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Ein Outing ist schwer. Im „wilde oscar“, einem von der Berliner Schwulenberatung betriebenen Veranstaltungs-Café, zeigt Claudio Maniscalco in seiner an die eigene Biografie angelehnten Musical-Satire, wie zwei italienische Endzwanziger unter dem Einfluss ihrer mit allen Klischees ausgestatteten Familien ihre homosexuelle Neigung ausleben. In die Geschichte sind Songs aus Musical, Pop und Schlager, zum Teil mit neuen Texten, integriert.
Papa Popolone ist sich sicher: „Fußball hätte ihn normal gemacht“. Nach dem Outing ihres Sohnes Romeo sucht das aus Versehen ins „falsche, kommunistische Berlin“ zugewanderte italienische Elternpaar nach einer Erklärung. Bereits der unerwartete Auszug ihres neunundzwanzigjährigen Nesthäkchens hat ihnen schwer zugesetzt. „Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür“, lautet dann auch Mama Polpettinas gesungener Kommentar dazu. Eine ganz neue Bedeutung für Marianne Rosenbergs Schlager aus den 1970ern, den die schwule Szene zu ihrer heimlichen Hymne erkoren hat.
In „Carusello Italiano“ verarbeitet und parodiert Claudio Maniscalco seine eigene Biografie und entwirft einen deftigen Klischee-Italo-Clan zu dem noch Romeos ältere Schwester Vanilla gehört, die versucht, ihre Zuckersucht mit psychologischer Hilfe zu überwinden. Auch Romeos Lover, Feuerwehrmann Juliano, stammt aus Italien. Dessen intrigante Mutter Amara, nach eigenen Angaben „29 und molto sexy“, versucht, die Homosexualität ihres Sprosses mit allen Mitteln zu torpedieren, indem sie ihm das blonde Flittchen Dusnelda zuführt und eine Hochzeit arrangiert. Umso unglaubwürdiger wirkt das wie aus heiterem Himmel bei der Trauung vollzogene Hauruck-Happyend: Um den verzweifelten Romeo wieder glücklich zu machen, drängt der Familien-Clan die apathisch wirkende Braut bei der Kirchenzeremonie einfach beiseite und schiebt den Sohn an die Seite des Bräutigams. Entgegen jeder dramaturgische Logik leistet weder die vorher noch Gift und Galle speiende Amara Widerstand, noch protestiert der mit Argusaugen über sein Macho-Image wachende Juliano gegen die schwule Hochzeits-Wendung.
Je länger der Abend dauert, desto mehr geht auch der Regie-Arbeit von Claudio Maniscalco die Luft aus. Dabei macht der Anfang richtig Spaß: Die Vorstellung der italienischen Familie mit ihren tradierten Macken und den wiederholt absichtlich verpatzten Auftritten von Amara und Sohn Juliano zünden ebenso wie das übersteigert melodramatische Entsetzen der Eltern, dass Romeo ein „Omosexual“ ist. Wenn beide Jungs beim Camping ihre Zuneigung zueinander entdecken, halten Romeos Eltern kommentierend die Zeltstangen. Ein genialer Kniff, den das durch Aufsätze und Klappmechanismen schnell wandelbare Bühnenbild (Sven Desens) ermöglicht.
Maniscalcos Stärke liegt in der Zeichnung der einzelnen, teils satirisch überhöht angelegten Charaktere. Weniger gelingt es ihm jedoch, diesen Typen im Handlungsfluss Leben einzuhauchen. Zu oft stehen mehrere Personen einfach nur herum und warten auf ihre Einsätze, zu oft fehlt den aneinandergereihten Szenen der Zusammenhang. Eine ruhmreiche Ausnahme stellt die Wiederannäherung von Romeo an seinen Vater dar: Beide halten einen Telefonhörer in den Händen und singen dem jeweils anderen eine deutsche beziehungsweise italienische Fassung von Lionel Richies Popsong „Hello“ auf den Anrufbeantworter: Sag mir (Dis me), warum tust du mir so weh? Ein Gänsehautmoment in einer zum Ende hin wie ein Sketch-Abend einer Schultheatertruppe wirkenden Inszenierung.
Eine Wucht ist die Darstellerriege, die durchweg dem Affen Zucker gibt und auch gesanglich für sich einzunehmen weiß. Claudio Maniscalco ist als Popolone ein abgehalfterter, selbstverliebter Macho-Gockel, der mit „Arrangier’s mir“ ein herrliches Solo auf die Bühne bringt. Mit wuchtiger Bühnenpräsenz, Herz und Kodderschnautze mit italienischem Akzent stehte ihm Katja Nottke als seine Ehefrau Polpettina in nichts nach. Als kumpelhafte Schwester Vanilla rockt Isabell Genisor mit „Ich will keine Schokolade“ die Bühne. Die Rolle der giftigen Femme Fatale Amara scheint Cara Cuitan auf den Leib geschrieben zu sein. Mit großer Stimme und im sexy Outfit (Kostüme: Suzan Basbay) kostet sie ihren temperamentvollen Showstopper „Ich bin bös’“ genussvoll aus.
Absolut für sich einzunehmen wissen auch die beiden im Zentrum der Geschichte stehende Darsteller des schwulen Liebespaares. Gianni Meurer ist ein romantisch schwärmender Romeo, dem die unerwartete Zuwendung seines Liebsten zum weiblichen Geschlecht an die Nieren geht und ihn kämpfen lässt. Meurer singt mit schönem, sicher geführten Tenor, quält sich allerdings in der besuchten Premiere überraschend mühsam durch das dramatische „Nur für mich“ aus „Les Misérables“. Volker Hagen ist ein glaubwürdiger, unter seiner aufkeimenden Homosexualität leidender Macho Juliano, der seine Zerrissenheit gefühlvoll im zu „Heuchlerische Welt, hetero-fromme Welt“ umgetexteten „Sunset Boulevard“-Titelsong charakterisiert.
Damit dieses schwule Italo-Musical richtig rund laufen kann, sollte „Carusello Italiano“ vor allem beim Buch weiterentwickelt werden. Nach beherzten Strichen, Verbesserung der dramaturgischen Glaubwürdigkeit des Happyends und in einer etwas mehr auf die Handlungsstränge fokussierten Inszenierung könnte das Stück mehr sein als eine vornehmlich auf eine schwule Zielgruppe zugeschnittene Musical-Komödie.
Hinweis: Nach Auskunft des Autors wird seit Oktober 2013 eine überarbeitete Fassung mit einem veränderten Ende gezeigt. Unsere Rezension bezieht sich allerdings noch auf die Uraufführung!
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KREATIVTEAM |
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Eine queere deutsch-italienische Musical-Komödie von | Claudio Maniscalco |
Inszenierung | Claudio Maniscalco |
Bühne | Sven Desens |
Kostüme | Suzan Basbay |
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CAST (AKTUELL) |
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Popolone, Romeos Papa | Claudio Maniscalco |
Polpettina, Romeos Mama | Katja Nottke Susanna Capurso |
Vanilla, Romeos Schwester | Isabelle Gensior |
Romeo | Gianni Meurer Evgenij Verenin Sebastian Smulders Markus Lubawinski |
Amara, Julianos Mama | Cara Ciutan |
Juliano | Volker Hagen Gero Wendorff Marcus Mundus |
Dusnelda | Anna Kreuzberg |
sowie | Daniela Hubert Torsten Uwe |
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GALERIE |
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