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Das oftmals als Aushängeschild für das Genre der sogenannten ‚Blockbuster-Musicals‘ gehandelte „Sunset Boulevard“ kommt in der Heidelberger Inszenierung deutlich intimer, melancholischer und düsterer daher als erwartet und gleicht eher einem „Indie-Projekt“, wenn man die Filmsprache dafür bemühen möchte. Das gibt dem Stoff ungewohnt frischen Wind und untermauert die Kernthemen des Stücks vortrefflich, ohne durch zu viel Schnickschnack, Choreographien und Dekor von den Hauptfiguren abzulenken. Eine Prise mehr Hollywood-Glamour jedoch hätte dem recht dunklen Bühnenbild bei einigen Längen vielleicht auf die Sprünge geholfen.
Der Inszenierung unter der Regie von Felix Seiler gelingt es, viele eindrucksvolle Bilder im Verlauf des Abends zu erschaffen. Mithilfe von in wunderbarer Retro-Optik projizierten Videos von Andreas Ivancsics und eines verträumten Lichtdesigns von Ralph Schanz werden die buchstäblichen „Träume aus Licht“ immer wieder lebendig: Direkt am Anfang wird gekonnt innerhalb eines Videos die Exposition präsentiert, in dem Bilder des verflossenen Stummfilm-Stars Norma Desmond über die Bühne zu schweben scheinen und den Blick auf eine Zeitungs-Schlagzeile zu einem Todesfall freigeben, die den Zuschauer direkt in die Geschichte trägt. Auto-Verfolgungsjagden werden ebenso schön und hochwertig projiziert und in die physische Darstellung auf der Bühne eingebunden wie Regenwetter an der Fassade von Norma Desmonds Villa. Eindrucksvoll auch Normas Auftritt bei Paramount in ihrem Oldtimer-Wagen, der von der Projektion in ein echtes Wagen-Requisit übergeht und so Leinwand und die Realität verschmelzen lässt. Ergreifend wirkt auch die Szene „Träume aus Licht“ selbst, in der die Diva einen alten Historienstreifen aus ihrer Vergangenheit ansieht und melancholisch wird – hier wirkt Ivancsics Video wie ein wirkliches Hollywood-Kunstwerk, das authentischer nicht sein könnte und effektvoll Norma Desmonds Vergangenheit und Gefühlslage unterstreicht. Einfach wunderschön.
Ebenso bezaubernd und eindringlich spielt das Orchester Heidelberg in einem bis ins Kleinste voll besetzten Orchestergraben, das aus Webbers Partitur die schönsten Kniffe virtuos herauskitzelt. Ein überwältigend voller Klang, den man leider nur noch selten in Musicaltheatern vorfindet. Zu Recht bekommt das Orchester am Ende einen sogar noch größeren Applaus als die Hauptdarsteller des Abends.
Neben der etwas unterrepräsentierten und in weiten Teilen eher unmotiviert wirkenden Choreographie, die nicht das gewünschte Hollywood-Gefühl des goldenen Zeitalters widerzuspiegeln vermag, ist allerdings vor allem die Tontechnik an diesem Abend problematisch und torpediert das wunderbare Zusammenspiel von Darstellenden und Orchester mehrmals unwillentlich. Den gesamten Abend über sind in den Gesangsparts die SchauspielerInnen viel zu leise abgemischt und kommen so gegen die fast übermächtig wirkende Musik nicht an. Dies fällt bei den Ensemble-Nummern nochmal viel deutlicher als bei den Soli auf – in den Gruppenliedern wird kein einziges Wort verständlich über die Boxen in den Raum gesendet, bei den Einzelliedern versteht man wenigstens die wichtigsten Parts. In den Sprechszenen werden die Mikrofone mit so einer Treffsicherheit nahezu jedes Mal zu spät eingeschaltet, dass man sich fragen könnte, ob es sich dabei um ein Stilmittel handelt. Mehrmals rauscht und knackt es unangenehm über die Lautsprecher. Einfach nur schade.
Das Bühnenbild, das leider am Abend dieser Rezension mehrfach streikte und so nicht nur den Spielfluss behinderte, sondern auch zu einem verspätetem Showanfang führte, kann ansonsten glücklicherweise optisch und funktional überzeugen. Im Zentrum steht ein um 360 Grad drehbares Haus-Fragment in Hollywood-Villa-Optik, das von mehreren Seiten den Einblick in diverse Zimmer und somit in unterschiedlich bespielbare Räume freigibt. Da wären das Gästezimmer, in dem Joe Gillis zunächst übernachtet, einige Nebenräume, in die sich die drei Hauptakteure zurückziehen und – im Fall von Norma Desmond – imposante Auftritte inszenieren können, und der große Hauptraum mit theatralischer Maisonette-Treppe in überzogen opulenten Rot- und Goldtönen und einem schiefen, kaputten Sofa. Bei dem Anblick des Hauses weiß der Zuschauer direkt, welche Art von Mensch die Bewohnerin wohl sein mag. Wirklich gut gelungen. Auch die kleineren Nebenschauplätze, wie das Filmstudio Paramount in strahlendem Weiß und Silber in starkem Kontrast zum eher düster ausgeleuchteten Haus der Desmond, oder die unterschiedlichen Requisiten, um verschiedene Wagen in Verfolgungsjagden oder Fahrten durch Hollywood zu mimen, sind effektvoll eingesetzt, schön konzipiert und wirken vergleichsweise innovativ.
Während das Ensemble oftmals mit dem einen oder anderen schiefen oder arhythmischen Ton auffällt, ist die Hauptriege der Figuren glücklicherweise bestens besetzt. Wilfried Staber besticht durch einen eindrucksvollen Bass in seiner kleinen Rolle des Studiochefs und Regisseurs Cecil B. DeMille. Dirk Weiler begegnet der stimmlichen Herausforderung seiner Rolle des Max von Mayerling hervorragend und legt seine Figur zunächst subtil wie einen einfachen Butler an, um graduell die Persönlichkeit seines Charakters offenzulegen und einen in seiner Liebe und Zuneigung völlig verlorenen Mann darzustellen, der in seiner Manie der von Norma Desmond selbst sehr nahekommt.
Charlotte Katzer als Betty Schaefer gibt ihrer Rolle eine resolute Färbung. Sie strahlt eine große Spielfreude und Charisma aus, sodass sich die Bühne bei jedem Auftritt ihrer Figur kurzzeitig zu erhellen scheint. Ihr Zusammenspiel mit Luc Steegers als Joe Gillis wirkt natürlich und ihr gemeinsames Duett „Viel zu sehr“ ist eines der gesanglichen Highlights des Abends. Dazu zählt auch Steegers` Eröffnungssong des zweiten Akts, durch den erstmals nicht nur seine herausragenden stimmlichen Fähigkeiten, sondern auch sein differenziertes Schauspiel den gebührenden Präsentationsrahmen erhalten. Besonders am Ende des zweiten Aktes wird sein Spiel so eindrücklich und lebensnah, dass man sich als Zuschauer nahezu vollends auf die Seite von Joe Gillis schlagen möchte.
Betty Vermeulen gibt eine ungewohnt in sich gekehrte, leise singende und ruhig wirkende Norma Desmond, von der man eigentlich personifizierte Extrovertiertheit erwarten könnte. Ihr Schauspiel setzt den Grundton der Heidelberger Version und lässt „Sunset Boulevard“ in einer nicht selbstverständlichen, düster-melancholischen Färbung erscheinen. Während sie bei ihrem ersten Auftritt noch etwas schrullig wirkt, setzt sich, angefangen mit ihrer fast schon herzzerreißenden Trauer um ihren Haustier-Affen, mit fortschreitendem Verlauf eine bleierne Schwere und düstere Atmosphäre in und um ihre Figur, was beeindruckt und in einigen Passagen fast schon fassungslos macht. Vermeulens Schauspiel lässt beinahe eine psychische Analyse der Figur Norma Desmond zu, da sie ihr subtil verschiedene Elemente psychischer Erkrankungen einzupflanzen scheint, die sukzessive ans Tageslicht (oder ans dumpfe Licht ihres Hollywood-Wohnzimmers) kommen: Narzissmus, Depression, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Bipolarität, Vergangenheitstraumata, bis hin zum völlig eskalierten Wahnsinn und Realitätsverlust. Obwohl sie antagonistisch angelegt ist und unzählige Male egozentrisch handelt, kann man als Zuschauer nicht anders, als auch ihre Figur zu fühlen und zu bemitleiden. Vermeulen zeigt ohne aufgesetzte Theatralik eine wahrhaft zerstörte Frau, die sich für einen kurzen Moment ihrem geistigen Untergang entgegenzustellen versucht und am Ende zugrunde geht, ohne es selbst zu merken. Eine beeindruckende Darbietung vor allem auf schauspielerischer Ebene, die beweist, dass man auch im Musical subtil und ohne Over-Acting sowie ohne ausufernde Belting-Salven etwas Bleibendes kreieren kann.
Das Theater und Orchester Heidelberg macht vieles an dieser Inszenierung richtig und geht teilweise unkonventionelle Wege, um diese ikonische Geschichte zu erzählen. Wenn die tontechnischen Mängel beseitigt werden, verspricht „Sunset Boulevard“ einen soliden Musicalabend, bei dem vor allem das Schauspiel und die opulente Orchestrierung nachhaltig zu beeindrucken wissen.
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KREATIVTEAM |
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Musikalische Leitung | Dietger Holm |
Inszenierung | Felix Seiler |
Bühne | Nikolaus Webern |
Kostüme | Linda Schnabel |
Video | Andreas "Ivo" Ivancics |
Choreografie | Kati Farkas |
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CAST (AKTUELL) |
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Norma Desmond | Carolyn Frank Betty Vermeulen | |||
Joe Gillis | Daniel Eckert Luc Steegers | |||
Betty Schäfer | Charlotte Katzer | |||
Max von Mayerling | Dirk Weiler | |||
Cecil B. De Mille | Wilfried Staber | |||
Sheldrake | Hendrik Richter | |||
Artie Green | Jonah Moritz Quast | |||
Erster Schuldeneintreiber | Young Kyoung Won Seung Kwon Yang | |||
Zweiter Schuldeneintreiber | Xiangnan Yao Woo Kyung Shin | |||
Hog Eye / Myron | AP Zahner Hans Voss | |||
Alter Pförtner / John / Mann 1 / Barmann / Jean | Sang-Hoon Lee Dagang Zhang | |||
Junger Pförtner / Morino / Cliff / Mann 2 | Philipp Stelz Uğur Atasoy | |||
Manfred / Mann 3 | Adrien Mechler Vitalii Ivanov | |||
Anita / Lisa / Adam / Analytikerin | Mi Rae Choi Ekaterina Streckert | |||
Mary / Astrologin | Jana Krauße Kylee Slee | |||
Joanna / 2. Masseuse / 2. Kosmetikerin | Nelly Palmer Claudia Schumacher | |||
Sekretärin / Reporterin / 1. Masseuse / 1. Kosmetikerin / Sammy | Manuela Sonntag Ulrike Machill | |||
Dawn / Katherine / Ärztin / 3. Kosmetikerin / Kellnerin | Barbara Dorothea Link Elena Trobisch | |||
Dance Theater Heidelberg | ||||
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Chor des Theaters und Orchesters Heidelberg | ||||
Philharmonisches Orchester Heidelberg |
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GALERIE |
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