Eine ganz besondere Bedeutung

Ein Wettbewerb wird zum Branchentreffen: Beim Bundeswettbewerb Gesang geht es für Sänger und Hochschulen um Preise und Prestige. Die Musicalzentrale hat die Wettbewerbsrunden 2009 und die spätere Siegerin Julia Gámez Martin in Berlin begleitet.

„Das ist immer noch der 38. Bundeswettbewerb Gesang und ich bin immer noch Michael Pinkerton“. Nach fünf Tagen Finalrunde ist der Auftritt des Juryvorsitzenden schon fast Kult im Konzertsaal der UdK Berlin. Doch dieses Mal hat der Künstlerische Leiter der Vereinigten Bühnen Wien ganz besondere Nachrichten mitgebracht: „Die Siegerin im Hauptwettbewerb Musical heißt: Julia Gámez Martin!“

Ein halbes Jahr vorher: Julia Gámez Martin sitzt in der Sommersonne in einem Café am Kurfürstendamm. „Klar, der Bundeswettbewerb hat eine ganz besondere Bedeutung“, sagt die 23-jährige Musicalstudentin aus Berlin. Schon 2005 und 2007 war sie dabei, schied allerdings immer schon vor dem Finale aus. Jetzt, im vierten Jahr des Studiums an der UdK, fühlt sie sich gut vorbereitet. Ein Repertoire von mindestens 45 Minuten hat jeder der Teilnehmer vorzubereiten: Eine Szene mit Musik, drei choreographierte Nummern, drei Mikrofonstücke, vier Titel in deutscher Sprache. Aus diesen Stücken wird die Jury in jeder Runde ein Programm zusammenstellen, dabei ist auf jeden Fall bis zum Finale das vom Teilnehmer zu bestimmende Wahlstück. Geprobt wird am Programm schon lange vor dem Wettbewerb. Julias Wahlstück: „And I Am Telling You I’m Not Going“ aus „Dreamgirls“.

Berlin, Ende Oktober: Im Foyer der Komischen Oper findet die Vorrunde für Berlin statt. Jurypräsidentin ist die Entertainerin Gayle Tufts, die gleich strenge Ansagen macht: „Don’t trink on the Bühne! You must durchhalten drei Songs ohne das!“
Für Julia läuft es gut an diesem Mittag. Begleitet von Adam Benzwi, dem Musikalischen Leiter des Studiengangs Musical an der UdK, ist sie eine von mehreren Teilnehmern ihrer Hochschule, die in den Kategorien Junioren, Chanson und Hauptwettbewerb antreten. Noch ist das Publikum überschaubar, vor allem andere Musicalstudenten sind gekommen, um ihre Kommilitonen anzufeuern. Die meisten Starter an diesem Tag stellt die UdK. „Einige unserer Leute sind aber auch in den Vorentscheiden in Hagen und Hamburg dabei“, verrät Adam Benzwi. Nach den Vorträgen heißt es warten für die Teilnehmer, denn die Jury zieht sich zur Beratung zurück.
„Erstmal was Essen!“ entscheidet Julia Gámez Martin und zieht mit einigen Freunden zum Pizzaessen die Friedrichstraße herunter. Auf dem Weg werden die Auftritte analysiert, Julia ist zufrieden, aber nicht zu optimistisch; ihre Freundin Sarah Rüdiger, die ohne den Background einer Hochschule auskommen muss, ist da skeptischer: „Ich hab das an einer privaten Musikschule hier in Berlin erarbeitet, mal sehen, wie weit es reicht.“
Groß ist die Freude bei beiden, als Gayle Tufts die Finalisten verkündet und beide Namen nennt. Julia fällt erst einmal ihrer Mutter um den Hals. „Die hat sich wieder reingeschlichen, obwohl ich ihr doch gesagt hab, sie soll nicht kommen…“
Zufrieden ist auch die Jury, die für jeden Teilnehmer nach der Wertungsrunde eine Beratung anbietet. „Da gab es nicht viel zu meckern, die fanden das gut!“, kommentiert Julia das Feedback des Gremiums, in dem u.a. auch Darstellerin Katharine Mehrling und Dirigent Bernd Steixner sitzen.

Szenenwechsel: Konzertsaal der UdK Berlin, Anfang Dezember: Nun ist es ein echtes Branchentreffen. Vor allem Studenten und Absolventen der staatlichen Hochschulen bilden das Halbfinalfeld. Ein Blick auf die Starterlisten und die dort vermerkten Pianisten verrät schon viel. Spielt Adam Benzwi, ist die UdK am Start, nimmt Phillip Tillotson Platz, kommt der Bewerber aus München, spielt Patricia Martin, kommt der Bewerber aus Essen. Dazwischen wenige Exoten aus Leipzig oder von den Schulen aus Hamburg.
Eindeutig verteilt sind auch die Sympathien im Saal, der sich spärlich gefüllt zeigt. Gejubelt wird vor allem für die Sänger der eigenen Hochschule. Der vordere Teil des Auditoriums ist für die Jury reserviert. „Jeder Juror wertet erst einmal für sich und wir dürfen bis zur Bekanntgabe der zusammengezählten Punkte nicht miteinander reden“, erklärt Juror Norbert Hunecke von der Künstlervermittlung der Arbeitsagentur das Prozedere.
Die Finalwoche beginnt am Montag und Dienstag mit den Halbfinals im Junioren- und Chansonwettbewerb, bevor am Mittwoch der Hauptwettbewerb beginnt. Für Jury und Zuschauer ein Marathon von vielen Stunden – für die Teilnehmer, die vor ihrem Auftritt jeweils noch eine kurze Probe mit ihrem Pianisten absolvieren, eine Nervenprobe.
Julia Gámez Martin ist gegen Mittag dran. Kurz vor ihrem Auftritt entwickelt der Wettbewerb, der vormittags eher gemächlich dahinplätscherte, plötzlich Spannung. Florian Soyka, Absolvent aus München, bringt mit „Adolpho“ aus „Drowsy Chaperone“ den Saal zum Kochen, Max Messler aus Osnabrück bringt sich mit einem eindrucksvollen „Gethsemane“ nachhaltig in Erinnerung. Jetzt ist Stimmung im Saal, und auch Julia sorgt mit ihrem Wahlstück und einer kölschen Comedyversion von „Fever“ für großen Beifall im Saal. Als letzte Starterin des Tages sorgt Julias UdK-Kollegin Jasmin Schulz für Aufsehen, die, als Publikum und Jury schon fast im Aufbruch sind, beweist, dass selbst vermeintlich abgespielte Nummern wie „Ich hab‘ geträumt vor langer Zeit“ aus „Les Misérables“ noch zu Tränen rühren können. Dann heißt es wieder einmal warten, denn die Jury zieht sich zur Beratung zurück.
Lange müssen die Teilnehmer zittern, bevor sich Michael Pinkerton mit den Ergebnissen zurückmeldet. Nur sechs Teilnehmer haben das Finale im Hauptwettbewerb erreicht. Julia braucht einen kurzen Moment, um ihr Glück zu realisieren – als der Jurypräsident den Namen „Julia Martin“ aufruft, fühlt sie sich zunächst gar nicht angesprochen.
Für sie gibt es nun einen Tag Pause vor dem Finale. „Nochmal das Programm mit Adam durchproben und dann ablenken“ beschreibt sie ihren Tagesablauf am Donnerstag. Mit dem von der Jury ausgewählten Programm ist sie insgesamt zufrieden: „‚Ich gehör‘ nur mir‘ ist nicht gar mein Wunschstück, aber mit einem Operettenstück aus ‚Madame Pompadour‘, ‚Ich kotz mich frei‘ von Niclas Ramdohr und Peter Lund und der ‚Lesbischen Lovestory‘ aus ‚Wild Party‘ bin ich gut bedient.“

Den unglücklichen ersten Startplatz im Finale hat Jasmin Schulz erwischt. Gleich im ersten Song passieren ihr einige schiefe Töne, die sie spürbar verunsichern. Julia Lißel aus Essen setzt danach mit einem Song in schwedischer Sprache erste Maßstäbe, bevor Max Messler ein diesmal eher komiklastiges Programm auf die Bühne bringt und für eine kurze „Defying Gravity“-Einlage gefeiert wird. Florian Soyka sind die Lacher des Publikums sicher, als er im passenden Kostüm von den Sorgen eines Pinguinvaters berichtet. Dann ist Julia dran. Nach einem verhaltenen Start mit einem auf einem Barhocker am Piano gesungenen „Ich gehör‘ nur mir“ zeigt sie, dass sie sich auch im klassischen Fach durchaus zu Hause fühlt. Im folgenden dynamischen Mikrofonsong kommt ihr erkennbar ihre Erfahrung als Bandsängerin zugute, bevor sie als betrunkene Lesbe auf der Suche nach dem großen Glück für einen wahren Jubelsturm sorgt. Eine undankbare Aufgabe für Stefanie Köhm, danach auf die Bühne zu müssen. Doch auch sie überzeugt mit einem technisch sehr sauberen Vortrag, nachdem sie im Halbfinale bereits komödiantisch geglänzt hatte.

Und wieder warten: Die Jury lässt sich Zeit mit ihrer Entscheidungsfindung, und so sind Teilnehmer, Pianisten und Begleiter fast am Ende ihrer Nerven, als Michael Pinkerton ein letztes Mal die inwischen obligatorischen Einleitungsworte spricht.
Als mit Johanna Spantzel eine UdK-Stundentin als Siegerin im Juniorwettbewerb verkündet wird, kennt der Jubel im Berliner Lager keine Grenzen mehr, und auch für Jasmin Schulz, die tragische Heldin des Halbfinales, geht der Wettbewerb mit einem der Förderpreise versöhnlich zu Ende.
Den dritten Platz im Hauptwettbewerb sichert sich die Essenerin Stefanie Köhm; dass er als zweiter Sieger aufgerufen wird, kann Florian Soyka, der sich mit seiner Finalleistung noch am Vormittag wenig zufrieden gezeigt hatte, kaum fassen.
Pianist Adam Benzwi kommt vor Spannung sichtlich ins Schwitzen, als Michael Pinkerton schließlich die erlösenden Worte spricht, die beinahe im Jubel untergehen: „Die Siegerin im Hauptwettbewerb Musical heißt: Julia Gámez Martin!“
Auf der Bühne bildet sich schnell eine Traube von feiernden Preisträgern und Platzierten, während auf der Seitenbühne bereits der Countdown für den letzten Akt des Bundeswettbewerbs beginnt: Die Programmplanung für das Preisträgerkonzert im Friedrichstadtpalast am folgenden Montag.

Vor einem gut gefüllten Auditorium in Europas größtem Revuetheater dürfen alle Preisträger in einer von Götz Alsmann moderierten Gala noch einmal zeigen, was sie können.
Junioren-Förderpreisträger Wladimir Korneev reißt das Publikum mit seiner Selbstbespiegelung „Ich könnt mich küssen“ von den Sitzen, Johanna Spantzel vermittelt als DDR-Sportlerin noch einmal eine Vorstellung vom „Sächs’schen Sexappeal“ und die Chansonpreisträger zeigen die spannende Bandbreite ihres Genres. Siegerin Gisa Flake löst im klassischen Chansonstil „Kreuzworträtsel“, während Stefan Ebert als „Forteman“ den Flügel traktiert. Benedikt Zeitner, der vor allem in den Vorrunden als Comedytalent mit ausgefeilter Jurybeschimpfung gefallen konnte, begeistert mit einer literaturwissenschaftlichen Vorlesung zur Hauptfigur des Musicals „Die Schöne und das Biest“. Julia Gámez Martin schließlich kann noch einmal auf der großen Bühne vor der Finalnummer aller Preisträger die Geschichte von der „Lesbischen Lovestory“ erzählen.

„Einfach geil war’s, nur noch solche Bühnen am liebsten“, berichtet sie anschließend von ihrer Erfahrung, „da kann man sich glatt verlaufen!“ Auch Florian Soyka ist begeistert: „Aber man sieht wirklich nichts… gegen dieses Licht sieht man gar nichts!“
Und Johanna Spantzel hat auf dem Empfang nach dem Konzert nur noch einen Plan: „Wir haben jetzt zwei Tage am Stück für das Preisträgerkonzert geprobt und kaum Zeit gehabt. Aber nun wird gefeiert!“

Videogalerie zum Preisträgerkonzert auf der Seite des Bundeswettbewerbs

Die Preisträger 2009:

Schwerpunkt MUSICAL

1. Preis in Höhe von 5.000 Euro
des Regierenden Bürgermeisters von Berlin
Julia Gámez Martin 23 Jahre, Berlin

2. Preis in Höhe von 4.000 Euro
Florian Soyka 26 Jahre, München

3. Preis in Höhe von 3.000 Euro
Stefanie Köhm 26 Jahre, Essen

Preis des Bundesverbandes Deutscher Gesangspädagogen in Höhe von € 1.500
Jasmin Schulz 26 Jahre, Berlin

Schwerpunkt CHANSON

1. Preis in Höhe von 5.000 Euro des Regierenden Bürgermeisters von Berlin
Gisa Flake 24 Jahre, München

2. Preis in Höhe von 4.000 Euro
Sebastian Strehler 28 Jahre, München

3. Preis in Höhe von 3.000 Euro
Stefan Ebert 28 Jahre, Mannheim

Preis der Franz Grothe-Stiftung in Höhe von € 1.500
Benedikt Zeitner 26 Jahre, Berlin

Juniorwettbewerb (17 bis 22 Jahre)

Förderpreis Jahresstipendium der Günter-Neumann-Stiftung in Höhe von € 4.200
Johanna Spantzel 20 Jahre, Berlin

Förderpreis der Franz Grothe-Stiftung in Höhe von € 2.500
Vladimir Korneev 22 Jahre, München

3. Förderpreis in Höhe von € 2.000
Anja Backus 21 Jahre, Berlin

Preis des Deutschen Bühnenvereins für die beste Darstellung einer Musical-Szene in Höhe von € 2.500
Johanna Spantzel 20 Jahre, Berlin

Preis der Walter Kaminsky-Stiftung in Höhe von 2.000 Euro
Olivia Delauré 22 Jahre, München

Förderpreis in Höhe von 1.800 Euro
Jörn-Felix Alt 21 Jahre, Berlin

Gisela May-Chansonpreis in Höhe von 1.500 Euro
Maximilian Mann 22 Jahre, Berlin

Förderpreis in Höhe von 1.200 Euro
Christina Patten 19 Jahre, Berlin

Förderpreis in Höhe von 1.200 Euro
Nicky Wuchinger 21 Jahre, Berlin

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