Manja Stein (Madame Giry), Patrick Stanke (Phantom) © Andreas Lander
Manja Stein (Madame Giry), Patrick Stanke (Phantom) © Andreas Lander

Love Never Dies – Liebe stirbt nie (2024)
Theater, Magdeburg

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Das Domplatz-Open-Air in Magdeburg wagt sich in diesem Sommer an Andrew Lloyd Webbers nicht unumstrittene Fortsetzung des “Phantoms der Oper”. Es ist nicht nur die erste Open-Air-Inszenierung, sondern auch die erste freie Inszenierung der tragischen Dreiecks-Geschichte des fürchterlich entstellten Musikgenies, der mittlerweile zur Operndiva avancierten Christine Daeé und ihrem Mann Raoul. Musikalisch und schauspielerisch eindrucksvoll besetzt, verspielt “Liebe stirbt nie” allerdings den für die Phantom-Story ganz eigenen Theaterzauber durch fragwürdige Entscheidungen der Regie.

Dabei beginnt die Show vor der beeindruckenden Kulisse des Magdeburger Doms vielversprechend und macht Hoffnung auf eine spannende und innovative Neuinterpretation. Die Geschichte setzt nämlich – nicht wie in der Original-Inszenierung –  zehn Jahre nach den Geschehnissen in der Pariser Oper ein, sondern bekommt einen kurzen Prolog. Dieser steigt direkt am Ende der ersten Geschichte ein und zeigt, wie die Polizei das Phantom durch Paris jagt und es schließlich, von einem Schuss getroffen, vom Eiffelturm hinabstürzt. Die eigentliche Show beginnt dann wie gewohnt mit dem Phantom-Solo “So sehr fehlt mir dein Gesang”, bei dem Patrick Stanke in der Hauptrolle mit viel Emotion, dem Lloyd-Webber-typischen Pathos und großer Orchesterbegleitung seiner großen Liebe Christine nachtrauert und zeigen darf, wieso er für diese Rolle eine wirkliche Idealbesetzung ist.

Leider ist dieser erste Song der Show auch bereits der Höhepunkt des gesamten Abends. Beinahe jede Möglichkeit für große Bilder, die schon in der Komposition der Show angelegt sind, wird durch die Regie von Pascale-Sabine Chevroton quasi mit den Füßen getreten. Sei es, dass der große Orchesterausbruch zu Beginn von “In rabenschwarzer Nacht” nicht für einen eindrucksvoll erschreckenden Auftritt des Phantoms genutzt wird. Stattdessen singt Christine schon – ohne das Phantom überhaupt gesehen zu haben, wie wütend sie darüber ist, dass das Phantom sie glauben hat lassen, es sei tot, und nun nach zehn Jahren wieder auftaucht. Auch – und das ist beinahe unverzeihlich – muss Christine den Höhepunkt, auf die gesamte Show hinarbeitet, nämlich ihr großes Solo “Liebe stirbt nie”, überwiegend an der am weitesten von den Zuschauern entfernten und höchsten Stelle der Bühne mit dem Blick auf die Seite, vom Publikum abgewendet singen.

Es schleichen sich außerdem immer wieder kleine Logikfehler ein. So stellt sich die Frage, warum ausschließlich die am Pier auf die Ankunft Christine wartenden New Yorker mit amerikanischem Akzent sprechen, während alle anderen – mutmaßlich ebenfalls in den USA geborenen – Figuren der Show wie die Freaks oder die Gäste des Freizeitparks auf Coney Island keinen Akzent haben. Fragwürdig bliebt auch, warum Gustave, der von den Freaks nach Phantasma gebracht wird und dafür in einen Koffer gelockt und dort eingesperrt wird, völlig ohne Angst aus dem Koffer herausspaziert.

Dabei hätte diese Inszenierung eigentlich alles, was es für einen tollen Open-Air-Abend bräuchte. Das Bühnenbild ist beeindruckend. Coney Island besteht in Magdeburg aus einer zu einer Fratze entstellten Sonne, die wie der Eingang zu einer Geisterbahn wirkt. Die Kutsche, in der Christine und ihre Familie ins Hotel gebracht werden, ist die Zunge der Fratze, die auf Schienen fährt. Den Bühnenhintergrund bilden übermannshohe Wellen, die nach Einsetzten der Dunkelheit stimmungsvoll beleuchtet werden. Auf der linken Bühnenseite steht ein riesiger Kopf mit Maske, der durch eine Drehung zu Megs oder Christines Umkleidekabine wird. In der Bühnenmitte befindet sich ein Raum, der mal das Versteck des Phantoms, mal das Hotelzimmer ist, in dem Christine mit Gustave und Raoul untergebracht ist. Durch zwei drehbare Flügelelemente werden die verschiedenen Räume angedeutet.

Bei den Kostümen der Freaks auf Coney Island setzt Tanja Liebermann überwiegend auf weiß, während sie die Bewohner New Yorks als Gegenpart komplett in schwarz kleidet.

Für die Kostüme des Phantoms, Christine oder Madame Giry hat Liebermann ganz eigene Kreationen erschaffen und entfernt sich damit deutlich von den bisher für diese Rollen typischen Looks. Zwar trägt beispielsweise das Phantom nach wie vor eine Halbmaske, in der Magdeburger Inszenierung hat es aber zum Beispiel lange offene Haare, was seinem Charakter etwas Wildes gibt. Madame Giry trägt nicht mehr das für sie typische schwarze Kleid mit den streng nach hinten gesteckten Haaren, sondern Turban und große Ohrringe und ist damit weit näher am Stil New Yorks in den späten 1910er Jahren.

Mit dem Ballett und dem Opernchor des Theater Magdeburgs steht der Show ein riesiges Ensemble zur Verfügung, das sowohl die Rollen der Freaks als auch der Besucher des Rummelparks darstellt und Nummer wie “Wo die Schönheit sich verbirgt”, schon allein durch seine stimmliche Fülle zu Erlebnissen macht. Leider vernichtet die Regie auch bei dieser Nummer den beinahe schon hypnotischen Moment, in dem das Phantom und Gustave ihre Seelenverwandtschaft entdecken, der dann in den eigentlichen Song übergeht, indem das gesamte Ensemble durch die Engstelle der Flügeltüren auf die Bühne gebracht werden muss und somit zwischen der Spielszene und dem Song enorm eine störende Pause entsteht.

Auf der Haben-Seite von “Liebe stirbt nie” stehen dagegen auf alle Fälle die Besetzung und das wunderbare Orchester unter der Leitung von Pawel Poplwaski. Die Magdeburger Philharmonie spielen die romantisch-schwelgerische Melodien Lloyd Webbers mit viel Leidenschaft und Energie. Sie trumpfen in den dramatischen Szenen wie dem “Wer verliert, geht unter” donnernd auf und klingen fein und nuanciert in den kurzen “Phantom”-Zitaten wie dem “Hier steh ich allein” von Christine. Die Abmischung der Musik in den nicht einfachen Verhältnissen einer Open-Air-Inszenierung gelingt hervorragend. 

Sophia Georgi übernimmt die Rolle der Meg Giry. Ihr gelingt sehr überzeugend der nicht immer leichte Wandel der Freude darüber, ihre alte Freundin Christine nach all den Jahren wiederzusehen, hin zur brennenden Eifersucht, als sie bemerkt, dass sie dadurch die Gunst des Phantoms verliert. Musikalisch fällt ihrer Rolle mit “Badenixen” leider einer der wahrscheinlich schlechtesten Songs Lloyd Webbers zu, aus dem sie allerdings das Beste herausholt und eine gut gelaunte Shownummer zaubert. Manja Stein darf in ihrer kleinen Rolle der Madame Giry zeigen, was aus der Strippenzieherin des ersten Teils der “Phantom”-Geschichte geworden ist. Auch sie füllt ihren Part glaubhaft und nachvollziehbar aus. Die drei Freaks Squelch (Dani Spampinato), Fleck (Maike Katrin Merkel) und Dr. Gangle (Thomas Wissmann) überzeugen in dieser Inszenierung vor allem dadurch, dass sie permanent zwischen Unheimlichkeit und Komik hin- und herschwanken, was sie als Freak-Trio und Handlanger des Phantoms auszeichnen.

Sebastian Seitz spielt seinen Raoul mit spürbarer Zerrissenheit. Sein Solo “Welchen Grund hat sie” klingt mit seinem warmen Bariton einschmeichelnd schön. Entgegen allen bisherigen Besetzungen der Rolle des Gustaves greift Magdeburg nicht auf ein Kind zurück, sondern auf die erwachsene Sarah Gadinger, die in den Duetten mit Christine (“Frage dein Herz”) oder dem Phantom (“Wo die Schönheit sich verbirgt”) sehr schön harmoniert.

Als Christine Daeé steht in Magdeburg Martina Lechner auf der Bühne. Obwohl die Besetzung dieser Rolle mit einer Mezzo-Sopranistin auf den ersten Blick außergewöhnlich wirkt, funktioniert sie doch ganz hervorragend. Martina Lechner ist eine warmherzige Mutter und Ehefrau und schafft es mit ihrem Spiel, die Liebe zu ihrem Ehemann und gleichzeitig die Anziehung zum Phantom darzustellen. Ihre Stimme passt wunderbar zu den ihrer Rolle zugedachten Liedern. Ihr “Liebe stirbt nie” hätte in einer stimmigen Inszenierung ein wahrer Showstopper werden können. Nicht nur stimmlich ist ihr Patrick Stanke ein adäquater Partner. Auch schauspielerisch kitzelt er aus seiner Rolle eine große Vielschichtigkeit heraus: Er ist auf der einen Seite rachsüchtig, und doch zugleich verletzlich und fürsorglich. Er hat – trotz des Mankos, dass seine Mimik größtenteils hinter der Maske versteckt ist – tolle schauspielerische Momente, so zum Beispiel, wenn er von der wahren Identität Gustaves erfährt. 

Die starke Besetzung und die musikalische Umsetzung der Partitur durch die Magdeburger Philharmonie allein sind schon Grund genug, “Liebe stirbt nie” auf dem Domplatz zu besuchen. Wer jetzt allerdings noch kein Ticket hat, braucht einiges an Glück: Bereits vor der Premiere verkündete das Theater Magdeburg nicht ganz ohne Stolz, dass alle Vorstellungen ausverkauft seien und das Domplatz Open Air 2024 bereits jetzt die erfolgreichste Spielserie in seinem Bestehen sei.

 
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KREATIVTEAM
Musikalische LeitungPaweł Popławski
Regie, ChoreografiePascale-Sabine Chevroton
BühneJürgen Kirner
KostümTanja Liebermann
DramaturgieUlrike Schröder
ChoreinstudierungMartin Wagner
Musikalische EinstudierungTamas Molnar
Pawel Poplawski
Justus Tennie
RegieassistenzJulia Jantos
Choreographische Assistenz, Dance CaptainElisabeth Blutsch
BühnenbildassistenzEugen Friesen
KostümassistenzSenta Hetzer
RegiehospitanzEnya Gebbers
BühnenbildhospitanzRaphael Toussaint
InspizienzRaphael Dreißig
Conny Franke
 
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CAST (AKTUELL)
PhantomPatrick Stanke
Christine DaaéMartina Lechner
RaoulSebastian Seitz
Meg GirySophia Gorgi
Madame GiryManja Stein
GangleThomas Wißmann
SquelchDani Spampinato
FleckMaike Katrin Merkel
GustaveSarah Gadinger
EnsembleElisabeth Blutsch
Juliette Lapouche
Manuel Nobis
Bas van der Meulen
ArtistinNina Kemptner
ChorOpernchor des Theaters Magdeburg
TanzBallett Theater Magdeburg
OrchesterMagdeburgische Philharmonie
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 14.06.2024 21:00Domplatz, MagdeburgPremiere
Sa, 15.06.2024 21:00Domplatz, Magdeburg
So, 16.06.2024 21:00Domplatz, Magdeburg
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