2018 kam Judith Caspari als unbekanntes Nachwuchstalent an die begehrte Hauptrolle in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Anastasia“. Diese Rolle hat ihr einen Raketenstart im Musical-Business beschert, sodass Judith mittlerweile zu den bekanntesten Darstellerinnen hierzulande gehört. Im Zuge ihrer neuen Hauptrolle als Jane im Disney-Musical „Tarzan“ hat Judith mit uns über den Start sowie weitere Meilensteine ihrer Karriere gesprochen: „Paramour“, die Neuinszenierung von „Wicked“ und „Scholl“ gehören zu den Stücken, die Judith mit uns noch einmal beleuchtet. Wir erfahren außerdem einiges über ihre Sehnsuchtsorte, ihr Selbstverständnis als Feministin und über ihren Umgang mit beruflichen sowie mentalen Herausforderungen.
Als Kind war dein nicht ganz ernst gemeinter Wunsch, Sängerin zu werden wegen der schönen Kleider. Was ist für dich mittlerweile das Schönste an deinem Beruf? Welche Schattenseiten des Jobs betreffen dich besonders, und womit kommst du ganz gut zurecht?
Tatsächlich habe ich besondere Outfits schon immer geliebt, das stimmt! Viele besondere Kostüme zaubern auch heute noch immer ein Funkeln in meine Augen. Insbesondere während „Anastasia„ durfte ich wirklich extravagante Kleider tragen, in denen ich mich wie eine echte Zarin fühlte. Mittlerweile ist der schönste Aspekt an meinem Beruf aber das Miteinander mit so vielen unterschiedlichen KollegInnen, die aus der ganzen Welt kommen. Ich durfte bereits so viele besondere Menschen kennen lernen, die nun zu meinen engsten Vertrauten gehören. Die Arbeit am Theater und diese große Leidenschaft, die wir täglich miteinander teilen, verbindet enorm. Und das ist für mich das größte Geschenk in meinem Beruf. Dieser intensive und einnehmende Beruf fordert unglaublich viel Disziplin und schränkt das Privatleben oft etwas ein. Zur Zeit bin ich in einem Ensuite-Engagement und bin dann meistens an einen Ort gebunden. Dann vermisse ich meine Familie, meine FreundInnen und mein wunderschönes Haus in den schwedischen Wäldern, das tut dann manchmal schon etwas im Herzen weh, gerade nicht immer dort sein zu können.
Gleichzeitig liebe ich es aber sehr jeden Tag auf der Bühne zu stehen und eine ganz besondere Art von Routine für mich während dieser Engagements zu finden. Und da ich jetzt schon viele Jahre dieses Leben lebe, kann ich mittlerweile eine ganze gute Balance finden.
Wenn du keine Sängerin geworden wärst, welche Berufe hättest du vielleicht stattdessen eingeschlagen? Wo liegen deine anderen Talente und Interessen?
Da habe ich tatsächlich keine konkrete Idee. Lange wusste ich nicht, dass Sängerin am Theater überhaupt ein richtiger Beruf ist und man Gesang studieren kann [lacht]. Dann dachte ich, dass ich vielleicht Musik studieren und unterrichten könne. Das Schulleben wäre aber wirklich überhaupt nicht gut für mich, es wäre ein viel zu theoretischer Beruf für mich gewesen. Ich hatte also Glück, dass in meiner Karriere bisher alles so gut geklappt hat! Manchmal habe ich aber auch den Wunsch neben meiner Karriere im Musical nebenbei in Schweden zu leben und dort ein paar Tiere zu haben. Vielleicht ein paar Hühner, Ziegen und Esel, einfach mal einige Monate das Landleben zu genießen. Eine Balance aus aufregenden Shows in Europas Großstädten und einer Eselfarm, das wäre mein Paradies!
Als ausgebildete Opernsängerin war es sicherlich eine Umgewöhnung, ins Musical-Business zu starten. Was waren die größten Herausforderungen, denen du begegnet bist? Hast du diese mittlerweile gemeistert?
Tatsächlich ist dieser Prozess sehr schnell und fast automatisch passiert. Da ich neben dem klassischen Gesang schon immer gerne Pop und auch etwas Musical gesungen habe, fühlte es sich dann während Anastasia eher so an, als hätte ich meine eigentliche Stimme gefunden. Wenn ich Musical singe, habe ich das Gefühl, dass eben genau dieses Timbre direkt aus meinem Herzen kommt. Während dieses Übergangs von Klassik zum Musicalgesang hatte ich keinen begleitenden Gesangsunterricht, sondern habe das Wissen meines Gesangsstudiums in meine Musicalstimme übertragen. Dadurch konnte ich ganz frei und individuell schauen, wie ich eigentlich klingen möchte. Im Nachhinein unglaublich, aber ich bin wahnsinnig stolz darauf und meine Arbeit mit meiner eigenen Stimme. Meine klassische Gesanglehrerin hat mich während dieses Wechsels aber moralisch immer total unterstützt. Sie selbst ist Engländerin und glaubt, wie ich, dass man beide Genres singen und erlernen kann! Ich bin sogar sicher, dass überhaupt der klassische Gesang erst meine Stimme stark gemacht und bereichert hat! Um meine Stimme weiter technisch fit zu halten, singe ich auch gerne noch klassische Partien und wer weiß, vielleicht habe ich auch mal wieder Lust mehr in der Klassik zu arbeiten.
Nicht nur beruflich hat dich dein Weg mehrmals nach Kassel geführt, du bist ja auch gebürtig von dort. Was ist dein Lieblingsort in Kassel und wieso?
Ich liebe den Bergpark. Dieser Park ist eine riesige Anlage mit einem wunderschönen Schloss und anliegenden Bergen, Wiesen und Wäldern. Von dort aus kann man den ganzen Tag durch die Natur spazieren. Das mache ich immer, sobald ich wieder in Kassel bin.
Ich weiß noch, wie erstaunt die Medienlandschaft und v.a. die Musicalszene war, als dein damals noch ganz unbekannter Name als Hauptrolle der „Anastasia“ genannt wurde. Ist dir die Szene auch persönlich skeptisch begegnet, oder wurdest du sofort willkommen geheißen?
Tatsächlich äußerten ein paar Menschen aus der Szene ganz am Anfang mal ein paar skeptische Kommentare. Auch während meiner Audition wurde ich etwas schräg angeschaut, als ich erzählte, dass dies meine erste Musicalaudition sei und ich ansonsten in der Oper arbeite. Aber diese Blicke haben mich nicht weiter eingeschüchtert. Ich bin wahnsinnig stolz auf diese schicksalshafte Geschichte und konnte mit der Zeit sicherlich auch einige SkeptikerInnen umstimmen. Grundsätzlich wurde ich in der Musicalwelt mit sehr offenen Armen empfangen. Viele KollegInnen fanden meine Geschichte eher unglaublich spannend. Und spätestens als Glinda durfte ich meine klassische Stimme ja auch auf die Musicalbühne bringen. Das war ein richtiger Full-Circle-Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich beide Genres liebe und diese auch wunderbar in einer Partie miteinander verbinden kann.
Hat dir dein ‚Schnupperstück‘ in der Musicalwelt, „West Side Story“ in der Rolle der Maria, für „Anastasia“ geholfen, oder waren das komplett unterschiedliche Welten?
Beide Rollen verbinde ich mit einer großen Willensstärke und viel Mut. Beide Frauen folgen ihrem Herz, anstatt gesellschaftlichen Normen zu folgen und sich ihnen zu beugen. Das ist eine wunderschöne und sehr inspirierende Parallele in beiden Rollen gewesen. Tendenziell ist es mir als Feministin aber auch extrem wichtig, starke Frauen zu kreieren und auf die Bühne zu bringen. Ansonsten sind Opern und Musicals tatsächlich gar nicht so unterschiedlich, wie viele Menschen denken. Die Gesangstechnik ist anders, aber heutzutage gibt es teilweise wirklich spannende moderne Operninszenierungen, die einem guten Musical ähneln.
Würdest du Anya nochmal spielen, oder hat sich „Anastasia„ für dich persönlich auserzählt?
Ich würde die Rolle jederzeit wieder spielen. Ich fände es sogar richtig spannend zu schauen, ob ich die Rolle jetzt etwas anders anlegen und singen würde. Sicherlich wäre meine aktuelle Anya etwas anders. Das ist eine spannende Vorstellung, oder?!
Mit Milan Van Waardenburg hat sich in der Zeit eine innige Freundschaft entwickelt. Wie habt ihr euch kennen gelernt?
Wir haben uns vor unserem Probenbeginn bei „Anastasia“ kennen und lieben gelernt. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als es feststand, dass wir beide Anya und Dimitri sind und noch heute haben wir einen Screenshot von seiner Nachricht: „We will be a couple„ – und wir wurden nicht nur ein Bühnenpaar, sondern auch beste Freunde! Als Zeugnis unserer innigen Freundschaft haben wir mit dem Wiener Produzenten HitSquad Records in einem wunderschönen Studio – während Corona – unser gemeinsames Cover-Album „With Love“ aufgenommen, auf das wir wahnsinnig stolz sind!
Was verbindet euch beide bis heute so stark?
Milan und ich haben uns sehr schnell, auch ohne Worte, verstanden. Das war eine ganz bestimmte Chemie zwischen uns, die einfach gestimmt hat. Wir waren ab Tag 1 füreinander da und haben gemeinsam diese wahnsinnig aufregende Zeit, die nicht immer nur glamourös und einfach war, durchgestanden. So eine Zeit vergisst man nicht und diese tiefe Liebe ist bis heute füreinander da. Mittlerweile sind wir wie Geschwister miteinander, die sich zwar nicht immer sehen können, aber immer miteinander verbunden sind und ihre Geschichte immer miteinander teilen werden. Darauf sind wir beide unglaublich stolz und hoffen, dass wir auch bald mal wieder zusammen arbeiten können. Das steht definitiv noch auf unserer Liste.
In einer ganz außergewöhnlichen Produktion warst du als Gina und Walk-In-Cover Indigo zu sehen – „Paramour„ in Hamburg. Magst du deine Erinnerungen an diese Zeit mit uns teilen?
Dieses Engagement war für viele Menschen sehr überraschend, dass es so schnell nach „Anastasia“ für mich weiterging und dann auch noch eine Walk-In Position mit zwei unterschiedlichen Rollen war. Ich hatte einfach große Lust, direkt wieder für Stage Entertainment zu arbeiten und das Projekt schien mir aufgrund der anspruchsvollen Akrobatik verbunden mit Musical sehr einzigartig. Als ich direkt zu Beginn meine erste Probe als Gina hatte, die eine Art Showgirl repräsentiert und in vielen schwierigen Shownummern mittanzen musste, habe ich anschließend in meiner Garderobe erst einmal vor lauter Überforderung geweint und alles sehr in Frage gestellt. Ich hatte durch meine Opernausbildung ja keine wirkliche Tanzerfahrung. Aber der Vertrag war unterschrieben und mit dem großen Vertrauen des Teams lernte ich innerhalb von 3 Wochen die vielen Tanzschritte, wie man schnelle Pirouetten dreht und hatte auf einmal richtig Spaß daran! Indigo war eine tolle Rolle, sie musste Gott sei Dank nicht so viele Pirouetten drehen [lacht] – sondern ist sogar einige Male geflogen – ich habe es geliebt!
In einer sehr besonderen Inszenierung vom Publikumsliebling „Next to Normal„ warst du als Natalie zu sehen. Eine Rolle, die im Gegensatz zu Anya und Indigo wenig Glamour versprüht und eine offensichtlich tieftraurige Geschichte zu erzählen hat. Was ist für dich die Relevanz des Stücks „Next to Normal“ und deiner Rolle dort?
„Next to Normal“ erzählt sehr offen und ehrlich über psychische Erkrankungen und eine dysfunktionale Familie. Jeder Mensch findet sich in einem bestimmten Punkt der Geschichte oder in einer Figur oder mehreren wieder. Das ist eine riesige Stärke des Musicals. Oft ging das Publikum unbefangen und uninformiert in das Stück hinein und kam emotional komplett aufgewühlt wieder aus dem Saal. Ich hatte oft das Gefühl, dass wir als Familie gemeinsam mit dem Publikum durch den Schmerz der Goodmans gegangen sind.
Tatsächlich hat mich auch keine andere Produktion psychisch so sehr mitgenommen, wie „Next to Normal“. Da tat es am Ende immer richtig gut, dass es wenigstens für Natalie und Henry ein Happy End gab und der Endsong „Licht“ strahlte umso mehr, nach all diesen Schicksalsschlägen, die in der Show so offen und hemmungslos angesprochen wurden. Diese Art von Theater ist unglaublich wichtig für mich. Denn auch privat bin ich eine Person, die Dinge und Emotionen direkt ansprechen muss. Gefühle herunterzuschlucken, oder Konflikte glatt zu bügeln ist meiner Ansicht nach das Schlechteste was wir im Leben für unsere Psyche tun können. Deshalb finde ich „Next to Normal“ auch so relevant!
Was war für dich dein „Next to Normal„–Highlight?
Wir waren eine sehr tolle Gruppe von Menschen, die durch die Intensität nochmal sehr stark zusammen gewachsen ist. Wir haben während der Proben und der Vorstellungen so viel miteinander geweint, aber auch wahnsinnig viel gelacht und von uns privat geteilt. Ich nenne meine Kollegin Aisata, die neben mir in Stuttgart als ‚Tina‘ auf der Bühne steht, manchmal noch immer ‚meine Mama Goodman’“. Mit einem Großteil des Kreativteams habe ich vor 13 Jahren mein erstes Musical „Spring Awakening“ gemacht und wir sind seitdem eine große vertraute Theaterfamilie. Das ist natürlich auch eine ganz besondere Situation gewesen, mit Menschen zusammen zu arbeiten, denen ich blind vertraue. Wir saßen oft morgens alle zusammen am Frühstückstisch und haben gemeinsam über weitere Ideen für unsere Rollen und die Inszenierungen geredet, das kenne ich sonst nicht so sehr.
Als nächstes ging es wieder nach Hamburg, dieses Mal zur Neuinszenierung von „Wicked“ als alternierende Glinda. Da es ja keine Replikation des Originals war: Gab es Freiheiten, die du in der Rollengestaltung hattest? Welche?
Durch unsere Company-Leitung wurde mir als auch als Alternate Glinda extrem viel Freiheit gelassen. Insbesondere, als es um die Slapstick Comedy der Rolle ging, durften wir unseren eigenen Impulsen trauen. Die damalige First Cast Glinda Jeannine Michèle Wacker hat mich immer so sehr mit ihren Jokes zum Lachen gebracht, aber trotzdem musste ich schauen, was für mich und meine Persönlichkeit auf der Bühne Sinn macht.
Auf was hast du bei der ikonischen Glinda am meisten Wert gelegt?
Zu Beginn der Proben habe ich mich oft gefragt, warum Glinda wohl so selbstverliebt und egozentrisch zu Beginn der Geschichte ist. Ich habe mir dabei vorgestellt, dass sie vielleicht in einem dysfunktionalem Elternhaus aufgewachsen ist, in dem sie nur Liebe durch Erfolg und Leistung erhalten hat. Denn im Laufe des Stückes zeigt sich ja immer mehr, dass die Oberflächlichkeit eigentlich nur der Schutzmantel von Glinda ist. Darunter versteckt sich eine ganz verletzte Seele und ein riesiges Herz. Diese Seite von Glinda wollte ich auf jeden Fall in die Inszenierung einfließen lassen und in dem Musical für mich herausarbeiten.
Wie viel ‚Judith‘ steckt in Glinda? Und welche Aspekte sind das?
Die emotionale und gefühlvolle Seite von Glinda finde ich sehr stark in mir wieder. Aber auch die perfektionistische Art von Glinda kenne ich sehr gut bei mir. Während des Songs „Thank Goodness/Wie herrlich“ habe ich mich immer sehr in den Zeilen wiedergefunden, wie sie sich selbst eingestehen muss, dass der eigene Wunsch nicht immer Realität wird, aber sich wegen ihrer repräsentativen Position trotzdem zusammenreißen muss. Das ist eine sehr tragische Situation, die ich aber auch schon oft hinter mir hatte. Vor wenigen Wochen ist beispielsweise meine Oma verstorben. Während sie im Sterben lag und am Abend ihres Todes musste ich auf die Bühne, da es keinen Ersatz gab und ich natürlich das Beste daraus machen musste. Das gehört oft zu unserem Job dazu – trotz Trauer oder privater Probleme abends auf der Bühne zu strahlen und professionell zu sein. Oft lenkt es aber auch von akuten Problemen ab und ich kann mich und meine Sorgen dann für einige Stunden vergessen!
Was an Glinda ist überhaupt nicht ‚Judith‘?
Definitiv die zu Anfang sehr egozentrische und übertrieben selbstbewusste Art. Ich mag es privat nicht so gerne im Mittelpunkt einer Gruppe zu stehen. Dafür habe ich ja meinen Job, das reicht mir!
Zuletzt warst du als Traute in „Scholl – Die Knospe der weißen Rose“ zu sehen. Das war musikalisch ein richtiges Brett, oder? Würdest du sagen, dass es vielleicht das bisher anspruchsvollste Stück für dich war?
Thematisch war dieses Stück extrem anspruchsvoll und wir haben uns als Gruppe sehr intensiv inhaltlich auf dieses Projekt vorbereitet. Da es in meiner Familie jüdische Wurzeln gibt und ich in Deutschland aufgewachsen bin, ist mir der Holocaust und der Widerstand gegen das NS-Regime sehr präsent und auch Teil meiner eigenen Geschichte. So konkret und direkt diese Thematik in einem Musical anzusprechen war wirklich eine Wucht, aber ich bin wahnsinnig stolz darauf. Sängerisch durfte ich noch einmal ein etwas rockigeres Timbre in meinen Songs zeigen, das war eine spannende Herausforderung und lag aber wirklich angenehm in meiner Stimme. Von daher würde ich sagen, dass das Projekt inhaltlich sehr anspruchsvoll war, der Abend war intensiv, aber nicht zu anstrengend.
Thomas Borchert hat uns im Interview verraten, dass die DarstellerInnen handverlesen wurden. Wie bist du zu dem Projekt dazu gestoßen und wie hast du die Probenzeit in Erinnerung?
Die ganze Cast hat bei einer Audition vorgesungen. Das denken viele Menschen oft nicht, aber auch ich und andere bekannte KollegInnen müssen für jeden Job vorsingen. Auch wir fangen oft immer wieder bei null an und stellen uns Kreativteams ganz neu vor. So war das auch bei Thomas Borchert und Titus Hoffmann. Ich hatte aber schon bei der Audition das Gefühl, dass die Beiden ein gutes Gefühl mit mir hatten und wir gut miteinander arbeiten konnten. Während der Proben haben wir dann alle sehr viel miteinander geredet und ausprobiert, es war ja eine Uraufführung, für die wir die Szenen alle komplett neu miteinander entwickeln konnten. Titus und Thomas waren extrem offen und interessiert, dass Traute eine eigenständige und starke Frauenfigur wird. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Schauen wir momentan in die Nachrichten und berücksichtigen den aktuellen Anstieg rechtsextremer Parteien in ganz Europa, ist dieses Musical leider wieder aktueller denn je. Deshalb bin ich aber auch sehr stolz darauf, dass wir mit diesem Musical eine klare politische Haltung für den Kampf gegen rechts einnehmen.
Wie sah deine Recherche für dieses auf historischen Figuren und Geschehnissen beruhende Musical aus?
Ich habe viel über meinen Charakter der Traute Lafrenz recherchiert. Tatsächlich kannte ich sie vor dem Projekt noch gar nicht und war überrascht, wie nah sie den Geschwistern Scholl eigentlich war. Sie hat nach dem Tod von Sophie und Hans sogar die Leichname aufgekauft und beerdigt. Als sie dann im höheren Alter erstmals wieder über diese Zeit sprach, hat sie viel dazu beigetragen über das NS-Regime zu berichten und ist somit noch immer eine wichtige Person für die Aufarbeitung dieser dunklen Zeit in Deutschland. Deshalb ist auch sie für mich eine wichtige Widerstandskämpferin, was mir vor meiner Recherche noch nicht richtig bewusst war.
Wenn du „Scholl“ mit fünf Adjektiven beschreiben würdest, welche wären das?
Ehrlich, aktuell, schonungslos, diffus, mutig.
Nun bist du Jane Porter in „Disney’s Tarzan„. Dafür ging es wieder nach Stuttgart zurück. Was gefällt dir an der Stadt? Was hat sie, was zum Beispiel Hamburg nicht hat?
Stuttgart hat wesentlich besseres Wetter als Hamburg. Das tut der Seele ganz gut, denn der Dauerregen in Hamburg kann manchmal wirklich anstrengend sein. Außerdem erinnern mich Teile von Stuttgart an Paris. Auch hier gibt es wunderschöne Altbauten, Treppen, die durch die Berge der Stadt führen und charmante Cafés, fast so wie in Montmartre. Dadurch muss ich sagen, dass ich mich gerade ganz neu in Stuttgart verliebe.
Neben dem Offensichtlichen wie dem Textlernen – auf was musstest du dich für Jane besonders vorbereiten? Was ist komplett neu für dich?
Das viele Fliegen ist ein großer Unterschied, das merke ich natürlich körperlich und muss mich fit halten. Durch die Flüge und die komplexen technischen Abläufe, die damit einhergehen, muss ich in jeder Sekunde gedanklich bei der Show und im Moment sein, denn sonst könnte es passieren, dass der Flug nicht richtig funktioniert, oder es einen Showstop gibt. Das ist dieses Mal sehr besonders und fordert fast noch mehr Konzentration als sonst. Jane hat zwei tolle Songs und viele lustige, aber auch berührende Szenen, in denen sie stets die Energie in der Geschichte und der Show antreibt, das ist ähnlich zu den anderen Rollen die ich bisher schon spielen durfte und bringt immer eine große Verantwortung mit sich. Als eine der Hauptrollen eines Musicals fühlst du dich oft dafür zuständig, ob es am Ende des Abends eine gute Show war. Das ist natürlich Quatsch, da ja das ganze Ensemble nur zusammen strahlen kann und für Begeisterung im Publikum sorgt. Aber deshalb: Falls ihr als Publikum uns eine riesige Freude machen wollt, feiert die Show und den Abend, zeigt uns dass ihr zuhört und energetisch dabei seid. Das hilft uns immer sehr!
Was gibst du von Judith in Jane herein? Ist diese Figur dir selbst nahe?
Es gibt einige Momente und Charaktereigenschaften von Jane, die auch auf mich zutreffen. So ist es zum Beispiel die große Neugier auf unbekannte Dinge. Ich liebe es, Dinge auszuprobieren, spontane Abenteuer und habe wie Jane eine große Entschlossenheit, Dinge durchzuziehen. Jane steht für Ihre eigenen Standpunkte, ist allein verantwortlich für ihre Expedition und lässt sich nicht unterkriegen. Das fasziniert mich an Jane und diese Charakterzüge möchte ich auf die Bühne bringen. Wie bei Anastasia, Maria, Natalie, aber auch Glinda: Am Ende folgt sie ihrer Intuition und ihrem Herz, ohne sich selbst dabei für die Liebe zu verlieren.
Disney-Fans streiten gerne darüber: Würdest du sagen, Jane ist eine Disney-Prinzessin?
Jane ist für mich keine typische Disney-Prinzessin und viel schöner würde ich es finden, wenn wir endlich, wie bei den Männern, von Disney-Heldinnen sprechen. Denn dann gäbe es diesen großen Diskurs nicht mehr und wir würden diese fiktiven starken Frauen richtig benennen, nämlich als Heldinnen.
Wie verbringst du deine Freizeit am liebsten? Was sind deine Hobbys?
Ich liebe die Natur und gehe gerne spazieren. Da kommt es oft vor, dass ich gerne mal den ganzen Tag durch Stuttgart laufe. Es macht den Kopf frei, ich entdecke neue schöne Orte und bin an der frischen Luft. Das tut mir wahnsinnig gut. Außerdem liebe ich es in meinem Schwedenhaus zu arbeiten. Da es ein sehr altes Haus ist, gibt es dort immer etwas zu reparieren, oder zu bauen. Dieses Jahr ist der Garten dran und ich kann es kaum erwarten schöne neue Blumen und vielleicht sogar einen kleinen Apfelbaum zu pflanzen. Diese Arbeit fernab erdet mich sehr und ist der perfekte Ausgleich für das aufregende schnelle Showleben.
Du verreist gerne, wie man als Fan auf deinem Instagram-Kanal mitbekommt. Zwei Orte suchst du wiederholt auf: Paris und Skandinavien, beiden Orten hast du neulich ein wunderbares Konzert in Hamburg gewidmet. Was machen diese Orte für dich aus?
Paris ist meine absolute Traumstadt. Sobald ich an diesem Ort bin, habe ich das Gefühl dorthin zu gehören, oder als hätte ich in einem früheren Leben mal dort gelebt. Die Kultur, die Menschen, die Sprache – Paris ist der perfekte Ort für mich und ich würde dort sehr gerne mal für eine bestimmte Zeit arbeiten! Nun habe ich ja schon viel über meinen zweiten Sehnsuchtsort, Schweden, erzählt. Dort habe ich mit meinem Freund durch eine sehr spontane Aktion ein Haus in den schwedischen Wäldern gekauft. Dieses Haus und die Umgebung ist für mich mein Zufluchtsort und hat so etwas Heilendes. Darüber bin ich unfassbar dankbar, dass wir solch einen besonderen Ort für uns gefunden haben.
In früheren Interviews hast du öfter die Themen Selbstzweifel und Unsicherheiten angesprochen. Sind das Themen, die dich noch immer beschäftigen – oder wie ist dein Mindset mittlerweile? Falls sich etwas verändert hat: Wie hast du das erreicht?
Ich würde mein Mindset als gesund und mittlerweile sehr gestärkt betrachten. Das war schon immer so, da ich auch in der Vergangenheit, wie beispielsweise bei meiner „Anastasia„– Audition, all meinen Mut zusammen genommen habe und Dinge einfach ausprobiert habe. Es ist unfassbar wichtig für mich, offen damit umzugehen, dass ich Selbstzweifel und Unsicherheiten fühle. So wie jeder Mensch in jedem anderen Beruf auch. Jeden Tag. Durch Instagram wird uns oft fälschlich gezeigt, dass das Leben im Showbusiness eine große glamouröse Party sei, aber das ist nur die Oberfläche. Hinter dieser Oberfläche sind wir alle unsicher und verletzlich. In jeder Karriere gibt es einmal den Punkt, an dem vielleicht nicht die richtigen Jobangebote kommen. So geht es uns allen. Und davon werde ich nicht müde zu erzählen, damit wir uns gegenseitig mit dieser Ehrlichkeit die Angst nehmen und unterstützen können.
Hast du Tipps für Leute, die zu diesen Gefühlen neigen?
Zunächst einmal: Lasst diese Gefühle zu! Selbstzweifel und Unsicherheit empfinden ist ganz normal. Nach dieser Akzeptanz ist es dann wichtig zu erforschen, woher diese Unsicherheit kommt. Kann ich mir selbst nicht vertrauen? Bin ich eventuell in einem Umfeld aufgewachsen, in dem ich ständig Leistung erbringen musste und mache mir deswegen selbst zu viel Druck? Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit mir und meiner Psyche beschäftigt. Nach meinem Abenteuer mit „Anastasia“ und meiner ganz plötzlichen Bekanntheit durch diese Rolle, musste ich vieles danach für mich sortieren und aufräumen. Das hat dazu geführt, dass ich in den letzten Jahren viel reflektieren konnte, was ich in meinem Leben möchte und was eben nicht. Doch dieses Reflektieren ist meiner Meinung nach ein Leben lang nötig. So wie ich beispielsweise meine Stimme und meinen Körper fit halte. Genauso wichtig ist es, dass ich an meinem Geist und meiner Psyche arbeite.
Liebe Judith, wir danken dir ganz herzlich für deine Offenheit und deine inspirierenden, persönlichen Antworten. Wir denken, unsere LeserInnen konnten durch dieses Interview noch mehr von dir als Person und Künstlerin erfahren und finden dich hoffentlich genauso sympathisch wie wir! Für deine Reise als Jane in „Tarzan“ und darüber hinaus wünschen wir dir ganz viel Erfolg und bleiben sehr gerne mit dir in Verbindung!
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