Der BGH hat klargestellt: Für inszenierte Ausschnitte aus Musicals brauchen Veranstalter das Große Recht. Dass die Verlage auf ihre Rechte achten, ist verständlich. Doch viele übertreiben dabei – mit negativen Konsequenzen für ihre Stücke und für die Musicalszene insgesamt.
Showproduzent Ulrich Gerhartz ist bei Urheberrechtsfragen kein Unbekannter. So hatten die Rechteinhaber von „Dirty Dancing“ vor zwei Jahren gerichtlich erhebliche Veränderungen in der Vermarktung einer ursprünglich als „Dirty Dance Fever“ geplanten Gerhartz-Tournee durchgesetzt. Auch die Gerhartz-Tournee Phantom der Oper stößt immer wieder auf Kritik, weil Plakat und CD-Cover dem aus der Webber-Verfilmung bekannten Design ähneln – obwohl die Tour-Fassung nichts mit Webber zu tun hat. Nun hat also der BGH höchstrichterlich die Aufführung des Tournee-Dauerbrenners
Laut BGH kann man schon dann von einer bühnenmäßigen Aufführung sprechen, wenn „nicht nur der Eindruck von zusammenhanglos aneinandergereihten Handlungselementen und Musikstücken entsteht, sondern ein sinnvoller Handlungsablauf erkennbar wird“. Das sahen die Richter bei „Musical Starlights“ gegeben. Für eine bühnenmäßige Aufführung reicht es aber nicht, wenn die Veranstalter Gema-Gebühren abführen. Sie brauchen das sogenannte „Große Recht“: einen Vertrag mit dem Rechteinhaber bzw. dessen Verlag. Der ist aber für die Veranstalter in der Regel sehr aufwändig, sehr teuer oder – für viele Blockbuster – überhaupt nicht zu bekommen. Das BGH-Urteil bestätigt die Rechtslage: Revuen mit inszenierten Musical-Medleys in Deutschland de facto unmöglich.
Man kann die Verlage verstehen. Sie stecken viel Geld in die Entwicklung neuer Musicals. Wenn einzelne davon zu weltweiten Erfolgen werden, wollen sie nicht, dass andere Veranstalter, in diesem Fall Gerhartz, davon profitieren. Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille. Tourveranstalter sind gerade in der Provinz auf bekannte Stoffe angewiesen. Wenn es diese auf dem Markt nicht gibt, heißt das im Zweifel: weniger Theater, weniger Publikum, weniger Jobs. Und: Vor lauter Angst, dass Andere etwas verdienen könnten, übertreiben es viele Verlage mit ihrer Wachsamkeit. Darunter leidet die Entwicklung der Kunstform Musical.
Beispiel eins: die Amateurszene. Ausschnitte aus bekannten Musicals nachzuspielen, ist für viele Amateurensembles sinnvoll. Schaden solche Aufführungen den Rechteinhabern? Bestimmt nicht. Niemand wird sich ein Musical nicht anschauen, bloß weil er möglicherweise eine schlechte Amateurinterpretation gesehen hat. Und meistens ist das Publikum bei Amateuraufführungen sowieso begeistert, weil viel Engagement über die Rampe kommt. Trotzdem gehen die Amateurgruppen, die üblicherweise nur Gema-Gebühren abführen, ein hohes Risiko ein. Denn solche Highlight-Aufführungen sind, das hat der BGH bestätigt, illegal.
Beispiel zwei: Übersetzungen. Das Urheberrecht verbietet die Veränderung geschützter Werke. Eine Folge: Kein Theater darf ein Musical neu übersetzen oder die Texte wesentlich verändern, ohne dass der Verlag zustimmt. Warum wird „Jesus Christ Superstar“ in Deutschland wohl oft auf Englisch gesungen? Weil viele Theatermacher (und Zuschauer) die deutsche Übersetzung nicht mögen. Weder dem Publikum noch dem Musical ist damit geholfen. Dass Verlage tatsächlich wie bei Rent auf Kritik reagieren und Neuübersetzungen anbieten, bleibt die Ausnahme.
Beispiel drei: Revuen. Landauf, landab werden Popsongs und Schlager zu neuen Stücken zusammengeführt. Man kann über den künstlerischen Wert solcher Revuen streiten. Fakt ist aber: Das Publikum liebt sie. Sobald aber Musical-Songs eingebunden werden sollen, schlagen die Verlage Alarm. So ließ der Verlag Bloch Erben das „Hartz IV“-Musical am Schauspiel Dresden stoppen, weil darin auch Songs aus „Jesus Christ Superstar“ und „Cabaret“ verarbeitet wurden. Man muss die Art, in der das Theater das entsprechende Urteil für seine PR ausschlachtete, nicht gut finden. Aber: Hätte es den Musicals wirklich geschadet, wenn einzelne Songs in diesem Stück gespielt worden wären?
Beispiel vier: die Überwacher. Wer mit etwas Erfolg hat, der traut anderen nicht zu, sein „Baby“ ebensogut behandeln zu können. Eleanor Bergstein weigerte sich, ihr „Dirty Dancing“ von Musicalprofis bearbeiten zu lassen. Die Folge: Am Broadway wollte überhaupt niemand das Stück spielen, in Hamburg und London kam nur eine wenig befriedigende Version auf die Bühne. Auch anderswo regiert das Misstrauen. „Les Misérables“-Regisseure müssen im Vorfeld regelmäßig ihre Ideen von den Rechteinhabern genehmigen lassen. Das bremst die Kreativität und Spontanität. Wäre es denn wirklich so fürchterlich, wenn mal ein Regisseur eine überdreht moderne Version auf die Bühne bringen würde?
Beispiel fünf: gesperrte Rechte. Theater, die Rechte für bühnenmäßige Aufführungen erwerben wollen, laufen bei Musicals oft gegen eine Wand. So erzählt der Intendant einer großen deutschen Open-Air-Bühne von zwei schon etwas älteren, aber noch nie (beziehungsweise seit Jahren nicht) in Deutschland gespielten Werken, die er gern aufführen würde. Rechte sind trotz monatelanger Bemühungen nicht zu bekommen. Auch viele Broadway- und West-End-Erfolge schlummern in den Schubladen. Bevor jemand anders damit Geld verdienen könnte, blockieren die Inhaber der Deutschlandrechte lieber.
Die Aufführung von Musik ist in Deutschland über die Gema-Rechte vergleichsweise unbürokratisch. Sobald es um Theater geht, blockt das Urheberrecht viele künstlerische Entwicklungen. Wünschenswert wäre ein Gema-ähnliches System für die Bearbeitung von Songs und für die Aufführung von Ausschnitten. Realistisch ist eine solche Systemänderung nicht. Für Musicalfreunde bleibt daher nur der Appell an die Rechteinhaber: Ihr profitiert davon, wenn die Musicalszene sich entwickelt. Ihr profitiert davon, wenn Eure Werke gespielt werden. Darum seid bitte großzügiger und blockiert Ideen nicht nur deshalb, weil sie nicht von Euch selbst stammen.
Man kann zu Gerhartz stehen, wie man will. Aber wenn das Urteil zumindest eine Debatte über Urheberrechte im Musiktheater in Gang setzt, dann wäre das schon ein großer Gewinn.