Wie geht’s im Verdauungstrakt zu? Wer dieses Musical sieht, erfährt, dass in der Darmflora gefeiert, gesungen und getanzt wird bis der Arzt kommt. Mit minimalem Aufwand und einer grandiosen Cast zaubert Regisseur Marcus Lachmann eine ganz große Show, die keinem Magenschmerzen bereitet.
„Tief in der Scheiße sitz ich hie“ klagt Dr. Ich. Und damit hat er im wahrsten Sinne des Wortes recht. Der wegen Nobelpreis-Ambitionen vom Ehrgeiz zerfressene Hirnforscher (Boris Freytag) landet bei einem Selbstversuch, Körper und Geist zu trennen, irrtümlicherweise in seinem eigenen Dickdarm. Aufgrund einer vom Doktor initiierten Desinfektion regiert hier jetzt eine stumpfsinnige Meute feierfreudiger Hefepilze. Die überlebenden vier Darmbakterien Lacta (Nini Stadlmann), Bifi (Nicole Rössler), Heli (Andreas Goebel) und Coli (Gerald Michel) hausen abgeschoben auf einem „Arche“ genannten Floß im verödeten Darmkanal und hoffen auf bessere Zeiten. Die soll ihnen ihr Wirt bringen, den sie weit oben im Hirn vermuten. Dass das Geschöpf, das sie gottähnlich verehren („Wir Mikroben woll’n dich lob’n, schick uns deinen eigenen kleinen Klon“), bereits bei ihnen ist, bemerken die vier Bakterien erst im Laufe der Handlung. Als der zum Heiland Stilisierte zur Ausrottung der Hefepilz-Plage ein Antibiotikum (Dominik Büttner) einwirft, droht die angegriffene Darmflora weiter aus dem Gleichgewicht zu geraten, da Dr. Ich die Wirkung des Präparates verwechselt hat.
Tom van Hasselts intelligentes Buch strotzt vor manchmal auch platten Wortspielereien („Nothing comes after the After – hinter dem Hintern ist es aus“) und spart in den Szenen bei der Anbetung des Wirts nicht mit Kritik an den christlichen Religionen. Abendmahl, Zölibat, Heiligenverehrung und Unfehlbarkeit werden ebenso durch den Kakao gezogen wie die Zehn Gebote, die Dr. Ich aufstellt, als seine Identität aufgeflogen ist („Ihr dürft keine anderen Wirte neben mir haben“). Dazu kommen dramaturgisch geschickt eingefügte Wendungen, die die Show mühelos über drei Stunden tragen. Und wenn der Zuschauer leicht deprimiert annimmt, dass Schluss sei, entschärft van Hasselt sogar noch das dramatische Ende, indem er einen versöhnlichen Epilog anfügt. Nicht nur beim finalen Showstopper „Jede Zelle zählt“ funkelt die vom Autor komponierte Partitur, die er gemeinsam mit zwei auf der linken Bühneseite sitzenden Kollegen spielt. In ihr sind Choräle, Gerapptes, südamerikanische Rhythmen, aber auch traumhaften Balladen (wie das Duett „Tief in dir“) vereint.
Nicht nur beim „Tango der Hormone“ toben sich die beiden Choreografen (Nini Stadlmann, Dominik Büttner) kreativ aus. Ihre fantasie- wie effektvollen Bewegungsabläufe in pfiffigem Staging sind während der gesamten Show zu bewundern. Alle sechs Darsteller der Show tanzen und singen auf hohem Niveau und reißen das Publikum mit ihrem pointierten Spiel mit. Da das gesamte Ensemble wie aus einem Guss wirkt, ist das Herausstellen einzelner Leistungen nicht möglich und wäre unfair. Der stürmische Schlussapplaus gilt in der besuchten Deutschland-Premiere dann auch allen Beteiligten gleichermaßen.
Maßgeblich zu diesem Erfolg trägt Regisseur Marcus Lachmann bei. Er zeichnet die Bewohner der Darmflora als individuelle Charaktere mit Herz und Schnauze und hat ein gutes Gespür für das richtige Timing von Gags. Mit seiner turbulenten Inszenierung setzt er den ungewöhnlichen Stoff so kurzweilig und gekonnt in Szene, dass die Show ohne aufwändige Kostüme und Dekoration auskommt. Die Darsteller sind ganz in weiß gekleidet. Mit Wechsel ihrer T-Shirts schlüpfen sie in die Identität des Charakters, dessen Name vorne auf der Brust prangt. Hefepilze sind zudem durch weiße Basecaps zu erkennen. Vor jeder Szene wird der Handlungsort kurz genannt, der durch Umgruppieren oder Stapeln von acht weißen Blechmülleimern plus Deckeln entsteht. Sechs fahrbare Ständer für Infusionslösungen werden integriert oder zu Mikrofonständern, Angeln oder zur Waffe des Antibiotikums umfunktioniert. Minimaler Aufwand, aber unheimlich effektvoll!
Vor der Show sollte jeder Besucher unbedingt den Programm-Beipackzettel in der Tablettenschachtel lesen, denn wer Zeuge des Treibens im Dickdarm von Dr. Ich wird, sollte die damit verbundenen Nebenwirkungen kennen: Lachattacken und sehr viel Spaß!
Dr. Ich | Boris Freytag
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Lacta Lactobazillus, Pilz | Nini Stadlmann
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Helicobacter Pilori, Pilz, Hormon | Andreas Goebel/Felix Powroslo
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Bifi Bifidum, Pilz | Nicole Rößler
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Escherichia Coli, Pilz, Hormon, Dr. Er | Gerald Michel
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Antibiotikum, Pilz, Hormon, Dr. Sie | Dominik Büttner
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Mi, 10.06.2009 20:00 | La Cappella, Bern | Premiere |
Do, 11.06.2009 20:00 | La Cappella, Bern | |
Fr, 12.06.2009 20:00 | La Cappella, Bern | |
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Sa, 13.06.2009 20:00 | La Cappella, Bern | |
Fr, 04.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Sa, 05.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
So, 06.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Fr, 11.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Sa, 12.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Do, 17.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Fr, 18.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
So, 20.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
So, 27.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
Mo, 28.12.2009 20:00 | Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Berlin | |
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