Franziska Ringe (Eliza Doolittle) © Peter van Heesen
Franziska Ringe (Eliza Doolittle) © Peter van Heesen

My Fair Lady (seit 09/2024)
Großes Haus, Stralsund

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„Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ – ein Satz, den alle, die sich
halbwegs mit dem Genre Musical auskennen, sofort mit einem der ganz großen
Klassiker verbinden. Auch wegen einer Partitur voller Hits und einer einfachen Besetzbarkeit
mit dem hauseigenen Musiktheater-Ensemble, taucht „My Fair Lady“ regelmäßig auf den Spielplänen der kommunal finanzierten Theater als Garant für volle Vorstellungen auf. Das Theater Vorpommern präsentiert jetzt eine Inszenierung ihres Operndirektors Wolfgang Berhold, die versucht, das Stück etwas zeitgemäßer dastehen zu lassen, dies allerdings nicht konsequent und ohne Brüche durchhält.


Während Henry Higgins und Oberst Pickering ihr Experiment diskutieren, ob Kodderschnauze Eliza durch intensives Training in den sprachlichen Adelsstand erhoben werden könne, versucht das Hausfaktotum Mrs. Pearce verzweifelt, Magnetbänder zu entwirren, die von einer Tonbandspule gefallen sind. Ein Bild, das Wolfgang Bertholds Inszenierung von „My Fair Lady“ in Stralsund auf den Punkt genau charakterisiert.

Berthold versucht, mit frischen Ideen dem knapp siebzig Jahre alten Musical-Oldtimer die angesetzte Patina zu nehmen. Das gelingt gleich zu Beginn hervorragend, als sich noch vor der Ouvertüre Professor Higgins durch den geschlossenen Vorhang auf die Bühne drängelt, um der unsichtbaren Ansagerin der Handy- und Fotoverbotshinweise eine phonetisch korrekte Aussprache ihres Textes aufzunötigen. Ähnliches passiert nach der Pause, nur dass es dieses Mal Musterschülerin Eliza ist, die dem Publikum einen belehrenden, wissenschaftlichen Vortrag über Umgang und Wandel von Sprache hält. Mit dessen abruptem Ende leitet dieses Intermezzo zur weiteren Handlung über, Higgins‘ Triumphfeier mit seinem Personal nach Elizas Auftritt auf dem Diplomatenball.

Der Umgang mit Sprache stellt den Dreh- und Angelpunkt in Bertholds Inszenierung dar. Elizas Kodderschnauze manifestiert sich hier allerdings nicht im bekannten berlinernden Jargon der deutschen Fassung von Robert Gilbert, sondern in fehlenden grammatikalischen Kenntnissen. So wird zum Beispiel aus „es grient so grien“ ein Falscherdeutsches „es tut so grün grünen“. Der Ansatz des Regisseurs ist gut, kann allerdings nicht bestehen, da Higgins‘ Sprach-Drillmethoden mit flackerndem Kerzenlicht oder Murmeln im Mund auf eine fehlerfreie Aussprache und nicht auf einen korrekten Satzbau abzielen.

Auch die Nutzung sprachlicher Modernismen wie „Fick dich“ in der Ascot-Szene bringt frischen Wind in den Text. Allerdings verzettelt sich Berthold auch hier. So wird zum Beispiel Elizas Vater weiterhin als Müllkutscher angegeben, eine Berufsbezeichnung die etwas in die Jahre gekommen ist. Zu allem Überfluss wienert Alfred P. Doolittle in seinen Sprechszenen und Songs (Mit a kloan Stückerl Glück), was das Konzept, im Stück Dialekt nicht als Stilmittel einer niederen sozialen Herkunft einzusetzen, auf das Heftigste konterkariert.

Jenseits von Zeit und Raum ist Eva Humburgs nüchternes Bühnenbild, das lediglich aus fünf fahrbaren Treppen in Betonoptik vor schwarzen Vorhängen besteht. Bei offener Szene positionieren Bühnentechniker die Gestelle auf der Drehbühne zwar in immer anderen Formationen, doch letztendlich spielt das Stück in, auf, unter und vor einem rotierenden Treppenhaus. Immerhin markiert ein braunes Ledersofa Higgins‘ Zuhause und zwei Korbsessel plus Tischchen lassen das Heim seiner Mutter erahnen.

Stilistischer Wirrwarr herrscht auch bei den ebenfalls von Eva Humburg entworfenen Kostümen: Sie besitzen wie im Fall von Elizas Roben einen sensationellen Schauwert, doch ein Sissi-Prinzessinnenkleid und der Originalentwurf von Audrey Hepburns Eliza-Filmkleid passen weder zur modernen Stadtreinigungskluft in Alfred P. Doolittles Hochzeitsszene, noch zum stylischer Silberpailletten-Partyoutfit beim Diplomatenball. Auch gesellt sich konservativ-viktorianisches Higgins-Hauspersonal zu pastellig gewandeter Hocharistokratie in Ascot, die sich Pferdeköpfe aufsetzt, um die Rennen nachzustellen. Immerhin fordert die choreografische Mitarbeiterin Marijn Seiffert mit diesen zeitlupenhaft dargebotenen Bewegungen die Mitglieder des Opernchores. Im Rest der Inszenierung beschränkt sich Tanz aufgrund des fehlenden hauseigenen Ballett-Ensembles auf Polonaise-Schlangen, Popo-Gewackele und Arm-Geschwenke. Um im Song „Bringt mich pünktlich zum Altar“ noch so etwas wie Ausgelassenheit auf der Bühne entstehen zu lassen, wird ein Schlagzeuger auf die Bühne gerollt, der in einem ausgelassenen Solo eine Probe seines Könnens demonstrieren darf.

Allen inszenatorischen Blessuren widersetzt sich Frederick Loewes Ausnahmepartitur, die das Philharmonische Orchester Vorpommern unter dem Dirigat von Alexander Mayer zum Funkeln bringt. Dabei lässt der musikalische Leiter seine Musiker gerade in der Ouvertüre und in der Zwischenaktmusik ungewöhnlich schnelle Tempi spielen, die den Kompositionen einen gewissen Drive verleihen und die ihnen anhaftende Operettenseligkeit in den Hintergrund drängt.

Doch nicht nur die musikalische Begleitung der Stralsunder „Lady“ macht Spaß, sondern auch die aus dem soliden Stadttheater-Cast herrausragende Besetzung der beiden zentralen Figuren Eliza Doolittle und Henry Higgins. Franziska Ringe bringt nicht nur den Wandel von der sozial benachteiligten Gossen-Göre, die um ihr Überleben kämpft, zur selbstbewusst emanzipierten Frau glaubhaft auf die Bühne, sondern überzeugt auch gesanglich. Ihr Sopran, der nie ihr eigentliches Zuhause in großen Partien im Opernfach erahnen lässt, klingt leicht und luftig. Ringe spielt, singt, tanzt und steppt (!) sich mit Leichtigkeit und Präzision zu Recht in die Herzen des Publikums.

Von seinem ersten Auftritt an positioniert sich Felix Meusel als großkotziges Ego-Ekelpaket Henry Higgins, das so von sich selbst eingenommen ist, dass der Professor gar nicht merkt, wie reserviert sich seine Umwelt ihm gegenüber verhält. Meusel beherrscht zudem perfekt die Sprechgesangstimme und liefert mit „Kann eine Frau nicht sein wie ein Mann?“ ein wahres Kabinettstückchen ab. Bernd Roth als Oberst Pickering und Antje Bornemeier (Mrs. Pears) bleiben vorlagenbedingt blasse Stichwortgeber. Einzig Vera Meiß als resolute Mutter Higgins gibt ihrem Sohn ordentlich Kontra.

Semjon Bulinsky darf in der Rolle des als Muttersöhnchen gezeichneten Freddy mit großer Stimme in dieser Inszenierung sogar zweimal sein „In der Straße, wo du wohnst“ schmachten, während Bariton Thomas Rettensteiner einmal nicht den Saufkopf Alfred P. Doolittle gibt, sondern einen österreichischen Grantler mit Herz.

Ganz George Bernhard Shaws Vorlage folgend, gibt es auch in der Stralsunder Musical-Fassung ein Ende, das eine versöhnliche Liebesbeziehung zwischen Eliza und Henry Higgins ausschließt. Ob man sie dafür als Astronautin mit einer Rakete gleich bis ins Weltall hätte schießen müssen, bleibt Ansichtssache.

Musical nach George Bernhard Shaws „Pygmalion“ und dem Film von Gabriel Pascal
Buch und Liedtexte von Alan Jay Lerner
Musik von Frederick Loewe
Deutsch von Robert Gilbert

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungAlexander Mayer
InszenierungWolfgang Berthold
AusstattungEva Humburg
 
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CAST (AKTUELL)
Eliza DoolittleFranziska Ringe
Professor Henry HigginsFelix Meusel
Oberst PickeringBernd Roth
Alfred P. DoolittleThomas Rettensteiner
Freddy Eynsford-HillSemjon Bulinsky
Mrs. HigginsVera Meiß
Mrs. PearceAntje Bornemeier
Prof. KarpathyJovan Koščica
Mrs. Eynsford-HillKristina Herbst
ChorOpernchor des Theaters Vorpommern
KomparserieStatisterie des Theaters Vorpommern
OrchesterPhilharmonisches Orchester Vorpommern
  
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TERMINE
Do, 26.12.2024 18:00Großes Haus, Stralsund
Di, 31.12.2024 18:00Großes Haus, Stralsund
So, 26.01.2025 18:00Großes Haus, Stralsund
Sa, 08.03.2025 18:00Großes Haus, Stralsund
Sa, 05.04.2025 19:30Großes Haus, Stralsund
Sa, 26.04.2025 19:30Großes Haus, StralsundDernière
 
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TERMINE (HISTORY)
Di, 03.09.2024 18:30Großes Haus, Stralsundöffentliche Probe
Sa, 21.09.2024 19:30Großes Haus, StralsundPremiere
So, 29.09.2024 18:00Großes Haus, Stralsund
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