Eindrucksvolle konzertante Benefizaufführung zugunsten der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit Originalcast und -orchester der einstigen Ensuite-Produktion, die belegt, dass gute Musicals sogar ohne Bühnenbild und Kostüm funktionieren. In der ansehnlich gefüllten Neuen Flora bewiesen ein glänzend aufgelegtes Orchester und ein beseeltes Ensemble, dass sich auch mit Musik Bilder erzeugen lassen.
Wenn sich Publikum und Mitwirkende am Schluss einer Show nicht richtig voneinander trennen können, ist das zumeist ein Zeichen für eine gelungene Aufführung. Wenn aber auf der Bühne und im Zuschauerraum Tränen fließen und das Publikum das Ensemble nach zehnminütigen stehenden Ovationen mit Taschentüchern winkend verabschiedet, dann muss es sich um eine der ganz seltenen Theater-Sternstunden handeln. Und genau zu einer solchen wurde die von Martin Timmy Haberger und Bernhard Volk initiierte einmalige Wiederauferstehung der Hamburger „Titanic“-Produktion am Originalschauplatz in der Neuen Flora. Von Haberger in seiner Anmoderation noch als „Hörspiel“ angekündigt, entwickelte sich die Vorstellung zu einer weit über ein bloßes Konzerterlebnis herausragenden eindrucksvollen Demonstration, welche Bilder ein phantastisch aufgelegtes Orchester und mit Leidenschaft agierende Darsteller auch ohne Bühnenbild, Maske und Kostüm zu zaubern vermögen.
Schon die von Bernhard Volk schwungvoll dirigierte Ouvertüre mit dem folgenden Jubelsturm ließ erahnen, dass der Abend auch von einer ganz besonderen Beziehung zwischen Publikum und Akteuren leben würde. Beflügelt von diesem Auftakt setzten Ensemble und Orchester zu einer furiosen Beweisführung an, wie packend auch das Genre des in letzter Zeit oft geschmähten „Handlungsmusicals“ sein kann. Denn von seiner Handlung und seinen Figuren lebt „Titanic“, gezeichnet in einer musikalisch dichten Abfolge von opulenten Orchester- und Chornummern und kleinen intimen Bildern. Wohl kaum ein anderes Musical verfügt über eine so dichte Struktur von identifikationsträchtigen, liebevoll gezeichneten Figuren, jede für sich eine kleine Hauptrolle.
Werden alle diese Rollen, wie so oft während der „regulären“ Spielzeit in der Neuen Flora, von einem qualitativ hochwertigen Ensemble besetzt, gewinnt das Stück mit seiner dramatischen Wendung und seinem anrührenden Ende eine fast mit Händen zu greifende Intensität. So auch in der konzertanten Version, in der sich auf der Bühne fast durchgehend erste Besetzungen aus alten Zeiten fanden. Links und rechts vom Orchester auf Stühlen platziert, blieben alle Darsteller durchgehend auf der Bühne, erhoben sich für die Chöre von ihren Plätzen und bewegten sich für ihre – im Stück zumeist als Szenen für zwei bis drei Personen angelegten – Solonummern nach vorn an die Rampe.
Obwohl fast alle Darsteller sicherheitshalber mit Textbüchern agierten, waren auch die schauspielerischen Leistungen sehenswert und wurden vielfach zu kleinen Kabinettstückchen, deren Qualität und Intimität den Rahmen der eigentlich viel zu großen Bühne komplett vergessen ließen. Fast wäre es unfair, aufgrund der durchgehend hohen Qualität einzelne Darsteller herauszuheben, doch ragte Robin Broschs intensive Darstellung des fiesen Reeders Bruce Ismay genauso heraus wie das berührende Spiel von Robert Lenkey und Marina Edelhagen als Eheleute Strauss, die zunächst beflissene, dann gebrochene Darstellung des 1. Klasse-Stewards von Leon van Leuuwenberg und Carsten Lepper als manischer Konstrukteur Thomas Andrews.
Gesungen wurde fast durchgehend auf ähnlich hohem Niveau, Patrick Stanke bewies als Heizer Barrett erneut, warum diese Rolle zu seinem Durchbruch werden konnte, Michael Flöths unglaublich souveräner Captain Smith war genauso hörenswert, wie die immer noch traumwandlerisch sichere und vom Publikum besonders bejubelte Bandleader-Nummer von Christopher Morandi (übrigens als einziger ohne Textbuch).
Doch was wäre „Titanic“ ohne seine Chöre und den Orchestersound: Besonders im Zusammenspiel aller Akteure gewann der Abend seine gänsehauttreibenden Momente. Wohl kaum ein Auge blieb beim Auslaufchoral, beim „Wir sehen uns wieder“ und in der Abschlussszene trocken – nicht selten auch auf der Bühne.
Diese ergreifenden Szenen konnten auch ohne die unterstützenden Effekte von Licht und Bühne packen und dokumentierten im intensiven musikalischen Zusammenspiel den ganz besonderen Geist dieses Musicals.
Wer an diesem Abend dabei war, wird ihn – auch in dem Bewusstsein, dieses Musical wohl nie wieder in dieser Besetzung und dieser musikalischen Opulenz zu hören zu bekommen – als einen ganz besonderen Moment der Magie, die Theater zu erzeugen vermag, in Erinnerung behalten und sich wünschen, dass in deutschen Ensuite-Theatern irgendwann auch wieder die Stunde der großen Ensemblestücke schlagen mag.
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