l-r: Tim Grobe, Elias Krischke, Carolin Fortenbacher © Bo Lahola
l-r: Tim Grobe, Elias Krischke, Carolin Fortenbacher © Bo Lahola

Fast normal - Next to Normal (2016 - 2018)
Kammerspiele, Hamburg

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Das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Rock-Musical über das Leben mit einer psychischen Erkrankung ist seit der deutschsprachigen Erstaufführung 2013 ganz gut herumgekommen in Deutschland. Gerade auch für Wiederholungstäter bietet die Hamburger Inszenierung neben einer sehenswerten Besetzung einige interessante Einfälle, die es von anderen deutschsprachigen Inszenierungen deutlich unterscheidet.

Originell ist bereits das Bühnenbild von Lars Peters: Während in anderen Theatern zumeist mehr oder weniger deutlich das Haus der Familie Goodman zu sehen war, ist die kleine Bühne der Hamburger Kammerspiele fast leer. Nur ein tiefer, begehbarer Rahmen steht hinten rechts, ansonsten gibt es noch ein paar Stühle; ein kleiner viereckiger Tisch wird bei Bedarf hereingetragen – das war’s! So stehen in der Eröffnungsnummer die vier Familienmitglieder jeweils vor einem Stuhl, von dem sich Vater Dan seine Kleidung nimmt und sie anzieht, auf dem Mutter Diana die Brote schmiert, die sie dann bald darauf auf dem Boden verteilt.

Doch die Dynamik innerhalb der Familie will in den ersten Szenen noch nicht so recht fesseln. Vielleicht liegt es daran, dass die Darsteller in diesem langen Eröffnungssong – nicht zuletzt aufgrund des Bühnenbildes – verhältnismäßig wenig miteinander agieren, vielleicht auch an dem reduzierten Tempo, mit dem die Band „Wie an jedem Tag“ spielt (in den übrigen Songs wird das gewohnte Tempo gespielt, nur beim Auftaktlied nicht). Vielleicht ist das Ensemble auch einfach zur Premiere noch nicht perfekt eingespielt.

Die Beziehung zwischen den Ehepartnern Diana und Dan wirkt in dieser Inszenierung schon extrem in der Routine erstarrt. Ihrer großen Szene mit den Duetten „Was weißt du?“ und „Kein Mensch“ – eigentlich einer der emotionalen Höhepunkte des ersten Aktes – fehlt hier eine gehörige Portion Spannung. Insbesondere Robin Broschs Dan scheint nur noch egoistisch daran interessiert zu sein, bloß nicht allein gelassen zu werden. Wenn Carolin Fortenbacher als Diana ihm also aufbrausend vorwirft, ihr Leiden nicht wirklich zu verstehen, ist in seinen Antworten kaum Empathie für seine Ehefrau zu spüren. Es entsteht kein wirklicher Kampf bzw. Streit zwischen den beiden, eher ein Nebeneinanderstellen der Meinungen zweier resignierter Menschen.

Doch mit dem Fortschreiten der Geschichte fesselt die gut geschriebene Familien-Geschichte immer mehr. Und so wird die Hypnose-Szene, die Diana den Grund ihrer psychischen Erkrankung aufzeigen soll, in dieser Inszenierung zum Highlight des ersten Aktes. Das ist auch der außergewöhnlichen Ausstrahlung von Tim Grobe als Dr. Madden zu verdanken, der zeitweise wie ein vermeintlicher Wunderheiler daher kommt, dann auch wieder wie ein ganz abgeklärter Geschäftsmann, und dazu auch noch eine geradezu betörende Gesangstimme zum Einsatz bringt. In dieser Szene passt wirklich alles: das Zusammenspiel des Ensembles, der geschickte Mix aus zurückhaltender direkter und indirekter Beleuchtung, das sparsame Bühnenbild, das nicht vom Wesentlichen ablenkt, sowie der leicht humorvolle Unterton, den Regisseur Harald Weiler immer wieder spotartig durch gezielt eingesetzte Übertreibungen aufblitzen lässt – so lässt er z.B. Dr. Madden aufs Finger-Schnipsen die Stühle für die Therapie-Sitzung wie unsichtbar gezogen über die Bühne rollen.

Höchst spannend ist auch die Elektroschock-Szene inszeniert: In dem tiefen Rahmen wurden in der Pause zwei leuchtend orangene Kabel angebracht, die Diana nun an die Handgelenke geschnallt werden. Und während sie zu zuckenden Lichteffekten aus dem Inneren des Rahmens ihren Song „Wär ich nur da“ singt, windet sich Gabe oben drüber – dort ist während des gesamten Stückes sein Reich – in einer Art Todeskampf. Auch nach dem Lied bleibt er während mehrerer Szenen wie tot liegen, bis er merkt, dass seiner Mutter ohne die ausgelöschte Erinnerung an ihn etwas fehlt, und er langsam wieder beginnt sich zu regen.

Die gut aufgelegte fünf-köpfige Band sorgt immer wieder durch kleine ungewöhnliche Phrasierungen für interessante Überraschungen. Während die beiden jungen Männer des Ensembles – Elias Krischke als Gabe und Jan Rogler als Henry – absolut glaubwürdig agieren und ihre Songs souverän absolvieren, gelingen Alice Hanimyan in der Rolle der Natalie wahre Glanzpunkte. Mit einer begeisternden Interpretation ihres Songs „Superboy und seine Schwester aus Glas“ und berührendem differenziertem Schauspiel macht sie deutlich, wie sehr Natalie unter der angespannten Familien-Situation leidet.

Robin Brosch bleibt als Vater im Großteil des Stückes emotional sehr zurückhaltend. Umso überraschender sein Gefühlsausbruch kurz vor dem Finale, als er seinen Sohn umarmt. Carolin Fortenbacher ist musikalisch eine Klasse für sich; sie kann in den leisen Momenten ebenso überzeugen wie in den lauteren und spielt im Gesang regelrecht mit den Emotionen. Berührend sind die Szenen mit ihrer Tochter geraten: distanziert zum Beginn und mit einer Entwicklung, die so manche Träne im Publikum heraufbeschwören dürfte.

Der lange Beifall mit stehenden Ovationen zur Premiere ist trotz der relativ schwachen ersten halben Stunde wahrlich verdient.

 
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KREATIVTEAM
RegieHarald Weiler
Musikalische LeitungMatthias Stötzel
AusstattungLars Peter
 
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CAST (AKTUELL)
Diana GoodmanCarolin Fortenbacher
Pia Douwes [23.03., 24.03.]
Dan GoodmanRobin Brosch
Gabe GoodmanElias Krischke
Dennis Hupka
Natalie GoodmanAlice Hanimyan
Dr. Fine / Dr. MaddenTim Grobe
HenryJan Rogler
Claudio Gottschalk-Schmitt
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
So, 04.09.2016 19:00Kammerspiele, HamburgPremiere
Do, 08.09.2016 20:00Kammerspiele, Hamburg
Fr, 09.09.2016 20:00Kammerspiele, Hamburg
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