Kerstin Ibald © Andrea Peller
Kerstin Ibald © Andrea Peller

"In meinem Herzen kennt Musik keine Grenzen, Schubladen oder Vorurteile" - Kerstin Ibald im Interview

Mit bestimmender Bühnenpräsenz und einer unverkennbaren Stimmfarbe ist Kerstin Ibald seit bald 25 Jahren von den deutschsprachigen Musicalbühnen kaum mehr wegzudenken. Viele ihrer Fans beklagen sich etwas, dass die beliebte Darstellerin sich nicht so umfänglich online präsentiere wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Wir haben das zum Anlass genommen, Kerstin zu einigen Stationen ihrer Karriere, ihren Rollen und ihrer Kunst zu befragen. Inwiefern Musik ihr seit Generationen im Blut mitschwingt, haben wir neben weiteren interessanten Details von ihr erfahren…

Du hast bereits mit fünf Jahren das Klavierspiel begonnen und mit 13 kam es zum Gesangsunterricht. Das ist wirklich früh – warst du besonders begabt und schon damals für die Bühne prädestiniert, oder hat dich dein Umfeld in diese Richtung gelenkt?

Wie so oft im Leben: die Mischung macht’s! Ich komme aus einer, seit vielen Generationen, sehr musikalischen Familie. Dadurch habe ich sicher ein paar brauchbare Gene abbekommen, als auch das Selbstverständnis, dass Musik Teil des Lebens ist, und zwar ein großer. Meine Mutter singt auch mit über 80 Jahren noch in zwei Chören, mein Vater war nebenberuflich Chorleiter und Organist in unserer Gemeinde, meine älteren Geschwister habe alle unterschiedliche Instrumente gespielt und zum Teil auch gesungen, man kam der Musik einfach nicht davon, und ich wollte es auch nie. Gut, das ÜBEN, vor allem am Klavier, hat natürlich spätestens in der Pubertät wahnsinnig genervt, alles andere wäre wahrscheinlich auch seltsam.

Meine Motivation an diesem Instrument Profi zu werden wurde von meiner Begeisterung zum Singen abgelöst. Vor allem das Singen mit Anderen zusammen – ich habe ja viele Jahre auf hohem Niveau im Chor gesungen – hatte es mir angetan.  Mir fehlte definitiv der Ehrgeiz an einem Soloinstrument durch stundenlanges Üben besser und besser zu werden, dafür hat es mich von ganz alleine wahnsinnig beflügelt, mit anderen gemeinsam Teil eines Klanges zu werden. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich an den Moment denke, in dem ich zum ersten Mal mit anderen Chorsängern zusammen einen Akkord gesungen habe. Ein schlichter, vierstimmiger Akkord, aber in diesem Moment wusste ich, DAS macht mich glücklich.

Kerstin Ibald in „Rebecca“ © Andreas Lander

Ich würde mal behaupten, dein großer Musical-Durchbruch war mit der Rolle der Esterhazy in „Elisabeth„. Siehst du das auch so, oder würdest du eine andere Station als Durchbruch benennen?

Die Gräfin Esterhazy 2003 am Theater an der Wien war sicher insofern ein erster Durchbruch, als dass ich in dieser Rolle zum ersten Mal für ein größeres Musical-Publikum sichtbar wurde. Wenn ich länger darüber nachdenke, gibt es aber sicher mehrere Durchbrüche, die einfach andere Abschnitte in meiner Karriere bezeichnen.

Mit der Beatrice in „Rebecca“ durfte ich einen Charakter in einer Uraufführung von der Sohle bis zum Scheitel mit entwickeln. Das ist nochmal eine andere Herausforderung als eine Rolle zu spielen, für die es schon Orientierungspunkte gibt. Ich betone: anders, nicht besser oder schlechter!

Ich würde meine Karriere eher als eine Aneinanderreihung von aufeinander aufbauenden Durchbrüchen bezeichnen, aber völlig zu Recht hat ein Publikum da natürlich eine andere Perspektive, und das ist ja auch gut so. 

Du bist schon sehr früh in deiner Karriere in ein Rollenfach gekommen, das man vielleicht mit Adjektiven wie „autoritär“ oder „mütterlich„, oftmals auch „adelig“ beschreiben könnte. Was, denkst du, ist dafür die Begründung?

Ich bin 183cm groß, habe einen sehr geraden Rücken, was mich sehr aufrecht wirken lässt, und eine tiefe, eher sonore Frauenstimme. Für nichts davon kann ich etwas, aber ich hatte das Glück in meinen frühen Jahren bei den VBW, dass man mich Rollen spielen ließ, für die ich eigentlich noch zu jung war. Aber Menschen wie Michael Pinkerton, Caspar Richter, Michael Kunze, Sylvester Levay, Harry Kupfer oder Francesca Zambello haben dieses Potenzial offenbar schon gesehen, und den Mut gehabt mich für dieses Rollenfach zu besetzen. Sie alle haben mich langsam aufgebaut, mir Jahr für Jahr mehr zugetraut und beigebracht, und ich bin jeden Tag dankbar, dass sie diesen Weg mit mir gegangen sind. Ohne diese Menschen und ihre mutigen Entscheidungen wäre ich heute nicht da wo ich jetzt bin, nämlich seit fast 25 Jahren aufrichtig glücklich in diesem Beruf.

Kerstin Ibald in „Next To Normal“ © Annemone Taake

In deiner Vita kommen etliche Blaublüter vor. Du warst schon Herzogin, Erzherzogin, Kaiserinmutter, Gräfin und Baroness. Welche Rolle war deine liebste Adelige und warum?

Ad hoc kann ich gar nicht entscheiden welche mir die Liebste war, aber es gibt eine Rolle die ich in meiner Ausbildung am Konservatorium (heute MUK) gespielt habe, und die ich gerne irgendwann nochmal spielen würde: Die Herzogin von Dene in „Me and my Girl“! Bis dahin dürfen aber noch locker 20 Jahre ins Land ziehen.

Bist du gerne in der Rolle der „liebenden Frau“ unterwegs –  wie als Beatrice, Ida Strauss, Kat Ashley oder aktuell als Vi Moore? Was geben dir diese Figuren und wie viel Kerstin steckt in ihnen?

Ich komme aus einer großen, sehr liebevollen und herzlichen Familie, und all die oben genannten Frauen haben durchaus gewisse Vorbilder innerhalb dieser Familie, und somit sicher auch von ein bisschen etwas von mir. Aber letztlich ist jede Rolle in dem ein oder anderen Mischverhältnis immer eine Art Mosaik, das sich vielleicht aus eigenen Erfahrungen, und der Beschäftigung mit allem was menschlich ist, zusammensetzt.

Du hast bereits 2004 bei Footloose mitgespielt. Wie hat sich deine Vi verändert?

Sie hat 20 Jahre Leben erlebt, mit Höhen und Tiefen, 20 Jahre mehr Bühnenerfahrung.

Es ist ein bisschen so, als ob man eine Palette mit Farben zur Verfügung hat, und mit den Jahren lernt man mit jedem Versuch, mit jedem Projekt, neue Farben zu kreieren. Dazu muss man viel ausprobieren, viel scheitern, und viel daraus lernen. Das Bild von vor 20 Jahren hat zwar dasselbe Motiv, aber das Bild von heute kann es mit mehr Farben und Nuancen erzählen.

Kim Duddy gehört in diesem Zusammenhang übrigens auch zu den Mutigen, die mir dieses Rollenfach schon vor 20 Jahren anvertraut haben, obwohl meine Bühnentochter nur 2 Jahre älter war als ich. Auch ihr bin ich bis heute wahnsinnig dankbar für diese Chance!

Kerstin Ibald in „Lächeln einer Sommernacht“ © Christian Husar

Wie würdest du das Zusammenspiel mit dem sehr jungen Ensemble beschreiben? Stechen du und Ethan da heraus?

Das müsste man das Publikum fragen, ich kann aber von meiner Wahrnehmung nur sagen, dass ich von sehr vielen dieser jungen, tollen Kolleg*innen sehr begeistert und inspiriert bin. Da ist so viel Kraft, und Energie, Humor und Talent, und ich habe sehr viel Freude mit ihnen zu arbeiten. Mit Ethan arbeiten zu dürfen ist zweifelsohne etwas sehr Besonderes. Wir haben schnell eine gemeinsame Ebene miteinander zu arbeiten gefunden, und die Art und Weise wie auch er sich auf die Emotionen dieser Rolle, auf diese Berg- und Talfahrt einlassen kann, jeden Abend auf’s Neue, macht es mir sehr einfach meine Vi aus vollstem Herzen agieren zu lassen. Herausstechen wollen wir gar nicht, darum geht es nicht, wenn man mit 16 Menschen auf der Bühne eine Geschichte erzählt. Wir wollen mit allen an einem Strang ziehen, einfach diesem Gemälde „Footloose“ ein paar schöne zusätzliche Farben verleihen.

Gefällt dir das Tourleben – oder ist en suite eher „dein Ding„?

Irgendwas dazwischen wahrscheinlich. Ich glaube, Tour ist für niemanden auf Dauer wirklich lustig, aber für eine gewisse Zeit kann man das ganz gut aushalten. En suite hab ich ja schon seit über 10 Jahren nicht mehr gemacht, konnte ich aber auch grundsätzlich ganz gut. Es hat den Vorteil, dass man endlich mal länger an einem Ort ist. In den letzten Jahren war ich viel als Gastkünstlerin in verschiedenen Theatern angestellt, das ist dann die Mischung. Man ist wenigstens für einige Wochen an einem Ort, und hat auch die Chance die Stadt und die Umgebung etwas kennenzulernen, bevor man weiterzieht. Jedes der Systeme hat Vor- und Nachteile, und ich kann mich zum Glück immer ganz gut an die jeweilige Situation anpassen.

Kerstin Ibald mit Martin Berger in „Titanic“ © Lutz Edelhoff

Nur eines ist und bleibt nervig…..Koffer packen!!!

Eine Paraderolle von dir ist mittlerweile auch „Mrs. Danvers„. Hat diese Rolle etwas mit der echten Kerstin gemeinsam?

Ein klares Nein! [lächelt]

„Figuren vor dem Abgrund“ sind in deiner Vita auch öfters anzutreffen. Neben Mrs. Danvers auch Figuren wie Ida Strauss oder Diana in „Next to Normal“ – sind solche Charaktere für dich besonders reizvoll? Besteht nicht vielleicht doch die Gefahr, dass etwas auf Kerstin abfärbt?

Diese Rollen sind absolut reizvoll, aber die Gefahr dass etwas abfärbt besteht, jedenfalls bei mir, zum Glück nicht. Ich habe glücklicherweise früh gelernt, eine Figur auch die Figur sein zu lassen. Wenn ich die Bühne verlasse, also auch den Raum, in dem die Figur ihre Welt hat, dann bleibt die Figur dort, und Kerstin geht mit ihrem Rucksack oder ihrer Tasche wieder aus dem Theater raus.

Manche Rollen sind natürlich körperlich erschöpfender als andere. Große Emotionen sind extrem fordernd, weil der Körper oft nicht unterscheiden kann, ob die Wut, Trauer oder Aggression gespielt oder echt ist, aber auch hier bin ich froh, dass ich zwar die Müdigkeit mit nach Hause nehme, aber nicht den übertragenen Kloß im Hals oder den Stein auf der Brust.

Konkret zu Ida Strauss: Wie war es, allabendlich das vorbestimmte Schicksal dieser historischen Figur auszuspielen? Gibt es da bestimmte Gedanken, die durch deinen Kopf gehen, wenn du diese Figur spielst?

Wenn ich historische Figuren spiele, hab ich immer besonders großen Respekt. Diese Menschen hat es nunmal gegeben, und sie haben ganz offensichtlich einen Fußabdruck in dieser Welt hinterlassen. Dem muss man erstmal gerecht werden. Ida Straus war in erster Linie eine gebildete, kluge, bescheidene, aufrechte, starke und sehr liebevolle Frau. Das war meine Grundlage diese Rolle zu spielen. Ida und Isidor Straus waren die einzigen Menschen auf diesem Schiff, die ihr Schicksal selbstbestimmt entschieden haben. Tatsächlich habe ich mich jeden Abend gefragt, ob ich auch diese Kraft gehabt hätte. Ich weiß es bis heute nicht.

Viele deiner Stücke haben eine schwere, gar düstere Thematik, aber eben auch nicht alle. Was war bisher die lustigste Rolle deiner Karriere?

Renate Reller Rochen, die böse Stiefmutter, in „Cindy Reller“ am Schmidt Theater. Das macht einen so unverschämten Spaß, dass ich in regelmäßigen Abständen kleine Stoßgebete ins Universum schicke, dass dieses Stück mal wieder auf den Spielplan kommt.

Mit 1,83m bist du natürlich größer als viele deiner Kolleginnen. Ist das mehr Segen oder mehr Fluch für dich gewesen in deiner bisherigen Karriere in Bezug auf Rollenfindung und Typecasting?

Dank der bereits erwähnten, mutigen Menschen am Beginn meines Arbeitlebens, hält es sich zum Glück die Waage. Natürlich sind mir dadurch Rollen durch die Lappen gegangen, vor allem in meinen jüngeren Jahren kam ich für Vieles nicht in Frage. Dafür wusste ich immer, dass ich keine Angst vor dem Altwerden haben muss, und das ist der größte Segen überhaupt in diesem Metier.

Kerstin Ibald in „Honk!“ © Rita Newman

Wenn du träumen könntest und gar keine Typecasting- und auch keine Geschlechtergrenzen mehr in der Musicalwelt existieren würden: Welche Rolle hat dich immer schon gereizt? Gibt es Rollen, bei denen du dir denkst „Würde ich gerne, wenn es nur ginge„?

Der Tod in „Elisabeth“.

Was machst du, wenn du gerade nicht auf der Bühne stehst oder für ein Engagement unterwegs bist?

Ich genieße es zuhause zu sein, meine Familie sehen zu können. Wenn Pferde in der Nähe sind, verbringe ich sehr gerne Zeit auf einem Pferderücken, und wenn es richtig gut läuft, nehme ich wieder Tango-Unterricht und traue mich vielleicht sogar auf die ein oder andere Milonga!

Viele deiner Fans fragen sich: Warum hat Kerstin kein Instagram? Keine Lust, keine Zeit oder sogar Gegnerin von Social Media? Oder kommt es vielleicht doch noch?

Ich bin schlicht unglaublich Social-Media-faul. Ich schreibe schon auf meiner Facebook-Seite so gut wie nie etwas. Wenn ich jetzt noch Instagram hätte, wären es zwei völlig vernachlässigte Kanäle. Warum es so gekommen ist, weiß ich nicht. Ich bin keinesfalls eine Gegnerin, ich bin nur oft irre spät mit all diesen Dingen. Wahrscheinlich werde ich mich früher oder später diesem Trend ergeben müssen, aber eines kann ich sagen, tägliche Updates und Backstage-Stories wird es von mir definitv nie geben! Mein Privatleben darf gerne privat bleiben.

Gibt es eine Rolle, die für dich „auserzählt“ ist und zu der du nicht mehr unbedingt zurückkehren möchtest – und umgekehrt, gibt es eine Figur, die du unbedingt nochmal „erzählen“ möchtest?

Keine Rolle ist jemals auserzählt, und mit keiner Rolle wäre ich jemals fertig. Es gibt aber tatsächlich Rollen, denen man mit einer anderen Dringlichkeit nochmal begenen möchte.

Bei mir ist es definitiv die Diana in „Next to normal“. Ich hatte in Coburg leider keinen wirklichen Abschied von dieser Figur. Aufgrund gesundheitlicher Umstände – nicht meinerseits, keine Sorge – konnten die letzten Vorstellungen nicht mehr stattfinden. Plötzlich hatten wir die letzte Vorstellung schon hinter uns, ohne es zu wissen. Das war keine schöne Situation.

Welche historische Persönlichkeit(en) würdest du gerne mal kennenlernen, wenn du eine Zeitkapsel hättest?

Keine historische Persönlichkeit in diesem Sinne, aber ich würde sehr gerne unter anderem meinem Ur-Urgroßvater mütterlicherseits begegnen, er war Komponist. Nur ein paar wenige Kompositionen hat vor allem mein Bruder aus Archiven ausgegraben, innerhalb der Familie gab es leider keine Unterlagen mehr. Meinen Wurzeln zu begegnen, das fände ich spannend. Quasi meinem Stammbaum entlang so weit wie möglich zurück reisen.

Gibt es Musikgenres, die du überhaupt nicht magst? Welche? Und was ist dir, sofern man es als Genre bezeichnen kann, neben „Musical“ noch ein Musikgenre, das dir am Herzen liegt?

Mit Techno und Metal werde ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr warm. Wenn ein Lied nur aus 3 Akkorden besteht, verliere ich auch schnell die Lust. Wenn der Text nix kann, ebenso.

Darüber hinaus bin ich ein sehr bunter Hund was Musik angeht. Ich liebe Klassik, Jazz, Chanson, Musikkabarett, Pop, Latin, Tango und alles dazwischen. In meiner Musikbibliothek finden sich das Brahms Requiem neben Billy Joel, Bryn Terfel und Bodo Wartke, und hier sind wir erst bei „B“. [lächelt] Weiter hinten im Alphabet ist dann noch das unglaubliche Janoska Ensemble, das gnadenlos auf allerhöchstem Niveau alles, was wir brav in Stilrichtungen eingeteilt und in Schubladen gesteckt haben, wieder herausnimmt, durcheinanderwirbelt, miteinander verbindet und auf einem Level erstrahlen lässt, das mir persönlich neue Welten eröffnet hat.

Kerstin Ibald in „Footloose“ © Silke Thelen

In meinem Herzen kennt Musik keine Grenzen, keine Schubladen, keine Vorurteile. Sie lässt etwas in mir schwingen, oder nicht. Und dabei ist mir völlig egal, wie andere es titulieren oder einordnen würden. Genauso empfinde ich übrigens Menschen. 

Das war ein sehr inspirierendes Schlusswort für unser Interview. Liebe Kerstin! Vielen Dank für das ausführliche und offene Gespräch. Wir hoffen, dass deine Fans noch das eine oder andere Detail über dich mitnehmen konnten – und vor allem freuen wir uns, dich demnächst wieder auf den Brettern der Welt zu sehen und zu hören!

 
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