1999 war sie Musicaldarstellerin des Jahres, bald danach tauchte sie komplett unter. Im Interview mit der Musicalzentrale erzählt Lyn Liechty erstmals, warum. Außerdem: Warum sie die Sarah nie geprobt hat, weshalb Dietrich Hilsdorf sie ignorierte und was Steve Barton von Ethan Freeman unterscheidet.
Lyn Liechty war Premierenbesetzung der Lucy in der deutschen Uraufführung von Jekyll&Hyde (Bremen), alternierende Sarah in der Premierencast von Tanz der Vampire (Wien) und Ellen in Miss Saigon (Stuttgart). Für ihre Interpretation der Lucy wurde sie 1999 zur Musicaldarstellerin des Jahres gewählt, nahm anschließend Poptitel mit dem italienischen Tenor Piero Marzocetti und mit den Scorpions auf, bevor Sie vollständig aus der Öffentlichkeit verschwand.
Frau Liechty, was haben Sie in den letzten 3 Jahre gemacht?
Ich habe mit meiner Plattenfirma prozessiert und meinen Manager entlassen… Nein, aber mal ernsthaft. Nach Jekyll&Hyde wollte ich verstärkt im Popbereich arbeiten und bin dann unglücklicherweise an die falschen Leute geraten. Ich habe einen sehr engen Vertrag unterschrieben, der letztendlich dazu führte, dass ich ohne die Zustimmung meiner Plattenfirma gar nichts mehr tun konnte. Zunächst sah alles recht vielversprechend aus, aber nach den ersten Aufnahmen und großen Versprechungen in Sachen Promotion, Videodrehs etc. passierte dann gar nichts mehr. Auch als dann unter anderem Anfragen kamen, z. B. mit Lionel Ritchie zu arbeiten, bewegte sich leider gar nichts. Diese Erfahrung mussten auch andere Künstler machen, die bei der Firma unter Vertrag standen. Leider konnte ich so in den letzen Jahren überhaupt nichts tun. Letztendlich meine eigene Schuld, ich habe den falschen Leuten vertraut. Ich habe dann geklagt, jetzt endlich Recht bekommen, bin nun aus dem Vertrag befreit und kann nun bald auch wieder richtig arbeiten.
Was haben Sie denn in der Zeit, in der Sie „auf Eis lagen“ getan?
Ich hab viele interessante Kontakte und Projekte in den USA angeschoben. Es sind einige Aufnahmen mit tollen amerikanischen Produzenten entstanden, die bisher aber noch nicht genutzt werden konnten und ich habe mich intensiv mit einem Filmprojekt beschäftigt. Das ist mir sehr wichtig. Ein Politthriller zu einem sehr aktuellen Thema, ein Film mit einer Botschaft in Sachen Freiheit und Informationspolitik, der mir sehr sehr am Herzen liegt. Gerade in der jetzigen Situation, in der in meinem Heimatland die Demokratie so bedroht ist. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, beginnen jetzt auch Darsteller anzusprechen, die wir gern dabeihätten und sind bei der Endfassung des Scripts.
Das heißt, Sie haben sich von der Musicalbühne erstmal komplett verabschiedet?
Nein, wenn sich etwas Interessantes ergibt, ein Stoff, der etwas zu sagen hat, der neu ist, dann bin ich gern dabei. Das muß keine ganz große Produktion sein, mir ist inzwischen wichtiger, welche Botschaft das Stück hat, wie interessant die Charaktere sind. Vor kurzem ging es um die weibliche Hauptrolle in der „Dracula“-Produktion, in der Ethan Freeman die Titelrolle kreiert hat. Leider hat man mich etwas zu spät kontaktiert, als ich schon eine andere Verpflichtung in den USA hatte, die ich nicht mehr absagen konnte. Es wäre schön gewesen, einmal wieder mit Ethan auf der Bühne zu stehen, zumal mir auch die Musik gefiel.
Wie steht es denn mit dem schon lange angekündigten „Winds of Change“ von den Scorpions, mit denen Sie ja auch schon gemeinsam aufgetreten sind?
Ich habe grade neulich mit Klaus Meine telefoniert, sie arbeiten immer noch dran. Da geht es jetzt aber erstmal um Scorpions-Tourneen in die USA und nach Russland. Ich weiß auch noch gar nicht, worum es da konkret gehen soll, ich kenne noch kein Buch und kein Script. Und die Musik der Scorpions ohne die Stimme von Klaus? Ich weiß nicht…
Gab es noch weitere Angebote?
Ich habe mit meinem ehemaligen Wiener Agenten über Wildhorns „Dracula“ gesprochen. Die suchten in New York allerdings dann doch eher jemand Blondes in Richtung Christine Noll und da wäre es dann nur um eine alterniernde Besetzung gegangen. Frank hat dann wohl auch davon abgeraten, sich darum zu bemühen. Das Stück hatte am Broadway dann auch keine so guten Kritiken.
Apropos Broadway, wie kam eigentlich die Amerikanerin Lyn Liechty nach Deutschland?
Ich hatte gerade die Zusage für die Hauptrolle in einer Cinderella-Tourneeproduktion in den USA bekommen, und kämpfte dann sehr mit mir, ob ich zu den in New York stattfindenden Auditions für die deutsche Miss Saigon-Inszenierung gehen sollte. Es wurde lediglich für zwei Rollen, John und Ellen, gecastet. Das war so eine Audition, wo die Bewerberinnen schon morgens einmal um den Block herum anstanden, nur um eine Nummer fürs Vorsingen zu ergattern. Ich bin dann aber doch hingegangen, habe mir meine Nummer abgeholt und bin dann nachmittags zum Vorsingen gegangen. Und dann riefen sie mich an und teilten mir mit, dass ich die Rolle bekomme.
Was bedeutet das für eine amerikanische Darstellerin, eine Rolle in einer deutschen Show zu bekommen?
Für mich was das ganz aufregend. Ein anderes Land, anderes Essen, eine fremde Sprache – wobei mir zu Anfang gar nicht klar war, dass ich in einer Fremdsprache würde spielen müssen. Ich habe mich dann mit dem Script ins Flugzeug gesetzt und auf dem Weg angefangen zu lernen. Da dachte ich noch, dass das vielleicht ein Abenteuer für ein Jahr ist und es anschließend die Chance geben könnte, auch am Broadway die Ellen zu spielen. Ich konnte damals ja noch nicht ahnen, dass ich mich in Deutschland mal zuhause fühlen würde, noch mehr als in meinem eigentlichen Heimatland.
Konnten Sie vorher schon ein wenig Deutsch? Wie geht man an so ein fremdsprachliches Script heran?
Ich konnte vorher quasi kein Wort Deutsch, ich habe mich dann darangesetzt und das alles für mich auf Englisch rückübersetzt, auch die Textpassagen der anderen Figuren, um dann auch auf deren Sätze reagieren zu können.
Was war dann das schwierigste am deutschen Text für Sie?
Ganz klar der ch-Laut, so wie in „Ich“. Da hatte ich dann das Glück, bald meinen deutschen Freund als Vocal-Coach zu haben. Der war sehr sehr streng mit mir…
Wenn Sie dann auf der Bühne stehen, denken sie Deutsch oder Englisch?
Eigentlich denke ich gar nicht. Ein ganz kleiner Teil des Gehirns memoriert den Text, mit dem Rest von Körper und Seele fühle ich einfach die Rolle, fühle, was ich spiele. Wenn ich da anfange zu denken, bin ich verloren.
Was fiel Ihnen als „Kind des Broadway“ am stärksten auf am europäischen Musicalgeschäft?
Diese riesigen Theater. Am Broadway sind das alles so kleine Kästen, und dann hier, plötzlich vor 1500 Leuten spielen, das ist schon anders. Und die Fans: als ich beim „Tanz der Vampire“ zum ersten Mal zu Schlussapplaus nach vorne kam, dachte ich, es bläst mich um! Diese Begeisterung und Herzlichkeit, der tolle Applaus, die netten Fanbriefe und Geschenke.
Und dann die Art und Weise zu spielen. Das ist aber ein generelles Problem. Wenn ich da einem Kollegen in die Augen schaue, dann sehe ich oft diesen Split, auf der einen Seite dien eigene Persönlichkeit, auf der anderen die Rolle. Manchmal fehlt da diese Leidenschaft, dieses Eins-sein mit der Rolle, dieses Ausleben.
Wenn ich mir dann Kollegen wie Matthew Broderick in „The Producers“ angucke, ich weiß nicht, wer das so spielen könnte. Ich erinnere mich noch gut, als ich noch ganz jung war, habe ich Gregory Hines in „Jelly’s Last Jam“ am Broadway zwölfmal gesehen, weil mich die Art und Weise, die Intensität, wie er spielte so gepackt haben. Ich war dann auch hinter der Bühne, hab ihm gesagt, wie sehr mich das berührt hat, wie viel mir das gegeben hat. Ich habe das Gefühl, das „Funkeln“ ist weg, die Show haben nicht mehr diesen Zauber, den es früher gab, als man sich mehr Zeit genommen hat.
Stichwort Tanz der Vampire: Sie haben in Wien die Sarah alternierend gespielt und für die Welturaufführung auch mit Roman Polanski als Regisseur gearbeitet.
(lacht) Mit Polanski als Regisseur gearbeitet ist gut… Wir hatten größere Probleme miteinander und haben eigentlich nie miteinander gearbeitet. Er geht anders mit Menschen um, als ich es tue. Die Differenzen waren rein persönlicher Natur, sie hatten nichts mit der an und für sich phantastischen Show zu tun. Man hatte mir zunächst die zweite Besetzung angeboten. Das habe ich abgelehnt und mir wurde dann ein geänderter Vertrag als alternierende Sarah angeboten, was ich dann angenommen habe. Die Erstbesetzung fühlte sich aber offensichtlich in meiner Anwesenheit so unwohl, dass ich schließlich nicht mehr an den Proben teilnehmen durfte.
Das heißt, sie haben sich die Rolle der Sarah dann ganz für sich allein erarbeitet?
Ja, das war dann eine Sache ganz für mich alleine im Probenraum. Irgendwann hat sich die Erstbesetzung dann den Kopf gestoßen oder so und ich sollte einspringen. Ich hab ihnen dann noch mal gesagt, dass ich die Rolle bisher nie offiziell geprobt hatte, es mir aber zutraue und bin dann raus auf die Bühne. Das hatte natürlich den Vorteil, dass das nie ein Regisseur gesehen hat und ich dann ganz meine eigene Interpretation spielen konnte. Polanski, der ja nie überschwänglich mit Lob ist, hat das dann gesehen und mir hinterher gesagt, das das eine gute Leistung war.
Sie haben mit Roman Polanski für TDV und mit Dietrich Hilsdorf für Jekyll mit zwei als schwierig geltenden Regisseuren gearbeitet. Wie war da der Unterschied in der Arbeit?
(lacht) Auch mit Hilsdorf habe ich nicht lange richtig gearbeitet. Der Mann hatte reichlich merkwürdige Ideen, die wenig mit dem zu tun hatten, wie ich die Rolle gesehen habe. Ich sollte zum Beispiel die Todesszene, in der Ethan mich dann mit dem Messer umbringt als Orgasmus und sexuellen Höhepunkt spielen. Das geben für mich aber weder Text, noch Musik her, und das habe ich Hilsdorf dann auch so gesagt. Naja, und von da an hat er dann nicht mehr mit mir gearbeitet, was auch wieder seine Vorteile hatte. Bei Polanski war das etwas anders, ein Teil von ihm ist nach den schrecklichen Dingen, die er erlebt hat, einfach nicht mehr hier. Wenn man ihm in die Augen schaut, dann sieht man immer seinen Schmerz, was er erlebt hat, was ihn prägt. Das kann aber trotzdem keine Entschuldigung sein für seine Art und Weise mit Menschen umzugehen, sie kleinzumachen. Wenn man jemandem das einmal erlaubt, nimmt er das auch als Freifahrtschein für den Umgang mit anderen.
Sie haben in TDV und Jekyll&Hyde mit Steve Barton und Ethan Freeman auf der Bühne gestanden. Wo lagen Unterschiede und Gemeinsamkeiten?
Beide sind hundertprozentig zuverlässig auf der Bühne. Egal was passiert, man kann immer sicher sein, dass nicht passiert bzw. dass beide absolut berechenbar reagieren.
Ansonsten: Ethan spielt mit einer hohen Konstanz und mit einer festgelegten Interpretation jeden Abend eine fast identische Show auf hohem Niveau. Bei Steve war das anders. Er spielte auch immer verlässlich, aber in jeder Minute, in jedem Augenblick war das Steve, der da stand. In seinen Augen stand sein Schmerz, standen die vielen schlimmen Dinge, die er auch privat erlebt hat und das er hat das mit einer ungeheuren Intensität in die Rolle hineingebracht und jeden Abend anders gestaltet. Vielleicht macht ihn das so einzigartig.
Also etwas ganz Besonderes, mit ihm auf der Bühne zu stehen?
Ja, absolut. Es ist ein großes Geschenk, dass ich Steve meinen Freund nennen darf und das sich unsere Wege gekreuzt haben. Er hat mir unglaublich viel gegeben und auch sehr geholfen, auch manchmal auf ungewöhnliche Art und Weise. Da gab es zum Beispiel einen Anruf, kurz nach den Auditions für Jekyll&Hyde, dass man mir die Rolle der Lucy anbieten würde, es aber Bedenken gäbe, dass ich nicht „nuttig“ genug daherkäme. Da habe ich mit Steve dann in einem kleinen Probenraum in Wien im Theater an meiner Interpretation von „Bring on the men“ gearbeitet und meine „Schlampigkeit“ verbessert.
Sie sind bei der Gala zum ersten Geburtstag der Bremer „Jekyll“-Produktion noch einmal zusammen mit ihm aufgetreten.
Ich bin so glücklich, dass es diesen letzten Auftritt noch gegeben hat. Mein Vater war zu der Zeit sehr krank und musste operiert werden. Koen Schoots, der Musikalische Leiter, hat mich dann bekniet, trotzdem für die Gala herüberzukommen. Ich bin ihm heute sehr dankbar dafür, dass er so hartnäckig war. Dieser Auftritt war für uns beide, Steve und mich, ein ganz bedeutsamer Moment. Wir beide haben Rotz und Wasser geheult bei dem tosenden Applaus. Dieses letzte Mal, das bedeutet mir sehr sehr viel.
Gibt es für Sie noch eine Traumrolle, die Sie gern noch spielen würden?
Jede noch nicht geschriebene Rolle ist eine Traumrolle. Nein, ich glaube aber nicht. Ich habe „Tanz der Vampire“ gespielt, eine Show die so neu, so anders war. Ich habe Lucy gespielt, die beste Rolle, die für eine Frau je geschrieben worden ist. Sicher, Eponine ist z. B. auch eine schöne Herausforderung, dieser Song berührt schon sehr, aber wenn ich die Wahl habe zwischen Les Misérables und etwas ganz neuem mit eine Aussage, mit einer Botschaft, dann nehme ich das Letztere.
Vielleicht noch eine kleine Anekdote zum Schluß?
Ich erinnere mich an eine Jekyll-Show, in der ich in der Szene, in der Lucy ermordet wird, noch auf der anderen Seite des Zimmers stand, als plötzlich das Blut, das eigentlich erst viel später fließen sollte, begann, aus der versteckten Zuleitung zu plätschern. Das lief zur Erheiterung des Publikums die gesamte Szene über und natürlich war das Reservoir genau in dem Moment erschöpft, als wir dann endlich zum Mord kommen wollten.