© Brüder Grimm Festspiele
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Rapunzel (2016)
Amphitheater Schloss Philippsruhe, Hanau

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Hanau ist für einen Familien-Musicalbesuch eine gute Anlaufstelle. Das Team, das u.a. aus Absolventen der Universität der Künste Berlin und Stage-Veteranen besteht, bringt eine unterm Strich flotte Version des Grimmschen Märchens auf die Bühne, die aber von sehr kleinen Besuchern Geduld fordert. Und man erfährt ein gut gehütetes Geheimnis der Märchenwelt: Rapunzel heißt eigentlich Roswitha!

Frank-Lorenz Engel (Buch) und Anne X. Weber (Liedtexte) halten sich im Grunde an den Verlauf der Märchenvorlage, aber strecken die Handlung durch neue Figuren und Handlungsstränge auf eine abendfüllende Länge. Sie geben ihren Charakteren psychologische Motivation mit, die mal mehr, mal weniger Sinn macht und einige Szenen zu sehr ausdehnt. Rapunzel und König Philipp wollen beide fliehen – Rapunzel aus der Enge ihres Turmes und der Aufsicht der Zauberin Gothel, Philipp vor seiner bevorstehenden Inthronisierung und den Zwängen des Hofes. Rapunzels richtige Eltern leiden unter dem Verlust des Kindes und die Zauberin Gothel quält ihre Kinderlosigkeit, aber betreibt ausgerechnet einen Kinderladen, in dem sie jeden Tag glückliche Familien vor Augen hat.

Besonders dem erste Akt würden ein paar Straffungen von Handlungssträngen und Kürzungen einiger hübsch anzusehender, aber überflüssiger Szenen gut zu Gesicht stehen. Hier ist einiges noch recht holprig. So übernimmt die Figur der Erzieherin ohne Einführung unvermittelt den Part der Erzählerin und auch das Finale vor der Pause kommt überfrachtet und chaotisch daher.

Die Komposition des Stücks war erstmals von den Festspielen in einem Wettbewerb ausgeschrieben. Gewonnen hat ihn Shay Cohen, bislang Dirigent und Pianist bei Stage Entertainment. Nach der komplexen Eingangsnummer „Kinderparadies“, in der fast alle wichtigen Figuren mit charakteristisch unterschiedlichen Melodien eingeführt werden, ist das zweite Lied („Dideldidum, dideldidei, aus zwei werden drei“), erschreckend simpel geraten, aber Cohen orientiert sich dann doch mehr an Alan Menken und seinem „Rapunzel – Voll verföhnt“-Soundtrack, wobei das Pendant zu Gothels „Mama knows best“ aus dem Film mit „Nimm dich in acht“ hier viel düsterer ausfällt. Cohen erfindet das Rad nicht neu aber liefert eingängige Konfektionsware mit Ohrwurmpotential. Er beweist seine Vielseitigkeit mit stilistisch so unterschiedlichen Kompositionen wie dem fröhlichen Buddy-Song „Es geht nur zu zweit“, unerwartet südamerikanischen Rhythmen beim „Elfenzauber“, dem zackigen Duett der Bösewichte „Er muss weg“ und dem luftig-leichten „Sindbad“.

Die Musik, von Mathias Weibrich mit Sinn für Details für Keyboards und einige Soloinsturmente arrangiert, kommt leider nur als Playback zum Einsatz und dröhnt ziemlich dumpf und laut aus den Lautsprechern.

Die Bühne von Tobias Schunck bietet auf verschiedenen Ebenen viele Auf- und Abgangsmöglichkeiten. Durch nicht auf Anhieb erkennbare Drehelemente lassen sich schnell überraschende Szenenwechsel durchführen. Ulla Röhrs stattet die Menschen mit zeitgenössischer Kleidung aus dem 19. Jahrhundert und die Fantasiewesen mit bunten, facettenreichen Kostümen aus. Bart De Clerq hat nicht nur die Eingangssequenz mit den vielen Figuren so gut chorographiert, dass hier ein Rädchen ins andere greift, auch die ironisch gebrochenen testosterongesteuerten Tänze des jungen Königs und seiner Cousins überzeugen durch Energie und artistische Einlagen.

Regisseur Holger Hauer, der auch an der Konzeption des Stückes beteiligt war, bringt das Märchenmusical reibungslos auf die Bühne. Ein paar Anachronismen hätten er und die Autoren sich aber durchaus verkneifen können. Die schwangere Johanna baut nach Ikea-Art ein Babybett und setzt Kopfhörer auf, um das Geschwafel der Erzieherin nicht hören zu müssen, der werdende Vater Martin will in „Gothels Kinderparadies“ einen Chemiebaukasten für das Kind kaufen und zu Rapunzels Turm-Mobiliar gehört eine Stehlampe mit Glühbirnen.

Hier und da werden für das Erwachsene Publikum ein paar Gags eingestreut, die in die Kategorie „kann man machen, muss man aber nicht“ fallen. Beispielsweise lassen sich die Blumen in Gothels Garten unter wohligen Seufzern bestäuben und rauchen anschließend eine „Zigarette danach“. Einige inhaltliche Ungereimtheiten gibt es außerdem: So hat Rapunzel zwar einen langen Zopf, die Turm-Einstiegshilfe aber liegt getrennt vom Haupthaar auf dem Boden ihres Turmzimmers.

Und wussten Sie, dass Rapunzel eigentlich Roswitha heißt? Das ist der Name, den ihre richtigen Eltern für sie ausgesucht haben, bevor Gothel sie ihnen wegnimmt. Beim Happy End entscheidet sie sich allerdings dafür, sich weiterhin Rapunzel zu nennen. Katharina Abt sieht in dieser Rolle aus, als sei sie gerade „Rapunzel – Voll verföhnt“ oder der „Eiskönigin“ entsprungen. Sie ist die 1:1-Kopie einer Disney-Prinzessin und verleiht ihrer Figur eine sympathisch-naive, mädchenhafte Verträumtheit. Ihr heller, leichter Sopran meistert federleicht den Showstopper „Könnt‘ ich nur fliegen“.

Sie harmoniert sehr gut mit Dennis Weißert als König Philipp. Die Liebesgeschichte wird nicht übereilt: Er klettert nicht einfach in ihren Turm und zack! sind sie verliebt. Stattdessen nähern sich die zwei in ihrem Duett „Sindbad“, in dem sie sich von ihren Fantasiewelten und Träumen erzählen, langsam einander an.

Doch im Märchen braucht ein Heldenpaar bitterböse Gegenspieler. Sven Prüwer als machthungriger Herzog Eduard ist schon als Kind zu Beginn des Stücks unglaublich unsympathisch. Mit bösen Blicken und stimmlich auftrumpfend zeigt er sich im Duett „Er muss weg“ seiner Bösewichtskollegin ebenbürtig. Masha Karell verkörpert mit sichtbarem Spaß, großen Gesten und ebensolcher Stimme die divenhafte Zauberin Gothel, aber wenn sie echte Gefühle ausdrücken will, neigt sie zu Übertreibungen.

Ein temperamentvolles und sehr lustiges Paar geben Sophia Euskirchen und Alexander Leder als die „Sidekicks“ Elfe Felicitas und Gnom Grompf ab. Als Rapunzels Mutter Johanna und ihr Vater Martin überzeugen Judith Jakob und Ecco Mylla – vor allem in der Szene, in der ihnen ihr Kind weggenommen wird, sehr berührend.

Die Brüder-Grimm-Festspiele versuchen den schwierigen Spagat, ein Stück, das sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht, auf die Bühne zu bekommen. Das scheint auch gut zu funktionieren, denn es sind erstaunlich viele Erwachsene ohne „Alibi-Kind“ im Publikum. Die kleineren Zuschauer bleiben dabei ein bisschen auf der Strecke. Sie brauchen viel Sitzfleisch und ihre Aufmerksamkeit lässt im Lauf der mehr als zweistündigen Spielzeit spür- und hörbar nach. Da seufzt auch mal ein Junge im Kindergartenalter: „Warum singen die denn schon wieder?“.

 
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KREATIVTEAM
MusikShay Cohen
BuchFrank-Lorenz Engel
LiedtexteAnne X. Weber
RegieHolger Hauer
Musikalische LeitungMarkus Syperek
Arrangements / OrchestrierungMathias Weibrich
ChoreografieBart De Clercq
BühneTobias Schunck
KostümeUlla Röhrs
MaskeWiebke Quenzel
 
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CAST (AKTUELL)
RapunzelKatharina Abt
Wilma von AmbesserBarbara Bach
GeorgBenjamin Beckmann
FelicitasSophia Euskirchen
Hofpersonal / ElfeKatrin Höft
Johanna, Rapunzels MutterJudith Jakob
Zauberin Gundula GothelMasha Karell
GrompfAlexander Leder
Martin, Rapunzels VaterEcco Mylla
EduardSven Prüwer
LudwigJan-W. Schäfer
König PhilipDennis Weißert
Hofpersonal / ElfeMirjam Wolf
Hofpersonal / ElfeMarion Wulf
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 13.05.2016 19:30Amphitheater Schloss Philippsruhe, HanauPremiere
Sa, 14.05.2016 15:30Amphitheater Schloss Philippsruhe, Hanau
Sa, 14.05.2016 18:30Amphitheater Schloss Philippsruhe, Hanau
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