Auf in die nächste Saison!

Die Bühnen der Spielzeit 2015/16 waren wieder einmal fest in der Hand von Eliza Doolittle und Professor Higgins. In gefühlt jeder dritten Stadt grünte es so grün. Die Theater vor der eigenen Haustür haben aber weit mehr zu bieten als nur die bewährten Klassiker von Frederick Loewe & co.

Wir werfen einen Blick auf die spannenderen und ausgefalleneren Premieren im deutschsprachigen Raum und schauen, welche Spielplan-Entscheidungen das Musicalfan-Herz in der kommenden Saison höherschlagen lassen.

„Sunset Boulevard“ gehört zwar mittlerweile fast schon zum Standard-Programm der städtischen Bühnen, aber durch ihre Besetzungen der Norma Desmond mit Pia Douwes bzw. Gitte Haenning haben sich die Theater Dortmund und Lübeck Aufmerksamkeit verschafft.

In Lübeck steht außerdem „Mass“ auf dem Programm, in dem Leonard Bernstein diverse Musikstile des 20. Jahrhunderts von Jazz bis zur Zwölftontechnik verarbeitet. Wer einen leichteren Bernstein sehen will, sollte die Staatsoperette Dresden mit der Großstadt-Hommage „Wonderful Town“ ins Visier nehmen.

Einen weiteren, hierzulande selten gespielten Klassiker gibt es auch in Hof zu sehen. Dort toben in „Annie Get Your Gun“ Cowboys und Indianer über die Bühne, die vorher schon von den Nibelungen in der Neufassung von Frank Nimsgerns „Der Ring“ belagert wird.

Erfreulich viele Stücke finden in dieser Spielzeit zum ersten Mal ihren Weg nach Deutschland. Auffällig ist dabei, dass dabei eher ernste Themen im Mittelpunkt stehen, wie die bisher semi-erfolgreiche tragische „Love Story“ (Grenzlandtheater Aachen), das fantasyhafte Vater-Sohn-Drama „Big Fish“ (Prinzregententheater München als Musicalabschlussprojekt der August Everding Theaterakademie) oder die Geschichte um drei US-Soldaten vor dem Weg nach Vietnam und ihre zynische Wette in „Ein hässliches Spiel“ [Dogfight] (Theater für Niedersachsen).

Das Freie Musical Ensemble Münster wagt sich an das heikle Thema Holocaust. „Imagine This“ handelt von einer Theatergruppe im Warschauer Ghetto, die es wagt, ein Stück mit zeitkritischem Ansatz aufzuführen.

Gleich zwei Erstaufführungen gibt es am Theater Trier: den Rock-Thriller „Murder Ballad“ sowie das mit zwei Tony Awards ausgezeichnete „Die Brücken am Fluss“ [The Bridges of Madison County]. Jason Robert Browns Herzschmerz-Drama findet kurz nach der deutschen Erstaufführung auch in Chemnitz den Weg auf die Bühne.

Nachdem „Thrill Me“ auf kleinen Bühnen schon einige Jahre erfolgreich läuft, kommt ein weiteres Werk von Stephen Dolginoff zu uns. Sein melodramatischer Thriller „Flammen“ [Flames] um eine verbrannte Leiche, angebliche Unterschlagungen und eine unerwiderte Liebe wird seine deutsche Erstaufführung im Brandenburger Theater erleben.

In Lüneburg tanzen neben den Klassikern „Evita“ und „Oliver!“ erstmals die Teufel. Die Musicalversion des Slasher-Klassikers „Tanz der Teufel“ [Evil Dead – The Musical] verspricht ein kunstblutlastiger, trashiger Spaß zu werden [Anm. d. Red. / 19.08.2016: Produktion wurde inzwischen abgesagt und durch „Die Addams Family“ ersetzt].

Natürlich werden auch einige Werke zum allerersten Mal auf die Bretter geschickt. William Ward Murta bringt sein drittes für das Theater Bielefeld geschriebenes Musical „Das Molekül“ zur Uraufführung und verknüpft darin den wissenschaftlichen Wettlauf um das DNA-Geheimnis in den Fünfzigern mit einem der ganz heißen Eisen unserer Zeit, der Entwicklung der Gentechnologie.

Ebenfalls zum ersten Mal erblickt in Esslingen „Doctor Faustus‘ Magical Circus Part II“ des „Wunder von Bern“-Komponisten Martin Lingnau das Scheinwerferlicht – laut Angaben des Theaters eine Mischung aus Monty Python, Beatles und Weimarer Klassik nach dem Motto ‚Alles, was Sie schon immer mal über den Faust wissen wollten‘.

Karlsruhe hat die Uraufführung der Musicalversion von George Taboris Theater- und Bibel-Satire „Die Goldberg-Variationen“ mit Musik von Stanley Walden im Gepäck. Und passend zum Reformationsjubiläum nehmen die Theater Fürth und Nordhausen erstmals ihre Martin-Luther-Stücke „Luther – Rebell Gottes“ (Musik: Christian Auer) und „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders“ (mit Musik des Nordhäuser Intendanten Daniel Klajner) ins Programm.

Außerdem gibt es noch Musical im Musical („Hochzeit mit Hindernissen“ [The Drowsy Chaperone], Bielefeld), kreative Beerdigungsunternehmer („Sarg niemals nie„, Theatercouch Wien), Fußball in Nordirland („The Beautiful Game„, Koblenz), Mörderjagd im Theater („Curtains„, Münster), Computerfreaks („Loserville„, Wiesbaden), maskierte Revolutionsgegner („Das scharlachrote Siegel“ [The Scarlet Pimpernel], Chemnitz) und fliegende Autos („Tschitti Tschitti Bäng Bäng„, Gera-Altenburg) .

Bleibt die Frage: Welche Stücke werden in Deutschland am meisten inszeniert? Nach derzeitigem Stand sind u.a. „The Addams Family“ (Osnabrück, Wiesbaden und am Nordharzer Städtebundtheater), „Shockheaded Peter“ (Chemnitz, Göttingen, Wiesbaden) und „Cabaret“ (Magdeburg, Trier und am Theater für Niedersachen) jeweils drei Mal vertreten. Aber mit sechs Indoor-Neuprodutionen (in Bonn, Darmstadt, Eggenfelden, Kiel, Lüneburg und Meiningen) bekommt die gute alte „Evita“ den Spitzenplatz.

Besonders großes Publikumsinteresse wird aber zweifellos „Mary Poppins“ in Stuttgart auslösen. Die Stage Entertainment hat die Geschichte um das zauberhafte Kindermädchen zu ihrer nächsten großen Premiere – und Nachfolgeproduktion von „Tarzan“ – erkoren.

Auch unsere deutschsprachigen Nachbarländer sind recht experimentierfreudig.

In Basel dreht sich das selten aufgeführte „Carousel“ und das Theater St. Gallen darf sich freuen, die Aufführungsrechte für „Tanz der Vampire“ bekommen zu haben.

Die Theater in Österreich hegen und pflegen ihre Musicaltradition u.a. mit der Österreichischen Erstaufführung von „Nostradamus“ (Innsbruck), dem Klassiker „Gypsy“ (Klagenfurt) und den Uraufführungen der biografischen Stücke „Schikaneder“ (Raimund Theater Wien, Musik von Stephen Schwartz) sowie „Vivaldi – Die fünfte Jahreszeit“ (Volksoper Wien, Musik von Christian Kolonovits).

Einen der abwechslungsreichsten und mutigsten Spielpläne hat aber das Landestheater Linz vorgelegt. Die erste Musical-Premiere der Spielzeit „In 80 Tagen um die Welt oder Wie viele Opern passen in ein Musical?“ war im Osloer Uraufführungstheater noch als ‚Oper‘ betitelt und die Hörbeispiele auf der Internetseite des Komponisten Gisle Kverndokk klingen auch mehr danach. Als europäische bzw. deutschsprachige Erstaufführung folgen „Préludes„, eine musikalische Fantasie im Kopf des Komponisten Sergej Rachmaninow (und damit ein weitere Künstler-Biografie), sowie „Ghost – Nachricht von Sam„.

Die Spielzeit 2016/17 verspricht also spannend zu werden!

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