Das Berliner Schlossparktheater verliert seinen Intendanten. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Stage Entertainment das Genre Musical de facto aufgegeben hat.
Mit der letzten „Non(n)sens“-Vorstellung am Sonntagabend hat Intendant Andreas Gergen seinen Abschied genommen: Der Off-Musical-Macher, Jahrgang 1973, verlässt das Schlossparktheater. Das ist mehr als eine Personalie. Es ist das Scheitern eines Projekts. Und es ist ein weiterer Beleg dafür, dass vom Marktführer Stage Entertainment derzeit keinerlei Impulse für das Genre Musical in Deutschland zu erwarten sind.
Mit dem Anspruch, eine Off-Musical-Szene in Deutschland zu etablieren, hatten Gergen und die Stage Holding (inzwischen in Stage Entertainment umbenannt) das leerstehende Haus in Berlin-Steglitz im Jahr 2004 übernommen. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung der schrägen Off-Broadway-Show „Urinetown“ setzten sie eine künstlerische Duftmarke und weckten Hoffnungen in der Szene. Doch weil die Show ihre Kosten nicht einspielte – offiziell ist von einem Ergebnis „knapp unter Null“ die Rede – zog die Hamburger Zentrale schon nach wenigen Monaten die Notbremse und verordnete Gergen ein gefälligeres Programm. Doch auch bei den Operetten „Wie einst im Mai“ und „Die Drei von der Tankstelle“ war das kleine Theater unter der Woche oft nicht einmal halb voll. Das Recycling einer älteren Gergen-Inszenierung („Non(n)sens“) als Sommerbespielung 2006 war ein weiteres Zeichen, dass die Stage Entertainment mit ihrem Haus in Berlin keine großen Pläne mehr hat. Laut „Berliner Morgenpost“ ist jetzt geplant, mit Gastspielen und kleineren Eigenproduktionen die noch bestehende Bespielpflicht von drei Jahren zu erfüllen. Ambitionen gibt es offenbar keine mehr.
Man könnte sagen: Die Stage Entertainment ist ein privatwirtschaftlicher Konzern und muss Geld verdienen. Da wäre es konsequent, sich von allem zu trennen, was diesem Ziel nicht dient. Doch dieser Einwand greift zu kurz, denn auch aus kommerzieller Sicht ist der Schritt unverständlich. Es ist verwunderlich, dass der Konzern zwar beste Geschäftsbeziehungen nach London und New York unterhält, sich aber standhaft weigert, von den dortigen Erfolgsrezepten zu lernen. Denn in London und New York wird mit Musical gutes Geld verdient – wohlgemerkt mit echtem Musiktheater, und nicht (nur) mit Lizenzprodukten wie „Dirty Dancing“ oder „dem Abba-Musical“.
Das liegt zum ersten daran, dass die Musicalmetropolen sich ihr Publikum erzogen haben. Dass Musical in Deutschland ein „Pfui“-Image hat, ist sicher auch darin begründet, dass große Musicalshows seit Jahren nicht mehr als Theater oder gar Kunst verkauft werden, sondern als Events und pure Unterhaltung. Wer fährt schon nach Hamburg, weil er „mal wieder ein gutes Musical sehen will – mal schauen, was sie gerade spielen“? In London und New York, wo die Tickets übrigens nicht billiger sind, gibt es zahllose solcher Touristen. In Deutschland dagegen reist man ganz gezielt an: Zu „Abba“ (dass die Show anders heißt, wissen die wenigsten) oder „Dirty Dancing“, weil man damals jung war. Zum „Löwenkönig“, weil die Kostüme so toll sein sollen.
In den Musical-Metropolen sind das nicht die entscheidenden Kriterien. Eben weil es eine große Zahl sehr unterschiedlicher und kreativer Shows gibt, hat das Musical einen besseren Ruf. Und das Publikum ist experimentierfreudiger. Wäre das „Phantom“ nicht schon als Musical-Marke etabliert, in Deutschland hätte es heute keine Chance mehr – denn die Qualität der Show ist hierzulande kein Kriterium (mehr) für einen Musical-Besuch.
Der zweite Grund (er hängt eng mit dem ersten zusammen): In London und New York wird viel herumexperimentiert. Es haben sich eigene Off-Szenen mit kreativen kleinen Produktionen etabliert. Und wer hier richtig gut ist, der schafft den Sprung an den Broadway oder ins West End. Shows wie „Avenue Q“ oder „25th Annual Putnam County Spelling Bee“ hätten in Deutschland niemals eine Chance gehabt. Anderswo wird mit ihnen Geld verdient.
Die Chance, solche Experimente in Deutschland zu etablieren (und das Haus als Nachwuchsschmiede und Testbühne zu nutzen), vergibt die Stage Entertainment beim Schlossparktheater. Ist es wirklich verwunderlich, dass „Pinkelstadt“ kein finanzieller Erfolg wird, wenn das Theater noch überhaupt nicht als Spielstätte für kreatives Musiktheater etabliert ist? Natürlich ist es schwer, mit einem 500-Plätze-Theater kostendeckend zu arbeiten. Aber man kann die Rechnung auch umdrehen. Mal angenommen, die Stage Entertainment hätte die „3 Musketiere“ als Beinahe-Uraufführung nicht gleich im großen Theater des Westens gespielt, sondern erstmal in kleinerer Version im Schlossparktheater ausprobiert. Und mal angenommen, sie hätte dort gemerkt, dass Thema und Buch doch nicht so zugkräftig sind wie erhofft. Im Gegensatz zum Broadway werden in Deutschland keine Show-Bilanzen veröffentlicht, so dass man aufs Spekulieren angewiesen ist. Aber die Vermutung liegt nahe, dass der Konzern viel Geld gespart hätte, hätte er die Show nach erfolglosen Try-Outs begraben.
Mit Musical kann man Geld verdienen. Aber man muss auch an das Musical glauben. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese Erkenntnis zur Geschäftsführung des Musical-Konzerns nicht durchgedrungen ist. Statt selbst Musical-Marken zu schaffen, kauft die Stage Entertainment lieber etablierte Marken ein – demnächst wohl Tarzan und Udo Jürgens. Die Bühnenshow ist hier, ähnlich wie bei Abba und „Dirty Dancing“, nur noch ein Glied in der Vermarktungskette. Musical wird zum Merchandise-Produkt.
Wir kennen das von unseren Kate-Winslet-„Titanic“-Tassen, unseren „Maschendrahtzaun“-CDs und unseren „Guildo-hat-Euch-lieb“-T-Shirts – ist der aktuelle Medienhype zu einem Thema vorbei, dann ist uns oft peinlich, dass wir dabei waren. Eine dauerhafte emotionale Bindung entsteht nicht. Und genau deshalb gibt es in Deutschland zwar viele Menschen, die sich ein Musical anschauen, aber nur wenige, die ihre Liebe zum Musical auch öffentlich bekennen würden. Eine Marketingstrategie kann man nicht lieben.
Hoffentlich gibt es noch genügend andere Produzenten, die das Musical lieben. Die experimentieren, die Geschichten erzählen, die das Publikum mit der Show – und nicht mit dem Showtitel – in ihren Bann ziehen wollen. Die dürfen dann auch gerne damit Geld verdienen.
(Mitarbeit: Christian Heyden)