Die Ära Maik Klokow

Maik Klokow hat in den gut vier Jahren, die er an der Spitze der Stage Holding stand, den deutschen Musicalmarkt gehörig umgekrempelt. Ein Rückblick.

Auf dem Musicalmarkt war es im Jahr 2001 ein Paukenschlag: Die niederländische Stage Holding, die wegen ihrer Verbindungen zu Endemol in Deutschland eher mit „Traumhochzeit“ und Rudi Carell assoziiert wurde, kündigte an, das Musical „Mamma Mia!“ im Hamburger Operettenhaus in Kooperation mit der Stella AG auf die Beine zu stellen. Die Stella war mit „Cats“, „Phantom“ und „Starlight Express“ Pionier des Ensuite-Theaters in Deutschland. Nach der Immobilienpleite des langjährigen Stella-Besitzers Rolf Deyle war das Unternehmen, vor dem Konkurs noch auf einen Wert von knapp einer Milliarde Mark geschätzt, für rund 40 Millionen Mark zunächst von der Deutschen Entertainment AG unter Peter Schwenkow übernommen worden. Die beiden mit großen Ambitionen gestarteten Neuproduktionen „Mozart!“ (in Hamburg) und „Der Glöckner von Notre-Dame“ (Kooperation mit Disney in Berlin) erfüllten jedoch die Erwartungen nicht. In dieser Situation kam das Angebot der Stage Holding wie gerufen.

Maik Klokow, Deutschland-Geschäftsführer der Niederländer, war für die Stellarianer kein Unbekannter. Der gebürtige Wismarer hatte nach einer Maurer-Lehre in der DDR als Bühnentechniker, Bühnenmeister und Beleuchtungsmeister gearbeitet und fing 1990 bei der Stella AG an. Nach neun Jahren im Konzern verantwortete er kurz vor seinem Wechsel zur Stage Holding die „Glöckner“-Premiere als Geschäftsführer des Theaters am Potsdamer Platz.

Die Stage Holding wollte sich jedoch nicht mit der Stella-Kooperation begnügen. In der Hamburger Hafen-City wurde ein neues Theater für den „König der Löwen“ angekündigt (letztendlich wurde das ehemalige Buddy-Holly-Zelttheater übernommen und gründlich saniert) und im Essener Colosseum, einem zwischenzeitlich übernommenen ehemaligen Stella-Theater, starteten die Niederländer im März 2001 mit „Elisabeth“ ihre erste eigene Produktion.

Die Lage spitzte sich im Sommer 2002 mit der Insolvenz der Stella AG dramatisch zu. Die Stage Holding übernahm gegen Zahlungen von 3 Millionen Mark in einen Abfindungsfond für die ehemaligen Mitarbeiter und 1,8 Millionen in einen Härtefond die Stella-Häuser (bis auf das Starlight-Theater in Bochum) – ohne allerdings die Mitarbeiter zu übernehmen. Der „Tanz der Vampire“ in Stuttgart wurde weitergeführt, in den übrigen Häusern kündigte Klokow ein neues Programm an: „Phantom der Oper“ in Stuttgart, „Cats“ in Berlin, „Titanic“ in der Hamburger Neuen Flora. Das bereits angekündigte „Mamma Mia!“ wurde auf diesem Wege zur hauseigenen Produktion.

Schon mit der „Elisabeth“-Premiere in Essen wurde die neue Handschrift der Stage Holding sichtbar. Die bisher Stella-üblichen auf das Stück zugeschnittenen Foyer-Dekorationen wurden abgeschafft, das gesamte Ambiente wirkte dafür deutlich wertiger als bisher in den Stella-Theatern – im Gegenzug wurden aber auch Nebenkosten wie Parkgebühren und Programmhefte massiv teurer. Gespielt wurde dann auch nicht die eher künstlerisch angehauchte Wiener Fassung, sondern die kommerziellere niederländische Inszenierung von Regisseur Eddie Habbema.

Mit der Premiere von „König der Löwen“ rollte eine Marketingkampagne bisher nie gesehenen Ausmaßes an. Dem „Stern“ lag eine Promotion-CD mit einigen Songs bei, eine bundesweite Plakatkampagne etablierte den Löwenkopf als Marke. Die neuartige Disney-Inszenierung entpuppte sich ebenso als Hit wie „Mamma Mia!“, „Cats“ in Berlin vermeldete befriedigende Auslastungen, ebenso die Stuttgarter Produktionen. Sorgenkind blieb die Hamburger Neue Flora. Das mit großen Ambitionen und ebenfalls großem Werbeaufwand gestartete „Titanic“ floppte, obwohl die Inszenierung weithin gelobt wurde.

Ebenso enttäuschend verlief der Versuch, mit „42nd Street“ in Stuttgart ein klassisches Broadwaymusical zu produzieren. Unterdessen war das Theater-Portfolio um das traditionsreiche, aber abgewirtschaftete Theater des Westens in Berlin erweitert worden. Das Haus wurde mit großem Aufwand stilvoll saniert und als neues „Hauptstadttheater“ mit „Les Misérables“ eröffnet. Doch auch diese Produktion konnte die angestrebten Zuschauerzahlen nicht erreichen, was umso deutlicher wurde im Vergleich zu den Zahlen der inzwischen im Theater am Potsdamer Platz gestarteten „Blue Man Group“. Das musicalferne Event-Theater lief so erfolgreich an, dass inzwischen bis zu vier Shows pro Tag gespielt werden. Die „3 Musketiere“, die erste komplett selbst kreirte Show des Konzerns in Deutschland, sollten den Durchbruch am Musical-Problemstandort Berlin bringen, konnten die Auslastungszahlen bisher aber trotz massiven Marketings (incl. Single-Auskopplung mit „Superstar“-Alexander) nicht wirklich verbessern.

Ein neues Element in der Stage Holding-Strategie wurde das Rotationsprinzip. So wechselte der „Tanz der Vampire“ nach Hamburg und löste die glücklose „Titanic“ ab, „Elisabeth“ wanderte nach Stuttgart. In Essen feierte dafür „Aida“ Premiere, das trotz der Musik von Elton John nur bescheidene Auslastungszahlen einfuhr. Auffällig ist, dass – während sich die Stella bei ihrer Spielplangestaltung stark an den Erfahrungen in Wien orientierte – bei der Stage Holding nun die Niederlande der bevorzugte Try-Out-Markt sind.

Im Unterschied zur Geschäftspolitik der Stella fällt weiterhin auf, dass Klokow stärker auf den Aufbau neuer Geschäftsfelder setzte. Die unkaputtbare Tournee-Eis-Revue „Holiday on Ice“ wurde ins Portfolio der Stage Holding genommen. In der Hamburger Speicherstadt will der inzwischen in Stage Entertainment umbenannte Konzern demnächst ein Varietétheater eröffnen. Beim Schlossparktheater Berlin, einem kleinen Haus mit weniger als 500 Plätzen, stieg Klokow zunächst als Kooperationspartner ein, mittlerweile ist der Konzern Betreiber des Theaters. Auch bei der kleinen „2 For 1 Theatre Productions“, die in Wetzlar das Kammermusical „Die letzten fünf Jahre“ produzierte, ist die Stage Entertainment mit im Boot. Die beiden letztgenannten Engagements werden in der Szene unterschiedlich bewertet – Befürworter loben die Präsenz des Konzerns im kreativen, aber wenig ertragreichen Off-Markt, Kritiker sehen darin ein Aufkaufen möglicher Konkurrenten.

Darüber hinaus stieg die Stage Holding erstmals ins Tourneegeschäft ein. Im Capitol-Theater Düsseldorf kam in Zusammenarbeit mit dem Hauptkonkurrenten Krauth (der inzwischen das Starlight-Theater und den Musical-Dome in Köln gekauft hatte) „Cats“ wieder auf die Bühne. Als weitere Tourneestandorte wurden und werden neben etablierten größeren Musicalhäusern in München und Bremen auch neue Standorte wie Dresden und Hannover erprobt, erstmals erfolgte mit dem Gastspiel in Basel auch der Schritt ins deutschsprachige Ausland. Für das in Essen abgespielte „Aida“ ist ein ähnlicher Weg geplant. Auch die neu angekündigten Produktionen „Dirty Dancing“ (Hamburg) und „Die Schöne und das Biest“ (Oberhausen) scheinen für einen anschließende Tournee geeignet. In der Standortpolitik gibt es unterschiedliche Signale: Während der in der örtlichen Presse schon als vollzogen vermeldete Kauf des Bremer Musical-Theaters nicht zustande kam und das Haus nur als temporäre Spielstätte genutzt wird, sicherte sich die Stage Holding das Musicaltheater im CentrO Oberhausen. In München stehen die Übernahme eines ehemaligen Radsportstadions und dessen Umbau in ein Musicaltheater kurz bevor.

Maik Klokow, Jahrgang 1965, hatte keinen dankbaren Job. Während das Musical-Stammpublikum dem Konzern neben den hohen Preisen auch immer mangelnde Innovationen und das Setzen auf seichte Produktionen vorwirft, kommt aus wirtschaftlicher Sicht die Kritik genau andersherum: Klokow hätte noch mehr auf leichte Unterhaltungsware setzen sollen, dann wären ihm mit emotionaleren Produktionen die Flops „Titanic“ und „Les Misérables“ sowie zeitweise schwache Auslastungen beim „Phantom der Oper“ (Stuttgart), bei „Aida“, dem „Tanz der Vampire“ und „3 Musketiere“ erspart geblieben.

Spannend wird es, zu sehen, ob Klokow von seinem neuen Posten im Leitungsgremium des Stage-Entertainment-Konzerns in das deutsche Geschehen hineinregieren wird. Die Zeichen sprechen dafür: Kurz vor seinem Wechsel trat der Wismarer noch mit einigen wichtigen Zukunfts- und Programmentscheidungen vor die Presse – dem Varietétheater, dem Kauf und der Bespielung des Theaters in Oberhausen und der Deutschlandpremiere von „Dirty Dancing“ in der Neuen Flora. Ein Projekt, dass er schon lange auf dem Zettel hat, wird Klokow allerdings nicht mehr selbst verwirklichen: Das bereits seit Jahren angekündigte Wiedervereinigungs-Musical „Wind of Change“ mit Musik von den Scorpions. Konzernkennern gilt auch für 2006 eine Premiere dieses noch nicht geschriebenen Stücks als unwahrscheinlich.

Bei aller Kritik, die sich Klokow für Einzelentscheidungen gefallen lassen muss, kann man ihm eines aber nicht absprechen: seine Theater-Begeisterung und -Kenntnis. Ob die „Leidenschaft des Theatermachens“, die er beim Antritt der Stage Holding versprochen hat, die Unternehmenspolitik immer angeleitet hat, danach sollte das Publikum die Ergebnisse seiner Arbeit bewerten. Und daran wird sich auch sein Nachfolger messen lassen müssen.

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