Annika Steinkamp (Bonnie Parker) und Lucas Baier (Clyde Barrow) © Clemens Heidrich
Annika Steinkamp (Bonnie Parker) und Lucas Baier (Clyde Barrow) © Clemens Heidrich

Bonnie & Clyde (2024)
Domfestspiele, Bad Gandersheim

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Frank Wildhorns hierzulande extrem selten gespieltes Musical „Bonnie & Clyde“ steht bei den Gandersheimer Domfestspielen als Open-Air-Produktion auf dem Spielplan. Toll besetzt und stimmig inszeniert, kann die Story um das berühmte Gangsterpärchen hier vollends überzeugen.

Auch wenn die harmonischen Songtexte von Don Black in der deutschen Übersetzung von Holger Hauer an Aussagekraft und schöner Lyrik verlieren, das Buch von Ivan Menchell so einige Längen aufweist und der Score nicht zu Wildhorns stärksten Partituren gehört, hat das Bühnenwerk eine spannende Geschichte mit einigen musikalischen wie emotionalen Höhepunkten zu erzählen. Regisseurin Sandra Wissmann konzentriert sich in ihrer Inszenierung auf die Pluspunkte des Musicals und generiert durch eine fokussierte Personenregie ein facettenreiches und sich im Stückverlauf immer weiter entwickelndes Doppelportrait von Bonnie Parker und Clyde Barrow. Auch das Ehepaar Buck und Blanche Barrow sowie Emma Parker erhalten in dieser charaktergetriebenen Inszenierung Raum, sich authentisch, glaubhaft und identifizierbar als Figuren im Stück zu etablieren.

Das für ein Freilichttheater typisch reduzierte Bühnenbild von Anja Müller wirkt hier nicht wie auf Sparflamme produziert, sondern dem Fokus der Inszenierung dienlich. Im Zentrum steht der riesige Abdruck eines Artikels der Zeitung Arizona Daily, der die Tötung des Gangsterpaares auf der Titelseite verkündet und somit das unausweichliche Schicksal der beiden Hauptcharaktere omnipräsent, einem Damoklesschwert gleich zur Schau trägt. Ein Oldtimer, der aus einem Verbrecherfilm des alten Hollywoods stammen könnte, schaut zur Hälfte durch eine zerrissene Stelle in der Zeitungswand. Diese kann durch Aufklappen den Blick auf einen Innenraum freigeben, der als Zimmer oder Gefängniszelle genutzt wird. Kombiniert mit einer verschiebbaren Treppe, die die untere Bühnenebene mit einer Empore verbindet, und kleineren Requisiten wie Fönhauben, die den Friseursalon von Blanche darstellen, ergibt sich ein sehr stimmiges, aussagekräftiges Bühnenbild. Der positive visuelle Eindruck wird durch Müllers Kostümbild bestärkt, das vor allem durch das graduelle Upscaling der Kleidung der Titelhelden glänzt und so zum Narrativ beiträgt.

Ferdinand von Seebach und seine sieben Musiker spielen Frank Wildhorns ungewohnt jazzige Lieder, die oftmals mit zeitgenössischer Big-Band-Orchestrierung versehen sind, trotz der geringen Größe der Band fantastisch mit vollem Klang, Schwung und Gefühl. Auch die eher gospelhaften und mit Elementen der Country-Musik versehenen Lieder spielen sie stimmig und beweisen ihr facettenreiches, auf verschiedenen musikalischen Genres durchweg virtuoses Spiel. Leider macht die Tontechnik am rezensierten Abend den Hörgenus zunichte: Zwar ist die Band jederzeit laut und kraftvoll übertragen; selbiges ist vom Ensemble und den Hauptdarstellern allerdings nicht zu sagen. Das Mikrofon von Hauptdarstellerin Steinkamp fällt etliche Male aus, ruckelt, knarzt und ist – wie alle anderen Darsteller-Mikrofone – viel zu leise eingestellt. Etliche Dialogpassagen oder Duettstellen in Liedern sind akustisch schlichtweg nicht verständlich. Der gesamte Mikrofonklang ist auch insgesamt eher dumpf, was den ansonsten wunderbaren Gesamteindruck trübt.

Das gesamte Ensemble, aus dem Bas Timmers als rachsüchtiger Sheriff, Dirk Hinzberg als gospelsingender Priester, Ellen Kärcher als Clydes besorgte Mutter Cumie, Johannes Krimmel als Ted, Clydes Gegenspieler bei der Polizei, und Theresa Löhle als nicht gerade gottesfürchtige Friseurkundin Trish herausstechen, ist mit profundem Schauspiel und souveränem Gesang präsent. Annika Steinkamp und Lucas Baier sind als Bonnie und Clyde ein starkes, emotionales Duo. Ihre leidenschaftliche, körperlich und emotional innige Liebe, in der die Gefühle auch toxisch überkochen, mimen sie mit Hingabe und höchster Authentizität.

Lucas Baier legt die beeindruckendste Darstellung des Abends hin: Sein Clyde ist himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, gehässig auf die Welt, rasend vor Liebe und vor der Ungerechtigkeit in seinem Leben. Beeindruckend interpretiert er das große Solo „Reiß die Hölle auf“ mit bleierner Düsternis, als er sich eines übergriffigen Mitgefangenen gewaltsam entledigt. Liebevoll-ruhige Töne stimmt er zu „Bonnie“ an, um im nächsten Moment wieder zum eiskalten Gangster zu werden, der eben noch sein erstes unschuldiges Opfer panisch und verzweifelt betrauerte. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle, auf die Baier nicht nur seine Bonnie und seinen Bruder Buck, sondern auch das gesamte Publikum mitnimmt.

Steinkamp vollführt Bonnies Wandlung vom hoffnungsvollen Mauerblümchen zur verliebten Mitläuferin beeindruckend. Bonnies innere Zerrissenheit, die sich im Verlauf in Zufriedenheit wandelt, zeichnet Steinkamp glaubhaft und mit schauspielerischer Nuanciertheit. Auch gesanglich überzeugt sie auf ganzer Linie in ihrem Solo „Sterben ist nicht schlimm“ und bei „Du liebst, wen du liebst“ im Duett mit einer leidenschaftlich spielenden und singenden Nadine Kühn als Blanche.

Kühn beeindruckt vor allem schauspielerisch in der Todesszene von Ehemann Buck, der von Tim Müller mit sympathischem Antihelden-Charme gefüllt wird. Müller harmoniert mit Lucas Baier als Brüderpaar besonders symbiotisch, was beispielsweise schön im Song „Wenn ich fahr“ zu hören ist. Tabea Scholz berührt als emotional zerstörte Emma Parker, Bonnies Mutter, in der Szene, in, in, als ihre Tochter ihr vor dem Lied „Teufel“vollkommen entgleitet und bereitwillig in ein tödliches Spiel gegen die Polizei aufbricht.

Die Gandersheimer Domfestspiele sind mit „Bonnie & Clyde“ ein Wagnis eingegangen, das sich auszahlt. Mit Spannung kann dieser Open-Air-Geheimtipp beobachtet werden, denn hier ist das Potenzial für hochkarätige und selten gespielte Musicalproduktionen offensichtlich vorhanden. Und wer weiß – vielleicht nehmen sich ja andere Spielstätten ein Beispiel daran und nehmen seltene Musical-Juwelen wie Frank Wildhorns Gangsterepos demnächst auch in ihre Pläne auf.

 
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KREATIVTEAM
BuchIvan Menchell
TextDon Black
MusikFrank Wildhorn
deutsche TextfassungHolger Hauer
RegieSandra Wissmann
ChoreografieDominik Müller
 
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CAST (AKTUELL)
Trish / Deputy JohnsonTheresa Löhle
Bonnie ParkerAnnika Steinkamp
Clyde BarrowLucas Baier
Cumie BarrowEllen Kärcher
Henry BarrowKevin Dickmann
Blanche BarrowNadine Kühn
Buck BarrowTim Müller
Emma ParkerTabea Scholz
Ted HintonJohannes Krimmel
SheriffBas Timmers
PriesterDirk Hinzberg
Junge BonnieAnn-Charlotte Wittmann
Junger ClydeNiklas Brunner
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 28.06.2024 20:00Domfestspiele, Bad GandersheimPremiere
Sa, 29.06.2024 20:00Domfestspiele, Bad Gandersheim
So, 30.06.2024 15:00Domfestspiele, Bad Gandersheim
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