Musicaldarsteller und Theaterleiter Bernd Julius Arends über sein eigenes Theater, seine Pläne als Theaterleiter, die deutschsprachige Erstaufführung von „tick, tick… BOOM!“ und warum er als Musicaldarsteller zuletzt unglücklich war.
Bernd Julius Arends stammt aus der westfälischen Kleinstadt Datteln und studierte Gesang, Schauspiel und Tanz in Hamburg. Er spielte in zahlreichen Musicals, unter anderem Lefou in Disneys „Die Schöne und das Biest“, Alfred in „Tanz der Vampire“ und Sir Robin in „Spamalot“. Im Herbst 2010 erfüllte er sich einen Lebenstraum und eröffnete in seiner Heimatstadt Datteln ein eigenes Theater. Im April 2011 feierte dort das Musical „tick, tick… BOOM!“ seine deutschsprachige Erstaufführung. In diesem Stück stand Bernd Julius Arends nicht nur selbst auf der Bühne, sondern besorgte auch die deutsche Übersetzung.
Mit dem KATiELLi Theater haben Sie sich den Lebenstraum von einem eigenen Theater erfüllt. Wie entstand dieser Traum?
Das war eigentlich eher eine ganz spontane Geschichte. Ich habe 20 Jahre als Musicaldarsteller in verschiedenen Produktionen auf der Bühne gestanden, und irgendwann hatte ich dann ein Alter erreicht, wo ich mir sagte, dass ich noch mal etwas wagen sollte. Wenn es nicht jetzt passiert wäre, dann wahrscheinlich nie. Ein eigenes kleines Theater wollte ich schon immer mal haben. Als ich dann davon erfuhr, dass in meiner Heimatstadt Datteln das alte Lichtburg-Kino zu verpachten war, habe ich mir erst mal die Räumlichkeiten angeschaut. Die waren zwar ziemlich verwahrlost, aber ich dachte mir, dass man sicher etwas Schönes daraus machen könnte. So kam dann eins zum anderen, ich habe meinen Businessplan geschrieben und den Schritt zum eigenen Theater gewagt.
Wäre es angesichts der besseren Infrastruktur und der Touristenströme nicht besser gewesen, in einer größeren Stadt ein Theater zu eröffnen?
Nein. In größeren Städten schließen eher Theater, als dass neue eröffnet werden. Berlin ist ein gutes Beispiel dafür. Und warum sollte ich in eine große Stadt gehen, wo ich zum einen Konkurrenz und zum anderen keinen familiären Rückhalt habe? Außerdem könnte ich mir die Pacht einer solchen Immobilie in einer Großstadt gar nicht leisten. Die Entscheidung, in Datteln ein Theater zu eröffnen, war absolut richtig. Es gibt hier sonst kein Theater. Noch dazu ist das Ballungsgebiet im Ruhrgebiet wie eine Großstadt. Wenn ich zum Beispiel von Recklinghausen nach Datteln fahre, ist das in etwa so, als wenn ich in Berlin von Steglitz in den Prenzlauer Berg fahren würde. Das Ballungsgebiet hier ist absolut vergleichbar mit einer Großstadt, und man kann in einem Umkreis von wenigen Kilometern gut 2,5 Millionen Menschen erreichen.
Der Unterhalt eines Theaters muss sehr kostenintensiv sein. Ist es in der heutigen Zeit nicht schwierig, mit einem Privattheater finanziell zu überleben?
Es ist in der Tat so, dass ein eigenes Theater auch ein finanzielles Risiko darstellt. Ich muss die Pacht und meine ganzen Versicherungen bezahlen, und letztendlich muss ja auch noch Geld für meinen Lebensunterhalt dabei herausspringen. Aber deshalb habe ich ja einen 40-seitigen Businessplan geschrieben. Hätte mir dieser gezeigt, dass das nicht funktionieren wird, dann hätte ich es auch nicht gemacht. Ich habe alles vorher durchgerechnet, eine Rentabilitätsaufstellung gemacht und erkannt, dass mein Plan durchaus eine Chance hat. Das hat mir als Idealist gereicht, diesen Schritt zu wagen. Glücklicherweise ist der Start mit dem eigenen Theater auch absolut super gewesen. Wenn es so weitergeht, muss ich mir überhaupt keine Sorgen machen.
Ist die Eröffnung eines eigenen Theaters so etwas wie eine Rebellion gegen die Großen der Branche? Wird in kleinen privaten Theatern nicht innovativeres Musical gemacht als in den großen Häusern der Mitbewerber?
Ja, ist es! Das war auch noch mit einer der Gründe, warum ich ein eigenes Theater eröffnet habe. Ich war vorher einfach zu unglücklich. Denn in den letzten Jahren hat sich das Musicalbusiness, in dem ich 20 Jahre wirklich gern gearbeitet habe, so zum Negativen verändert, dass ich als Künstler da einfach nichts mehr zu suchen habe. Es geht nur noch um Kommerz, nicht mehr um die Qualität. Und die Ticketpreise gehen immer weiter nach oben, ohne dass das Preis-Leistungsverhältnis für den Kunden stimmt. Das alles hat mit darstellender Kunst nichts mehr zu tun. Den zuständigen Leuten ist auch egal, wer in einem Kostüm steckt und welche Qualität er mitbringt oder eben nicht mitbringt. Hauptsache ist, dass die Show irgendwie stattfindet. So sind ja die so genannten Cut-Shows in allen Großproduktionen zu Hause, wo teilweise nur sechs statt 15 Darsteller auf der Bühne stehen. Ich bin der Meinung, dass das nicht das ist, wofür der Kunde zahlt. Und es ist auch nicht das, was ich als Künstler machen möchte. Aber da es nichts bringt, immer nur zu meckern, habe ich mich von dieser Art des Business verabschiedet, um zu beweisen, dass ich es besser kann. Andernfalls hätte ich den Mund halten und es dulden müssen, wäre aber unglücklich abends nach Hause gegangen. Aber das wollte ich nicht. Denn niemand hat das Recht, mir den Spaß und den Idealismus an meinem Beruf zu nehmen. In den letzten Produktionen, in denen ich gearbeitet habe, war es aber in der Tat so, dass ich zu oft mit der Situation unzufrieden war.
Denken Sie, das KATiELLi Theater könnte im Musicalbereich so etwas wie der Off-Broadway werden, wo Musicals erst einmal vor kleinem Publikum ausprobiert werden?
Absolut! Das haben wir mit „tick, tick… BOOM!“ ja schon gezeigt, und das findet auch Zuspruch. Ich habe auch schon Anfragen bekommen von Leuten, die hier Try-outs von Musicalproduktionen in kleiner Form spielen möchten. Während es in den USA ja einen richtigen Markt für kleine Musicals – so genannte Small-Cast-Musicals – gibt, ist das in Deutschland ja noch nicht so etabliert. Und das ist das, was ich gern möchte. Ich möchte dabei am Musiktheater festhalten, ab und zu auch mal Sprechtheater spielen, aber hauptsächlich Musiktheater, weil ich von dort komme. Es gibt einfach so viele kleine Musicals, für die ich das KATiELLi Theater gern als Standort etablieren möchte. Bei „tick, tick… BOOM!“ ist es ja auch noch so, dass ich die deutsche Übersetzung gemacht habe und so als Übersetzer Fuß fassen konnte. Das ist wichtig, weil es ja für viele dieser kleineren Musicals noch keine deutschen Übersetzungen gibt. Und dass „tick, tick… BOOM!“ sehr gut funktioniert, sehe ich an zehn ausverkauften Vorstellungen.
Also sollen Musicals einen Schwerpunkt im Spielplan des KATiELLi Theaters bilden?
Schwerpunkt kann ich nicht sagen. Aber es wird immer seinen festen Platz haben. Ich werde versuchen, zwei Musicalproduktionen pro Jahr zu realisieren, was für ein kleines Haus echt viel ist. Ein Stück wie „tick, tick… BOOM!“ fängt zum Beispiel nach zehn ausverkauften Vorstellung an, sich zu rechnen und Gewinn abzuwerfen. Allerdings muss ich schauen, ob ich es überhaupt schaffe, mehr als 1.000 Menschen mit so einem Stück zu erreichen. Momentan plane ich jedenfalls mit zwei Produktionen pro Jahr. Was letztendlich die Zukunft bringt, muss man sehen. Das hängt natürlich auch vom Publikum ab. Wenn es genug Leute gibt, die Musicals im KATiELLi sehen wollen, werde ich auch mehr machen und vielleicht mal ein Repertoire aufbauen. Aber noch bin ich ganz am Anfang.
Wollen Sie denn ausschließlich Ihr eigenes Programm zeigen oder das Theater auch an andere Künstler vermieten?
Ich habe bereits Anfragen und bin für alles offen. Ich habe nun mal dieses Theater, wo ich meine Sachen zeige, aber würde es durchaus auch anderen Künstlern zur Verfügung stellen. Das wird die Zeit mit sich bringen. Grundsätzlich soll es aber so sein, dass ich hier meine Eigenproduktionen mache und versuchen möchte, diese auch weiterzuverkaufen. Dann könnte ich hier auch noch viel mehr machen. Wenn ich wüsste, dass es jemanden gibt, der ein Stück noch mal im größeren Stil irgendwo zeigen will, würde sich das auch entsprechend für mich und mein Haus rechnen.
Mit „tick, tick… BOOM!“ haben Sie eine deutschsprachige Erstaufführung ins KATiELLi Theater gebracht. Warum fiel die Wahl gerade auf dieses Stück?
Ehrlich gesagt, war das rein zufällig. Ich habe mich schon vor zwei Jahren damit beschäftigt, welche Small-Cast-Musicals es gibt, und bin während meiner Recherchen auf das Drei-Personen-Stück „tick, tick… BOOM!“ gestoßen. Also habe ich mir die Musik angehört – die mir übrigens sofort gefallen hat – und habe mich mit der Story beschäftigt, die ich klasse finde und mit der ich mich identifizieren kann. Es geht in dem Stück ja um einen Künstler, der kurz vor seinem 30. Geburtstag steht und sich fragt, wie es weitergehen soll und ob er noch mal etwas wagen sollte. Das ist auch ein bisschen meine Geschichte. Also habe ich das Stück übersetzt, beim Verlag eingereicht und die Aufführungsrechte bekommen. Und ich wurde da wirklich mit offenen Armen empfangen, da es bereits mehrere Anfragen zu „tick, tick… BOOM!“ von anderen Theatern gab – nur gab es noch keine deutsche Fassung.
Heißt das also, es war recht leicht, die Aufführungsrechte zu bekommen?
Nicht unbedingt. Es war natürlich nicht von vornherein klar. Der Verlag hat mich erst mal machen lassen in Bezug auf die Übersetzung. Trotzdem musste es da noch entschieden werden, ob ich das Stück aufführen darf. Auf den Zuschlag musste ich also ganz normal warten und hoffen wie manch anderer auch.
Und wie haben Sie Ihre Hauptdarsteller für „tick, tick… BOOM!“ gefunden? Gab es eine klassische Audition oder haben Sie Alex Melcher und Vera Bolten gezielt angefragt?
Das war auch eher zufällig. Ich hatte mir Vera Bolten telefoniert und wird sprachen über die Eröffnung des KATiELLi Theaters. Als ich ihr dann erzählte, dass ich „tick, tick… BOOM!“ aufführen möchte, war sie begeistert, da sie das Stück schon immer gemeinsam mit Alex Melcher spielen wollte. Alex Melcher war ja schon bei der deutschsprachigen Erstaufführung von „Rent“ dabei und hat sich dementsprechend auch mit dem Komponisten Jonathan Larson beschäftigt. Also habe ich Vera und Alex zu mir eingeladen, um die Konditionen zu besprechen. Sie wollten dann erst mal die Übersetzung lesen und haben relativ spät zugesagt, so dass ich schon daran dachte, eine öffentliche Audition auszuschreiben. Es stand sogar schon ein Termin für die Audition, für die sich sehr tolle und interessante Leute beworben hatten. Letztendlich habe ich die Audition aber abgesagt, da ich zwischenzeitlich die Zusage von Vera und Alex bekommen habe. Das hat mich sehr gefreut.
Sie haben viele Jahre selbst auf der Bühne gestanden, nun sind Sie Theaterleiter. Wollen Sie künftig also mehr im Hintergrund arbeiten oder auch weiterhin noch selbst auf der Bühne stehen?
Ich versuche, beides miteinander zu kombinieren. Als Theaterleiter habe ich eben auch sehr viele administrative Aufgaben: Ich muss mich um die Buchhaltung kümmern, muss die Bestellung für das Vorderhaus machen und mich dem Papierkram widmen. Glücklicherweise habe ich dabei aber auch sehr liebe Hilfe von der Familie und von Freunden. Meine Mutter macht beispielsweise die Kasse und meine Schwägerin steht im Foyer hinter dem Tresen – alles auf ehrenamtlicher Basis, da ich mir noch keine Angestellten leisten kann. Grundsätzlich ist es aber so, dass ich in Datteln so etwas wie ein Lokalpatriot bin und die Leute mich auch auf der Bühne sehen wollen. Gerade bei „KATiELLi Christmas“ und „tick, tick… BOOM!“ – den Shows, in denen ich selbst mitgewirkt habe – habe ich den enormen Besucherstrom gemerkt. Wenn ich mich also nur noch im Hintergrund bewege, würde ich mir vieles kaputt machen und vielleicht weniger Tickets verkaufen. Außerdem spare ich ja auch die Gage für einen Künstler, wenn ich selbst mitspiele. Über allem steht aber, dass es mir einfach Spaß macht und ich sehr gern auf der Bühne stehe.
Was sind Ihre nächsten Pläne für das KATiELLi Theater?
Es geht so weiter wie es angefangen hat – hoffentlich genauso großartig (lacht). Aber im Ernst: Ich möchte ein buntes Programm bieten und beibehalten. Den Kindern bin ich zum Beispiel noch ein Kindertheaterstück schuldig geblieben. Das möchte ich ändern und auch mal ein Kinderstück spielen. Für die Jugendlichen dagegen war „tick, tick… BOOM!“, und für die Senioren gibt es einen Schlagerabend. Ich möchte somit die ganze Bandbreite abdecken und auf jeden Fall auch meine Eigenproduktionen machen. So freue ich mich, im September das Musical „Wenn Rosenblätter fallen“ im KATiELLi zu Gast zu haben. Und im Oktober und November wird es auch eine weitere Spielserie von „tick, tick… BOOM!“ geben. Wenn es so weitergeht, wie es angefangen hat, freue ich mich auf die kommenden Jahre.