Musicalgala - Ich bin, was ich bin (2023)
Stadttheater, Flensburg

„Ich bin, was ich bin, und was ich bin, ist ungewöhnlich.“ Mit diesen gesungenen Worten und musikalisch begleitet vom Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester eröffnet Musicaldarsteller Tom Schimon im schwarzen Glitzersakko die gleichnamige Musicalgala im Stadttheater Flensburg. Der Titel ist Programm – schon bei der Begrüßungsmoderation machen Tom Schimon und Sandra Leitner deutlich, wie wichtig ihnen Gleichberechtigung, gesellschaftliche Vielfalt und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sind. Dafür zitieren sie nicht nur einige Artikel aus dem Grundgesetz, auch die Songauswahl kommt diesem Ansinnen nach.

Im Fokus des Abends stehen Songs, die das Recht auf Selbstbestimmung einfordern oder zelebrieren, z.B. „Wenn ich tanzen will“ („Elisabeth“), „Don’t Rain On My Parade“ („Funny Girl“), „We Are Women“ („Candide“) sowie der titelgebende Evergreen aus „La Cage Aux Folles“. Fehlen darf in diesem Kontext natürlich auch die Hymne der LGBTQIA+-Bewegung „Over The Rainbow“ nicht.

Eine Bühne schenken Sandra Leitner und Tom Schimon zudem Außenseiterinnen und Ausgestoßenen, die auf die Liebe und ein besseres Leben hoffen, etwa Amélie aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“, Eponine aus „Les Misérables“, Audrey aus „Der kleine Horrorladen“ und Clara aus „The Light In The Piazza“.

Durch die vielfältige Songauswahl haben die beiden die Möglichkeit, schauspielerische Wandelbarkeit und beeindruckendes Gesangstalent unter Beweis zu stellen. Schimon ist zutiefst sympathisch in der Rolle des Albin, rührend als Seymour sowie furchteinflößend und unerbittlich als Tod. Diese Charaktereigenschaften schlagen sich jeweils auch in seiner Stimme wider. Das warme Timbre, das er als Albin und Seymour ausstrahlt, weicht einem harten Klang, wenn er als Tod Kaiserin Elisabeth gegenübersteht. 

Sandra Leitner gelingt die Wandlung von der fest entschlossenen, nach Unabhängigkeit strebenden Elisabeth (Gänsehaut!) zur unglücklich verliebten Eponine (zu Tränen rührend!) binnen weniger Sekunden. Sie hat eine kraftvolle Belting-Stimme und schmettert die Entschlossenheit und den Schmerz der jeweiligen Rollen nur so aus sich heraus. Mit „Over The Rainbow“ demonstriert sie, dass sie auch in den hohen Tönen der Kopfstimme sicher ist.

Unterstützung erhält das Duo von Anna Avdalyan, Nadia Steinhardt und Philipp Franke. Zu fünft feiern sie am Ende des ersten Akts „Saisons Of Love“ aus „Rent“ und rocken zum großen Finale die Bühne mit dem „Hairspray“-Showstopper „You Can’t Stop The Beat“. Darüber hinaus begeistert Philipp Franke mit „Wenn ich einmal reich wär'“ aus „Anatevka“. Er hat einen wohlklingenden Bariton und spielt Tevje mit sichtbarer Spielfreude, vollem Körpereinsatz, großen Gesten und tänzelnden Bewegungen. 

Perfektioniert wird die Gala durch das 51-köpfige Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester unter der Leitung von Avishay Shalom, das für vollen Sound und wunderbare Akustik sorgt. Die Musikerinnen und Musiker sind nicht nur für die Begleitung der Sängerinnen und Sänger zuständig, sondern spielen auch einige Instrumentalstücke, in denen die Aufmerksamkeit des Publikums ganz und gar auf den Klängen des Orchesters liegt. Besonders das „Interlude“ aus „Das Phantom der Oper“ geht unter die Haut. 

Sandra Leitner und Tim Schimon führen als Gastgeber sympathisch durch das Programm, wobei sie manchmal zu krampfhaft bemüht sind, witzig zu sein. Davon abgesehen ist die Premiere der Musicalgala aber rundum gelungen. Die zentrale Botschaft, alle Menschen wertzuschätzen – ganz gleich, wie verschieden wir alle sind – wird mit Nachdruck in die Welt getragen. Die Gala macht Lust darauf, die thematisierten Musicals (wieder einmal) in voller Länge anzuschauen. Und der eine oder andere Ohrwurm begleitet die Premierengäste sicherlich nach Hause.