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Cabaret (2009)
Schauspiel, Frankfurt am Main

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Dem Frankfurter Schauspiel ist im Bockenheimer Depot eine grandiose Neuinterpretation des Kander/Ebb-Klassikers gelungen, die zeigt, wozu die großen deutschen Bühnen fähig sind, wenn sie das Genre Musical ernst nehmen.

„Das ist alles so übertrieben!“ – Nach seiner Ankunft im Berlin der 1930er-Jahre schwankt Cliff, der junge amerikanische Schriftsteller, zwischen ungläubigem Staunen und Faszination und trifft damit wohl ziemlich genau die Gefühlslage des Frankfurter Premierenpublikums. Verblüffend originell kommt die Inszenierung von Michael Simon daher, der Regisseur zerpflückt den Kander-Ebb-Klassiker in seine Einzelteile und setzt ihn mit Hilfe eines hochprofessionellen Ensembles und einer gänzlich neu arrangierten Partitur wieder zusammen.

Schon Bühne und Ausstattung, ebenfalls von Michael Simon konzipiert, sind außergewöhnlich. Mittig in der großen Haupthalle des ehemaligen Betriebshofs der Frankfurter Straßenbahn, heute eine der drei Spielstätten des Frankfurter Schauspiels, steht eine über zwei Meter hohe, kahle Holzdrehbühne, links und rechts flankiert von zwei steil aufsteigenden Zuschauertribünen.

So sieht jeweils die Hälfte der Zuschauer die Protagonisten von hinten; eine Tatsache, die Simon durch geschicktes Staging und die Tatsache, dass die Darsteller – und die Drehbühne – dauernd in Bewegung sind, raffiniert in den Handlungsablauf einbaut. Ansonsten verzichtet Simon abgesehen von einem aus dem Bühnenboden hochfahrenden Bett komplett auf Requisiten, der Kit-Kat-Club exisitiert gar nur in der Imagination des Zuschauers. Mit Hilfe eines Gazevorhangs, der an einem quer über der Bühne gespannten Seil hereinflattert, nutzt der Regisseur die besondere Bühnenkonstruktion in zwei Szenen für einen ganz speziellen Effekt: Je nach Blickwinkel steht einer der Sänger vor dem Vorhang und der verdeckte Gegenpart als Schatten dahinter. Vor allem das Duett „Heirat“ von Fräulein Schneider und Herrn Schultz gewinnt so ungemein.

Originell (wenn auch für „Cabaret“-Erstbesucher verwirrend) ist zudem Simons Idee, einige seiner Darsteller nicht nur zwei verschiedene Nebenrollen verkörpern zu lassen, sondern auch mit deren Identität zu spielen: Der Song „Two Ladies“ endet beispielsweise mit dem angedeuteten Geschlechtsakt eines Kit-Kat-Girls mit einem Kit-Kat-Boy. Die beiden Tänzer „verwandeln“ sich durch minimale Variation von Haltung, Bewegungsablauf und Licht in Fräulein Kost und ihren Matrosen – so mündet die Nummer völlig nahtlos in die Szene, in der Fräulein Schneider mit ihrer Mieterin wegen der regelmäßig ins Haus gebrachten Männer in Streit gerät. Ähnliche Übergänge findet Simon immer wieder; obendrein strafft er die Handlung, beschränkt etwa die Velobungsszene auf ihre wesentlichen drei Minuten und gestaltet seine Inszenierung damit besonders dicht. Im Gedächtnis bleiben auch die Interpretationen der Songs „Mein Herr“ und „If You Could See Her Through My Eyes“: Hier dirigiert Sally, auf dem Bett stehend, Cliff wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden über die Bühne und lässt ihn groteske Bewegungen vollführen, dort tanzen Conférencier und Kit-Kat-Boy einen homoerotischen Tanz, der mit Stiefellecken und eindeutigen Fummeleien weit jenseits des sonst im Unterhaltungstheater Präsentierten liegt.

Diese und viele weitere kreative Einfälle des Regisseurs werden durch ein außerordentlich professionelles Ensemble zusammengehalten. Franziska Junge porträtiert grandios eine zutiefst verzweifelte Sally und trumpft mit großer Stimme auf. Torben Kessler darf als Cliff viel präsenter sein, als es der Rolle in vielen anderen Inszenierungen gestattet ist und spielt mit fabelhafter Eindringlichkeit. Der halbseidene Conférencier von Christian Bo Salle bleibt dagegen weiter im Hintergrund als gewohnt. Josefin Platt legt das Fräulein Schneider völlig abweichend vom Rollenklischee an: Statt der verhärmten alten Jungfer spielt sie eine alberne, hüpfende, „Woah“ und „Boah“ schreiende Göre, die sehr an Nina Hagen erinnert. An den richtigen Stellen legt sie aber auch die benötigte Portion Ernsthaftigkeit in die Rolle. Mathis Reinhardt als bedrohlicher Ernst Ludwig, Joachim Nimtz als Herr Schultz sowie Valery Tscheplanowa, Irene Klein und James Rizzi in den Nebenrollen komplettieren ein unerhört souveränes Ensemble, das „Cabaret“ völlig neue Seiten abgewinnt.

Unkonventionell ist neben der Inszenierung vor allem die Art und Weise, wie Nina Wurman und Johannes Bartmes die Partitur von John Kander neu arrangiert haben. Vom bekannten 30er-Jahre-Sound ist kaum etwas übrig geblieben, „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ wird zur Rocknummer, „Don’t Tell Mama“ kommt als Jazzballade daher, „Mein Herr“ nimmt Anleihen an Klezmer und Folk, „Maybe This Time“ klingt nach großer Pophymne und aus dem Titelsong wird eine phänomenale Funk-Nummer, die dem Ideenfeuerwerk die Krone aufsetzt. So frisch, anders und neu hat man „Cabaret“ noch nie gehört – dem Musik- und Musicalfreund macht das einen Riesenspaß, der Gelegenheitsbesucher könnte möglicherweise völlig verwirrt das Theater verlassen.

 
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KREATIVTEAM
Regie / BühneMichael Simon
KostümeJanine Werthmann
Musikalische LeitungNina Wurman
Johannes Bartmes
ChoreografieIrene Klein
 
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CAST (AKTUELL)
Sally BowlesFranziska Junge
Fräulein KostValery Tscheplanowa
ConférencierChristian Bo Salle
Clifford BradshawTorben Kessler
Herr SchultzJoachim Nimtz
Ernst LudwigMathis Reinhardt
Fräulein SchneiderJosefin Platt
FrenchieIrene Klein
HansJames Antony Rizzi
MusikerNina Wurman
Johannes Bartmes
Christoph Lewandowski
Dirk Rumig
Martin Lejeune
Daniel Schil
 
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 02.10.2009 20:00Bockenheimer Depot, Frankfurt am MainPremiere
Sa, 03.10.2009 20:00Schauspiel, Frankfurt am Main
So, 04.10.2009 20:00Schauspiel, Frankfurt am Main
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