Myrthes Monteiro © IG: vanytales.photography
Myrthes Monteiro © IG: vanytales.photography

NEUES FEATURE
"Die Bühne und das Leben sind für mich pure Magie!" - Myrthes Monteiro im Interview

Dass Myrthes Monteiros Weg sie auf die Bühne führen würde, stand quasi bereits im Mutterleib fest, wie uns die sympathische Brasilianerin verrät. Myrthes, die spätestens seit ihrer Rolle als Prinzessin Jasmin in Disney’s „Aladdin“ in der deutschsprachigen Musicalszene bekannt ist, erzählt uns in diesem sehr persönlichen Interview nicht nur vom Stellenwert der Musik und des Tanzens in ihrem Leben, sondern auch von ihrem Umgang mit Schicksalsschlägen und dem harten Alltag in Brasiliens Musicalszene. Was sie alles schon in jungen Jahren geleistet und gelernt hat, ist ebenso beeindruckend wie Myrthes‘ stets positiver Blick auf das Leben.

Erzähle uns doch bitte am Anfang ein bisschen über deine Herkunft und Kindheit. Wie bist du aufgewachsen und wie begann dein Weg zur Bühne?

Ich bin in einer Stadt ein paar Stunden außerhalb von São Paulo in Brasilien aufgewachsen und komme aus einer Sänger- und Musikerfamilie. Meine Mutter ist eine renommierte Jazz- und Bossa Nova-Sängerin, mein Vater war Musiker, mein Bruder ist Musikproduzent – und auch die gesamte Verwandtschaft besteht aus Musikern: meine Omas und Opas, Onkels und Tanten – alle! [lacht] Zuhause war die ganze Zeit Musik und jeder hat ein Instrument gespielt. In dieser Musikwelt bin ich aufgewachsen und ich kannte damals ehrlich gesagt in meinem Leben nichts anderes als das.

Myrthes Monteiro als Teil der Band „Bellini“ © Michael Zargarinejad / FOTOKAIN (IG: @michaelz_fotokain)

Dieses Leben war für mich als Kind bunt und magisch. So wusste ich schon von klein auf ganz selbstverständlich, was ich werden wollte, ohne dass meine Familie mich aktiv in diese Richtung gedrängt hätte. Schon mit drei Jahren habe ich angefangen, mit meinem Vater im Studio Aufnahmen zu machen und bin mit meiner Mutter auf die Bühne gegangen. Genauso früh habe ich mit Ballett angefangen und das in der Schule auch weiter gemacht. In Brasilien machen Mädchen Ballett und Jungs machen Judo – ich habe beides gemacht! [lacht] Aber die Leidenschaft zum Tanz war bei mir auch schon immer da. Ich wollte ursprünglich mal Prima Ballerina werden, bin auf Wettbewerbe gegangen – was in Brasilien etwas ganz Normales ist – und habe das auch als Schülerin schon alles sehr ernst genommen. Wenn mein Vater mich mal ein paar Minuten zu spät zum Unterricht gefahren hat, habe ich immer schon direkt angefangen zu weinen und mir Sorgen gemacht. Ich habe es einfach so sehr geliebt, zu tanzen! Ballett, Jazz, Hip Hop, Contemporary, Steppen, Folk – alles Mögliche habe ich damals schon gelernt, und als Teenagerin habe ich mich zudem auch als Tanzpädagogin ausbilden lassen. Mit 15 war ich mit der Ausbildung schon fertig und habe dann bis ich 18 war auch als Lehrerin gearbeitet.

Aber auch Gesang und Schauspiel waren schon sehr früh meine Leidenschaften: Ich war mit einem Kinderensemble auf Tour, da war ich acht Jahre alt – und von sechs bis zwölf habe ich Schauspielunterricht genommen. Jeden Monat war ich für unterschiedliche Wettbewerbe unterwegs. Dabei waren Tanz, Gesang und Schauspiel immer voneinander getrennt, sodass die Entscheidung, Musicals zu machen, dann letztendlich optimal war. Denn da sind alle drei Sparten vereint und ich konnte dann alles auf einmal machen! Wenn ich heute in einem Musical Gesang und Schauspiel verbinde, ist das wundervoll – und wenn Tanz noch dazu kommt, bin ich komplett erfüllt. Wenn ich tanze, gehe ich in der Magie der Bühne auf.

Myrthes Monteiro als Sarah in „Tanz der Vampire“ © Privat

Wie kam es dann zu deinem ersten professionellen Musical-Engagement, und was hast du während dieser Zeit in deinem Leben gemacht?

Während einem dieser Ballettwettbewerbe am Ende meiner Schullaufbahn bin ich auf eine Bob-Fosse-Tanzkompanie gestoßen, die mich sofort begeistert hat. Über einen Freund kam ich in Kontakt mit der Regisseurin der Truppe, die mich nach São Paulo eingeladen hat, um dort zu arbeiten. Ein Jahr habe ich dort mitgemacht und während dieser Zeit gab es eine Audition für die Originalinszenierung von „Phantom der Oper“. Eigentlich wollte ich da gar nicht vorsprechen, aber meine Mitbewohnerin war für das Musical Feuer und Flamme und hat mich mitgeschleppt, ohne dass ich mich beworben oder eine Einladung und Audition-Unterlagen bekommen hatte! Zunächst wollten die Verantwortlichen vor Ort mich aus diesen Gründen auch abwimmeln, aber ich bin standhaft geblieben und meinte: „Ich bin da, ich hab Bock!“, sodass sie mich dann durchgewunken haben. Sowohl meine Mitbewohnerin als auch ich wurden genommen! Ich wurde als Ballettsolistin engagiert und habe schnell gemerkt, dass man als Musicaldarstellerin auch bestimmte Gesangstechniken lernen muss. Was das bedeutete, habe ich so erst gelernt. Früher, wenn jemand zu mir sagte: „Du hast so eine schöne Stimme, nimm doch mal Gesangsunterricht!“, war ich beleidigt, nach dem Motto: „Habe ich das denn nötig?“ [lacht] Aber während „Phantom der Oper“ habe ich verstanden: Es reicht bei Musical nicht, schön und poppig zu klingen, sondern es sind Techniken nötig – und die musste ich mir erst einmal im Gesangsunterricht aneignen. Den habe ich bei einer Kollegin aus der Cast genommen, die mir bis heute noch regelmäßig weiter hilft!

Aber das war mir noch nicht genug: Ich habe mich während meiner Zeit bei „Phantom“ durch einen Freund auch an die Brazilian Academy of Circus getraut, bei der ich einige Unterrichte besucht habe. Mich haben Kontorsion und Akrobatik besonders fasziniert – und alles, bei dem man fliegen kann! Am meisten hat mir Tuchakrobatik gefallen. Zwei Jahre habe ich das gelernt, um meine Fähigkeiten auszubreiten. Das Zirkusleben finde ich unglaublich spannend: FreundInnen von mir sind bei Cirque du Soleil und ich habe auch im Friedrichstadtpalast mit AkrobatInnen zusammengearbeitet. Einfach magisch! Die Bühne ist für mich, wie das Leben, pure Magie!

Wie ist denn die Musicalszene in Brasilien?

Ich würde sagen, ziemlich groß, aber die Stücke laufen bei weitem nicht so lang wie hier. Es gibt nicht so viel Publikum für Live-Theater in Brasilien. Ich denke, das ist ein kultureller Unterschied. Das Kino ist beispielsweise viel beliebter als das Theater und man nimmt nicht gerne lange, oftmals durch Autostaus begleitete Wege für so ein Stück auf sich. Dabei sind viele der DarstellerInnen extrem talentiert. Es gibt große Broadway-Shows, die von zwei Firmen produziert werden – wie eben zum Beispiel „Das Phantom der Oper“ – aber auch eigene Stücke, häufig Biograficals über oder von bekannten brasilianischen Stars. Die Arbeitsbedingungen sind – oder waren es jedenfalls, als ich dort als Darstellerin gearbeitet habe – wesentlich härter als hier. Wenn man krank wird, konnte man gefeuert werden. Es gab keinen einzigen Tag Urlaub. Die Produzenten traten dort so auf, als ob sie uns DarstellerInnen einen Gefallen tun mit ihrer Arbeit. Unsere Arbeit wiederum war in ihren Augen ein Privileg, das sie ermöglicht hatten. Ich werde manchmal sehr emotional, wenn ich an diese Unterschiede denke. Hier werden wir sehr respektiert und das, was wir machen, wird wertgeschätzt. Das tun die Arbeitgeber in Brasilien weniger.

Myrthes Monteiro in „Flashdance“ © Andreas J. Etter

Bei „Phantom“ wurden uns die halb abgetragenen Tanzschuhe von der Produktion aus Mexiko gegeben. Als mir keine davon richtig passten, musste ich mit Achillesentzündung weiter machen und wurde fast gefeuert. Als ich sagte, ich würde gerne meine Schuhe austauschen, sagte die Regisseurin: „Es ist einfacher, die Tänzerin auszutauschen, als die Schuhe.“ Das sagt doch schon alles! Mittlerweile habe ich schon einige Angebote bekommen und ich wurde von brasilianischer Seite deutlich besser behandelt als die junge 18-jährige Tänzerin, die ich damals war… Natürlich gibt es dort auch tolle Fans. Viele begleiten meine Karriere treu und fleißig. Ganz besonders, als ich die Rolle der Prinzessin Jasmin bei „Aladdin“ bekommen habe. Es war ein großes Fest für die brasilianischen Fans und die Unterstützung, die ich bekommen habe, war – und ist – unglaublich schön!

Wie bist du dann ausgerechnet in Deutschland gelandet?

Als ich bei „Phantom“ war, gab es in São Paulo eine Audition für „König der Löwen“ – und zwar von Stage Entertainment, für die Hamburger Produktion! Ralf Schaedler, Cornelius Baltus und andere kamen nach Brasilien, haben schön Urlaub gemacht, und dann per Audition nach Talenten gesucht. Das machen sie übrigens ziemlich oft so, nicht nur in São Paulo, sondern auch in anderen Städten und in Nachbarländern wie Kuba.

Die Audition ging von 10 Uhr morgens bis 7 Uhr abends, mit 10 Minuten Pause. Das war verrückt, aber ich habe es durchgezogen. Danach wurde uns sozusagen mitgeteilt: „Danke fürs Kommen, es könnte dann sein, dass wir euch morgen zurückrufen. Könnte aber auch in einem Jahr sein, oder vielleicht auch gar nicht.“ Ich bin nach Hause gegangen, habe mir da keine großen Chancen ausgemalt und habe es irgendwann vergessen. Und dann – nach ZWEI JAHREN kommt ein Anruf von der Stage!

Da ich weder Deutsch noch Englisch konnte, habe ich bei dem Telefonat nur sowas wie „Hamburg“ und „Lion King“ raushören können und dachte, da erlaubt sich ein Kollege von mir mal wieder einen Scherz. So sagte ich dann: „Ja ja, ‚Lion King‘, genau.“ – und habe aufgelegt! [lacht] Und das Ganze ging so mehrmals, bis ein brasilianischer Freund von Cornelius Baltus mir dann erklärt hat, dass das ein echtes Angebot ist. Direkt wurde mir dann der Vertrag geschickt – und ab nach Deutschland. Mit 21 Jahren, ohne ein Wort Deutsch und auch ohne Englisch, ganz alleine nach Hamburg – mit Neugierde und Lust. Und ich bin immer noch hier!

Ein wirklich skurriler und lustiger Weg nach Hamburg – aber bestimmt auch mit vielen Entbehrungen verbunden. Wie ging es dir ganz ohne Deutsch- und vor allem ohne Englischkenntnisse?

Gott sei Dank gab es nach dem Castwechsel 15 BrasilianerInnen im Ensemble, das war meine Rettung. Die haben mir bei allem geholfen. Ich habe von und mit ihnen parallel Deutsch und Englisch, und auch Spanisch gelernt: Deutsch für die Bühne und Englisch als offizielle Arbeitssprache im Musical-Business und Spanisch war die Sprache untereinander in der Garderobe. Dabei habe ich Deutsch sofort schon in Brasilien angefangen zu lernen, als klar war, dass ich nach Hamburg gehen werde, und habe das dann in Deutschland in einem Intensiv-Integrationskurs mit fünf Stunden Deutsch am Tag weitergeführt – neben den acht Shows pro Woche! Englisch habe ich dann on the go während der Arbeit mit dem Kreativteam, und Spanisch im Austausch mit meinen KollegInnen gelernt. Es war ein langer Weg und viel Arbeit, aber jetzt kann ich endlich sagen: Ich beherrsche diese Sprachen fließend. Yay! [lacht]

Myrthes Monteiro in „West Side Story“ © Bettina Stoess

Was waren dann deine nächsten Schritte nach deiner Ensembleposition bei „König der Löwen“?

Ich wollte unbedingt Nala spielen. Ich denke aber rückblickend, dass es für mich noch sehr schwierig war, die deutsche Sprache mit dem Schauspiel authentisch zu verbinden und die Sprache so zu fühlen, dass es ernst wirkt. Cornelius Baltus, der damals dort Abendspielleitung war, ist auch der Regisseur bei „Tanz der Vampire“  – er hat mir dann nach einer meiner zweiten oder dritten Nala-Audition ans Herz gelegt, doch zu verstehen, dass es außerhalb von „König der Löwen“ auch eine andere Theaterwelt gibt. Denn viele bleiben sehr lange bei den Löwen.

Ich habe dann von ihm Material für die Vampire bekommen und dafür gelernt, aber bei den Auditions habe ich dafür – noch! – keine Rolle bekommen. Dafür aber bei „Buddy Holly“. Und auch danach ging’s weiter bergauf: Direkt im Anschluss kam „Cats“ und dann letztendlich doch „Tanz der Vampire“ in Berlin … und es ging so immer weiter, sodass ich gar keinen Urlaub zwischen den Produktionen hatte. Fast jede Rolle, für die ich vorgesungen hatte, habe ich auch bekommen. Ich hatte sehr viel Glück am Anfang meiner Musicalkarriere – aber ganz ehrlich: Ich habe auch sehr hart dafür gearbeitet und war immer fleißig. Nicht selten werde ich auch für Rollen angefragt, ohne dass ich große Auditions bestreiten muss: Viele Stücke und Rollen kommen zu mir, wofür ich sehr dankbar bin. Und so ist das seit 15 Jahren, sodass der Gedanke, zurück nach Brasilien zu gehen, gar nicht aufkam.

Wie denkst du darüber in Bezug auf deine Familie?

Was mir viel bedeutet ist, dass ich meiner Familie durch meinen Job hier ermöglichen konnte, etwas von der Welt zu sehen, nach Europa zu kommen und mit mir zu verreisen. Meine Mama versucht, ein Mal im Jahr zu kommen – zuletzt hat sie mich bei „West Side Story“ gesehen. Es ist wunderschön, meine Familie im Publikum zu wissen. Und für sie als Künstler, ist es natürlich sehr besonders und emotional, die eigene Tochter auf europäischen Bühnen zu sehen!

Man könnte „West Side Story“ als eines deiner prägendsten Stücke bezeichnen. Wie empfindest du als Latina das Musical und die Rollen – und was steht für dich bei „West Side Story“ im Fokus?

Ich finde den Zugang zum Stück für mich selbst einfacher als bei anderen Musicals . Das Temperament, das man in diese Art von Rollen bringen kann, habe ich einfach in mir. Auch bei der Aussprache traue ich mich mehr: Der deutsche Akzent muss hier nicht perfekt sein, ich spiele ja sowieso eine Latina – das nimmt einiges an Druck heraus. Ich habe bei meinen ersten „West Side Stories“ die Maria gespielt, wollte aber immer Anita sein. Als ich die Rolle dann in Nürnberg endlich bekommen hatte, war das für mich wie der Beweis: „Jetzt bist du erwachsen!“ [lacht]

Für mich steht die Message des Stücks aber im Vordergrund: Obwohl es schon ein Klassiker ist, bleiben die Themen Migration und Rassismus immer noch aktuell. Als Trump Präsident war und von seiner Mauer sprach, die er errichten wollte, habe ich das Stück in Nürnberg gespielt. Melissa King hat es modern inszeniert und diese aktuellen Themen mit aufgenommen, einen der Jets zum Beispiel auch zum Trump-Anhänger gemacht und ihm ein T-Shirt mit „Build a Wall“-Aufschrift gegeben. Mit Kunst die Geschichte zu erzählen und auch unangenehme Botschaften zu senden, ist das wichtige Ziel. Zum Nachdenken und Lernen anregen, das ist mir wichtig.

Persönlich hatte ich zum Glück nur wenige rassistische Anfeindungen, aber eine Situation habe ich noch im Kopf, die ich bis heute mit mir trage: Ich war frisch bei „König der Löwen“ in Deutschland und ich wollte mir eine Kreditkarte erstellen lassen. Bei meinem Termin in der Bank hat der Manager das abgelehnt und gesagt: „Ihr kommt hier alle aus Südafrika und denkt, dass ihr alle unser Geld haben könnt!“ – weil ich bei „König der Löwen“ war. Ich war schockiert. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich so etwas in meinem Leben gehört hatte. In seiner Stimme war so viel Hass. Hass in Bezug auf seine eigene fixe Idee, die nicht einmal stimmte: ‚Alle von diesem Musical kommen aus Afrika.‘ Und selbst wenn ich aus Südafrika wäre, wo wäre das Problem?! Ich habe mich nicht als Person gesehen gefühlt, sondern nur als Projektion seiner vorgefertigten Idee. Sehr traurig – und andere haben nicht so viel Glück wie ich, denn ich musste so etwas nur sehr selten erleben.

Myrthes Monteiro und Richard-Salvador Wolff in Disney’s „Aladdin“ © Stage Entertainment / Morris Mac Matzen

Trotzdem – gerade wenn man neu in einem Land bist, prägt so ein Negativerlebnis natürlich total. Nichtsdestotrotz bist Du weiter Deinen Weg gegangen und es ging steil bergauf. Was waren für dich bisher deine Karrierehighlights?

Prinzessin Jasmin in „Aladdin“ ist ‚a dream come true‘. „Aladdin“ war der eine und einzige Film, den ich als Kind auf VHS hatte – und ich konnte den natürlich komplett auswendig. Sie war die erste Prinzessin, die mir ähnlich sah. Sie hat Hosen getragen und wurde nicht von einem Prinz gerettet! Ich habe sie schon immer geliebt und habe auch gefühlt seit jeher schon zu allen meinen Freunden gesagt: „Dieser Film muss ein Musical werden! Und WENN er ein Musical wird, dann MUSS ich Jasmin sein!“ Ich habe es richtig manifestiert. Als es dann endlich nach Deutschland kam, hat die Audition sechs Monate gedauert; es gab für Aladdin und Jasmin 1200 KandidatInnen. In der Zeit konnte ich kaum schlafen, wenig essen. Ich war einfach so aufgeregt. Ich wollte es UN-BE-DINGT. Es gab keine andere Option. Es hat geklappt – mein größter Traum überhaupt! Wir waren in New York, bei Alan Menken zu Hause! Ich habe mit ihm am Klavier gesungen und habe den Oscar in den Händen gehalten, den er für „A Whole New World“ bekommen hatte – ich kann es immer noch nicht wirklich glauben.

Als „Aladdin“ vorbei war, bin ich aber keineswegs in ein Loch gefallen. Ich bin am Musiktheater Linz festes Ensemblemitglied geworden und hatte in diesem Jahr die wahrscheinlich schönste Zeit meiner Karriere dort mit drei fantastischen Stücken: „Ragtime“, „Ein Amerikaner in Paris“ und die wunderschöne Uraufführung „Der Hase mit den Bernsteinaugen“. In Linz habe ich von jeder Seite von morgens bis abends nur Kunst geatmet. Der ursprüngliche Grund, warum ich keine Ballerina geworden bin war, dass ich Hauptrollen spielen wollte. Das geht eigentlich nie, da Tanz irgendwie immer als dem Gesang und Schauspiel unterlegen betrachtet wird. Das finde ich sehr schade und traurig. Dass Tänzer weniger verdienen oder Tanz eine geringere Leistung sei, macht überhaupt keinen Sinn. Ich mag diese Denkweise überhaupt nicht! Es gibt kaum ein Stück, in dem eine Tänzerin die Hauptrolle ist und die Geschichte erzählt. Aber bei „Ein Amerikaner in Paris“ ist die Hauptrolle eine Tänzerin! Dieses Stück hat mich komplett erfüllt: Ich durfte Ballett auf der Bühne tanzen und die Geschichte leiten – ein weiterer riesiger Traum direkt nach „Aladdin“, der sich erfüllt hatte.

Myrthes Monteiro als Eliza Hamilton © IG: @danidunkel_creative

Und dann kam „Hamilton“…

Wie es in „Hamilton“ heißt, ging es mir zu dem Zeitpunkt: „The world turned upside-down“. Meine ganze Welt stand auf dem Kopf. Während ich in Linz war, habe ich mit dem Vorsingen für „Hamilton“ angefangen. Dann wurde es zwischenzeitlich gecancelt, keine Ahnung warum. Letztendlich fingen dann die Auditions doch wieder an, aber dann kam Corona. Ein riesiges Chaos! Kurz vor dem Ende der Pandemie wurde gesagt, dass die Auditions per Videokonferenz weiter geführt werden sollen. Das war auch eine sehr verrückte Erfahrung. Bis wir auf der Bühne waren, hat es ganze drei Jahre gedauert!

Auch meine Position als Walk-in-Cover hat meine Welt auf den Kopf gestellt. Es war eine große Herausforderung, nach Corona wieder auf der Bühne zu stehen, und dann auch noch in dieser für mich gänzlich unbekannten Position. Ich musste umlernen, nicht im Fokus zu sein, bei den Proben zu sitzen und zuzuschauen und auf Abruf bereit zu sein. Komplett anders, als meine bisherige Karriere. Drei komplexe Rollen mussten so sitzen, dass sie jederzeit funktionierten.

Was meine Welt während meiner Zeit bei „Hamilton“ am meisten ins Wanken gebracht hat, war aber etwas anderes: Ich stand bei meiner Premiere als Eliza auf der Bühne, fühlte mich wegen der neuen Arbeitsweise auch nicht optimal vorbereitet. Und dann hat mein Vater genau an diesem Tag einen Herzinfarkt erlitten. Er ist zwei Tage später verstorben. Ich bin blitzschnell nach Brasilien geflogen und war fast vier Tage dort, musste dann aber zurück, da ich am Wochenende wieder Eliza spielen sollte. Freitagabend landete der Flieger in Deutschland, Samstag stand ich zur Matinee auf der Bühne für eine Doppelshow. Ich hatte meiner Cast geschrieben, dass sie mich bitte nicht auf das, was passiert war, ansprechen sollen – sonst hätte ich es nicht geschafft, Eliza zu spielen. Diese Rolle verliert während der Geschichte ihre Familie und hat eine prominente Trauerszene. Das zu spielen, war eine riesige Herausforderung in diesem Moment. Ich habe so etwas noch nie erlebt: Die ganze Cast hat mit geweint. Es war alles ehrlich in diesem Moment, auch eine Art Magie, so als ob mein Vater dabei war und auf mich schaute. Eine ‚Out of World Experience‘. Alle Shows hatten danach die gleiche Emotion: mit meinen Gefühlen umzugehen, mich trauen, mit der Trauer weiterzuleben. Und dabei immer ‚on top of my game‘ sein, auch wenn meine Welt Kopf stand. Danach musste ich sofort Angelica lernen. Es musste weiter gehen, das ist Teil des Jobs. Denn das Publikum, das jeden Abend kommt, schaut die Show zum ersten Mal. Sie wissen nicht, was bei uns hinter der Bühne und im Leben alles mitschwingt.

Myrthes Monteiro in „Ein Amerikaner in Paris“ © Barbara Pálffy

Wie ging es dann nach „Hamilton“ weiter?

Zeit, meine Trauer zu verarbeiten, blieb während des Runs nicht – und auch bis jetzt hatte ich keine Zeit dazu. Das erste Mal, dass ich wirklich verstanden hatte, dass mein Vater nicht mehr da ist, war nach der „Hamilton“-Derniere während meines zweiwöchigen Urlaubs bei meiner Familie in Brasilien, wo ich in seinem Zimmer geschlafen hatte und seine Sachen in den Händen hielt.

Die Derniere von „Hamilton“ fiel uns allen sehr schwer, denn dieses Stück hat uns so viel bedeutet und wir mussten uns ungewollt davon verabschieden. Das war auch eine Art Trauer und ich war danach wie erschlagen. Ich hatte geplant, drei Monate in Brasilien zu bleiben und die Zeit mit der Familie zu wertschätzen. Es kann alles so schnell vorbei gehen, wie ich gelernt hatte. Doch es kam wieder anders als geplant, denn dann kam das Angebot für „West Side Story“ an der Volksoper Wien, was einfach wundervoll war und ein großer Erfolg war. Das Publikum hat es so geliebt, dass ich dieses Jahr ab September nochmal „West Side Story“ dort geben darf. Schon während meines kurzen Aufenthaltes in Brasilien kam das Angebot für „A Chorus Line“ in Bad Hersfeld, wo ich zurzeit auftrete. Das Stück ist ein großer Erfolg, macht wahnsinnig Spaß und ich bin sehr geehrt, Teil davon zu sein.

Du hast ja vorhin selbst gesagt, dass Tanz leider häufig zu wenig geschätzt wird. Als eingefleischte Tänzerin arbeitest du mit etlichen ChoreographInnen zusammen, die oftmals gar nicht so wahrgenommen werden. Was sind für ChoreographInnen, die du bewunderst, und was macht für dich eine gute Choreo aus?

Mit Nick Winston habe ich „Flashdance“ und „Amerikaner in Paris“ gemacht – seine Choreos sind für mich ein absoluter Traum. Sein Stil, seine Kreativität und seine Intelligenz; wie er die Schritte mit der Musik kombiniert, lässt Magie entstehen. Er hat tatsächlich für mich choreographiert und nicht eine vorgefertigte Choreo auf unser Ensemble aufgedrückt. Bei einer Choreo bat er mich, einfach mal zu zeigen, was ich so machen kann. Und von dem, was ich ihm gezeigt habe, hat es alles ganz symbiotisch in die Choreo geschafft. Auch Melissa King verehre ich auf ihrem Gebiet. Mit ihr habe ich ja nicht nur „A Chorus Line“ jetzt, sondern auch „West Side Story“ gemacht. Ihre Choreos fühlen sich im Körper fantastisch an und fordern mich. Das macht sehr viel Spaß!

Myrthes Monteiro in „A Chorus Line“ © Steffen Sennewald

Innerhalb der Choreographien ist es mir wichtig, dass die Tänze als Teil des Stücks die Geschichte mit erzählen. Durch Tänze kann man Fokus in der Erzählung schaffen. Stell dir mal „Hamilton“ ohne Choreo vor. Die unglaublich intelligente Choreographie von Andy Blankenbuehler gibt dieser komplexen Geschichte so viele Schichten. Jede Bewegung hat da eine Bedeutung. Deswegen muss man „Hamilton“ auch eigentlich mehrmals anschauen, um die Ebenen der Choreographien verstehen zu können – uns DarstellerInnen ging das übrigens genauso!

Was würdest du dir als Musicaldarstellerin gerne anders wünschen?

Es ist eine Schattenseite des Darstellerlebens, dass wir es schwer haben, ein Privatleben aufrechtzuerhalten. Zeit für Familie und Partner ist eigentlich nicht da. Das liegt auch daran, dass die Theater in Deutschland so verteilt sind. In New York oder London sind die Arbeitsplätze auf einen Stadtteil konzentriert, da hat man es wahrscheinlich einfacher, was Zeit für das Privatleben angeht. Wir arbeiten mit acht Shows in der Woche sehr viel, und das weltweit. Ich denke, insgesamt ist das zu viel. Ich würde mir schon wünschen, als DarstellerIn zwei Tage die Woche frei zu bekommen.

Wenn du doch mal frei hast, was machst du dann – auch nach einem langen Arbeitstag?

Ich spiele unheimlich gern Gitarre. Außerdem bin ich gerne in der Natur. Ich lese und meditiere viel, denn ich finde es extrem wichtig, dass wir unsere emotionale Intelligenz beibehalten. Ich gebe meinem Körper die Liebe, die er braucht. Zum Beispiel umarme ich mich ab und zu auch selbst und sage: „Ich bin stolz auf dich, du meisterst alles richtig. Ich bin genug, so wie ich bin.“ Den Unterschied merke ich dann direkt. Es ist mir wichtig, mental gesund zu bleiben. Auf den Geist aufzupassen ist genauso wichtig, wie auf den Körper acht zu geben. Was das angeht, bin ich in meiner Freizeit sehr diszipliniert. Abends nach der Show bade ich, dehne mich aus, inhaliere und mache meine logopädischen Übungen. Wenn ich gesund und bei der Arbeit ‚on top of my game‘ bin, dann bin ich am glücklichsten.

Myrthes Monteiros Top 3 © Musicalzentrale


Liebe Myrthes, ich glaube, wir alle sollten mal deine Routinen zur Selbstaffirmation ausprobieren und etwas von deiner positiven Einstellung mit auf unseren Weg nehmen. Wer weiß – vielleicht könnten wir dann etwas von dieser Magie des Lebens erfahren. Wir danken dir für deine Ehrlichkeit, Offenheit und dafür, dass du so viele sympathische und inspirierende Details mit uns geteilt hast.

 
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