Man muss kein Prophet sein, um für die Zukunft des Genres Musical-Casting-Show im deutschen Fernsehen schwarz zu sehen. Zu schlecht die Quoten, zu unausgegoren die Konzepte der ersten beiden Versuche bei Sat.1 und im ZDF.
Dabei klang alles zunächst so schön: Paarlauf von Sat.1 und ZDF zum Casting von je zwei Hauptrollen für das Disneycal „Tarzan“ und den Dauerläufer „Starlight Express“ mit hochkarätigen Jurys von Klokow bis Douwes (Sat.1) und Kröger bis Goebel (ZDF) und jeder Menge talentierter Kandidaten. Noch als Betriebsunfälle abzubuchen waren die kurzfristige Umbesetzung zu „Musical-Manager“ Michael Hildebrandt (eigentlich Marketing-Mann der Stage Entertainment) nach dem abrupten Klokow-Abgang und die rätselhafte Ergänzung der ZDF-Jury mit der stets wolkig-begeisterten Grand-Prix-Chansonette Katja Ebstein. Eher mühsam gestalteten sich die ersten Castingrunden in verschiedenen Theatern auf beiden Sendern, nicht ohne einen Hauch der DSDS-üblichen Freakshow und mit ersten qualitativen Duftmarken der Profis, die zumindest im Falle von Sat.1 aber vorläufig mit nebulösen Berufsbezeichungen getarnt wurden.
Doch schon diese ersten Shows erreichten das gesteckte Quotenziel nicht. Und während das ZDF zu der betont öffentlich-rechtlich-fairen Jury für die nun folgenden Votingshows auch den Moderationsgoldbären Thomas Gottschalk ins Rennen schickte, der vorher in verquasten Einspielfilmen seine Musicalleidenschaft beschworen hatte, ging Sat.1 zunächst in eine Workshop-Doppelshow.
Diese hätte als Vorbild für eine gelungene Interpretation des Themas dienen können, wäre das Konzept weiterverfolgt worden. Im Dokustil wurde der erste Workshop der 16 letzten Kandidatinnen und Kandidaten begleitet, die ihre Bekanntschaft mit der eisenharten Drill-Captain-Mentalität der amerikanischen Originalchoreographin vertiefen und an der Hochseilanlage zum ersten Mal fliegen lernen durften. Es menschelte angenehm in der Sendung und auch für den Musical-Liebhaber waren einige Höhepunkte dabei. Da erlebte der Zuschauer eine Pia Douwes, die auch als Gesangslehrerin mit ihrem Charisma beeindrucken konnte und sah, dass selbst erfahrene Musicaldarsteller wie Jessica Kessler eine Audition voll versemmeln können. Da wurde die Angst der Darsteller vor der Höhe des Zehn-Meter-Bretts genauso greifbar wie die Faszination, auf einmal mit einem Weltstar wie Phil Collins im Duett zu singen. Zu diesem Zeitpunkt noch reizvoll: Der Gegensatz zwischen den arrivierten Darstellern, größtenteils erfahrenen Hauptrollenbesetzungen aus anderen Stage-Entertainment-Produktionen, und den beiden übrig gebliebenen Amateur-Talenten Franziska Schuster und Friedrich Rau.
Im ZDF dagegen hatte man für die Endauswahl auf eine Mischung aus eher kantigen Typen gesetzt: Da waren mit der Hamburger Ex-Magda Franziska Forster und mit Petter Bjallö zwar auch zwei routinierte Darsteller im Rennen. Mit Christina Maria Brenner und Alexander Herzog mischten aber zumindest zwei Kandidaten im Finale mit, bei denen zweifelhaft war, ob sie den athletischen Rollenanforderungen des „Starlight Express“ gewachsen sein würden. In den nun folgenden Shows – bei weiterhin sinkenden Quoten – offenbarte sich nun das ganze Dilemma der ZDF-Unterhaltungsabteilung. Es wurden zwar wacker Musicalsongs (und das auch teilweise auf Deutsch!) gesungen, diese schienen aber in Bezug auf Inszenierung, Bühnenbild und Arrangement teilweise eher den verblichenen Großshows von Dieter-Thomas Heck entlehnt, so piefig und altmodisch kam die Aufmachung daher. Dazu kam ein lustloser Thomas Gottschalk, der sich sichtbar lieber seinen „Stargästen“ auf dem Sofa widmete, als sich mit dem Genre Musical und den Kandidaten auseinanderzusetzen. So dümpelte das ZDF-Musicalcasting, zwar handwerklich solide gemacht, aber dennoch ohne großen Pep, seinem Finale entgegen, während man bei Sat.1 einen wahren Marathon von „Mottoshows“ startete. Dass Hugo Egon Balder eher als stammelnder Pausenclown denn als fachkundiger Moderator im Gedächtnis bleiben sollte, ist eher eine Randnotiz einer konzeptionell leider entgleisenden Show. Warum die Kandidaten in einer Casting-Sendung für zwei Musical-Hauptrollen endlose Mengen von nichtssagenden Popsongs „performen“ mussten, die weder Raum für wirkliches Schauspiel noch für die Entwicklung eines Bühnencharakters ließen, bleibt wohl das Geheimnis der Sat.1-Verantwortlichen. Auch das merkwürdige Abstimmungssystem eines Zuschauervotums mit anschließender Jury-Entscheidung unter den letzten beiden Paaren trug eher zur Verwirrung des Publikums bei. Die Entscheidung, semiprominente Gastjuroren zu präsentieren, die sich – teilweise bar jeder Fachkenntnis – sichtbar unwohl fühlten (Jeanette Biedermann), war genauso unglücklich.
Dass die Show trotzdem – bei inzwischen schon gewohnt niedrigen Quoten – eine gewisse Faszination entfalten konnte, war vor allem ein Verdienst der Kandidaten. Sie bewiesen in jeder Woche aufs neue, auf welch hohem Niveau ausgebildete und erfahrene Musicaldarstellerinnen und -darsteller Bühnenleistungen abliefern können, vor denen jeder DSDS-Kandidat neidvoll erblassen muss. Dass der Unterschied zumindest bei den verbliebenen Profis nur in Nuancen lag, wurde in den wohltuend ehrlichen Statements der Jury deutlich. Die vor allem tänzerischen Defizite der beiden tapfer kämpfenden Semiprofis wurden trotz gnädiger Bildschnitte von Woche zu Woche deutlicher und bald stand den beiden SE-Verantwortlichen die pure Angst davor in den Augen, sie würden am Ende per Zuschauervoting dazu gezwungen, eine oder gar beide Hauptrollen mit Schuster und Rau besetzen zu müssen. Denn trotz teilweise harscher Kritik von Seiten der Juroren verweigerte das Publikum diesen beharrlich die Möglichkeit, die beiden Amateure nach dem „Sing Off“ aus dem Rennen zu kegeln.
Während sich die Sat.1-Jury – bei den Entscheidungen zunehmend tränenfeucht – von Sendung zu Sendung hangelte, kam es im ZDF, sich sinnigerweise in der Sendezeit überschneidend, zur Finalshow. Wer die Werbepausen zum Schalten nutzte, erkannte das Dilemma: Im ZDF mühten sich die Darsteller um die einigermaßen glaubwürdige Darstellung von Musicalsongs. Muttersohn Alexander Herzog verhob sich an der Tragik von „Ich bin, was ich bin“, die niedliche Anna-Maria Schmidt fehlinterpretierte „Gold von den Sternen“, Kevin Köhler scheiterte an den stimmlichen Herausforderungen der „Moulin Rouge“-Version von „Your Song“, und die eigentlich qualitativ überragende Franziska Forster brauchte erst einen Treppensturz, um ihre Präsenz auszuspielen. Das alles in gewohnt betulichem ZDF-Look. In Sat.1 zur gleichen Zeit: Hochklassige Darstellerinnen wie Kathrin Taylor und Jessica Kessler im direkten Duell umgeben von hervorragenden Tänzern vor einer Videowand in durchaus zeitgemäßer Optik… und wiederum mit vollkommen austauschbaren Popsongs.
Die Starlight-Verantwortlichen hatten ob der weniger sportlichen Kandidaten vorsichtshalber von ihrem ursprünglichen Ansinnen, den Siegern in jedem Fall Hauptrollen in Bochum zu geben, Abstand genommen. Dass mit Kevin Köhler und Anna-Maria Schmidt die zumindest rollschuhtauglichsten Kandidaten den ZDF-Contest gewannen, konnte da angesichts des erschreckend schwachen Niveaus der Sendung nur ein schwacher Trost sein.
Auch der Rest der „Tarzan“-Staffel ist schnell erzählt: Spätestens drei Sendungen vor Schluss kristallisierten sich mit dem Schweden Anton Zetterholm und der Berliner „Mamma Mia!“-Zweitbesetzung Elisabeth Hübert zwei Favoriten der Jury heraus, die auch vom Publikum problemlos ins Finale durchgewertet wurden.
Diese Finalshow, nun erstmals auch mit Originalsongs aus dem Musical, geriet allerdings zur kompletten Enttäuschung. Hugo Egon Balder zerquatschte mit der Erklärung der mit zwei Zuschauervotings komplett unübersichtlichen Regularien auch den letzten Rest an Sendefluss, und die Uraufführung von zwei Tarzan-Songs in deutscher Sprache versandete irgendwo fast unbemerkt zwischen Moderator-Geschwafel, Werbepausen und obligatorischen Rückblick-Einspielungen. Immerhin gaben die Soloparts der drei jeweils gegeneinander antretenden Damen und Herren noch einmal einen Ansatz von Vergleichsmöglichkeit. Während Friedrich Rau immer wieder kurzzeitig aus seiner Rolle fiel, konnte Philipp Hägeli mit nuancenreichem Spiel und auch stimmlich überzeugend unterstreichen, warum er es bis ins Finale geschafft hatte. Dass das gegen die überragenden stimmlichen Möglichkeiten von Anton Zetterholm in Kombination mit dessen teenie-kompatiblem Äußeren kaum würde reichen können, schien jedoch schnell klar und war ihm auch anzusehen. Franziska Schuster lieferte eine respektable, aber recht blasse Jane ab, Ina Trabesinger legte die Rolle ernsthafter an, konnte damit gegen den strahlenden Auftritt von Elisabeth Hübert aber kaum mehr punkten. So wurde in rasender Eile – merkwürdigerweise wieder in englischer Sprache – eine Aussscheidungsrunde zwischen Hägeli/Trabesinger und Rau/Schuster über die Bühne gebracht, die der Jury endlich die Möglichkeit gab, sich von den lange gefürchteten Amateuren zu verabschieden, bevor dann gleichsam im Galopp zwischen den verbleibenden Vieren ein Siegerpaar gekürt wurde. Dass Phil Collins die Namen der vorhersehbaren Sieger bis zur Unkenntlichkeit zernuschelte und die Bilder des Finales zwischen lauter Sender-Werbebalken nur noch auf einem kleinen Teil der Mattscheibe zu sehen waren, rundete diesen merkwürdig lieblosen Eindruck nur noch ab.
Mit einem Mix aus dem „Making of“-Ansatz der Sat.1-Doppelshow inklusive hochklassiger Kandidaten und dem musicalorientierten deutschsprachigen Showansatz des ZDF hätte eine Musical-Castingshow gelingen können, die eine ernst zu nehmende Werbung für das Genre gewesen wäre. Mit der miefigen Schwere der ZDF-Show und der austauschbaren Langeweile der Sat.1-Livesendungen aber haben beide Formate sicherlich keine Zukunft. Die miserablen Einschaltquoten beider Sendungen werden die Verantwortlichen von weiteren Versuchen abhalten.