Ein Jahr, fünf Trends

Das hat uns 2008 beschäftigt: Der Machtkampf bei der SE, der Holperstart für Maik Klokow, Probleme beim Neuen Deutschen Musical, wenig begeisternde TV-Castings und der Siegeszug der Open-Air-Bühnen. Der kommentierende Jahresrückblick der Musicalzentrale.

Das Musicaljahr 2008 ist vorbei. Was bleibt? Eine Bilanz in fünf Thesen:

1. Die Stage Entertainment spricht wieder holländisch… Der Rückzug von Maik Klokow als Deutschlandchef der SE war mehr als eine Personalie: Es war das Ende eines Machtkampfes. Gewonnen haben ihn die Holländer, denn mit dem Abgang Klokows ist die deutsche Kreativabteilung des Musicalmultis – der immerhin 60 Prozent seiner weltweiten Umsätze in Deutschland erzielt – praktisch aufgelöst. Ob Joop van den Ende ahnte, was er mit seiner Fundamentalkritik am Rande eines „Ich war noch niemals in New York“-Durchlaufs wenige Wochen vor der Premiere auslöste?
Firmeninsidern zufolge sollen die Kreativen aus den Niederlanden, die von Anfang an eifersüchtig auf die Eigenentwicklung der deutschen Kollegen geschaut haben,
nicht gerade zu mehr deutsch-niederländischer Freundschaft beigetragen haben. Die Folge: Nicht nur der deutsche Kreativchef Christian Struppeck und sein engster Vertrauter Andreas Gergen gingen, auch für Theatermann Klokow gab es keine Zukunft im Konzern. Auch bei der nächsten Eigenentwicklung, dem „Schuh des Manitu“, ließen die Niederländer ihre Muskeln spielen und setzten kurz vor der Premiere einen Wechsel auf dem Regiestuhl durch. Die Machtverhältnisse sind damit geklärt. Ob aus den Niederlanden wirklich die für das deutsche Publikum besseren Shows kommen, darf aber bezweifelt werden: Die unter niederländischer Regie als „Ich will Spaß“ ungelenk auf Deutschland heruntergebrochene Compilationshow (ursprünglich mit Songs einer niederländischen Band) in Essen war jedenfalls ein beeindruckender Flop.

2. … braucht sich vor der Konkurrenz aber trotzdem nicht zu fürchten. Au weia, was für ein Holperstart. Dass Maik Klokow zum einzigen nennenswerten Konkurrenten, der Krauth-Gruppe, wechselte und dort ein ambitioniertes Programm ankündigte, hat vielen Musicalfreunden Mut gemacht. Als „sichtbarer Marktteilnehmer“ wolle man wahrgenommen werden, formulierte Klokow im Gespräch mit der Musicalzentrale eine vorsichtige Kampfansage. Und dann das: Nach monatelangem Vorverkauf sagt die Krauth-Gruppe „Frühlings Erwachen“ in Düsseldorf mit einer verschwurbelten Begründung („eine Kooperation […], die Platz für eine intensivere Auswertung der Rechte in den deutschsprachigen Ländern ermöglicht“) kurz vor Weihnachten wieder ab. Man kann das nur als Notbremse verstehen. Denn wenn der Kartenvorverkauf auch nur einigermaßen gelaufen wäre, hätte man sich in Düsseldorf wohl niemals auf einen derart imageschädigendem und kundenverärgenden Deal mit den Vereinigten Bühnen Wien eingelassen.

Hiobsbotschaften kommen (zufällig am selben Tag im Dezember) auch von der anderen wichtigen Neuproduktion, „Spamalot“ in Köln. Dort übt sich die Pressestelle schon in Verzweiflungseuphorie und meldet „Alfred Biolek und die Ritter der Tafelrunde brechen jetzt schon Rekorde“. Weiter: „SPAMALOT ist schon vor seiner Deutschlandpremiere […] ein Kassenschlager“. Dann die erschreckende Zahl: 25.000 Karten sind gut einen Monat vor der Premiere (25. Januar 2009) verkauft. Das entspricht gerade mal zwei Wochen vollem Haus. Zu diesem Zeitpunkt viel zu wenig für eine Großproduktion, die mit großem Werbeaufwand in den Markt gedrückt wird. Der Flop ist damit noch nicht programmiert – Mundpropaganda und Medienberichterstattung nach der Premiere könnten das Ruder noch rumreißen. Aber ein Grund zum Jubeln ist diese Zahl sicherlich nicht.

Ist das Thema „Konkurrenz für die Stage Entertainment“ damit schon wieder erledigt? Davon muss man ausgehen – es sei denn es gelingt Krauth und Klokow, den Laden jetzt zusammenzuhalten und das Aufbrechen von internen Schuldzuweisungsdebatten zu verhindern. Das wird ein hartes Stück Arbeit.

3. Das Neue Deutsche Musical stottert. 2008 war kein ruhmreiches Jahr für die Autoren im deutschsprachigen Raum. Bernd Strombergers Papst-Musical „In nomine patris“ erleidet in München finanziellen Totalschaden und führt die Produzenten in die Insolvenz. Die Luther-Biographie „Martin L.“, von Oystein Wiik und Gisle Kverndokk für die Domstufen Erfurt geschrieben, kann die hohen Erwartungen vieler Besucher und Kritiker nicht erfüllen. Auch die Wiener Eigenproduktionen „Forbidden Ronacher“ und „Die Weberischen“ kommen über lokale Bedeutung nicht hinaus. Am Monte-Christo-Rockmusical „ChristO“ (Holger Hauer, Günter Werno, Stephan Lill, Andy Kuntz) scheiden sich immerhin die Geister.

Es ist bezeichnend, dass die beiden wohl erfolgreichsten freien deutschsprachigen Eigenproduktionen aus den Vorjahren stammen: Die Produzenten von „Ewigi Liebi“ (Zürich) und „Elisabeth – Legende einer Heiligen“ (Eisenach/Marburg) setzen konsequent auf regionale Verwurzelung ihrer Produktionen. Für beide Shows gilt: Sie vermitteln dem Publikum das Gefühl, dass diese Shows mit viel Herzblut für die Menschen in der Region produziert und gespielt werden. Und nur dort funktionieren sie auch, wie die „Elisabeth“-Macher mit ihrer Vorgängerproduktion „Bonifatius“ gelernt haben: Das Gastspiel in Bremen war seinerzeit wirtschaftlich ein Flop. Jetzt setzen die Produzenten konsequent auf regionale Verwurzelung – und haben damit schon 121 „Elisabeth“-Vorstellungen ausverkauft. Die nächste Serie ist schon angekündigt.

Bei den neuen Stücken stimmt immerhin der Jahresabschluss hoffnungsvoll: Die ersten Reaktionen auf die neuen Musicals von Wolfgang Adenberg und Marc Schubring in Stuttgart und Martin Lingnau („Das Orangenmädchen“ und „Schuh des Manitu“) sind sehr positiv. Vielleicht ist die Flaute ja auch schon wieder vorüber.

4. TV-Castings – Das geht besser. Gleich zwei Musical-Castingshows auf einen Schlag! Wer aber auf spannende, interessante und berührende Momente gehofft hatte, sah sich enttäuscht, denn beide Formate konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Sat.1 suchte Tarzan und Jane – und ließ dann leider die Crème der deutschen Jung-Musicaldarsteller mit belanglosen, mühsam szenisch inszenierten Popsongs aufeinander los, statt Musical zu machen. Dass der überraschend eingeflogene und gesanglich starke Schwede Anton Zetterholm und die wirklich bezaubernde Elisabeth Hübert das Rennen machten, konnte nicht über die unsäglichen Moderationen von Hugo-Egon Balder und und die handwerklichen Unzulänglichkeiten des lange Zeit im Rennen gehaltene Amateursängerpaars Friedrich und Franzi hinwegtrösten. Im ZDF gab es (teilweise leider sogar mit sich überschneidender Sendezeit) Musical-Hausmannskost zu sehen. Im Ambiente klassischer ZDF-Seniorenshows kam die von Thomas Gottschalk flott, aber weitgehend fachkompetenzfrei moderierte Musical-Star-Suche für den „Starlight Express“ daher. Auch wenn mit Kevin Köhler und Anna Marie Schmidt zum Schluss zwei einigermaßen talentierte Darsteller übrig blieben (Schmidt kapitulierte während der Proben, Köhler spielt inzwischen in Bochum), die gesanglichen Fähigkeiten der zumeist nicht ausgebildeten Kandidaten waren oft zweifelhaft. Eine Mischung aus beiden Shows hätte dem Genre gut getan: Die gut ausgebildeten Profis der Sat.1-Show singen die Musicalsongs des ZDF-Modells: Das wär’s gewesen!

5. Das Drama wandert ins Freie. Die großen Zeiten der Musicaldramen sind erstmal vorbei: Vor allem in den großen Musicaltheatern überwiegen längst bunte und leichtere Stücke. Die Freilichtbühnen haben sich das geschickt zunutze gemacht und das dramatische Repertoire der Ensuitebühnen übernommen: „Mozart!“, „Titanic“, „Les Misérables“, „Aida“, „Jekyll & Hyde“ – für begrenzte Spielzeiten finden diese Shows ihr dankbares Publikum. Zwar litten die Inszenierungen 2008 zum Teil unter den eingeschränkten Möglichkeiten der Bühnen (Tecklenburg) oder wenig gelungenen Regiekonzepten (Bad Hersfeld), konnten vielfach aber dennoch begeistern. So gab es in Bad Vilbel gab es eine kleine, aber feine „Jekyll“-Inszenierung mit solider Cast zu sehen, Tecklenburg punktete mit hochklassiger Besetzung (Stanke/Freeman/Clear).

Die Wahrnehmung der Open-Air-Bühnen in der Musicalszene ist dadurch enorm gestiegen – längere Pilgerreisen zu den großen Dramen gehören für viele Musicalfreunde schon fest zum Sommer dazu. Und der Stückvorrat wird so schnell nicht versiegen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch „Elisabeth“ (in der Schweiz bereits draußen gespielt), „3 Musketiere“, „Tanz der Vampire“ und „Rebecca“ den Weg auf die Sommerbühne finden. Eine schöne Alternative für alle, die sich in den Ensuite-Häusern derzeit nicht wohl fühlen. Und ein cleverer Schachzug der Freiluftmacher, die trotz des kalten Sommers 2008 ordentliche Bilanzen vorweisen konnten.

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