Mercedesz Csampai © Julian Freyberg
Mercedesz Csampai © Julian Freyberg

NEUES FEATURE
"Ich fühle mich zu Figuren mit Tiefe hingezogen, die keinen einfachen Lebensweg haben." - Mercedesz Csampai im Interview

Mercedesz Csampai ist, seitdem sie bei „Tanz der Vampire“ die Erstbesetzung der Sarah übernahm, immer wieder bei deutschsprachigen Produktionen in großen Hauptrollen zu erleben, unter anderem als Esmeralda im „Glöckner von Notre-Dame“ und in Kürze als „Eiskönigin“ Elsa. Darüber hinaus hat Mercedesz aber auch zahlreiche Erfahrungen in der skandinavischen Musicallandschaft, beispielsweise bei „Waitress“ gesammelt und stand in Russland als Christine Daaé auf der Bühne. Ihr West End-Debüt gab sie als Yocheved in der Uraufführung des Musical-Epos Prince of Egypt“ . Die sympathische Darstellerin schaut mit uns auf ihren bisherigen Weg zurück, wagt aber auch einen Blick in die Zukunft, erzählt uns von ihren Traumrollen und von den Herausforderungen, denen sie in ihrer Karriere begegnet ist.

Was sind deine Wurzeln, und wann war für dich klar, dass du einen Bühnenberuf ergreifen möchtest?

Mercedesz Csampai als Jenna in „Waitress“ © Markus Garder

Meine Mutter kommt aus Russland, mein Vater aus Ungarn. Schon als ich noch ganz klein war, sind wir nach Schweden gezogen, sodass Stockholm meine Heimat wurde – ich bin also in Schweden aufgewachsen. Schon so lange wie ich mich erinnern kann, war ich von allem Möglichen, das mit den Künsten zu tun hat, umgeben. Meine Mutter ist eine Opernsängerin und mein Vater ist Violinist. Mein Großvater war Maler, meine Großmutter liebte es zu singen und Gitarre zu spielen. Mein Urgroßvater war Balletttänzer am Bolshoy Theater in Moskau. Mir war schon als Kind bewusst, dass mein Weg etwas mit Kunst zu tun haben würde. Es ist in meinem Blut verankert, aber dass es mich ins Musical ziehen würde, wusste ich nicht. Dass ich etwas mit Musik machen möchte, war aber früh klar: Ich habe in meiner Kindheit und Jugend Klavier und Violine gespielt und ging an eine Schule für klassische Musik.

Ich erinnere mich noch daran, dass meine Mutter eine CD mit Musical-Klassikern hatte und ich diese in Dauerschleife anhörte. Ich bin mit meinem Walkman und Kopfhörern im Bus gesessen und habe so laut ich konnte „Maybe This Time“ aus „Cabaret“ gesungen, ohne überhaupt zu merken, dass ich singe – bis mir das mal jemand gesagt hat.

Ein wichtiger Schritt für meinen Wunsch, auf die Bühne zu kommen, war ein Konzert in Stockholm, das wir besucht hatten. Dort wurden Evergreens aus der Welt des Musicaltheaters gesungen. Ich war fünf oder sechs, und wir saßen in der ersten Reihe. Ich war so begeistert von den Sängerinnen und Sängern, und es war eine mit einer wuchtigen, rothaarigen Frisur dabei, von der ich meine Augen nicht lassen konnte. Bei den Schlussverbeugungen kam sie von der Bühne und schenkte mir ihren Blumenstrauß. Ich war komplett ’starstruck‘, und später habe ich mir noch ein Autogramm von ihr geholt. Ich wusste einfach, dass ich so werden wollte wie sie. Sehr prägend war auch, als ich in meiner Schulzeit in London „Wicked“ gesehen habe. Das war einer der Wendepunkte für mich, der mir klar machte, dass ich Musicaltheater spielen möchte. Dieses Gefühl, das ich hatte, während ich im Publikum saß, hat mich realisieren lassen: Genau das möchte ich! Ich möchte Teil dieser Welt sein und für andere Menschen diese wundervolle Erfahrung hervorrufen.

Mercedesz Csampai als Sarah in „Tanz der Vampire“, Berlin © Stage Entertainment

Wie bist du dann ausgerechnet in Deutschland gelandet?

Stage Entertainment hat in Stockholm offene Auditions für Musical-Darstellerinnen und Darsteller abgehalten. Ich habe dort teilgenommen, um mich selbst für mögliche zukünftige Jobs vorzustellen, aber nicht für ein direktes Engagement, da ich zu dem Zeitpunkt noch studiert hatte. Ein Jahr später erhielt ich eine E-Mail mit einer Einladung zur Audition für „Tanz der Vampire“. Ich bin durch den gesamten Casting-Prozess gegangen und habe die Erstbesetzung für Sarah bekommen. Kurz darauf bin ich dann nach Berlin gezogen – es war mein erster großer Musicaltheater-Job überhaupt.

Sicher war deine Anfangszeit in Deutschland mit Hürden verbunden. Wie war das für dich?

Ich habe immer schon geliebt zu reisen und bin schon recht oft vorher umgezogen, aber mit 21 nach Berlin zu ziehen, war eine größere Herausforderung. Ich kannte die Sprache nicht und zu der Zeit sprachen auch noch nicht allzu viele Leute Englisch. Ich habe zwar Französisch und Italienisch in der Schule gelernt, aber dass ich Deutsch lernen müsste, hätte ich damals nie gedacht. Zwar sind einige Wörter ähnlich wie im Schwedischen, aber die Satzmelodie und die Grammatik sind komplett unterschiedlich. In Berlin habe ich versucht, mich mit der Sprache vertraut zu machen – also habe ich beispielsweise immer den Fernseher im Hintergrund laufen lassen. Serien, die ich mir vorher schon angesehen hatte und die ich gut kannte, habe ich dann auf Deutsch angeschaut, um zu sehen, ob ich etwas verstehe. Ich habe viel deutsche Musik gehört. Deutschunterricht habe ich auch genommen und habe versucht, mit dem Sprechen anzufangen, aber am Anfang war ich doch ziemlich schüchtern.

Da am Theater und in der Cast viele Leute ebenfalls aus anderen Ländern kamen, war die Hauptsprache dort für uns alle Englisch, was mir sehr geholfen hat, Fuß zu fassen. Auch wenn die ersten Monate nach meinem Umzug aus Schweden etwas hürdenreich waren, hatte ich wundervolle Kolleginnen und Kollegen, was mir die Zeit deutlich einfacher gemacht hat.

Mercedesz Csampai in der Uraufführung von „Mamma Mia – The Party“ © Mats Bäcker

Das war nicht das erste Mal, dass du eine neue Sprache lernen musstest, richtig?

Meine Muttersprache und damit die erste, die ich gelernt habe, ist Russisch. Ich habe als nächstes Englisch gelernt, schon ganz früh, weil meine Mutter dachte, diese Sprache zu beherrschen sei ganz wichtig. So haben wir zum Beispiel abends zusammen Disneybücher gelesen, um die Sprache zu verstehen. Als wir dann nach Schweden gezogen sind, musste ich unweigerlich Schwedisch lernen, da ich nur Englisch sprechen konnte und die anderen Kinder fast gar nicht. Das war für mich als Kind damals schwer zu verstehen. Also habe ich Schwedisch innerhalb einiger Monate gelernt – als Kind fällt es einem deutlich einfacher, eine neue Sprache zu lernen.

In deinem Oeuvre sind vor allem dramatische Rollen angesiedelt. Hast du eine Affinität zu solchen Rollen – oder gibt es etwas, was dich dafür prädestiniert?

Oh! Das ist wirklich wahr, wo ich jetzt so darüber nachdenke! Ich denke, ich fühle mich zu Figuren mit Tiefe hingezogen, die keinen einfachen Lebensweg haben. Und ich mag Musicals sowie Geschichten, die uns prägen und beeindrucken. Musicals, die Menschen zum Nachdenken und Reflektieren bringen, wenn sie das Theater verlassen. Irgendwie wurde ich, seitdem ich als Musicaldarstellerin angefangen habe, immer zu eher dramatischen Rollen gezogen, weil diese mir ganz natürlich vorkamen. Obwohl meine Freunde und Kollegen sagen, dass meine Persönlichkeit alles andere ist als das! Ich bin eine ziemlich quirlige Person, und dieser Übergang von mir selbst zu einer Figur innerhalb von Sekunden ist für mich überaus interessant zu beobachten. Ich habe ein paar lustige Rollen gespielt, aber nicht wirklich viele – also sollte ich doch vielleicht meinen Horizont erweitern und diese Möglichkeiten ebenfalls weiter erkunden.

Mercedesz Csampai als Christine Daée in „Phantom der Oper“, Moskau © Yuri Bogomaz

Mit Eponine und Christine Daaé hast du zwei der ikonischsten Musicals überhaupt gespielt. Worin liegen für dich persönlich die jeweiligen Herausforderungen?

Eponine war für mich die große Traumrolle schon seit ich jung war, daher war es ein großer Traum, der wahr wurde, als ich sie spielen durfte. Das schwierigste für mich an diesem Part war eher, dass ich kein Dänisch sprach – wir haben „Les Misérables“ in Aarhus gespielt. Obwohl ich Schwedisch spreche und die Sprachen sich ähneln, ist die Phonetik ziemlich anders, woran ich mich gewöhnen musste. Auch Christine war eine Rolle, von der ich geträumt hatte – hier war ich mir aber eigentlich sicher, dass sie auch nur ein Traum bleiben würde. Ich hatte zwar klassisches Stimmtraining, bei dem mir meine Mutter geholfen hat, aber ich selber habe mich deutlich mehr auf die Gesangstechniken im Musical fokussiert. Als ich die Rolle bekam, habe ich mich richtig in den klassischen Gesang gekniet, was am Anfang wirklich knifflig war. Aber während meines Engagements als Christine habe ich gesanglich auch viel dazu gelernt.

Mercedesz Csampai als Eponine in „Les Misérables“ © Isak Hoffmeyer

Du wurdest von Björn Ulvaeus für „Mamma Mia“ ausgewählt, liest man. Wie genau kam es dazu?

Ich habe in Moskau 2015 in „Phantom der Oper“ gearbeitet und sah zu der Zeit eine Info im Internet, die von einem ‚geheimen Musicalprojekt‘ in Stockholm sprach. Sie haben nach einem Mädchen mit mediterranem Aussehen gesucht, das auch ein Instrument spielen konnte. Ich habe sofort meinen Lebenslauf hingeschickt. Als ich zu einer Audition eingeladen wurde, habe ich die Nachricht bekommen, ich solle bitte ein Gesangsstück von ABBA vorbereiten und meine Violine mitbringen. Ich habe mich vorbereitet und fuhr nach Stockholm, und als ich in den Castingraum hineinging, saß da Björn Ulvaeus mit seinem ganzen Team. Ich hatte „The Winner Takes It All“ vorbereitet und sollte danach noch etwas auf meiner Violine vorspielen. Einige Zeit danach bekam ich einen Anruf und das Team hatte mich für die Hauptrolle Konstantina in „Mamma Mia! The Party“ ausgewählt. Ich habe mich sehr über die Möglichkeit gefreut, in diesem Projekt mitzuwirken und außerdem auch eine Rolle als Erste zu kreieren.

Mit Esmeralda in Stuttgart bist du erneut in eine hochdramatische Rolle geschlüpft und hast Abend für Abend echte Tränen vergossen. Wie gelingt dir das?

Mercedesz Csampai als Esmeralda in „Der Glöckner von Notre-Dame“ © Detlev Overmann

„Der Glöckner von Notre-Dame“ ist ein wirklich wunderschönes, herzzerreißendes und sehr emotionales Werk. Die Geschichte und die Botschaft des Stücks sind so wichtig und ich denke, sie werden immer relevant bleiben. Man kann, denke ich, nicht Teil dieses Stücks sein, ohne diese Geschichte so real, authentisch und wahrhaftig wie möglich zeigen zu wollen. Die Geschichte und die Rolle des Esmeralda haben einiges in mir ausgelöst. Deswegen hatte es einen großen emotionalen Einfluss auf mich und hat mich, trotz der täglichen Routine, tief bewegt und berührt. Einige Tage waren dabei wirklich hart, schwieriger als andere. Doch auch dann war ich immer tief dankbar und froh darüber, diese wundervolle Geschichte mit allen Menschen zu teilen.

Die Rolle der Yocheved in „Prince of Egypt“ konntest du kreieren. Auf was hast du besonderen Wert gelegt, und wie kam es zu dieser Rolle am West End?

Die überwältigende Musik ist das Kernstück von „The Prince of Egypt“, weswegen es mir vor allem wichtig war, dieser Musik gerecht zu werden. Ich habe mir viel traditionelle Volksmusik angehört und versucht, mich davon inspirieren zu lassen. Die Originalstimme von Yocheved kam von Ofra Haza – ich habe versucht, meine eigene Version zu finden und sie zeitgleich zu ehren. Ich habe tatsächlich schon 2018 für „Prince of Egypt“ vorgesungen, als es in Dänemark seine Uraufführung haben sollte. Genau dann kam das Angebot im „Glöckner von Notre-Dame“ zu spielen, was dann mein Weg wurde. Später habe ich aber gehört, dass es Pläne gab, „Prince of Egypt“ in London aufzuführen, sodass ich mich direkt für eine Audition angemeldet habe und zum Vorsprechen für Yocheved und Cover Miriam eingeladen wurde. Von Stuttgart aus ging es ein paar Mal hin und her nach London für die einzelnen Audition-Schritte, was damit endete, dass mir die Rolle angeboten wurde.

Aktuell wurde angekündigt, dass du in Stuttgart die alternierende Elsa übernehmen wirst, es geht also wieder zurück nach Stuttgart. Was verbindest du mit „Frozen“ ?

Mercedesz Csampai als Yocheved in der Uraufführung von „Prince of Egypt“, London © Darren Bell

Ich habe den Film im Kino gesehen und mich augenblicklich in die Geschichte und die Musik verliebt. Der Soundtrack lief bei mir hoch und runter. Ich denke, ich habe den Film noch etliche Male angeschaut und ich liebe „Let It Go“, sodass ich anfing, es die ganze Zeit zu singen. Das Lied wurde mein Go-To-Song für jedes Event auf dem ich sang, aber auch meine private Hymne. Ich habe das Stück nie sehen können, bevor ich der Cast beigetreten bin, aber habe mir die Castaufnahmen angehört. Seit der Premiere des Musicals war es immer eine Art geheimer Wunsch von mir, Elsa zu verkörpern, aber habe mich nie gewagt es auszusprechen. Jetzt spiele ich sie und könnte nicht glücklicher darüber sein!

Auf was freust du dich bei „Die Eiskönigin“ am meisten?

Ich freue mich so sehr, wieder in Stuttgart zu sein und ganz besonders, wieder im Stage Apollo Theater zu spielen, wo wir den „Glöckner von Notre-Dame“ gespielt haben. Das Theater beherbergt so viele meiner herzensnahen Erinnerungen und ich kann es kaum abwarten, hier neue Erinnerungen zu erschaffen. Ich bin so gespannt darauf, Elsa zu erkunden und diese wunderbare Geschichte mit allen da draußen zu teilen!

Ganz ohne Gender- oder Typecasting, welche Rollen würdest du gerne im Traum mal verkörpern? Und welche Figuren stehen noch auf deiner richtigen Bucket-List?

Wenn es jemals Genderswap-Versionen davon geben sollte, wäre ich als Judas in „Jesus Christ Superstar“, als „Jekyll und Hyde“ oder Enjolras in „Les Misérables“ gerne dabei!

Ich würde unheimlich gerne mal Elphaba in „Wicked“ in naher Zukunft spielen. Außerdem Catherine Howard in „SIX“ und Eliza in „Hamilton“!

Top 3 von Mercedesz Csampai © Musicalzentrale

Liebe Mercedesz, wir wünschen dir von Herzen, dass deine Traumrollen bald wahr werden. Zunächst aber freuen wir uns, dich neben Ann Sophie als alternierende Elsa in der Stuttgarter „Eiskönigin“ zu bewundern!

 
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