Rory Six © Phillip Dietrich
Rory Six © Phillip Dietrich

NEUES FEATURE
"Wir können am Besten für Akzeptanz und Verständnis werben, wenn wir Leute zum Nachdenken anregen!" Rory Six im Interview

Es gibt in der deutschsprachigen Musical-Branche nicht viele Menschen, die ein dermaßen breites Spektrum an Fähigkeiten haben wie Rory Six. Er steht auf der Bühne, führt Regie und schreibt Musik und Texte für eigene Musicals. Nach einer Spielzeit seines letzten Ein-Personen-Werkes “Ein wenig Farbe“, in der Rory Six die Geschichte der Trans-Frau Helena erzählt, wird das Musical noch einmal in Wien und dann in Ottobrunn bei München sowie in Düsseldorf prominent besetzt mit Mark Seibert zu sehen sein. Außerdem erscheint “Ein wenig Farbe” im September zum ersten Mal in einer Orchesterfassung auf CD. In unserem Interview gibt uns Rory Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Musicals, spricht über seine Haltung zur Besetzung der Helena und erzählt über die neue CD-Einspielung. 

Das Publikum kennt dich aus einigen Großproduktionen. Du warst bei “Les Misérables” in Berlin, bei “Elisabeth” in Stuttgart und zuletzt als Alt Deutoronimus bei “Cats” im Ronacher in Wien. Parallel dazu hast du mit der Theatercouch ein eigenes kleines Theater in Wien gegründet. Wie kam es dazu?

Rory Six © Phillip Dietrich

Ich schreibe ja eigentlich schon Stücke, seitdem ich 16 bin. Das war am Anfang eher ein Hobby von mir, das irgendwie immer nebenbei gelaufen ist. Ich dachte mir, ich probiere das einfach mal aus. Immer wenn ich die Stücke dann in einem Workshop auch mal ausprobieren wollte, waren die Mietpreise für alles Mögliche, was man für so einen Workshop braucht – angefangen von den Probenräumen bis hin zur Bühne – so teuer, dass ich mir gedacht habe, dass ich auch selbst einen kleinen Raum dauerhaft mieten und dort zu kleinen Produktionen auch mal Leute einladen kann. Im deutschsprachigen Raum war das ein einmaliges Konzept; in England und Amerika kannst du viel einfacher Workshops machen. Du kannst viel einfacher zu Produzenten gehen und mit denen dann arbeiten. Bei uns hast du mit den Stadttheatern ein System, das nicht mit Workshops arbeitet. In Österreich und Deutschland werden eher fertige Stücke aufgeführt. Naja, und nachdem ich nicht der Mensch bin, der von Theater zu Theater läuft und dort an die Türen klopft, musste ich eben ein eigenes kleines Theater gründen.

Bei den Workshops ist es dann aber nicht geblieben…

Ja, genau. Irgendwann haben wir uns dann gedacht, dass wir jetzt so viel an Technik und allem Möglichen haben, dass wir jetzt auch richtige Shows aufführen können. Nach Corona mussten wir dann allerdings komplett zusperren, weil während der Pandemie unser Vermieter Insolvenz anmelden musste und die Räumlichkeit verkauft wurde. Sonst wären wir immer noch da. Die Wirtschaftslage im Moment ist aber dermaßen schwierig und die Mietpreise sind so in die Höhe geschossen, dass es sich nicht mehr lohnt, einen neuen fixen Raum zu suchen. Uns wird es aber aller Voraussicht nach trotzdem weiterhin geben, wenn auch unter einem anderen Namen. Aber da sind wir noch nicht hundertprozentig raus damit.

Bei deinen eigenen Stücken scheust du auch nicht vor sozialkritischen Themen zurück. Was reizt dich daran?

Ja, wobei es mir schon wichtig ist zu sagen, dass ich auch gerne witzige Stücke mache. “Weihnachtsengel küsst man nicht” oder “Mord auf Sendung”, bei denen ich ja auch mitgeschrieben habe, sind richtige Comedy-Musicals. Aber grundsätzlich ziehen mich tatsächlich eher diese sozialkritische Themen an. Einerseits interessiert mich das Schreiben hier viel mehr und andererseits ist auch das Spiel natürlich viel interessanter. “Wenn Rosenblätter fallen” oder eben auch “Ein wenig Farbe” haben ja eine große politische Dimension. Wichtig dabei ist mir dann immer, dem Publikum die Möglichkeit zu geben zu reflektieren. In Belgien, wo ich herkomme, haben wir keine Kulturlandschaft die mehrere Musical-Großproduktionen hat. Wenn ich als Jugendlicher ins Theater wollte, musste ich mir alles mögliche anschauen. Da ist es mir dann oft so gegangen, dass ich im Theater saß und es mir schon allein wegen der Story fast den Atem genommen hat. Und genau auf diese Achterbahn sollen Stücke wie “Ein wenig Farbe” mein Publikum auch mitnehmen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, “Ein wenig Farbe” zu schreiben?

Pia Douwes in “Ein wenig Farbe” © Simone Leonhardtsberger

Kennst du “RuPaul’s Drag Race”? Das habe ich damals im Fernsehen gesehen und darüber bin ich zum ersten Mal auf das Thema trans Frauen aufmerksam geworden. Dazu kam, dass ich schon immer ein Ein-Personen-Stück wie “Tell Me on a Sunday” schreiben wollte. Zu dieser Zeit hatte ich schon “Wenn Rosenblätter fallen” mit Pia Douwes gemacht und sie sagte zu mir damals: “Wenn du nochmal was für mich hast, dann melde dich unbedingt bei mir!” Das Thema Transgender ist ein wirklich sehr spannendes Thema und mit Pia im Hintergrund für diese Rolle nochmal viel mehr. Allerdings ist das eine komplett eigene Gefühlswelt als meine eigene. Es ist ja schon so, dass ich als schwuler Mann komplett anders ticke als meine lesbischen Freundinnen. Und genau das ist es, was mich sowohl als Autor aber auch als Darsteller interessiert. Was kenne ich nicht? Womit muss ich mich befassen, um es zu schreiben oder auch zu spielen? Eine Liebeskomödie zum Beispiel funktioniert da ganz anders, die ist auch schnell geschrieben. So eine Geschichte kannst du nach einem Basisschema schreiben. Bei einem Stück wie “Ein wenig Farbe” funktioniert das aber nicht. Da braucht es mehr.  Ich hatte dann das große Glück, Sophie [Giller (Anmerkung der Red.)] kennenzulernen, sonst hätte ich “Ein wenig Farbe” gar nicht schreiben können.

Wie hat dich Sophie Giller beeinflusst oder unterstützt?

Mir war bewusst, das ich das Stück nur mit Hilfe einer trans Person schreiben wollte. Sophie habe ich dann über eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Sie meinte, wenn ich ein Stück wie “Rosenblätter” schreiben kann, dann würde sie mir vertrauen. Die Zusammenarbeit hat uns so zusammengebracht, dass Sophie, ihre Ehefrau und ich mittlerweile befreundet sind. Angefangen haben wir damit, dass wir uns immer wieder getroffen haben und sehr viel geredet haben. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt noch überhaupt keine Ahnung, was daraus werden würde. Musikalisch wollte ich natürlich grundsätzlich für Pias Stimme schreiben, aber natürlich durfte ich nicht denken, “Wie würde Pia das spielen?” sondern ich brauchte eine Figur, die ich verstehe und auch selbst miterleben konnte. Mit Sophie konnte ich über alle möglichen Themen sprechen und sie hat mir die tiefsten Details ihres Lebens erzählt. Sehr vieles davon ist – natürlich anders formuliert – auch im Stück gelandet.

Mark Seibert in “Ein wenig Farbe” © Iris Hammann

Im Stück gibt es den Song “Die Lüge meines Lebens” und als wir die neue CD mit Mark Seibert jetzt aufgenommen haben, habe ich Sophie die erste Mischung mal geschickt und ihr extra dazu geschrieben: “Pass auf, es ist “Die Lüge meines Lebens”!” Nach all den Jahren sitzt Sophie dann aber auch immer noch weinend bei dem Song, weil er – auch wenn es im Stück jetzt eine andere Person ist – natürlich ein Teil ihrer eigenen Geschichte, die über 40 Jahre lang als Mann eine Lüge gelebt hat, ist. Sie hat das natürlich immer gewusst, aber nie formulieren können. Es hat auch bei Sophie Jahre der Depressionen gebraucht, um zu sich stehen zu können und sie sagt, dass sie jetzt glücklicher ist, auch wenn es immer noch kein leichtes Leben ist. Und es ist genau dass, was ich mit “Ein wenig Farbe” zeigen wollte. Für mich persönlich ist “Ein wenig Farbe” auch kein “Trans-Musical”. Für mich ist das einfach ein Musical über eine Lebensgeschichte – und zwar über die Lebensgeschichte von Helena und Helena ist trans.

Du hast dich beim Erzählen der Geschichte dafür entschieden, dass es zwar nur eine Person auf der Bühne gibt, diese aber 13 Rollen spielt. Wie funktioniert das?

Ja, es gibt 13 verschiedene Rollen im Stück und damit auch 13 verschiedene Menschen, die gespielt werden.  Jede Figur hat ihren eigenen Hintergrund und weltanschauliche Gesinnung und nicht alle sind Pro-Helena. Eigentlich sind es sogar die wenigsten von ihnen. Das Interessante daran ist, das man die ganze Zeit die Perspektive wechselt. Du siehst also immer Helena, die etwas erzählt und dann kommt ihre Erinnerung. In diesen Momenten wird sie zu jemand anderen und du wirst im Publikum in dem Moment zu Helena. Du wirst angespielt, als wärst du Helena und jemand sagt zu dir: “Entschuldigung, aber was machst du hier bei uns am Klo? Du bist ein Mann in einem Kleid. Was machst du hier? Kannst du bitte zu Hause aufs Klo gehen? Und nicht hier in der Öffentlichkeit.” Dir im Publikum gibt das die Möglichkeit, zu reflektieren, wie du eigentlich selbst darüber denkst. Ich bin nicht der Meinung, dass das Stück jemanden bekehren soll, aber ich glaube, dass wir am Besten für Akzeptanz und Verständnis werben können, wenn wir Leuten zum Nachdenken anregen.

Wie würdest du den musikalischen Stil des Stücks beschreiben?

Meine eigene Musik in einem Stil zu beschreiben, finde ich immer ganz schwierig. Ich würde sagen, es ist vom Klang her sicherlich eine Mischung aus Chanson und Pop. Es hat den erzählenden Stil des Chansons, weil die Musik stark der Story dient. Wir haben aber auch ein paar eher rockige Up-Tempo-Songs. Schon allein dadurch, dass die Geschichte aber in die Welt einer Person einsteigt und ihre Trauer, ihren Schmerz und ihr Leid aber auch ihren Überlebensgeist und ihre Wut erzählt, wird das ganze natürlich ein bisschen Balladen-lastig. In der allerersten Fassung war das ganze Stück noch komplett aus Helenas Perspektive geschrieben. Das war aber auch das, was ich an “Tell Me on a Sunday” immer ein bisschen schwierig fand: Du hast die ganze Zeit über nur eine Person, der du folgst, aber du siehst nie die anderen Menschen und deren Reaktionen. Dann habe ich Helena einmal in die Figur einer Dragqueen schlüpfen lassen und das dann verschiedenen Leuten vorgelesen und die fanden das irgendwie cool. Mir hat das gut gefallen, weil ich lieber zeigen wollte als zu erzählen. Da hast du natürlich auch gleich eine andere Energie zwischen Bühne und Publikum, wenn die Zuschauer sich denken, “Oh Gott, so wird mit Helena geredet?” Es gibt im Theater ja auch das Sprichwort: “Show, don’t tell!”

Du hast für eine CD-Aufnahme auch schon selbst Helena gespielt. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Rory Six in “Ein wenig Farbe” © Anja Grundböck

Da muss ich ein bisschen ausholen. Denn eigentlich war unser Plan, mit dem Stück nach England zu gehen. Dafür hatten wir das Stück bereits mit der Darstellerin – eine trans Frau Mitte 50, die in England auch schon einige Sachen gemacht hat – einstudiert. Nach zwei Wochen Proben haben wir festgestellt, dass die Geschichte Helenas so nah an der Geschichte unserer Darstellerin war, dass sie es emotional nicht schaffen konnte. Es war einfach zu belastend, wieder einen Jungen spielen zu müssen, der von seiner Mutter hört “Du bist ein Junge, du bist kein Mädchen. Jungen schminken sich nicht.” und auch wieder auf den Vater zu treffen, der in unserem Stück ja ziemlich strikt ist. Seitdem denke ich mir, dass jeder Mensch auf der Welt, der diese Rolle spielen will und sie auch spielen kann, sie auch spielen soll!

Aber zurück dazu, wie es zu der CD-Aufnahme kam: Nachdem aber schon alles geplant war, haben wir uns gedacht, dass wir dann mit dem Stück nach Berlin gehen. Zu dieser Zeit stand aber niemand zur Verfügung, der die Rolle übernehmen konnte, und so habe ich das schließlich gemacht. Leider waren wir aber noch viel zu nah an Corona und der Kartenvorverkauf lief überhaupt nicht, so dass wir die Show komplett absagen mussten. Das war natürlich wirklich schade, aber wir konnten damit zumindest die CD machen. Ich glaube, dass das Schreiben des Stücks für mich natürlich schon eine ausreichende Vorbereitung auf die Rolle war. Ich habe aber schon dabei gemerkt, wie nah Helenas Geschichte auch an meiner eignen Geschichte dran ist. Natürlich nicht Eins zu Eins, aber wahrscheinlich gibt es schon viele Parallelen zum Leben von uns allen: Jeder will geliebt werden, jeder will wahrgenommen werden, jeder hat es schwierig, zu sich selbst zu stehen. Natürlich hat jeder nochmal andere, eigene Themen, aber im Grunde lässt es sich so zusammenfassen. Das Herausforderndste war aber, meine weibliche Seite zu finden. Als Darsteller habe ich in der Schule immer zu hören bekommen, dass ich mich “zu schwul bewege”. Ich sollte immer breiter sein und breiter stehen, weil das natürlich männlicher ist. Und jetzt sollte es natürlich genau umgekehrt wirken, also möglichst weiblich. Die Körperlichkeit war tatsächlich die größte Herausforderung bei Helena.

Oh, das ist ja spannend. So einen Aspekt hätte ich jetzt nicht auf dem Schirm gehabt.

Naja, es ist ja wichtig, dass man keine Dragqueen ist. Es geht dabei viel um Körperhaltungen. Wie hältst du deine Hand, wenn du gar nichts machst? Wie bewegst du beim Laufen deine Hüften. Für die Proben jetzt mit Mark waren wir auch wieder auf der Suche danach, wer Helena ist. Das ist ja auch das Spannende. Wir haben das Stück jetzt schon mehrmals mit verschiedenen Besetzungen einstudiert und jede Person bringt ihre eigene Farbe mit. Als Regisseur musst du auf die jeweiligen Leute eingehen, weil es ein Ein-Personen-Stück ist, und ausprobieren, wer die jeweilige Figur im Stück bei der jeweiligen Besetzung ist. Im Buch steht für eine der Rollen als Beschreibung zum Beispiel “Gudrun, eine Freundin” Aber wer ist Gudrun? Das muss jedes Mal wieder individuell neu erarbeitet werden, weil jeder auch was ganz eigenes in das Stück mit einbringt.

Du hast gerade selbst schon Mark Seibert angesprochen. Was hat er für die Rolle der Helena mitgebracht?

Es fängt ja damit an, dass wir ja alle Theater und Musical machen, weil wir grundsätzlich Geschichten erzählen wollen. Durch die ganzen Castings, die wir alle immer wieder durchlaufen, wirst du dann – vor allem, wenn du viele Großproduktionen machst – in eine bestimmte Ecke gedrängt. Entweder bist du der typische Liebhaber oder der Lustige oder der kleine Dicke… Das Publikum hat dann oft ein Problem damit, wenn jemand, der immer den Liebhaber spielt, plötzlich der Bösewicht ist. Viele von uns reizt es aber eben auch mal, “das andere” zu spielen. Was Mark extrem gereizt hat, war, dass er so viele Rollen in dem Stück spielen muss und er dadurch schauspielerisch extrem gefordert ist. Und natürlich haben viele Leute auch sehr direkt zu mir gesagt, dass ich verrückt bin, wenn ich Mark diese Rolle gebe, aber ich habe immer geantwortet: Wenn Mark mir sagt, dass er das spielen will, dann weiß ich dass Mark sich selbst so gut einschätzen kann, was er kann und was nicht. Und ich muss sagen, Mark hat uns schon bei den ersten Proben umgehauen. Er bringt nämlich was ganz Entscheidendes mit: Mark ist Familienvater und kann sich gut reinversetzen, was es bedeuten würde, das alles aufzugeben. Auch das Argument das ich oft gehört habe, dass Mark optisch nicht passen würde, weil trans Frauen in der Regel schlanker und androgyner wären als Männer stimmt nicht: Viele trans Frauen waren als Männer sogar sehr aufgepumpt und auftrainiert, damit sie einem klassischen, männlichen Bild entsprechen. Auch wenn das jetzt natürlich Werbung für meine eigene Show ist: Mich hat Mark extrem geflasht und emotional total mitgenommen und berührt. Er zeigt hier sicherlich eine Seite von sich, die viele Leute nicht kennen – aber das bedeutet ja nicht, dass er das nicht kann. Dafür hat er ja schließlich auch eine Ausbildung gemacht.

Mark Seibert in “Ein wenig Farbe” © Iris Hammann

Du sagst ja selbst, dass euer Casting nicht unumstritten war. Wie gehst du mit so einer Kritik um?

Erstmal geht es in dem Stück ja um 13 Rollen, die du bedienen musst – von denen eine eben trans ist. Und ja, es ist die Geschichte von Helen a, aber es ist genauso gut die Geschichte ihrer Kinder, ihrer Mutter, ihres Vaters und ihres Arbeitgebers. Dazu kommt, dass Helena 47 Jahre als ist, du brauchst du also auch eine gewisse Lebenserfahrung. Deswegen denke ich, dass jeder Mensch, der das Stück spielen kann, es auch spielen soll. Und nachdem ich das Stück geschrieben habe, habe ich bestimmt auch das Recht zu sagen, wie ich es sehe.

Natürlich verstehe ich auch den Wunsch und kann ihn auch gut nachvollziehen, diese Rolle an eine trans Frau zu vergeben. Für unsere Inszenierung war es mir aber wichtig, die Geschichte dem Publikum glaubhaft näher zu bringen und deswegen auch mit einer Person in einer entsprechenden Altersspanne zu besetzen. In der deutschsprachigen Musical-Welt – und ich glaube ich bin dort sehr gut vernetzt – ist mir allerdings keine trans Person zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig bekannt, der man diese Rolle hätte geben können. Wir sind auch in England und in den USA schon länger auf der Suche nach einer trans Person, die die Rolle spielen könnte. Wir hatten schon einige Gespräche dazu. Die entsprechenden Personen sagen dann aber auch oft, dass sie nicht wissen, ob es für sie emotional möglich ist, in die männliche Figur zu gehen.

Vor einigen Wochen hast du angekündigt, dass ihr “Ein wenig Farbe” mit Mark Seibert und einer Orchesterbesetzung auf CD herausbringen werdet. Wie kam es dazu?

Es ist mein großer Traum, meine Musik mal so zu hören, wie ich sie in meinem Kopf höre! Ich habe “Ein wenig Farbe” ja damals für die Theatercouch geschrieben und mehr als sechs Musiker haben wir dort beim Besten Willen nicht untergebracht. Als Komponist hörst du deine eigene Musik natürlich immer größer. Ich musste natürlich dafür meine Instrumentierung auch nochmal überarbeiten, aber ich würde sagen, dass nicht viel dazugekommen, sondern sie einfach weiter geworden ist. Zum Beispiel, wenn Helene bei Dr. Gruber dem Psychotherapeuten ist, konnte ich durch die Flöten und Bläser kleine Läufe machen, die du mit anderen Instrumenten nicht so gut hinbekommst. Das ist schon toll. Vielleicht klingt die Musik jetzt nicht größer, aber auf alle Fälle filmischer. Wir haben kein Schlagzeug in unserem Orchester, sondern nur Streicher, Blech- und Holzbläser, Klavier, Gitarre, Harfe. Damit klingt meine Musik sehr echt und sehr intim und ich glaube, das ist das, was das Stück auch ist. Ich hatte das zuhause schon immer mit meinen Synthesizer Samples ausprobiert und immer gedacht, wie schade es ist, dass ich das so nicht machen kann. Mit Mark in der Rolle weiß ich jetzt aber natürlich, dass das Interesse der Fans groß genug sein wird, sich die CD anzuhören und das reduziert natürlich auch mein Risiko bei der Investition.

Rory Six © Phillip Dietrich

Lieber Rory, vielen Dank für die vielen interessanten Einblicke, die du uns gegeben hast und auch für deinen Offenheit, dich den kritischen Fragen zu stellen. Vielleicht magst du uns zum Abschluss noch verraten, wie es mit “Ein wenig Farbe” weitergehen wird, ob wir uns noch auf neue Stücke von dir freuen dürfen und natürlich, ob wir dich auch mal wieder auf der Bühne sehen werden?

“Ein wenig Farbe” spielen wir jetzt noch dreimal mit Mark Seibert. Einmal Anfang September in Wien, dann jeweils einmal in Ottobrunn bei München und Düsseldorf. Seitdem Mark nach der CD-Aufnahme zu mir gesagt hat, dass wir das jetzt dann natürlich auch mal in dieser Fassung auf die Bühne bringen müssen, spukt das in meinem Kopf herum. Vielleicht schaffen wir das auch im nächsten Jahr. Ich hoffe immer noch, dass wir nochmal einen kleine Tour machen können oder dass sich auch Stadttheater dem Stück annehmen. Ich glaube, dass es auch für Schauspielerinnen und Schauspieler gut geeignet ist und auch die Tonarten gut anpassbar wären. Dann sind wir natürlich auch noch am Überlegen, dass Stück auf Englisch aufzunehmen mit Namen aus der englischsprachigen Musicalwelt.

Vorher kommt aber im Dezember “Weihnachtsengel küsst man nicht” in Wien auf die Bühne. Und ich schreibe ein neues Stück, von dem ich aber noch nicht viel mehr sagen kann, als dass es ein Zwei-Personen-Stück werden wird.

Ob und wann ich selbst auf die Bühne zurückkomme, hängt daran, ob es eine passende Rolle gibt. Ich bin sehr gerne auch auf der anderen Seite der Bühne und im Moment fühle ich mich in der Phase, in der ich eher schreibe und Regie führe, sehr wohl. In einer Großproduktion mitzumachen ist natürlich super, aber du schränkst dein Privatleben damit auch enorm ein. Und im Moment will ich meinen Freund, unsere zwei Hunde und zwei Katzen eigentlich nicht allein lassen.

 
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