Ensemble © Juliane Menzel
Ensemble © Juliane Menzel

Mein Freund Bunbury (2019)
Brandenburger Theater GmbH, Brandenburg (Havel)

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Musical made in GDR – auch das gibt es! Der erfolgreichste Vertreter heißt „Mein Freund Bunbury“ und hat es aus der ehemaligen DDR sogar bis an den Broadway geschafft. 55 Jahre nach der Uraufführung wirkt das Stück in der werkgetreuen Inszenierung von Frank Martin Widmaier auch wegen der Revue-Operetten-Partitur von Gerd Natschinski recht hausbacken und gestrig. Punkten kann die Aufführung mit guten Darstellern (Verena Barth-Jurca, Robin Poell), einem klangschönen, beweglichen Laienchor und einem tollen Orchester.

Die feinen englischen Lords und Ladys treffen sich zu Soireen im Salon von Lady Auguste Bracknell. Mit ihrem Song „We are the upper ten“ beschwören sie musikalisch eine Zeit von Sitte, Anstand und Moral herbei und klopfen very british mit den Teelöffeln rhythmisch gegen ihre Tassen. Ganz so, als wollten sie ihren konservativen Lebensstil festnageln. Doch außerhalb iher verfallenen Herrenhäuser sind diese Zeiten in den wilden zwanziger Jahren in London längst passé. Bei den ausschweifenden Partys im Hause von Lady Augustes Neffen, dem Lebemann Algermon Moncrieff, probiert man Modetänze wie Charleston oder Black Bottom aus und unterm Treppenabsatz schlüpft ein schwules Pärchen hervor.

Eine Gemeinsamkeit haben beide Haushalte jedoch: Das Dienstbotenproblem! Bei Lady Bracknell serviert dienstags, donnerstags und samstags ein Butler namens John Gurkenbrötchen, die bei Algermon montags, mittwochs und freitags von Jeremias gebracht werden. Dass keiner wirklich merkt, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, gehört zu den vielen dramaturgischen Ungereimtheiten im Buch von Helmut Bez und Jürgen Degenhardt, das frei auf einer Komödie von Oscar Wilde basiert.

Dabei ist es nicht nur das Dienstboten-Doppelleben, das bis zum Finale aufgeklärt werden muss. Auch bei allen anderen Hauptfiguren fällt das Lügengebäude um falsche Identitäten oder Jobs wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Selbst der bisher erfunden geglaubte Freund Bunbury, der im Verlauf des Stücks immer wieder als Pseudo-Alibi herhalten muss, wird zum Schluss als real enttarnt.

Die sehr abwechslungsreiche Musik von Gerd Natschinski verquickt neben den bereits erwähnten Modetänzen auch Tango, Walzer, Foxtrott und den orientalischen Song „Fatima“ zu einer Partitur, die allerdings eher nach Revue-Operette als nach Musical klingt. Wie beim Duett „So wie du“ schwelgen die Brandenburger Symphoniker unter der Leitung von Hannes Ferrand routiniert-bravourös in großen, schmachtenden Melodienbögen, lassen, beispielsweise im burlesken „Piccadilly“, jedoch auch beschwingtere Töne aus dem Orchestergraben hören.

Frank Martin Widmaier inszeniert werkgetreu und ohne Regie-Mätzchen, motzt den in die Jahre gekommenen Musical-Oldtimer jedoch auch mit frischen Ideen auf. So zitiert zum Beispiel in der Eingangsszene in der Victoria-Station ein Schaffner bekannte Deutsche-Bahn-Floskeln zu falschen Wagenreihungen oder fehlenden Reservierungsanzeigen. Sind die Figurenzeichnungen eher bieder geraten, fasziniert Widmaiers Staging in den Massenszenen. Hier glänzen die bewegungsfreudigen Mitglieder von Theater- und Extra-Chor, die als Laien-Ensemble auch ihre vielen Gesangsaufgaben respektabel meistern. Gleiches gilt für die sechs Susi-Miller Girls, die Marie-Christin Zeissets schwungvolle Revue-Choreografien sehr synchron tanzen.

Eine wahre Augenweide sind die vielen 20er-Jahre-Kostüme von Patricia Walczak, die gemeinsam mit Regisseur Widmaier auch das Bühnenbild verantwortet. In dem mit weißen Stoffbahnen begrenzten Bühnenraum rotiert die Drehbühne mit einem weißen Treppenpodest, zu dem je nach Szene weitere Möbel und Versatzstücke gestellt werden. Das ist alles sehr funktionell und ermöglicht schnelle Szenenwechsel. Atmosphäre zaubern die animierten Videoprojektionen im Bühnenhintergrund (Agi Kruczek), bei denen in der Bahnhofszene Züge ein- und abfahren oder sich durchs Bild windende Schlangen für Orientflair sorgen.

Da das Brandenburger Theater über kein eigenes Ensemble mehr verfügt, werden die Hauptpartien allesamt mit Gästen besetzt. Ost-Ikone Dagmar Frederic gibt eine mondäne Lady Bracknell, der man weder ihren Standesdünkel noch ihre wirtschaftlichen Probleme so recht abnehmen will. Frederic spielt ihre Rolle distanziert und setzt mehr auf Bühenpräsenz als auf facettenreiches Spiel. In ihrem schelmischen Solo „Ein bisschen Horror und ein bisschen Sex“ punktet sie jedoch mit ihrer guten Chanson-Stimme.

Lady Bracknells Tochter Gwendolen spielt Désirée Brodka als aufsässige, selbstbewusste Frau, die mit großem, klassisch geschulten Operettendiva-Sopran Songs wie das erwähnte „Fatima“-Solo fast sprengt. Wenn sie sich, wie in den Duetten mit Jack (Alexander Kerbst) gesanglich etwas zurücknimmt, klingt das schon mehr nach Musical. Kerbst auf den Punkt besetzt, ist mit schönem Bariton ein guter Duettpartner und glänzt besonders im witzigen Hochstapler-Tango. Gunter Sonneson spielt die Butlerfigur, wie man sie sich vorstellt: Zurückhaltend und mit spleenigem Witz. Im Quintett „Wie die Männer lügen“ hat er auch eine kleine gesangliche Aufgabe, in die er sich mit seiner sonoren Stimme gut einbringt.

Als Glücksfall erweist sich die Verpflichtung von Verena Barth-Jurca (Cecily) und Robin Poell (Algernon). Sie pendelt geschickt zwischen keuschem Heilsarmee-Mädel und keckem Sunshine-Girl hin und her, er ist Schlitzohr, Lebemann und ein hervorragender Stepptänzer. Beide bewältigen ihre vielen Solo-, Duett- und Ensemblesongs mit der Musical-Leichtigkeit, die den anderen Darstellern oft fehlt.

Der recht alberne Verwechslungskomödienstoff des Musicals mag zur Uraufführung 1964 in Ost-Berlin dem Zeitgeschmack entsprochen haben. Schon wegen des „exotischen“ Handlungsortes London dürfte er in einem Land, in dem freies Reisen unmöglich war, zum Publikumsmagneten avanciert sein. Doch um das angestaubte Werk heutzutage angemessen würdigen zu können, bedarf es einer frecheren mutigeren Herangehensweise, als sie das Brandenburger Kreativteam an den Tag legt. Momentan reicht es für einen netten (n)ostalgischen Abend – nicht weniger, aber eben auch nicht mehr!

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungHannes Ferrand
InszenierungFrank Martin Widmaier
BühnenbildPatricia Walczak
Frank martin Widmaier
KostümePatricia Walczak
ChoreografieMarie-Christin Zeisset
Choreografie-AssistenzRobin Poell
Vido-ProjektionenAgi Kruczek
 
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CAST (AKTUELL)
Jack WorthingAlexander Kerbst
Cecily CardewVerena Barth-Jurca
Algeron MoncrieffRobin Poell
Lady Auguste BracknellDagmar Frederic
GwendolenDésirée Brodka
Frederic ChasubleKarsten Drewing
Laetitia PrismBeate Breunung
Jeremias, JohnGunter Sonneson
Die Susi-Miller GirlsAnna Strehlau
Andrea Stehlau
Jessica Gurtenschwager
Lara Zabel
Luisa Pieth
Stacey Rosner
Lord IpswichStefan Drotleff
Lady IpswichMarika Schwarz
Lady PlumperingCharlotte Reschke
Lady GreenhamBeate Breunung
Freunde Algernons, Passanten, Reporter, Heilsarmee, GästeStefan Drotleff
Fritz Schulze
Vinzenz Thiele
Martin Surek
Katrin Hüttig
Steffi Thiele
Rike Müller
Sylvia Drewing
Martina Fabian
Anett Fritsch
Martha Gappert
Petra Heinrich
Claudia Herenz
Renate Hoffmann
Lisa Kläge
Sebastian Lindmayr
Cordula Linke
Birgit Nicolai
Charlotte Reschke
Andrea Scharner
Gaby Schlamann
Christina Schröder
Simone Schulze
Marika Schwaz
Simone Theuer
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 04.10.2019 19:30Großes Haus, Brandenburg (Havel)Premiere
Sa, 05.10.2019 19:30Großes Haus, Brandenburg (Havel)
Do, 17.10.2019 19:30Großes Haus, Brandenburg (Havel)
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