TV-Casting und mehr

Das Musical-Jahr im Schnelldurchlauf: Die Musicalzentrale schaut zurück auf das Jahr 2008 und die Meldungen, die für Aufsehen sorgten.

Nach dem Streit um das Udo-Jürgens-Musical und dem Zerwürfnis mit Konzernlenker Joop van den Ende zieht Stage-Entertainment-Deutschlandchef Maik Klokow zum Jahresbeginn die Konsequenzen – und kündigt seinen Rücktritt an. Im Gewandhaus Zwickau feiert die erste Stadttheaterversion des Kunze/Levay-Musicals Mozart! Premiere – und kommt bei Publikum und Kritikern gut an, obwohl keine bekannten Gastdarsteller mitspielen. Vincent Bueno heißt der erste Sieger einer deutschsprachigen TV-Musical-Castingshow. Nach seinem Erfolg in der ORF-Sendung übernimmt Bueno die Rolle des Mereb bei Aida in Klagenfurt. We Will Rock You kommt nach Wien und erzielt ordentliche Ergebnisse. Schlechte Nachrichten dagegen aus Graz: Die Veranstalter der hochkarätig besetzten Dracula-Produktion auf der Schlossbergbühne Kasematten melden trotz guter Auslastung Konkurs an. Auch der Friedrichstadtpalast Berlin hat Probleme, entlässt Personal und kündigt an, künftig klassische Revue statt „musicalartiger Experimente“ zu machen.

Februar: 1,54 Millionen Menschen sehen am 28. März die erste Folge von „Ich Tarzan, Du Jane“ (Sat.1), der ersten Musical-Casting-Show im deutschen Fernsehen. Es moderiert Hugo Egon Balder, in der Jury sitzen u.a. Pia Douwes und der SE-Manager Michael Hildebrandt. Neben vielen namhafen Darstellern wie Jessica Kessler, Melanie Ortner und Ina Trabesinger gehen auch talentierte Amateure wie die Zahnmedizinstudentin Franziska Schuster ins Rennen um die Rollen. Im Laufe der Staffel verbessert sich die maue Quote zwar, bleibt aber hinter den Erwartungen der Fernsehmacher zurück. Der zuständige Verlag bestätigt der Musicalzentrale, dass Michael Kunze gemeinsam mit dem Filmkomponisten Dario Farina an einem Musical über Don Camillo arbeitet.

März: Maik Klokow tritt seinen Job als Geschäftsführer der Krauth-Gruppe an – und kündigt später im muz-Interview an, man wolle neben der Stage Entertainment die Position als „sichtbarer Marktteilnehmer“ festigen. Deutschlands Musical-CD-Händler Nummer eins, Sound of Music in Essen, stellt sich derweil auf das Ende des Silberlings ein: „Die CD ist ein Auslaufprodukt“, sagt Geschäftsführer Markus Tüpker im muz-Interview. Carolin Fortenbacher qualifiziert sich nicht für den Eurovision Song Contest. Stattdessen setzen sich die No Angels in der Vorausscheidung durch – und landen später beim Finale auf dem letzten Platz. Beim „Starlight Express“ in Bochum schaut der zwölfmillionste Zuschauer vorbei. Zum Monatsende starten die Vereinigten Bühnen Wien eine Persiflage auf die heimische Musicalszene: Forbidden Ronacher. Das Theater in St.Gallen spielt Hairspray u.a. mit Rasmus Borkowski und TV-Talker Ralph Morgenstern.

April: Kevin Köhler und Anna Maria Schmidt erhalten bei der ZDF-Castingshow die meisten Anrufe und sind damit die Musical Showstars 2008. Während Köhler später tatsächlich beim „Starlight Express“ mitfährt, kündigt Schmidt während der Proben ihren Rückzug an – aus „Respekt vor den künstlerischen Anforderungen“. Die Stage Entertainment schickt, 16 Jahre nach der Uraufführung, eine an die Wiener Urversion angelehnte Elisabeth-Produktion auf Tournee – zur ersten Station in Berlin mit den Urbesetzungen Pia Douwes und Uwe Kröger. Kosten höher als kalkuliert, die Publikumsakzeptanz deutlich zu gering: Das Theater für Niedersachsen (Hildesheim/Hannover) gerät in finanzielle Not. Intendant Jörg Gade verspricht im muz-Interview, trotzdem weiter auf ambitioniertes Musicals setzen zu wollen. Im Theater am Gärtnerplatz in München kommt das ambitionierte Musiktheaterspektakel ChristO der Rockgruppe Vandenplas auf die Bühne. Und SE-Chef Joop van den Ende kündigt an, der Konzern wolle in der Hamburger Hafencity ein Musicalhaus bauen und 2010 eröffnen.

Mai: Anton Zetterholm und Elisabeth Hübert gewinnen die Hauptrollen für „Tarzan“ in Hamburg – nachdem die Jury die beiden noch verbliebenen Amateure vor der endgültigen Publikumsentscheidung aus dem Rennen warf. Die Bilanz der Casting-Shows bei Medien, Machern und Zuschauern fällt unterschiedlich aus. Für den Angriff auf Darsteller der „Rocky Horror Show“ in Halberstadt im Juni 2007 wird der Täter zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das von der Stage Entertainment 2007 kurz vor der Premiere von „Ich war noch niemals in New York“ geschasste Regieteam Andreas Gergen und Christian Struppeck inszeniert an der Berliner tribuene erfolgreich Irma La Douce mit Katherine Mehrling. Die erfolgreiche Kiss Me, Kate-Inszenierung der Komischen Oper Berlin mit Dagmar Mantzel („Klemperer“) unter der musikalischen Leitung von Koen Schoots („Jekyll & Hyde“) wird auf 3sat in voller Länge ausgestrahlt.

Juni: Man darf vermuten, dass sich die Stage Entertainment von Dirty Dancing in Hamburg mehr versprochen hat: Nach 27 Monaten fällt der letzte Vorhang in der Neuen Flora. Im April 2009 soll es in Berlin eine Neuauflage geben. Die Open-Air-Saison steht im Zeichen von „Jekyll & Hyde“ (zeitgleicher Start in Bad Hersfeld und Bad Vilbel) und der künstlerisch umstrittenen, aber erfolgreichen Mozart!-Produktion in Tecklenburg. Für einen Überraschungserfolg sorgt die Oper Magdeburg mit ihrer viel gelobten Freilichtversion von Titanic. Eine Wiederaufnahme für 2009 ist angekündigt. In Wien startet Ende Juni der Broadwayerfolg The Producers. Trotz hervorragender Kritiken bleibt die Auslastung allerdings hinter den Erwartungen zurück. Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth („Swinging St. Pauli“) werden als Autorenteam für den musikalischen Part der Stage-Eigenproduktion Der Schuh des Manitu nach dem Film von Bully Herbig verpflichtet. Der Kölner Stadtrat verlängert die Standgenehmigung für den Musical Dome bis 2011 und macht damit den Weg frei für das auf „We Will Rock You“ folgende Spamalot.

Juli: Eher enttäuscht fallen die Reaktionen auf das im Vorfeld viel beachtete Luther-Musical Martin L. mit Yngve Gasoy Romdal auf den Domstufen Erfurt aus. Ein voller Erfolg ist dagegen die Freiluftversion von „Titanic“ in Magdeburg, die auch 2009 wieder aufgeführt wird. Tutanchamun mit Jesper Tydén im österreichischen Gutenstein kann eher nicht überzeugen. Für Mamma Mia! fällt in Essen der letzte Vorhang. Der Bundesgerichtshof entscheidet zugunsten des Disney-Konzerns, dass Tourneeveranstalter keine zusammenhängenden Musical-Medleys zeigen dürfen, wenn sie dafür nicht das große Recht erwerben. Über drei Millionen Zuschauer insgesamt sehen den Mamma Mia!-Film mit Meryl Streep und Pierce Brosnan in den deutschen Kinos, im August erreicht das Album Goldstatus und Platz zwei der deutschen Charts.

August: Auf Anfrage der Musicalzentrale debattieren Insider über das Ansehen der Musicaldarsteller innerhalb der Branche – und sehen Gründe für das schlechte Image durchaus auch bei den Darstellern selbst. Nach elf Jahren gibt Kim Moke die Leitung der Stage School Hamburg an den Schauspieler und Regisseur Cuco Walraff ab. Nachdem der „Sommernachtstraum“ von Heinz Rudolf Kunze und Heiner Lüring vom Theater für Niedersachsen jahrelang erfolgreich gespielt worden war, wird Kleider machen Liebe zum Flop, der folgende Streit um die Vermarktung beendet die Zusammenarbeit. Das Theater Bremen stellt die Cast für Marie Antoinette vor, mit Ethan Freeman, Patrick Stanke, Roberta Valentini und Sabrina Weckerlin sind die Hauptrollen hochkarätig besetzt. Die spotlight-Musicalproduktion kündigt für 2010 eine Wiederaufnahme ihres Fulda-Musicals Bonifatius an und gibt zugleich bekannt, dass in diesem Sommmer Elisabeth – Die Legende einer Heiligen mit Sabrina Weckerlin und Christopher Murray in Eisenach auch seine zweite Spielzeit mit einer hundertprozentigen Auslastung beendet hat und 2009 erneut auf den Spielplan kommt.

September: Johannes Mock übernimmt die Führung der deutschen SE-Tochter. Das angeschlagene Theater für Niedersachsen erzielt mit dem 25. Pattenser Buchstabierwettbewerb einen Achtungserfolg, aber keine Trendwende bei der Publikumsresonanz. Das Aalto-Theater in Essen wird dagegen zur Pilgerstätte für Musicalfreunde – mit einer Chess-Produktion, die vor allem für die musikalische Leistung gelobt wird. In Wien wird der Vertrag für die Broadway-Produktion des Kunze-Levay-Musicals Rebecca unterzeichnet, das spätestens 2010 auf die US-Bühnen kommen soll. Nur durch ein Darlehen von 3,5 Millionen Euro kann der Friedrichstadtpalast in Berlin vor der Insolvenz gerettet werden. Die Berliner Politik gewährt die Summe in Anerkennung der vom neuen Geschäftsführer Bernd Schmidt (Ex-Stage Entertainent) eingeleiteten Konsolidierungsmaßnahmen.

Oktober: Drew Sarich, Wietske van Tongeren und Uwe Kröger führen das namhafte besetzte Ensemble an, das die VBW für Frank Wildhorns Rudolf vorstellt. Das Theater für Niedersachsen kommt nicht aus den Schlagzeilen und muss wegen Verwechslungsgefahr sein Logo ändern. Im Münchner Theaterzelt kommt In nomine patris heraus, das sich mit Kritik an Kirche, Zölibat und Gentechnik zu viele Themen gleichzeitig vornimmt und kein Publikumsrenner wird. Nach Ablauf der Spielzeit geht die Produktionsfirma bankrott. Für Köln wird der Neubau eines Musicaltheaters für den West-End-Flop Der Herr der Ringe angekündigt. Ob und wie das Projekt finanziert wird, bleibt allerdings unklar. Derweil übernimmt ein weiterer Musicalfilm die Spitze in den deutschen Kinocharts: „High School Musical 3“ schlägt vor allem beim jungen Publikum ein. Die Premiere von Ich will Spaß! im Colosseum Essen – ein auf NDW-Songs umgeschriebenes niederländisches Compilation-Musical – löst dagegen weder Beifall bei den Kritikern noch einen Run auf die Karten aus. Begeisterung dagegen in Stuttgart: Der Musical-Klamauk Der Prinz von Dänemark von und mit Harald Schmidt kommt beim Publikum gut an.

November: Die Stage Entertainment tauscht auch beim Schuh des Manitu kurz vor der Premiere den Regisseur aus. Die Produzenten von „Heidi“ in Walenstadt verzichten für 2009 auf einen dritten Teil und kündigen eine bearbeitete Version ihrer ersten Produktion an. Die VBW ziehen die Notbremse für das schlecht ausgelastete „The Producers“ und setzen das Stück drei Monate früher als geplant ab. Eine neue Chance soll das Mel-Brooks-Musical nun 2009 im Berliner Admiralspalast bekommen. Für Spamalot im Kölner Musical Dome wird mit den Hauptdarstellern Serkan Kaya, Amber Schoop und Michael Flöth eine unspektakuläre Cast vorgestellt, die kurz darauf mit Alfred Biolek in einer kleinen Nebenrolle nachgebessert wird. Regisseur Andreas Gergen inszeniert in New York eine mit Broadway-Darstellern besetzte Workshop-Produktion von Wildhorns „Graf von Monte Christo“. In Berlin kommt eine Neu-Inszenierung der Rocky Horror Show auf die Bühne, die anschließend u.a. in Wien und Düsseldorf Tourstation macht.

Dezember: Der Schuh des Manitu feiert im Theater des Westens in Berlin Premiere und erhält überraschend gute Kritiken. Im Metronom Theater in Oberhausen kommt die fünfte deutschsprachige Version von Tanz der Vampire auf die Bühne, neben Jan Ammann als Krolock steht die Estin Nele-Liis Vaiksoo auf der Bühne. Kurzfristig und überhastet wird die für März 2009 geplante Premiere von Frühlings Erwachen im Capitol in Düsseldorf gekippt. Die Premiere findet stattdessen zur selben Zeit in Wien statt. Daneben kündigen die Vereinigten Bühnen Wien für 2009 eine Rückkehr von „Tanz der Vampire“ an. Die tribuene in Berlin, die mit Stücken wie „Irma La Douce“ (Regie Gergen/Struppeck) und „Der Kampf des Jahrhunderts“ den Berliner Musicalmarkt belebt hatte, muss wegen auslaufender staatlicher Förderung zum Jahresende schließen. Erneut auf Tournee geht das Lingnau/Wohlgemuth-Musical um Käpt’n Blaubär. Die Tournee im vergangenen Jahr war wegen finanzieller Probleme und Schäden am Theaterzelt abgebrochen worden.

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