Mercédès (Anna Preckeler), Fernand Mondego (Marco Vassallli), Edmont Dantès (Vikrant Subramanian) © Heiko Sandelmann
Mercédès (Anna Preckeler), Fernand Mondego (Marco Vassallli), Edmont Dantès (Vikrant Subramanian) © Heiko Sandelmann

Der Graf von Monte Christo (2019 - 2020)
Stadttheater, Bremerhaven

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Wildhorn-Version des Mantel und Degen-Epos‘, die dramaturgisch nicht ganz mit ihrer literarischen Vorlage mithalten kann. Das Stadttheater Bremerhaven garantiert in Felix Seilers werkgetreuen Kostümschinken-Inszenierung kurzweiligen Spaß für die gesamte Familie.

Liebe, Intrigen, Hass, Rache und Vergebung sind die Triebfedern in Alexandre Dumas‘ Abenteuerroman „Der Graf von Monte Christo“, in dem der Seemann Edmont Dantès nach vierzehn Jahren unschuldiger Festungsisolation dem Kerker entflieht, um unter dem adeligen Pseudonym seinen Peinigern den Garaus zu machen.

Auf dem zwischen 1844 und 1846 entstandenen Fortsetzungs-Epos basieren mehrere Filmversionen und 2009 fand der Stoff seinen Weg auf die Musicalbühne. Dies allerdings nicht ohne Blessuren. Es knirscht heftig im dramaturgischen Gebälk der über 24 Jahre lang spielenden Handlung, die Jack Murphy recht frei von 1.400 Romanseiten auf knapp zweieinhalb Musical-Spielminuten verdichtet hat. Frank Wildhorns sehr balladenlastige Bombast-Kompositionen wirken wie gute Bekannte aus seinen anderen Werken und sind in die vorhersehbare Handlung – wie im Fall der aus dem Nichts erscheinenden, für die Handlung völlig irrelevanten Valentine – oft nur zur musikalischen Schaustellung integriert. Das die Handlung in Gang bringende Schurken-Trio wird hingegen musikalisch stiefmütterlich mit zwei Terzetten abgespeist. Dazu hemmt überflüssiger musikalischer Ballast (zum Beispiel die Huren-Szene „Tanz die Tarantella“) den Spannungsbogen und wichtige, eigentlich interessante Charaktere, wie das für die Musical-Version vom Mann zur Frau mutierte Piratenoberhaupt, verschwinden trotz anderslautender Ankündigung im Text sang- und klanglos wieder in der Versenkung. Unterm Strich stellt das Musical die beiden Hauptfiguren Edmont Dantès und seine ihm entzogene Liebe Mercédès in den Fokus der Handlung und bedenkt sie mit reichlich Soli und Duetten.

Davide Perniceni führt mit viel Verve das im Graben sitzende Philharmonische Orchester durch die hier sehr klassisch wirkende Partitur. Rockelemente treten in den Hintergrund. Der für den Zuschauer nicht wirklich wichtige Chor-Prolog „Fiat justitia“ bleibt in der besuchten Premiere völlig textunverständlich, auch weil die zackig aufspielenden Musiker mit ihrem voluminösen, vollem Klang die Sänger und die sehr angestrengt wirkende Solistin (Sydney Gabbard) übertönen. Dieser Makel gibt sich jedoch im Laufe der Vorstellung und Wildhorns gefällige Mainstream-Kompositionen mit großen Melodienbögen, Pizzicato-Triolen und zackigen Ensemblenummern können dank dieses fantastischen Orchesters durch die Gehörgänge des Publikums perlen.

Auf der Bühne klotzt das Kreativ-Team um Regisseur Felix Seiler so richtig und überdeckt geschickt die Schwächen der Musicalvorlage. Die Inszenierung ist ein stringent erzählter Kostümschinken, in den Seiler behutsam neue Ideen, wie zum Beispiel die bekannte Reling-Szene aus der „Titanic“-Verfilmung von James Cameron oder Joint rauchende Soldaten in der Festung integriert. Manches, wie die bereits erwähnte Huren-Szene, gerät arg bieder, während es auf dem Piratinnen-Schiff deftig-rau zugeht. Seiler erzählt die Geschichte sehr werkgetreu, fordert sein Publikum (etwa beim Duett „Niemals allein“) jedoch, indem er gekonnt verschiedene Handlungsorte wie Kirche und Kerker im intimen Rahmen miteinander verschmelzen lässt.

In Kooperation mit Choreografin Andrea Danae Kingston gelingen bewegliche Massenszenen, in denen das kleine Ballett-Ensemble und die stimmlich gut aufgelegten Choristen in immer neuen Formationen gemäß ihrer Möglichkeiten geschickt die Bühne ausfüllen. Ein tolles Musical-Staging! Choreografisch führt Danae Kingston die Tanztruppe durch Stile von operettiger Walzerseligkeit über Revue-Beingeschwenke bis hin zu eckigen Modern-Dance-Bewegungen, die die Tänzer als Umrahmung von „Diese Augen/Der Mann ist tot“ in der besuchten Premiere sehr asynchron ausführen. Zu glänzen gelingt ihnen und einigen Solisten hingegen in den rasanten Fechtchoreografien, die Jean-Loup Fourure entworfen und einstudiert hat.

Einen für schnelle Szenenwechsel idealen Rahmen schafft Hartmut Schörghofer, der die Bühne quer von links hinten bis vorne rechts durch einen Vorhang mit gemaltem Stadtprospekt trennt. Den linken Bühnenraum begrenzen zu öffnende, dunkelgraue Wände mit unregelmäßigen Linien in Weiß und Lila, deren Muster sich wie ein roter Faden auch auf Boden und Decke wiederfindet. Wird das Stadtprospekt aufgezogen, rollt ein angeschrägtes, auf der Drehbühne stehendes Podest herein, auf dem in einigen Szenen ebenfalls dunkle Wände mit dem bereits erwähnten Muster stehen. Wenige Möbel, herabschwebende Versatzstücke, Animationen und gemalte Stadtansichten auf dem Bühnenhintergrund sorgen für dichte Atmosphäre. Eine optische Überraschung gelingt mit der Verwandlung der Bühne in das Piratinnenschiff, die blitzschnell hinter einem mit Wellen videoanimierten Gazevorhang erfolgt. Bühnenbildnerischer Schwachpunkt ist hingegen der aus der Unterbühne herauffahrende Salon der Pariser Gesellschaft, der den Charme eines mit Goldfolien dekorierten Partykellers versprüht. Schörghofers der napoleonischen Kaiserzeit verpflichtetes Kostümbild folgt den Grundfarben seines Bühnenbildes und kleidet alle Beteiligten äußerst geschmackvoll.

Als Glücksgriff erweist sich die Gastverpflichtung von Anna Preckeler, die mit bis in die Höhen sicher geführtem Musicalsopran der Mercédès Liebreiz, Sorge, Leiden und Würde verleiht. Ihr in eiskaltem Licht vor einem Spiegel gesungenes eindringliches Solo „Wie mich die Welt umarmt“ gerät zu einer Selbstanklage zu ihrer eigenen, nicht ganz freiwillig gewählten Lebenssituation mit dem zum gefühlserkalteten, aalglatten Fiesling mutierten Fernand Mondego, der sich in Alkohol, Glücksspiel und leichte Mädchen flüchtet. Marco Vassalli legt ihn mit seinem Bariton als widerwärtiger Finsterling an, dem man dankbarere Solo-Gesangsaufgaben gegönnt hätte. Christopher Buisetta ist als Albert von Morcerf, Spross aus der unglücklichen Ehe von Mercédès mit Fernand, zumindest altersmäßig eine Fehlbesetzung. Er wirkt für jemanden, den seine Mutter als „fast noch ein Kind“ bezeichnet, viel zu reif, singt aber im Duett „Ah, Frauen“ dafür mit stimmschönem, eher der Operette verpflichteten Tenor.

Victoria Kunze ist mit vollem, rundem Sopran ein tougher, blonder Piraten-Vamp Luisa Vampa, der souverän die Ensemble-Nummer „Piraten – Wahrheit oder Wagnis“ anführt und nach der Pause im zweiten Akt auch als Kämpferin im Fechtkampf glänzt. Erst wenn sie in ihre zweite Rolle, die bereits erwähnte Valentine, wechselt, wird klar, dass sich die Sängerin mit ihrem zart intonierten „Schönen Schein“ im lyrischen Fach noch ein wenig wohler fühlt. Vorlagenbedingt blass bleiben die Fieslinge Gérard von Villefort (mit wuchtigem Opernbass: Shin Yeo) und Baron Danglars (rollendeckend als Sich-selbst-am-Nächsten-Mitläufer: MacKenzie Gallinger). Für die wenigen Lacher im abenteuerlich-spannenden Bilderbogen sorgt Matthias Fuhrmeister als zauselig zurecht gemachter Abbé Faria, der sich mit falsch programmierten chinesischen Kompass in Edmont Dantès‘ Zelle verirrt. Fuhrmeister kaschiert mangelnde Gesangskünste in tiefen Lagen geschickt mit seinem Spiel. In seiner zweiten Rolle als Diener Jacobo verkommt er zum undankbaren Stichwortgeber in den Ränkespielen vom rachelüsternden Edmond Dantès im zweiten Akt.

Star der Produktion ist verdientermaßen Vikrant Subramanian als Darsteller der Titelrolle. Mit geschmeidigem Bariton, der in Balladen in den Höhen funkelt und im rachsüchtigen Song „Hölle auf Erden“ entsprechend hart aufdreht, steht er ganz im Mittelpunkt der Handlung. Darstellerisch ist er schmachtender Liebhaber, aber auch draufgängerischer Haudegen und schelmischer Strippenzieher, der seine Gegner verschmitzt zu Fall bringt. Subramanian, in Bremerhaven sonst hauptsächlich in großen Opernpartien zu Hause, muss sich als Edmont Dantès vor anderen Rollenvertretern aus dem Musical-Genre in Gesang und Darstellung nicht verstecken.

Wildhorns „Der Graf von Monte Christo“-Adaption empfiehlt sich trotz ihrer dramaturgischen Schwächen als gutes Stück für Musiktheater-Sparten kommunalfinanzierter Theater. Ein starkes Beispiel wie dabei mit grandioser Ausstattung, stringenter, werkgetreuer Inszenierung und einem guten Cast gepunktet werden kann ist das Stadttheater Bremerhaven mit Anna Preckeker als grandiose Ergänzung des hauseigenen Musiktheater-Ensembles! Nachmachen auf gleichem Niveau erwünscht!

 
Kreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
Musical von Frank Wildhorn
Buch und Songtexte von Jack Murphy
Orchestrierung und Arrangements von Kim Scharnberg und Koen Schoots
Deutsch von Kevin Schroeder
InszenierungFelix Seiler
Musikalische LeitungDavide Perniceni
AusstattungHartmut Schörghofer
ChoreografieAndrea Danae Kingston
FechtchoreografieJean-Loup Fourure
 
Kreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Edmond Dantès
(Graf von Monte Christo)
Vikrant Subramanian
(Carsten Lepper)
MercédèsAnna Preckeler
Fernand Mondego / Graf von MorcerfMarco Vassalli
Gérard von VillefortShin Yeo
Baron DanglarsMacKenzie Gallinger
Abbé Faria / Jacopo / KommissarMatthias Fuhrmeister
Albert von MorcerfChristopher Busietta
Valentine / Luisa VampaVictoria Kunze
MorrelRóbert Tóth
Louis DantèsPatrick Ruyters
Isabelle / SopransoloSydney Gabbard
SophieIris Wemme
GabriellaElena Zehnoff
Madame VillefortYvonne Blunk
Erste PiratinBrigitte Rickmann
Zweite PiratinLilian Giovanini
Dritte PiratinKathrin Verena Bücher
Opernchor des Stadttheaters Bremerhaven
Ballett des Stadttheaters Bremerhaven
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
  
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Sa, 21.09.2019 19:30Großes Haus, BremerhavenPremiere
So, 29.09.2019 19:30Großes Haus, Bremerhaven
So, 06.10.2019 15:00Großes Haus, Bremerhavenausverkauft
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