Tschechische Tournee-Überraschung: Hochkarätige Eisläufer tanzen und spielen die Geschichte, die Musik kommt von der von Koen Schoots eingespielten CD – mit Nicole Seeger (Julia), Sascha Krebs (Romeo), Zoltan Tombor (Tybalt), Darius Merstein (Mercutio), Karim Khawatmi, Brigitte Oelke, Nicole Sieger, Carsten Lepper und anderen. Die deutschen Texte stammen übrigens von Melitta Edith – unter diesem Synonym schreibt Susanne Dengler, die auch Jekyll&Hyde übersetzt hat.
Eine Musical-Version von „Romeo&Julia“, produziert als Eisrevue von einem tschechischen Kreativ-Team – wer hier ein buntes, disneyhaftes Spektakel, fantasievoll, aber auch ohne Scheu vor Kitsch erwartet, der liegt genau richtig.
Bühnenbild und Kostüme sind aufwändig, das Ensemble 50-köpfig, das Licht bunt. Ob man das mag? Das bleibt wie so oft Geschmackssache. In der besuchten Nachmittagsvorstellung in Hannover (vor mit unter zehn Prozent Auslastung katastrophal leeren Rängen) gab es freundlichen Beifall. Allgemeiner Tenor: Schön war es.
Künstlerisch hat die Produktion dagegen einige Schwächen. Natürlich wird kein Zuschauer eine moderne Deutung von Shakespeares Drama erwarten, natürlich finden sich viele aus anderen Shows bekannte Elemente wieder. Aber das kann man nicht ernsthaft kritisieren – Eisrevuen sind kein Experimental-Theater, ihre Stärke liegt in der Emotion.
Doch gerade hier wird am Ende einiges verschenkt. Wenn Romeo und Julia dank des tragischen Missverständnisses und einiger Flaschen Gift sterben, wenn die verfeindeten Mütter gemeinsam am Grab den Tod ihrer Kinder betrauern – wann, wenn nicht dann, will man die Zuschauer gepackt haben? Doch statt die Show mit leisen Tönen ausklingen zu lassen und nach kurzer Stille in den Schlussapplaus zu gehen, taucht eine William-Shakespeare-Figur auf (die schon vorher aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Erzähler gibt), spricht einige bedeutungsschwere Worte, das Ensemble läuft auf und singt ein pathetisch-fröhliches Loblied auf Shakespeare. Mitten im Song beginnt die (für eine fast leere Halle viel zu lange) Schlussapplaus-Strecke vom Band. Einen richtigen Schlusspunkt gibt es nicht, die Show suppt so aus. Schade.
Der Ton, auch die Dialoge, der rund zweieinhalbstündigen Show kommen aus der Konserve. Das ist sicher die richtige Entscheidung, denn so können sich die Eisläufer aufs Eislaufen konzentrieren und die osteuropäischen Schauspieler brauchen nicht radebrechen. Außerdem sind nicht nur die Songs (siehe CD-Rezension), sondern auch die Dialoge hervorragend interpretiert. Doch eine Fehlentscheidung sorgt für Peinlichkeiten: Die Schauspieler auf der Bühne (nur vier Hauptrollen sind mit Kufenträgern besetzt) tun so, als ob sie tatsächlich singen und sprechen würden. Da das vor allem in den Dialogen zwangsläufig absurd asynchron ist, wirkt es einfach nur unprofessionell. Würden die Schauspieler einfach die Lippen geschlossen lassen und die Szenen mit schauspielerischen Mitteln darbieten – es wäre mit Sicherheit viel gewonnen. So sind gerade die Erzählstellen des Shakespeare (der Darsteller ist nicht nur völlig unsynchron, sondern setzt auch noch auf enorm ausladende und übertriebene Bewegungen) eigentlich nur zu ertragen, wenn man die Augen schließt und der durchdringenden Stimme von Sprecher Eberhard Storz lauscht.
Die Akkustik war, zumindest in Hannover, für eine große Halle überraschend gut. Dass die schwachen Texte trotzdem kaum negativ auffallen liegt daran, dass es einfach viel zu gucken gibt. Eisläuferisch nicht spektakulär (zumindest in der besuchten Vorstellung gab es keine Dreifach-Sprünge), aber ausdrucksstark, schön choreographiert, bunt historisierende Kostüme, dazu die guten Song-Einspielungen – für Auge und Ohr wird einiges geboten. Und den Mut, die Hochzeitsszene mit einem weiß gekleideten Engel-Ballett, rosa beleuchteter Eisfläche und hellblauen Spots zu inszenieren, den muss man erstmal aufbringen. Für alle, die nicht gleich Ausschlag bekommen, wenn es mal etwas kitschiger wird: Die Show ist kein Muss, aber sehenswert.
Zur CD:
Grundregel eins des CD-Rezensierens: Im Mittelpunkt soll immer die CD stehen, niemals der Autor. Doch bei dieser Aufnahme fällt das schwer – denn mit jedem Hören ändert sich die Wirkung dieser CD. Also soll hier doch die Geschichte des Autors erzählt werden. Die ist natürlich genau so subjektiv wie jede andere Rezension auch.
Erster Eindruck beim Lesen des Booklets: Koen Schoots wollte mal wieder was mit ein paar alten Bekannten machen. Nicole Seeger, Nicole Sieger, Brigitte Oelke, Darius Merstein-McLeod, Eberhard Storz, Karim Khawatmi – mit mehr als der Hälfte der Solisten hat der musikalische Leiter auch schon bei „Jekyll&Hyde“ in Bremen zusammen gearbeitet. Verstärkt wird die Reihe durch Carsten Axel Lepper, Zoltán Tombor, Kerstin Frank und Jonathan Guss – für die Playbacks zu einer Eis-Show eine wirklich namhafte Cast.
Also das erste Hören – und der erste Schreck. An den Orchestereinspielungen der Prager Symphoniker gibt es nichts zu meckern. Auch nicht an der Cast. Im Gegenteil: Was Koen&Friends hier abliefern, ist größtenteils erste Sahne. Starke Emotionen und Interpretationen, gesanglich hohes Niveau – so gute Aufnahmen hört man selten. Aber: Die meisten Songs klingen wie eine unmelodische Variante von Disneys Beauty&Beast. Und die Texte (deutsche Übersetzung: Melitta Edith alias Susanne Dengler) sind eine echte Zumutung. Im günstigsten Fall gestelzt (Julia: „Oh sag mir doch mein Stern / Wer wird im Tanz mich ehr’n / Mich begehr’n“), meist aber einfach nur pseudo-poetisch (Mercutio: „Traum als Boot gebrochen sind die Ruder / Traum als ob als wenn und dann als oder“, Julia: „Die Musik / Symbolik / Für die Wärme / Süßer Harfenmusik“). Erstes Fazit: Selten wurde ein solcher Mist derart hochwertig eingespielt.
Aber für eine Rezension reicht es eben nicht, die CD einmal zu hören. Also findet die Scheibe, nach drei Tagen des Herausschiebens, wieder den Weg in den Player. Und bringt die erste Überraschung: Wenn man sich auf die ungewöhnlichen Melodieverläufe eingestellt hat, haben einige Songs doch etwas. Und ausgerechnet die Opening-Ensemble-Nummer Vivat Verona, beim ersten Mal noch verflucht (weil musikalisch aufdringlich und textlich schwach) wird zum Zwei-Tage-Ohrwurm. Und auch andere Songs sind musikalisch stark, wenn man sie erstmal im Ohr hat, etwa Königin Mab (Darius Merstein kämpft gegen Texte wie „Nacht für Nacht, aus rußig kleinen Gläsern / Finsternis macht blind“), Tybalt, das Tier (Zoltán Tombor lässt den Hyde raus), Gottes Wille (wohl niemand singt derart lange Tiefton-Melodien ohne Atempause wie Eberhard Storz), Es ist so wenig Liebe in uns (Nicole Sieger und Brigitte Oelke in Trauer-Duett der Mütter) und sogar das Quartett Wer ist wer (das fatal an „Martin Guerre“ erinnert). Ebenfalls gut gemacht sind die sakralen Nummern, ein Knabenchor-Ave Maria und ein Requiem – Übernahmen von der tschechischen Aufnahme. Karim Khawatmis Genug davon lässt erahnen, welche Bereicherung er für die CD gewesen wäre, hätte man ihm einen anständigen Song gegeben. Auch Sascha Krebs überzeugt – immerhin gelingt es ihm, in die doch sehr süßlichen Romeo-Passagen Emotion zu bringen. An Nicole Seeger dürften sich dagegen die Geister scheiden. Sie interpretiert die Julia mit kindlicher, leicht rauschiger Stimme. Das mag rollengerecht sein, ist aber nicht immer schön.
Mittlerweile ist die CD einige Male gelaufen. Die Texte werden nicht besser, aber musikalisch ist die Qualität offensichtlich hoch. Also lassen wir die Eindrücke eine Woche lang sacken, bevor es an das Schreiben der Rezension geht. Und? Ernüchterung. Die CD dafür noch einmal zu hören, kostet Überwindung und weitere drei Tages des Herausschiebens. Nein, trotz allen Lobes, trotz der Stärken – es macht keinen wirklichen Spaß, die CD zu hören. Dafür ist es einfach zu anstrengend.
Fr, 16.04.2004 20:00 | Hacker-Pschorr-Arena, Bad Tölz | Premiere |
Sa, 17.04.2004 16:00 | Hacker-Pschorr-Arena, Bad Tölz | |
Sa, 17.04.2004 20:00 | Hacker-Pschorr-Arena, Bad Tölz | |
▼ 2 weitere Termine einblenden (bis 24.04.2004) ▼ |
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Sa, 24.04.2004 16:00 | TUI-Arena, Hannover | |
Sa, 24.04.2004 20:00 | TUI-Arena, Hannover | |
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