Kaum eine große Musicalrolle ist Felix Martin in seiner bisherigen Karriere entgangen. Der profilierte Charakterdarsteller und Sänger ist längst eine Institution auf den deutschsprachigen Bühnen geworden. Graf von Krolock, Der Tod und Claude Frollo gehören zu seinen größten Erfolgen. Abseits des Rampenlichts hatten wir die Möglichkeit, auch die private Seite von Felix etwas besser kennenzulernen. Er spricht mit uns nicht nur über seine Eltern, Idole und die Freundschaften, sondern auch über das Leben in seiner Berliner Altbauwohnung und die Künstlermarotten, die er an sich selbst entdeckt hat. Felix reflektiert in unserem Gespräch zudem seine prägendsten Rollen und verrät uns von seinen künftigen Projekten – unter anderem von dem bevorstehenden Jubiläumskonzert mit seiner guten Freundin Pia Douwes.
Das Schicksal hat dich vor allem wiederholt an drei Orte geführt, die immer wieder in deiner Vita auftauchen. Berlin, Hamburg und Wien…
Ja, das stimmt! Ich bin in Hamburg geboren, in Berlin bin ich eingeschult worden – dann ging es wieder eine Zeit lang nach Hamburg, und von dort aus mit 18 Jahren nach Wien: Zum Schauspielstudium ans Max Reinhardt Seminar. Im Triangel dieser drei Städte habe ich fortan gewohnt und meistens auch gearbeitet, allerdings ist mein fester Wohnsitz jetzt und seit über 20 Jahren Berlin. Von diesen drei Orten ist, was meine Erfahrungen vor allem im Musicalgenre betrifft, Wien die künstlerfreundlichste.
Du bist sowohl in komödiantisch-schrulligen Rollen als auch in ehrfurchtgebietenden, antagonistischen Rollen zu Hause. Wenn man dir sagen würde: Ab jetzt darfst du nur noch eins der beiden Rollenprofile bedienen! – welches würdest du wählen?
Ich mag das komödiantische und das ernsthaft-dramatische beides sehr gerne: Den Snoopy im Gegensatz zum Frollo, den Frank N. Furter zum Krolock… aber für mich sind mitunter die Rollen am schönsten, die beides verbinden. Wenn in einer Figur das Dramatische mit dem Komödiantischen zusammenkommt, reizt mich das besonders. Insofern hoffe ich, dass ich vor diese Wahl niemals gestellt werde.
Du gehörst zur Goldriege der deutschen Musicalszene, zusammen mit anderen großen Namen wie Ute Lemper, Pia Douwes, Katharine Mehrling, Uwe Kröger, Chris Murray oder Ethan Freeman. Wer ist dein vielleicht treuester Weggefährte?
Du hast genau die Namen von uns „Pionieren“ der deutschsprachigen Musicalszene genannt – natürlich gibt es da aber es noch viele weitere! Mit Katharine Mehrling bin ich schon sehr lange befreundet. Ich schätze sie ungemein. Über all die Jahre lernt man so viele wunderbare Menschen kennen und in den Ensembles entstehen immer wieder schöne Kontakte – aber es bleiben nur wenige, die man wirklich „Freundin“ oder „Freund“ nennen kann. In der letzten Zeit waren das durch meine Zeit bei „Der Glöckner von Notre-Dame“ zum Beispiel David Jakobs und bei „Cats“ in Wien Alex Snova, um einige zu nennen.
Am längsten kenne ich wohl Pia Douwes. In einem Musical-Sommerkurs in Salzburg, an dem auch Ute Lemper teilnahm, lernte ich Pia kennen. Wir waren etwa achtzehn, und seitdem ist daraus tatsächlich eine Freundschaft entstanden. Und das Schöne ist, dass wir jetzt, Ende September, in Wien einen Abend haben werden, wo wir 40 Jahre Freundschaft und zwei Mal 60 Jahre auf der Welt gemeinsam feiern. Begehen werden wir den Abend unter dem Titel „Time to celebrate„: Wir werden mittels bisher nie veröffentlichten Videomaterials sowie Fotos von uns beiden erzählen, wie unsere Karriere verlief. Es wird kein üblicher Konzertabend, aber natürlich werden wir auch einige musikalische Erinnerungen zum Klingen bringen. Da sind wir gerade in der Vorarbeit, was sehr spannend ist.
Gibt es ein bestimmtes Musical-Lied, das dir mehr als alle anderen aus der Seele spricht?
Ja, das gibt es. Es ist ein Song, den ich schon als Kind gehört habe. Er ist immer aktuell und kann, besonders in der jetzigen Zeit, viel Zuversicht geben: „Somewhere“ mit dem Text von Stephen Sondheim und der Musik von Leonard Bernstein der „West Side Story“.
Was wärst du vielleicht heute, wenn aus dir kein Sänger und Schauspieler geworden wäre?
Meine Eltern, Ursula Gompf und Horst Poenichen, waren beide Schauspieler. Ich bin also schon früh viel zu ihren Aufführungen gegangen, war sehr oft bei Proben. Die Atmosphäre und das ganze Prozedere! Theater hat mich bereits als kleiner Steppke fasziniert. So habe ich begonnen, das Ganze auch zu Hause nachzuspielen. Es gab wilde Kostümorgien und selbstgeschriebene kleine Stücke, sogar schon ein bisschen mit Musik. Ich bekam dann auch sehr früh eine Rolle an der Hamburger Staatsoper: Die des zweiten Knaben in der „Zauberflöte“. Mich hat alles daran fasziniert: Die Größe der Bühne, die wunderbare Musik. Danach war ich ein totaler Opernfan. Mit siebzehn habe ich in der Schule selbst „Bastien und Bastienne“ von Mozart inszeniert und selbst den Bastien gesungen. Die Schule an sich habe ich sehr vernachlässigt…
Natürlich gibt es keine Garantie, dass man seine Leidenschaft zur lebenslangen Profession macht, wenn man früh mit Theater und Musik zu tun hat. Bei mir war es jedenfalls so, dass ich sehr schnell an der Schauspielschule aufgenommen wurde und mit 20 bereits professionell auf der Bühne stand. In die Verlegenheit, mir etwas anderes für meine Zukunft überlegen zu müssen, bin ich daher nie gekommen.
Was sind in deiner Wahrnehmung die drei prägendsten Rollen deiner bisherigen Laufbahn?
Gleich nach der Schauspielschule wurde mir in Berlin die Rolle des Elvis Presley in „Elvis – Stationen einer Karriere“ angeboten. Das stand natürlich überhaupt nicht auf meiner Rechnung, doch ich war so wagemutig, frech und forsch und habe die Rolle angenommen, ohne zu wissen, was da auf mich zukommt. Ich habe mich, auch stimmlich, mit allem reingekniet – und es ist ein riesiger Erfolg geworden. Für mich bleibt diese Rolle ganz tief in meinem Herzen.
Der Tod in „Elisabeth“ war sicher auch sehr prägend und gehört natürlich zu den ikonischsten Rollen überhaupt. Er fasziniert nicht nur zum Zuschauen: Ich habe immer wieder neue Facetten entdeckt und konnte ihn in Wien, später auch in Berlin und Zürich spielen.
Und natürlich die Rolle des Erzdiakons Frollo in Disneys „Der Glöckner von Notre-Dame“. Diese Rolle hat mich zwei Jahre begleitet. Er ist nicht einfach „Der Böse“, sondern ein zerrissener, bigotter, fanatischer Mensch, dessen Gefühle durch seine absolute Hörigkeit an die Kirche eine perfide Doppelmoral entwickeln, die ihn dazu verleiten, viele Menschen in den Tod zu schicken – und durch seinen Fanatismus letztendlich auch sich selbst.
Gibt es eine Rolle, die dir bisher entgangen ist?
Ja. Sehr gerne hätte ich das Phantom in Andrew Lloyd Webbers „Das Phantom der Oper“ gespielt.
Der Tod aus Elisabeth und Krolock aus Tanz der Vampire sind natürlich zwei Rollen, die jeder Musicalfan kennt. Welche der beiden Figuren gefällt dir persönlich besser und warum?
Beides sind äußerst intensive Rollenprofile, und beide sind „nicht von dieser Welt“. Ich finde auch, dass beide sich in dem ähnlich sind, was sie wollen: Sie suchen sich ihre Opfer und spielen mit ihnen. Sie sind sarkastisch, einschmeichelnd, infam. Wenn sie dann ihr Ziel erreicht haben, sind sie schnell wieder unbefriedigt und suchen weiter. Sie beide verkörpern in ihrem Wesen eine „Unstillbare Gier“. Ich denke, Graf von Krolock ist die facettenreichere und intensivere Rolle, was sicher auch auf seinem grandiosen Solo beruht.
Garstige Priester gehören auch zu deinem Oeuvre: Colloredo und Frollo fallen mir da natürlich direkt ein. Sind die für dich dasselbe Rollenmuster?
Nein, überhaupt nicht. Frollo ist deutlich tiefgründiger. Colloredo ist hochstudiert, fleißig, kirchentreu, mächtig und selbstgerecht und dabei fast blind vor Verzweiflung. Er erbost sich daran, dass er trotz allem, was er im Leben erreicht hat und darstellt, keinen Funken des Genies besitzt, welches Mozart innehat – und das, obwohl dieser im Großen und Ganzen nichts von Colloredos vermeintlichen Tugenden verkörpert.
Frollo ist zwar durch seine Kirchentreue auch auf gewisse Weise blind, doch durch seinen Fanatismus und die gelebte Doppelmoral mit seiner heimlichen Liebe zu Esmeralda ist er viel gefährlicher und abgründiger in seinem Wesen. Von seinem Größenwahn und seinem Machtmissbrauch bis hin zu seiner verzweifelten Todesangst ist es eine fantastische Aufgabe, ihn auf der Bühne zu spielen.
Könnte man so weit gehen und behaupten, die Darstellung von Frollo ist gerade im heutigen Deutschland ein Politikum?
Absolut. Gerade die erste Ansprache Frollos, in der er gegen alles, was fremd und anders ist, predigt und in der er Ausländer als Abschaum bezeichnet, erinnern mich sehr an die heutigen, menschenverachtenden und empathielosen Reden der rechtsradikalen, so genannten „Alternative für Deutschland“.
Damit zurück zu liebenswerteren Figuren, die du verkörpern durftest. Zuletzt warst du beispielsweise in „Cats“ zu sehen. Für viele Hardcore-Musicalfans ist „Cats“ das absolute Langweiler-Stück. Kannst du das verstehen?
Würde ich keine Katzen mögen oder als Katzen verkleidete Künstler*Innen in einem Tanzmusical, würde es mich auch langweilen – na klar. Auf der anderen Seite ist es nicht umsonst eines der erfolgreichsten Musicals. Heutzutage hat „Cats“ auch einen echten Retro-Charme. Ich finde, „Cats“ ist ein Phänomen!
Siehst du in der Rolle des „Gus“ etwas von dir?
Ja, aber besonders viel habe ich dabei an meinen Vater gedacht der auch so spitzbübisch und ein wenig wehmütig im hohen Alter wurde: Er hatte sich, immer den Schalk im Nacken ein wenig verklärend, aber immer charmant auf ganz ähnliche Weise wie Gus an seine Karriere zurückerinnert.
Wer ist für dich persönlich der bessere Komponist: Sondheim, Webber oder Menken?
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Für mich sind alle drei geniale Komponisten. Von Sondheim liebe ich vor allem „Company“ und „Sweeney Todd“, von Webber „Jesus Christ Superstar“ sowie „Sunset Boulevard“ und von Menken natürlich den „Glöckner von Notre-Dame“.
Gibt es Kunstschaffende, die du verehrst oder gar vermisst?
In meiner Kindheit und Jugend bin ich ja mit klassischer Musik, insbesondere Oper aufgewachsen. Da gab es einen Tenor, Fritz Wunderlich, der für mich eine Stimme zum Niederknien hatte. Er besaß ein Timbre in seiner Tenorstimme, die mich noch immer sehr berührt und glücklich macht, wenn ich ihn höre. Aber auch Rio Reiser zum Beispiel, der aus einer ganz anderen musikalischen Ecke kam als Wunderlich, hat mich wegen seiner Stimme sehr bewegt. Sie haben mich mein ganzes Leben hindurch begleitet.
Für den letzten Teil des Interviews möchte ich gerne noch ein paar persönliche Fragen stellen. Wenn du Zeitreisen könntest, wohin und zu welcher Zeit würdest du dich teleportieren?
Die 1960er haben es mir angetan. Die Musik, die Mode und natürlich auch die große 68er-Bewegung.
Hast du lustige oder nervige Marotten – die ja oft den besten Künstlern nachgesagt werden?
Vor einer Premiere sage ich oft zu meinem Mann, wenn ich nicht so aufmerksam bin, oder was vergessen habe: „Ich bin jetzt in meinem Tunnel, meinem Tunnel zur Premiere!“ Mein Mann hofft dann immer, dass der Tunnel nach der Premiere tatsächlich durchschritten ist…
Zu jedem Umzug nimmst du deinen Glückshasen Felix mit, wirst du an anderer Stelle zitiert. Woher kommt der Gute, und warum bringt er dir Glück?
„Felix“ bedeutet ja schonmal „Der Glückliche“, das passte also ganz gut! Bekommen habe ich ihn nach meiner Premiere bei „Mozart!“ in Hamburg vor gut zwei Jahrzehnten vom Darsteller des kleinen Mozart. Dieser Kinderdarsteller von damals ist mittlerweile selber ein sehr erfolgreicher und bekannter TV- und Filmschauspieler! [zwinkert]
Du liebst Altbauwohnungen und eigenen Angaben nach möchtest du auch nur in einer solchen wohnen. Aber wieso? Für viele ist das ja ein Albtraum!
Ich lebe seit 20 Jahren mit meinem Mann in einer Berliner Altbauwohnung. Mit Flügeltüren, mit Stuck und mit Parkett. Alles nicht perfekt – schiefe Böden und Wände und genau dieses Unperfekte liebe ich. Und ich denke mir bei solchen Wohnungen oft: Wer hat hier vorher gewohnt, gelebt, geliebt und gelacht? Das beflügelt meine Fantasie.
Was macht ein Felix Martin eigentlich ganz privat? Führst du das Künstlerleben mit Rotwein auf der Vintage-Couch am Kamin und der Lektüre eines anspruchsvollen Buches im Kaffeehaus, wie man es sich vorstellt?
All das trifft eigentlich ganz gut zu! Bislang nur ohne Kamin! [lacht] Wir haben einen wunderbaren Freundeskreis, der uns sehr wichtig ist und natürlich gepflegt werden muss. Ich fotografiere sehr gerne und versuche mich fit zu halten. Seit fast zwei Jahren führe ich hier in Berlin ein Ehrenamt aus, weil ich ein wenig von dem zurückgeben möchte, was ich glücklicherweise in meinem Leben schon bekommen habe.
Stellen wir uns mal vor, du wärst heute eine profilierte Musical-Darstellerin, gar eine Musical-Diva. Welche Rollen hättest du dann gerne in deiner Vita stehen?
Ganz oben auf der Liste würde natürlich Norma Desmond stehen. Dann Sally Bowles, und Éponine.
Kannst du uns etwas zu deinen beruflichen Zukunftsplänen verraten?
In der Pandemie habe ich angefangen ein Stück zu schreiben – über den legendären Schauspieler und Entertainer Harald Juhnke. Das habe ich dann dem Berliner Musiktheaterverlag Gallissas vorgestellt und sie haben es in ihr Programm aufgenommen. Wir haben auch bereits mit einem zehnköpfigen Ensemble und Musikern ein so genanntes Reading abgehalten, das sehr gut ankam. Es ist geplant, dass die Uraufführung in Berlin stattfindet!
Das sind ja spannende Aussichten. Bitte halte uns auf dem Laufenden! Und zum Abschluss: Was ist dir das Wichtigste im Leben – und hast du vielleicht ein Lebensmotto?
Es gibt ein wunderbares Zitat von Thomas Mann: „Liebe die Welt und sie wird dich lieben.“ Es ist nicht immer leicht, so über die Welt, gerade in der heutigen Zeit zu denken, aber ich versuche es – im Großen und Ganzen.
Lieber Felix – was für ein charmantes, spannendes und ehrliches Interview! Wir hätten uns gerne noch ewig weiter mit dir unterhalten. Vielen herzlichen Dank für deine Zeit, und viel Erfolg für deine kommenden Projekte. Wir sind natürlich mit dabei und freuen uns schon auf alles, was die Bühnen für dich bereithalten!
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