Einmal pro Monat werde ich mich in meinen Fernsehsessel setzen und mir für euch einen Musicalfilm ansehen. Da werden bekannte Streifen dabei sein, aber auch Unbekanntes oder Vergessenes.
Holt die Gitarre raus und schnürt eure Wanderstiefel! Diesmal geht‘s mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen in die Berge rund um Salzburg! Weil ich den Film als gnadenlos zähes Kitschfest in Erinnerung hatte, habe ich lange gezögert, ihn mir für diese Kolumne noch einmal anzusehen. Aber ich muss meine Meinung (teilweise) ändern. Vielleicht werde ich auch langsam altersmilde …
Der Film hat fünf Oscars gewonnen (inkl. Bester Film), ist – wenn man die Inflation einrechnet – auf Platz 6 der umsatzstärksten Filme aller Zeiten (Stand 2022), hat Julie Andrews in der Hauptrolle, ist ein Broadway- und Kinoklassiker – also habe ich mir irgendwann mal „The Sound of Music“ angesehen. Ich saß kopfschüttelnd vor meinem Fernseher, während Schwester Maria mit einem Rudel Kinder trällernd durch Salzburg zog, eine Postkartenidylle die andere ablöste, das Herz des schmucken, aber knurrigen Vaters der Kinder (und noch dazu ein Baron!) langsam weich wurde, die Nonne aus Liebe ihrem Kloster Adieu sagte, die Familie als Gesangsgruppe einen Wettbewerb gewann und die Flucht vor den Nazis über die Berge in die Schweiz antrat. Die Schweiz? Von Salzburg aus ohne durch Deutschland zu müssen? Hatten die Autoren keinen Atlas? Nun denn – „The Sound of Music“ war für mich abgehakt.
Aber als bis jetzt erfolgreichstes Musical der Filmgeschichte sollte es schon mal in dieser Kolumne auftauchen. Trotz meines Grundsatzes „Wenn du ein Musical von vornherein nicht magst, schreib auch nicht drüber“, besorge ich mir den Film auf DVD. Gegen die Süßlichkeit des Films lege ich mir sicherheitshalber ein Leberwurstbrot bereit. Aber was soll ich sagen … ich erliege warum auch immer diesmal dem schamlos kalkulierten Charme dieser schmalzigen Hollywood-Produktion.
Schon der Anfang lässt mich überrascht aufhorchen, denn „The Sound of Music“ beginnt ohne Sound. Der Film startet mit dem 20th-Century-Fox-Logo ohne die bekannte Fanfare. Nach einem Schwarzbild sehe ich Himmel, Wolken und felsige Berge, dazu ein leises Rauschen des Windes. Als Wälder dann ins Bild kommen, höre ich Vogelgezwitscher. Zu Aufnahmen eines Sees setzt leise Musik ein, die in der Musiktradition der Romantik Vögel und Wind nachahmt, dazu Hörner, die Berge und Wald symbolisieren. Die Kamera fliegt auf eine Wiese zu, die Musik schwillt an, ich sehe Julie Andrews über die Wiese gehen, sich drehen und dann kommt der Umschnitt auf „The hills are alive with the sound of music„.
Ich gestehe kleinlaut: Da hatte mich der Film schon.
Ich will mich gegen mich selbst verteidigen und denke: „Okay, nur ein kurzer Moment der Schwäche. Da kommen noch Lieder, die du furchtbar findest, dann bestätigt sich deine Meinung von damals.“
Also ich fand nicht alle Lieder seinerzeit furchtbar. „My Favourite Things“ mochte ich auf Anhieb. Das ist harmonisch so schön vertrackt und hat so eine gewisse Melancholie in der Melodie. Außerdem klingt es lustig, wenn Englischsprachler ‚Schnitzel‘ und ‚Strudel‘ singen. Auch das entwaffnend simpel gestrickte „Edelweiss“ hatte mir gefallen. „Climb Every Mountain“ ist mir nach wie vor zu pathetisch. „Do-Re-Mi“ hielt ich damals für ein Kinderlied der nervigsten Sorte. Außerdem fand ich, dass Julie Andrews und die Gören zu künstlich fröhlich durch die Gegend springen. Jetzt beim wiederholten Ansehen gestehe ich ein, dass der Song unglaublich gut funktioniert. Seltsamerweise empfinde ich Andrews und ihre Kinderschar nicht mehr künstlich, sondern lebensfroh und gut gelaunt. Und jetzt gerade, während ich diese Sätze schreibe, habe ich die Melodie schon wieder hartnäckig im Ohr.
Was mich diesmal auch mehr mitnimmt als beim ersten Gucken, sind die darstellerischen Leistungen. Den Gesang lasse ich außen vor, denn von den Erwachsenen singt nur Julie Andrews selbst, alle anderen werden gedoubelt. Die Kinder – bis auf Charmian Carr als Liesl – wurden wegen ihres Gesangstalents besetzt, allerdings wurden sie durch einen zusätzlichen Kinderchor verstärkt.
Sehr positiv fällt mir Eleanor Parker als Baroness Schraeder auf, die schicke High-Society-Dame, die ein Auge auf den Baron geworfen hat (und umgekehrt) und seine sieben Kinder umgehend ins Internat abschieben will. Sie ist „die Böse“ in der Geschichte. Parker ist eine elegante Erscheinung, zur Rolle passend etwas kühl mit einem Hauch Berechnung. Als sie beim Spielen mit den Kindern kläglich versagt, tut sie mir aber fast ein bisschen leid. Mich hat Parkers Darstellung mehr mitgenommen als die für ihre Rolle Oscar-nominierte Peggy Wood als Mutter Oberin. Wood macht das schon auch ordentlich, aber Oscar-nominierungswürdig finde ich das nicht.
Christopher Plummer machte keinen Hehl daraus, dass er die Rolle des Barons und den Film an sich hasste. Er akzeptierte das Angebot erst, als man ihm zusicherte, dass er zusammen mit Drehbuchautor Ernest Lehman seiner Figur etwas mehr Persönlichkeit geben dürfe. Plummer sagte später, er sei zu dieser Zeit sehr arrogant und unreif gewesen. Die Arbeit mit Julie Andrews hätte er unerträglich gefunden; erst später hätte er ihre Professionalität erkannt und sie seien gute Freunde geworden. Als der Auftritt der Trapp-Familie beim Gesangswettbewerb gedreht wurde, sei er betrunken gewesen – und wenn man das weiß, fällt auch auf, dass er, um Haltung zu bewahren, etwas zu steif dasteht und die Augen glasig verdreht. Man merkt Plummer nicht an, dass er die Arbeit so verabscheute, denn er gibt seiner Figur nach und nach trockenen Humor und Charme. Die Veränderung seines Charakters wird nachvollziehbar. Auch das hatte ich so nicht in Erinnerung.
Als Julie Andrews die Rolle der Maria bekam, war sie in Hollywood die Frau, die Eliza Doolittle in der „My Fair Lady“-Verfilmung nicht spielen durfte, weil sie keine Filmerfahrung hatte. Regisseur Robert Wise und Drehbuchautor Ernest Lehman konnten ein paar Aufnahmen des noch nicht erschienenen „Mary Poppins“-Films sehen und engagierten Andrews umgehend – ohne zu wissen, ob „Mary Poppins“ ein Erfolg würde. Andrews wollte eigentlich ablehnen, weil sie nach Mary nicht schon wieder ein Kindermädchen mit Namen Maria spielen wollte und sie die beiden Figuren zu ähnlich fand. Ich bin positiv von ihrer Leistung überrascht. Anfangs ist sie ungestüm, etwas naiv und ungeschickt, aber voller Energie. Als sie dann merkt, dass sie sich in den Baron verliebt hat, hadert sie mit sich, und auch das spielt sie mit einer glaubhaften Natürlichkeit.
Vielleicht bin ich auch mittlerweile in einem Alter, in dem man sich an Landschaftsaufnahmen erfreut, aber ich finde den Film sehr schön gefilmt. Nicht nur die Landschaftsaufnahmen, mehr eigentlich die mit Licht und Schatten spielenden Bilder im Kloster oder die ersten Szenen im Schloss. Der leichte Weichzeichner bei den abendlichen romantischen Szenen zwischen Liesl und ihrem Nazi-Freund Rolf und Maria und dem Baron ist mir dann aber ein bisschen zu dolle.
Bei der Beurteilung von Robert Wises Regie-Leistung bin ich zwiegespalten. Er hat dafür den Oscar gewonnen, aber irgendwie fühlt sich das Ergebnis nach reiner Routine an. Wise hatte zusammen mit Jerome Robbins für „West Side Story“ einen Oscar bekommen – sehr verdient, wie ich finde. Er war diesmal für William Wyler („Ben Hur“, „Funny Girl“) eingesprungen – und auch nur nach mehrmaligen Anfragen. Sein geplantes Projekt „The Sand Pebbles“ („Kanonenboot am Yangtse-Kiang“) hatte sich verschoben und Wise hatte nichts zu tun, deswegen wurde er schließlich weich. Der ursprünglich von William Wyler geplante Film hätte anders ausgesehen. Wyler war Jude und stammte aus dem Elsass, das zum Zeitpunkt seiner Geburt noch zum Deutschen Kaiserreich gehörte. Er wollte einen ernsthafteren Film machen und mehr Wert auf die Handlung beim Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland legen. Doch das Filmstudio lehnte ab. Wise hat in meinen Augen deutlich ambitioniertere Filme gedreht, aber das Publikum liebte „The Sound of Music“ heiß und innig und das verschaffte ihm dann zwei Oscars – als Regisseur und Produzent des Besten Films.
Trotz durchwachsener Kritiken war der Streifen 1965 weltweit ein Hit – außer in Österreich und Deutschland. Man störte sich an dem Hollywood-Blick auf die Geschichte. Die deutsche Fassung von „The Sound of Music“ – oder „Meine Lieder, meine Träume“, wie sie hier hieß – war zwar komplett synchronisiert, für die Kinoauswertung endete der Film aber mit der Hochzeit. Die letzten gut 30 Minuten –der Anschluss Österreichs und die Flucht – wurden abgeschnitten. Warum genau, ist schwer zu sagen. 1965 waren Filme über die Nazi-Vergangenheit Deutschlands und Österreichs inhaltlich eigentlich nicht mehr heikel. Vielleicht hatte sich der deutsche Verleiher mehr Chancen erwartet, wenn der Fokus auf der familienfreundlichen Liebesgeschichte liegt, denn die negativen Reaktionen von Kritikern waren erwartet worden.
Außerdem stand diese Fassung hierzulande im Schatten von „Die Trapp-Familie“ von 1956. Die Verfilmung der Erinnerungen von Maria von Trapp mit Ruth Leuwerik als Maria und Hans Holt als Baron war einer der erfolgreichsten deutschen Filme der Nachkriegszeit und bekam mit „Die Trapp-Familie in Amerika“ 1958 noch eine Fortsetzung. Paramount war auch an den Filmrechten der Memoiren interessiert, ein Film mit Audrey Hepburn als Maria war in Planung, aber von Trapp gab den deutschen Produzenten den Vorzug. Der internationale Erfolg der „Trapp-Familie“ lieferte dann den Anstoß zur 1959 uraufgeführten Broadway-Version.
Musicals standen bei deutschsprachigen Theatern früher eh nicht hoch im Kurs, aber dass das Original-Stück von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein erst 1982 als „Die Trapp-Familie“ in Hildesheim und in Österreich sogar erst 1993 – und dann satirisch überzogen – im Schauspielhaus Wien gespielt wurde, zeigt, wie sehr man mit dem Stoff fremdelte.
Die Stadt Salzburg kann sich aber brav bei diesem Film bedanken, denn der „Sound of Music“-Tourismus ist ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor geworden.
„The Sound of Music“ wird nicht in die Liste meiner Lieblingsfilme aufsteigen, aber ich hatte überraschend kurzweilige 2 ¾ Stunden mit gutem altem Hollywood-Kitschkino.
Würde ich mir das Musical jetzt auch mal in einem Theater ansehen wollen? Hmm …. ich glaube, so weit geht meine Begeisterung dann doch nicht.
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