Rio Reisers Song „König von Deutschland“ kennt jeder – seine Biografie jedoch nur wenige. Im von Frank Leo Schröder inszenierten Portrait des Künstlers steht die Musik im Mittelpunkt, kurze Spielszenen erzählen aus Reisers Leben. Ein Glücksgriff ist die Besetzung der Titelrolle.
Strom und Gas sind abgestellt. Vier Monate lang hat niemand den Telefonanschluss gezahlt. In der Berliner WG der skandalträchtigen linken Polit-Rockband „Ton Steine Scherben“ herrscht Resignation. Ihr Protest-Song „Keine Macht für Niemand“ ist den Auftraggebern nicht radikal genug und damit unbrauchbar für den anti-imperalistischen Kampf. Anfang der 1970er Jahre ist es unruhig in der Bundesrepublik, in der die Jungen gegen Spießertum, Bigotterie und Unterdrückung durch die Eltern-Generation aufbegehren.
Die von Heiner Kondschak für die Bühne adaptierte Biografie des „Scherben“-Frontmanns und späteren „Königs von Deutschland“ serviert dem Publikum in der flotten Inszenierung von Frank Leo Schröder immer wieder solche geschichtlichen Häppchen. Aus heutiger Sicht gestelzt wirkende Polit-Parolen, ein verklemmter Umgang mit Homosexualität und die zeitgemäßen Kostüme von Matthias Müller kommen gut an und sorgen für Heiterkeit im Zuschauerraum. Und dass Claudia Roth kurzzeitig die Rockmusiker managt und sich deshalb nicht als Pressesprecherin bei den Grünen bewirbt, dürfte für die meisten im Publikum neu sein – ebenso wie Reisers innige Freundschaft mit der Schlagersängerin Marianne Rosenberg oder sein politisches Engagement für die PDS.
Allerdings zeigen die recht kurzen Spielszenen vorlagenbedingt nur ein weichgespültes Bild des Protagonisten. Seine Alkohol-Exzesse, die finanziellen Probleme und die sexuellen Eskapaden mit der damit verbundenen Furcht vor einer HIV-Infektion werden eher am Rande abgehandelt. Warum er mit nur 46 Jahren stirbt, bleibt im Stück unklar. Die immer wieder aus dem Off eingespielten Originalzitate Rio Reisers sind eher sperrig, als dass sie dem Publikum Antworten geben. Auch wenn der Aufführung dadurch etwas an Tiefe fehlt, gelingt ihr vor allem eines: Sie stellt Reisers musikalisches Vermächtnis – egal ob als Frontmann der anarchischen Protest-Band oder als ein dem Kommerz verpflichteter Solokünstler – in den Vordergrund. Im ebenfalls von Matthias Müller entworfenen, an eine heruntergekommene Fabrikhalle erinnernden Bühnenraum wird deshalb mehr gerockt als gesprochen.
In dieser als „Schauspielmusical“ angekündigten Aufführung greifen die Schauspieler zu E-Gitarren oder spielen Keyboard, während die Musiker kleinere Sprechrollen übernehmen und singen. Der nur mit der Einstudierung betraute musikalische Leiter Juan Garcia hat hier Großartiges geleistet, auch wenn der Ton gerne mit etwas weniger Dezibel aus den Boxen wummern könnte. Aus dem spielfreudigen, eine Vielzahl an verschiedenen Rollen umfassenden Ensemble ragt Moritz von Treuenfels in der Titelrolle heraus. Er erinnert nicht nur optisch an Rio Reiser, sondern interpretiert die Songs mit großartiger Stimme, die je nach Bedarf sowohl rockig-rotzig als auch sanft-melancholisch klingt. Der charismatische Darsteller zeichnet sein Alter Ego als exzentrischen, nach Erfolg und Liebe Suchenden auf der Überholspur. Damit ist von Treuenfels als „König von Deutschland“ dessen Idealbesetzung und schenkt der Inszenierung viel Authentizität. Bravo!
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