachte ich auch, jetzt werden sie dir sagen: „Stopp, es reicht!“ Tatsächlich gesagt haben sie: „Ja, wir probieren das.“ Und letztendlich sieht es fantastisch aus und ist auch dank Kati Heidebrechts Choreographien und der tollen Kostüme ein visuelles Highlight. Und es entstand aus der Idee, dass ich eben nicht ein riesiges Bett haben wollte auf dem Guinevere und Lancelot es treiben. Das ist doch langweilig, das ist schon hundertmal dagewesen! Ich hatte immer dieses Sumpfbild im Kopf und bin dankbar, dass sich alle darauf eingelassen haben. Denn ohne ein Team, was einen trägt, einen unterstützt und sich ganz einfach einlässt, funktionieren die besten Ideen nicht.

Du hast also nie bereut, dass du Regisseur geworden bist?

Nein, ich schätze meinen Beruf wirklich sehr und habe viel Spaß an meiner Arbeit. Aber natürlich gibt es Schattenseiten. Es ist unglaublich schwierig, als Regisseur einen Job zu finden, fast schwieriger als als Darsteller. Sich einfach am Theater zu bewerben ist sinnlos, weil alle ihre Leute haben. Du kommst nur an Jobs, indem Leute von dir hören oder lesen, oder auch durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Man muss sich also ständig ins Gespräch bringen und die beste Werbung sind dann die – hoffentlich guten – Kritiken. Es ist manchmal nicht ganz einfach, aber ich liebe meinen Job und übe ihn mit viel Leidenschaft aus. Das ist etwas, was mir manchmal in der Branche fehlt. Aber ich bekomme auch extrem viel zurück. Wenn es zwischenmenschlich passt, man dieselben Visionen und Ziele hat, funktioniert es einfach und dann macht die Arbeit so richtig Spaß.

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