Ohne die großen Fünf

Die Kosten höher als kalkuliert, die Einnahmen geringer: Das neu gegründete Theater für Niedersachsen kämpft mit Finanzproblemen. Intendant Jörg Gade will aber weiterhin ein mutiges Musical-Programm anbieten.

Die erste Spielzeit ist vorbei – und sie lief anders, als es sich die Macher gewünscht hätten. Der Zusammenschluss der Landesbühne Hannover und des Stadttheaters Hildesheim zum Theater für Niedersachsen (TfN) sollte beispielhaft für eine gelungene Fusion stehen. Stattdessen gab es im Frühjahr Schlagzeilen über eine drohende Insolvenz. Neben der Tariferhöhung im öffentlichen Dienst schlug auch zu Buche, dass einige Produktionen, darunter das Musical „Nervensache“ und die zweite Staffel von „Kleider machen Liebe“, beim Publikum nicht gut ankamen. Die Probleme sind noch nicht behoben. Trotzdem will Intendant Jörg Gade weiter auf einen ambitionierten Musical-Spielplan setzen.

Herr Gade, Sie haben das Theater mit dem eher experimentellen Musical „Nervensache“ („A New Brain“) von William Finn eröffnet. War das ein Fehler?

Jörg Gade: Ich würde die Entscheidung heute so nicht wieder treffen. Trotzdem meine ich nicht, dass es ein Fehler war. Wir brauchten ein Stück, das bundesweit ein Zeichen setzt: Wir wollen mit unserer Musical-Company das Repertoire erweitern. Dass ein Stück über einen schwulen, jüdischen Komponisten aus New York, der an einem Gehirntumor erkrankt, in den Gastspielorten eher ein Randthema ist, war uns klar. Hinzu kam, dass das Hildesheimer Publikum mich vor allem mit meiner Horrorladen-Inszenierung aus den neunziger Jahren in Verbindung gebracht hat. Wer mit diesem Bild ins Theater ging, der wurde natürlich enttäuscht.

Hat das zur finanziellen Schieflage beigetragen?

Auch, aber nicht entscheidend. Wir wollten mit Zuschauereinnahmen 20 Prozent der Kosten wieder einspielen. Erreicht haben wir in der ersten Saison 18 Prozent. Das ist aber immer noch besser als bei vielen anderen Drei-Sparten-Theatern. Entscheidend für unsere Probleme sind drei Konstruktionsfehler des TfN.
Erstens: Unsere Zuschüsse sind bis 2011 gedeckelt. Das heißt, wir müssen steigende Gehaltstarife und die Inflation selbst erwirtschaften. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat vor dem Start ermittelt, dass wir Tarifsteigerungen bis zu zwei Prozent jährlich verkraften können. Jetzt müssen wir aber auf zwei Jahre acht Prozent stemmen.
Zweitens: Sämtliche Kosten, die durch die Fusion entstanden sind, mussten wir aus dem laufenden Etat bezahlen – etwa Umbauten und Änderungen an den Fahrzeugen und beim Ticketsystem.
Und drittens: Wir müssen die Altlasten beider Theater tragen. Das sind zum Beispiel 1,6 Millionen Euro Restkosten vom Umbau des Theaters in Hildesheim.
All das können wir nicht alleine stemmen. Um für die Zukunft planen zu können, müssen wir mit unseren Trägern (dem Land Niedersachsen, der Region Hannover sowie der Stadt und dem Landkreis Hildesheim, d. Red.) diese Konstruktionsfehler beseitigen.

Als einziger deutscher Stadttheaterintendant haben Sie ein eigenes Musical-Ensemble. Wenn ein Kollege Sie nach Ihren Erfahrungen fragt – was sagen Sie?

Ich würde das Modell empfehlen, aber auch berichten, was wir im ersten Jahr lernen mussten. So waren wir beim Stellenplan von den Bedürfnissen einer Tanzkompanie ausgegangen – und hatten keinen Regieassistenten und keine Souffleuse vorgesehen. Beides braucht man aber, wenn man Musical im Repertoire spielt. Auch den personellen Aufwand für Weiterbildung – Stimmbildung und -entwicklung sowie Coaching – haben wir unterschätzt. Positiv ist auf jeden Fall: Es macht Spaß, dem Ensemble zuzuschauen, wie es von Produktion zu Produktion miteinander wächst. Das hat man in diesem Genre sonst nicht. Die Arbeit im Musical-Ensemble stellt die Darsteller schließlich vor besondere Herausforderungen. Etwa wenn man morgens ein Stück von William Finn probt und abends eines von Kunze und Lührig spielt.

Sie haben auch für diese Spielzeit ein mutiges Musical-Programm mit drei deutschsprachigen Erstaufführungen angekündigt: Noch einen Finn („25. Pattenser Buchstabierwettbewerb“), dazu „Die Frau des Bäckers“ und „Der geheime Garten“. Ein Pendant zu ihrem Kassenschlager der ersten Saison, dem Old-Fashion-Musical „Crazy for You“, fehlt. Werden Sie vor dem Eindruck der Finanzsorgen für die folgenden Jahre mutloser programmieren?

Ich glaube nicht. Ich habe die Hoffnung, dass wir mit dem „Buchstabierwettbewerb“ die Zuschauer zurückgewinnen, die wir mit „Nervensache“ enttäuscht haben. Das ist zwar auch von William Finn, aber viel unterhaltsamer und weniger experimentell. Wir haben auch weiterhin vor, unbekannte Stücke vorzustellen. Für die Zukunft müssen wir erreichen, dass wir vom Publikum mehr geliebt werden. Ich bin aber überzeugt, dass das gerade im Musicalbereich auch ohne die großen fünf Titel geht.

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