Rob Pelzer (Conférencier), Inga Krischke (Sally Bowles), Ensemble, Kit-Kat-Klub-Band © Thomas Rabsch
Rob Pelzer (Conférencier), Inga Krischke (Sally Bowles), Ensemble, Kit-Kat-Klub-Band © Thomas Rabsch

Cabaret (seit 11/2022)
Schauspielhaus, Düsseldorf

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Knapp 60 Jahre nach seiner Uraufführung zieht Joe Masteroffs Musical-Klassiker „Cabaret“ die Zuschauer ins Düsseldorfer Schauspielhaus. Dies ist zuallererst der aktualisierten Inszenierung André Kaczmarczyks zu verdanken, der selbst in der Rolle des Conférenciers durch den Abend führt. Sein musikalisches Lustspiel auf der Bühne spricht sich für Toleranz gegenüber jedweder Diversität aus, mahnt zugleich zu politischer Achtsamkeit und trifft damit den Puls der Zeit.

Cliff Bradshaw, ein aufstrebender britischer Schriftsteller, sucht im Berlin der 1930er Jahre seine Muse und findet sie zunächst in Sally Bowles, dem Star des frivolen Kit-Kat-Klubs, die zugleich eine völlig entwurzelte junge Frau ist. Rasch färbt sich das eben noch so freizügige Berlin zunehmend politisch dunkelbraun. Plötzlich stehen Solidarität und selbst die große Liebe auf dem Prüfstand. Von wegen „Life Is A Cabaret“!

André Kaczmarczyk gelingt es, sein „Cabaret“ mit fast drei Stunden Spielzeit sehr lebendig und kurzweilig auf die Bühne zu bringen. In der Erzählerrolle des androgynen Conférenciers macht er sich das Stück vollends zu eigen und wirkt vollkommen authentisch in der Rolle des queeren Showmasters. So lädt er das Publikum ein, sich verführen zu lassen – von der ausgelassenen Stimmung, die die Showgirls und -boys des Kit-Kat-Klubs versprühen. Das klingt nach Freiheit und Ausgelassenheit, die jedoch beide schnell ins Straucheln geraten:

Der große Umschnall-Phallus und übergroße Plüschbrüste kommen nicht bei allen Zuschauern gut an. So schafft Kaczmarczyk es, seinem Publikum zu demonstrieren, wie schnell jeder von uns selbst in die Rolle des Richtenden kommt und wie bedacht es in politisch unsicheren Zeiten zu sein gilt, sodass nicht am Ende wie hier eine Ideologie wie der Faschismus zum Verführer wird.

Einige Elemente hat Kaczmarczyk der Vorlage verfremdet, sodass die in schwarze Ledermäntel gekleideten SS-Männer und das immer mehr auftauchende Blau mehr in die heutige Zeit zu passen scheinen als in die dargestellten 1930er Jahre Berlins.

Das Bühnenbild von Ansgar Prüwer bedient und nutzt die Vorzüge der riesigen Drehbühne des Theaters, sodass Umbau oder Aufräumarbeiten im Verborgenen stattfinden können. Das fortschreitende Aufkommen des Faschismus´ bekommt somit rein optisch, durch die fortlaufende Linksdrehung der Bühne, eine zeitliche Dimension, findet aber auch über lange Strecken nahezu im Verborgenen statt: am rechten Bühnenrand erscheint stets das neue Bühnenbild. Der Zuschauer reist mit der Drehung durch die Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus´. – Da kann einem schon mal schwindelig werden! Die Figuren, die eben noch der Identifikation dienten, verharren am Ende, bewegen sich nicht mehr vom Fleck, während der Kit-Kat-Klub und auch der Conférencier sich rein optisch der Darstellung der SS-Männer angepasst haben. Erschrocken und angewidert schreckt der Zuschauer zurück.

Dabei war doch bereits in den ersten Szenen ein Wahlplakat der Nationalsozialisten zu sehen und der sensibilisierte Zuschauer mag auch im Wortspiel Kit Kat Kit Kat –Tik Tak Tik Tak in der Kulisse des Kit-Kat-Klubs bereits Vorzeichen gesehen haben: dass die Verführung durch den Conférencier einerseits Taktik ist, dem Publikum schließlich den Spiegel vorzuhalten, aber auch hier und heute Zeit verrinnt, in der ähnliche politische Bewegungen anklingen.

Die Kostüme von Martina Lebert sind allesamt mit viel Bedacht zum Detail ausgewählt: Auf der einen Seite zeigt sie freizügige Show-Kostüme in Lack und Leder, mit Federn, Pailletten und Ketten geschmückt. Auf der anderen Seite sind die der dargestellten Zeit und Mode entsprechenden schlichten Alltagskostüme bewusst gewählt, die einen großen Kontrast darstellen. Der Figur der Sally Bowles fehlt in der Lebenswelt ihres neuen Freundes Clifford Bradshaws offensichtlich die Orientierung, scheint sie mit ihren freizügigen Kleidern so gar nicht in diesen Teil der Gesellschaft zu passen. So werden die Kostüme der Sally immer wieder, der Entwicklung der Figur und ihrer freien Wahl entsprechend, angepasst. Ganz im Gegensatz dazu stehen die farblichen Umbrüche im Kit-Kat-Klub über blau und schwarz sowie die Affenmasken, die die Showgirls unter der Regie der Nazis tragen und somit vorgeben müssen etwas zu sein, was sie gar nicht sind.

Lou Strenger gibt eine herrlich verruchte und zugleich mädchenhafte Sally Bowles. Sie singt, spielt und tanzt mit großer Hingabe. Der Zuschauer fühlt sich wie selbstverständlich in die oft orientierungslos wirkende junge Frau ein. Gleichzeitig überzeugt sie als Showgirl und Star des Kit-Kat-Klubs auf ganzer Linie. Klassiker wie „Money Money“, „Mein Herr“ und den Titelsong „Cabaret“ singt sie mit voller Inbrunst und reißt ihr Publikum mit.

Die Besetzung der Rolle des im Original des Stückes eher blassen Engländers Clifford Bradshaw durch den non-binären, transgender Schauspieler und Sexworker Belendjwa Peter ist so passend, um „Cabaret“ in die 2020er Jahre zu bringen. Darüber hinaus stellt Peter mit einer Bandbreite zwischen schüchterner Naivität und starker Präsenz die Zerrissenheit seiner Figur vollends gelungen dar. Sanfte Töne liegen ihm besonders.

Rosa Enskat als Fräulein Schneider spielt und singt sich souverän mit einer enormen Präsenz und Stärke von einer Nebenrolle in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und tritt als die stärkste Dame des Abends auf.

Die achtköpfige Band spielt die gesamte Zeit in der Kulisse des Kit-Kat-Klubs und fügt sich somit wunderbar in das Bühnengeschehen ein, wenn sie auch der Story entsprechend optisch im Hintergrund bleibt. Unter der Leitung von Matts Johann Leenders spielen die Musiker in vollem Klang die Songs von John Kander. Über Revuenummern, Jazz und Ragtime bis hin zum vaterlandsverherrlichenden Volkslied („Der morgige Tag ist mein“) spielt die Band mal fetzig, mal volkstümlich auf. Die Lebendigkeit des ersten Aktes weicht nach der Pause dem abgeflachten, beschränkten Spielraum, den die Entwicklung der Story vorgibt.

Dazu sind die Stimmen der Darsteller meist klar und deutlich austariert. Lediglich im Sprechgesang des Ensembles büßt der Text und somit dessen Botschaft ein wenig an Verständlichkeit ein.

John Kanders Songs werden mit den englischen Originaltexten von Fred Ebb vorgetragen und fügen sich phantastisch in das dargestellte Showmilieu ein. Da die Dialoge ausschließlich im Deutschen gesprochen werden, bleibt somit die Authentizität des Abbildes deutscher Geschichte bestehen.

Die eigentliche Kulisse des Geschehens stellt das verführerische Ballett des Kit-Kat-Klubs dar: immer sexy im Auftritt, synchron und präzise im Tanz und klangvoll im Gesang. Anders als im Original treten sowohl Showgirls als auch -boys auf und „ebenso viele, die sich dazwischen bewegen“, wie Kaczmarczyk als Conférencier erklärt. Die Choreografien von Bridget Petzold beleben das Stück und setzen auf viel Power im Lapdance, Shag, Charleston und den klassischen Kicklines. Eine Augenweide, die es nicht nötig hat, auf nackte Haut zu setzen! Die Synchronität, Spannung und Energie, die das Ensemble somit transportiert, lenken immer wieder von den unbequemen und gefährlichen Einflüssen der Nationalsozialisten ab, bis das Ballett schließlich Marschschritte performt. Alle Leichtigkeit, die eben noch im Stepptanz wie zum Trotz des Faschismus´ zum besten gegeben wurde, verfliegt durch die neue Dynamik der neuen Marschrichtung. Sally bäumt sich noch einmal in angepasster Nachtklub-Kluft beim Titelsong „Cabaret“ auf. Ihre Freunde aus dem Ballett sind alle in den Hintergrund gerückt. Das Finale bleibt aus und der Zuschauer wird mit seinen eigenen Gedanken entlassen, wie es (jetzt) wohl weiter geht.

Die Spielzeit für „Cabaret“ in Düsseldorf geht bald zu Ende. Es lohnt sich unbedingt, noch nach Restkarten Ausschau zu halten. Dieser nahezu rundum gelungene Musicalabend, der ohne seichte Unterhaltung bei augenscheinlicher Schlüpfrigkeit auskommt, kann sich sowohl sehen als auch hören lassen!

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
InszenierungAndré Kaczmarczyk
Musikalische LeitungMatts Johan Leenders
BühneAnsgar Prüwer
KostümMartina Lebert
ChoreografieBridget Petzold
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
ConférencierAndré Kaczmarczyk
Rob Pelzer
Sally BowlesLou Strenger
Inga Krischke
Clifford BradshawBelendjwa Peter
Ernst LudwigRaphael Gehrmann
Fräulein SchneiderRosa Enskat
Herr SchultzThomas Wittmann
Fräulein KostClaudia Hübbecker
Kit Kat Girls and BoysJacob Zacharias Eckstein
Jill-Marie Hackländer
Lara Hofmann
Miro Mitrovic
Bridget Petzold
Yaroslov Ros
Gesa Schermuly
Valentin Stückl
Malin Tusche
Show Girls and BoysJeremy Allen
Thor Galileo Axé
Valeri Bannikov
Ramona Buschhaus
Joelle Czampiel
Mariam Dubiel
Isoken Iyahen
Gina Künnecke
Nicole Marpmann
Carl Phillip Wrobel
Besucher des Klubs / Gäste bei der Verlobung / PassantenKassandra Giftaki
Sylvia Göhring-Fleischhauer
Rainer König
Jochen Moser
  
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE
Fr, 29.11.2024 19:30Schauspielhaus, Düsseldorf
Fr, 06.12.2024 19:30Schauspielhaus, Düsseldorf
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
TERMINE (HISTORY)
Di, 01.11.2022 19:00Schauspielhaus, DüsseldorfVoraufführung
Do, 03.11.2022 19:00Schauspielhaus, DüsseldorfVoraufführung
Sa, 05.11.2022 19:30Schauspielhaus, DüsseldorfPremiere
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