Im Aalto Theater krankt „My Fair Lady“ an einer zu plump forcierten Politisierung der Geschichte und verheddert sich in Stereotypen und Belanglosigkeiten. Musikalisch und gesanglich weiß der Abend dank einer starken Hauptdarstellerin und den virtuos aufspielenden Essener Philharmonikern jedoch durchaus zu begeistern.
„Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“ Die korrekte Intonation des deutschen ‚ü‘ wird für Eliza Doolittle, die unter der Knute des Phonetikprofessors Henry Higgins den Satz bis zur Erschöpfung wiederholen muss, zum Schicksalsmoment: Nach endlosem Ringen mit den phonetischen Irrungen und Wirrungen des Deutschen eröffnet sich Eliza nun endlich die ‚Majestät der Sprache‘ und damit auch die Türen zur gesellschaftlichen Elite. In Ilaria Lanzinos Inszenierung ist Eliza jedoch keine berlinernde Blumenverkäuferin, sondern eine gerade erst mit pinkem Koffer und gebrochenem Deutsch angereiste Migrantin. Und statt bei ihrer Metamorphose zur edlen Dame, beobachten wir Eliza vielmehr auf ihrem Weg zur erfolgreichen Einbürgerung.
Keine Frage: Frederick Loewes Klassiker von 1956 aus heutiger Sicht zu befragen, ist sicherlich keine leichte Aufgabe. Die sozialen Barrieren haben sich verändert und Dialekte und Akzente haben eine völlig andere Beziehung zum Sozialstatus als noch vor 50 Jahren. Allerdings legt sich Lanzino mit der konsequenten und oftmals sehr unsensiblen Fokussierung aufs Migrationsthema zahlreiche Fallstricke, über die ihre Inszenierung immer wieder stolpert. Wenn Higgins sich über das ‚unästhetische‘ Deutsch der zugewanderten Eliza lustig macht und ihr arbeitsscheuer, alkoholsüchtiger Vater nach verfehltem Einbürgerungsversuch schließlich die Klischee-Bayerin im Dirndl heiratet, um endlich den deutschen Pass zu bekommen, bleibt so manchem Zuschauer das Lachen im Halse stecken und der ansonsten so federleichte Witz des Sittengemäldes bekommt plötzlich eine bleierne Schwere.
Schlimmer noch: In dem erschöpfenden Spiel mit Stereotypen rund um Migration und Integration verlieren viele satirische, aber auch sozialromantische Höhepunkte des Stücks ihre Substanz und rutschen in die Belanglosigkeit ab. Statt dem triumphalen Diplomatenball (dieser wurde in der Handlung vorgezogen), auf dem Eliza endgültig zum Objekt der Begierde für Freddy wird, verlagert Lanzino Elizas ‚Abschlussprüfung‘ in die klinisch-sterile Ausländerbehörde, in der sie, umtanzt von einem putzigen Buchstabenballett, ihren Deutschtest ablegt. Vom Charme des Originals ist hier nicht mehr viel übrig.
Gut gelungen ist dagegen die Darstellung der sozialen Kontraste und phonetischen Hürden als glockenähnliches Gebilde in Emine Güners Bühnenbild, das über sämtlichen Stationen von Elizas sprachlicher Reise schwebt.
Dass der Abend trotzdem funktioniert, ist dem großartigen Ensemble zu verdanken, dem es irgendwie gelingt, dieser sperrigen Inszenierung den Geist des Originals einzuhauchen. Mercy Malieloa singt und spielt eine emanzipierte und dennoch bezaubernde Eliza. Während ihr Sopran im Solo „Wär das nicht wunderschön“ noch sehr sanft und verletzlich klingt, schmettert sie Higgins in „Wart’s nur ab!“ kraftvolle Rachegelüste entgegen. Tobias Greenhalgh als Freddie umwirbt Eliza dagegen mit etwas zu mächtigem, manchmal fast schon dröhnendem Bariton. Gerry Hungbauer bleibt gesanglich als Higgins zwar etwas farblos, begeistert aber darstellerisch als vergrantelter, chauvinistischer Sprachfanatiker, dessen soziale Unbeholfenheit zu viel Situationskomik (köstlich im Team mit Christina Clark als Mrs. Pearce) führt.
Großartiges leisten auch die kraftvoll aufspielenden Essener Philharmoniker unter Leitung von Tommaso Turchetta, die beim Tango-Rhythmus von „Es grünt so grün!“ nochmal etwas Tempo draufpacken.
Insgesamt eine gut gemeinte, aber nicht restlos gelungene Inszenierung, der es aber vor allem im zweiten Akt trotzdem gelingt, das Publikum mitzureißen.
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Mehrere Begriffe ohne Anführungszeichen = Alle Begriffe müssen in beliebiger Reihenfolge vorkommen (Mark Seibert Hamburg findet z.B. auch eine Produktion, in der Mark Müller und Christian Seibert in Hamburg gespielt haben). "Mark Seibert" Wien hingegen findet genau den Namen "Mark Seibert" und Wien. Die Suche ist möglich nach Stücktiteln, Theaternamen, Mitwirkenden, Städten, Bundesländern (DE), Ländern, Aufführungsjahren...