Dem politisch brisanten Stück kommt in der Entertainment betonten Inszenierung von Bernd Mottl die mahnende Aussagekraft fast vollständig abhanden. Das Potsdamer Schauspiel-Ensemble mogelt sich gesanglich durch die Songs; Maria-Danaé Bansen (Sally Bowles) und die Kit Kat-Truppe (Kiara Brunken, Cindy Walther, Christopher Wernecke, Daniel Wernecke) sorgen für professionellen Musical-Flair.
„Politik – was hat das denn mit uns zu tun?“ fragen im Finale die abgeschminkten Darsteller in heutigen Alltagsklamotten unisono ins Publikum. Bernd Mottls Inszenierung ist im Jetzt und Heute angekommen und soll vom Zuschauer wohl als Mahnung verstanden werden. Wer die heitere Show gesehen hat, der fragt sich jedoch, wovor hier gemahnt wird. Die Schlusssequenz verpufft auch deshalb, weil Sally Bowles im Feder-Showgirl-Outfit unverdrossen weitersteppt und das Publikum von den Worten ablenkt. So wirkt die provozierend-ironische Frage letztendlich eher wie ein ernst-gemeintes Schulterzucken.
Mottl präsentiert eine konsequent glattgebügelte „Cabaret“-Sichtweise, in der Unterhaltung Trumpf ist. Optisch sind keine Nazis in Uniformen präsent, Hitlergruß und Hakenkreuze scheinen unbekannt zu sein. Einzig der hier sehr smart angelegte Ernst Ludwig (Henning Strübbe) darf auf der Verlobungsfeier im Obstladen einige rechte Stammtischparolen herausgrölen und Clifford Bradshaw im zweiten Akt zusammenschlagen. Die einzige Nazi-Figur im Stück verkommt zum verbrämten Einzeltäter.
Fragwürdig ist auch der Einstieg in den zweiten Akt: Zum Ende der Pause nimmt im Orchester der optisch als schmieriger Zuhälter zurecht gemachte Club-Manager Max am Flügel Platz und unterhält die in den Saal strömenden Zuschauer mit verjazzten Variationen des die Nazi-Ideologie verklärenden Songs „Der morgige Tag ist mein“. In der besuchten Premiere goutieren das die Zuschauer naiv mit begeistertem Applaus.
Und wenn zum Schluss der Show „Life is a Cabaret“ vor skizzierter Nazi-Architektur zur revueartig-aufgemotzten Shownummer aufgeblasen wird, dann verbirgt sich hinter dem Brandenburger Tor zwar der Eingang zum KZ Buchenwald, erinnert aber eher an einen Gag in einer „The Producers“-Inszenierung.
Mottl gibt auch keine Antwort darauf, warum die in „Cabaret“ eigentlich immer sehr präsente Figur des Conférenciers in seiner Inszenierung eine eher untergeordnete Rolle spielt. Er ist ein quirlig-überdrehter Ansager im schwarzen Frack mit roten Hackenschuhen, die er im erst in den 1990er Jahren von Komponist John Kander in die Partitur eingefügten Song „I Don´t Care Much“ auszieht und zornig auf den Boden schmeißt. Zwar darf Philipp Mauritz diesen sonst oft gestrichenen Song singen, es erschließt sich allerdings kein Sinn dahinter. Es sind auch Mauritzs eher dem Sprechgesang verpflichteten, begrenzten stimmlichen Fähigkeiten, die diesen Conférencier blass wirken lassen. Sehr witzig hingegen ist sein Auftritt mit den „Two Ladies“, der als Draufsicht auf ein Bett inszeniert ist.
Eigenartig überdreht ist in dieser Inszenierung auch Herr Schultz gezeichnet, den Andreas Spaniol als gestikulierendes Stehaufmännchen gibt. Auch dieser Darsteller mogelt sich im Sprechgesang durch seine Songs, während Kristin Muthwill als handfestes Fräulein Schneider mit ihrer angenehm timbrierten Chanson-Stimme aus dem hauseigenen Schauspiel-Ensemble herausragt. Eine gute gesangliche Leistung zeigt auch Alina Wolff als Matrosen-Luder Fräulein Kost, während Arne Lenk (Clifford Bradshaw) im „Einmalig himmlisches Girl“-Duett an seine stimmlichen und tänzerischen Grenzen stößt.
Einfach eine Wucht ist die gastverpflichtete Maria-Danaé Bansen als flatterhaftes Naivchen Sally Bowles. Bansen ist zwar optisch sehr jung für die Rolle, singt sich aber mit toller, sicher geführter Musicalstimme durch ihre vielen Songs. Außerdem überzeugt sie mit elegantem Tanz in abwechslungsreichen Choreografien von Hakan T. Aslan, der vor allem auch das Kit Kat Klub-Personal fordert. Die zwei rassigen Girls (Kiara Brunken, Cindy Walther) und zwei androgynen Boys (Christopher Wernecke, Daniel Wernecke) glänzen besonders in der hier ohne den Conférencier gesungenen Nummer „Money, Money“, die sie als aufgedunsene Oligarchen zum Besten geben dürfen. Leider übertönt das kleine, vor der Bühne sitzende Orchester unter musikalischer Leitung von Matthias Binner oft den Gesang.
Sehr prächtig sind die oft auch sehr freizügigen Revue-Kostüme von Friedrich Eggert. Das Dreißiger-Jahre-Kostümbild der nicht im Cabaret arbeitenden Figuren ist in den Farbzusammenstellungen hingegen etwas gewöhnungsbedürftig. Das ebenfalls von Eggert entworfene, die gesamte Bühnenbreite einnehmende rote Revue-Theater versprüht schwülstigen Charme – die mit weißen Pinselstrich auf graue Wände skizzierte Welt außerhalb ist dann doch eher trist.
Alles in allem bleibt ein schaler Beigeschmack. Es ist fast schon fahrlässig, dass in einem Bundesland, in dem bei der vergangenen Landtagswahl die rechtsgerichtete AfD mit über 22 Prozent der Stimmen zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen ist, die politische Komponente von „Cabaret“ fast schon schamhaft unter den Teppich gekehrt wird. Gerade dieses Stück schreit nach einer klaren Positionierung, die hier vergeben wurde. Traurig!
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