Christian Gundlach, der Direktor der TfN-MusicalCompany, über die Repertoirefähigkeit des Genres Musical und den Auftrag, die Bandbreite des Genres in der Wahrnehmung des Publikums zu erweitern.
Christian Gundlach ist seit seinem Studium an der Hochschule für Musik und Theater Hannover als Autor, Komponist und Übersetzer tätig. Von ihm stammen Musicals wie „Kleiner König Kalle Wirsch“ und „Märchenmond“, aber auch „Das Orangenmädchen“, das er gemeinsam mit Martin Lingnau schrieb. Am Theater für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim leitet er nicht nur als Direktor die MusicalCompany, sondern ist dort auch bei ausgewählten Produktionen als Musikalischer Leiter tätig, schreibt Familienmusicals und zeichnet für die deutschen Übersetzungen englischsprachiger Stücke verantwortlich.
Seit Sommer 2010 wird das Gartentheater in Hannover-Herrenhausen nicht mehr vom TfN bespielt. War das ein herber Verlust?
Es war ja eine mehr als 50-jährige Tradition, dass die ehemalige Landesbühne Hannover – die mittlerweile im TfN aufgegangen ist – das Gartentheater bespielt hat. Und da ist es selbstverständlich ein großer Verlust, wenn man solch eine schöne und traditionsreiche Spielstätte nicht mehr bespielen darf.
Das Gartentheater wird mittlerweile durch Heinz Rudolf Kunze, Heiner Lürig und Hannover Concerts bespielt. Hat sich das TfN mit Kunze und Lürig mittlerweile so zerstritten, dass eine weitere Zusammenarbeit – vielleicht bei einem Musical in Hildesheim – völlig ausgeschlossen ist?
Ich persönlich halte die Musicals von Kunze und Lürig für wunderbare Stücke, die auch beim Publikum gut ankommen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jedes Musical, das gut funktioniert, auch vor Publikum gespielt werden soll. Das ist natürlich nur meine Meinung aus künstlerischer Sicht. Die Entscheidung, ob das TfN irgendwann wieder ein Stück von Kunze und Lürig spielen wird, obliegt unserem Intendanten Jörg Gade.
In Deutschland ist das TfN das einzige Stadttheater mit eigener MusicalCompany. Wäre es grundsätzlich nicht sowieso das bessere Konzept, in einem Theater mehrere Musicals abwechselnd im Repertoire zu spielen, statt in irgendwelchen Betonbunkern – die die Produzenten ohnehin nur schwer füllen können – immer nur ein Musical zu spielen?
Ich bin der Meinung, Musical ist repertoirefähig. Das haben wir am TfN herausgefunden, und daran haben wir einige Jahre gearbeitet. Damit waren viele spannende Lernprozesse verbunden, als wir herausgefunden haben, dass Musicals im Repertoire funktionieren. Zuvor wurde das ja noch nie in Deutschland versucht, mehrere Musicals durch nur ein Ensemble im Repertoire zu spielen. Wir mussten deshalb viel lernen und haben am Anfang auch Fehler gemacht. Aber diese Fehler konnten mir mittlerweile ausmerzen, so dass wir sagen können, dass Musical im Repertoire funktioniert. Wir haben in den letzten vier Jahren die Erfahrung gemacht, dass das beim Publikum sehr gut ankommt. Es ist nicht so, dass das Publikum nur einmal im Jahr ein großes Musical sehen will und ansonsten kein Musical im Spielplan haben möchte. Ganz im Gegenteil: Unser Publikum kommt gern zu uns, um mehrmals im Jahr verschiedene Musicals zu sehen. Vor allem freut uns dabei, dass das Publikum eine gewisse Experimentierfreudigkeit an den Tag legt und sich auf verschiedene Stile von Musicals innerhalb des Genres einlässt. Ich glaube, es ist ein Vorteil, wenn man Musicals mit einem festen Ensemble im Repertoire spielt. Das führt dazu, dass das Publikum dem Ensemble vertraut und auch bereit ist, nach den großen Shows bei uns auch unbekanntere Musicals zu besuchen. Wir haben es am TfN selbst erlebt, wie wir Zuschauer mit unserer großen Inszenierung von „Crazy for You“ gewonnen haben, die anschließend auch bereit waren, sich ein unbekannteres Stück wie „Die Frau des Bäckers“ von Stephen Schwartz anzusehen, das sich zu einem wahren Publikumsmagneten entwickelte. Ich glaube, das Genre bietet Vielfalt und bietet sich geradezu an, neues Publikum und vor allem mehr Publikum ins Theater zu bringen.
Stadt- und Staatstheater spielen häufig die gleichen Stücke. Waren es erst Shows wie „My Fair Lady“ oder „Kiss me, Kate“, stürzten sie sich später alle auf „Les Misérables“, „Jekyll & Hyde“ und „Aida“. Wird sich das TfN diesem Hype auch weiterhin widersetzen und stattdessen weiter auf deutschsprachige Erstaufführungen setzen?
Grundsätzlich darf man ja zunächst mal nicht außer Acht lassen, dass auch alle anderen Musicals, die gern an Stadttheatern gespielt werden, irgendwann mal groß gewesen sind. Es gibt ja kaum ein Musical, das aus den USA oder Großbritannien nach Deutschland gekommen ist und zuvor keine große Long-Run-Produktion war. Selbst Klassiker wie „My Fair Lady“ und „Anatevka“ waren ja mal die Long Runs ihrer Zeit, auch wenn es nicht solche Megaproduktionen waren wie die Musicals in den 1980er und 1990er Jahren. Für das TfN gilt zuallererst, dass wir Stücke wollen, die funktionieren. Wir wollen Stücke, die das Publikum begeistern, überraschen und manchmal auch etwas fordern. In dieser Richtung sind wir allem gegenüber offen. Und wir haben ja bisher auch nicht nur deutschsprachige Erstaufführungen gemacht, wofür „On the Town“ und „Footloose“ gute Beispiele sind. Es wird auch weiterhin ein guter Mix sein. Wir bringen ja in der aktuellen Spielzeit 2010/2011 noch den „Kleinen Horrorladen“, wo ich sehr gespannt bin, was wir mit unserem festen Ensemble damit erreichen. Wir sind also für die ganze Bandbreite von Musicals offen. Deutschsprachige Erstaufführungen, europäische Erstaufführungen und Uraufführungen bleiben aber natürlich weiterhin in unserem Fokus. Da wir ein subventioniertes Haus sind und durch Steuergelder finanziert werden, haben wir geradezu auch den Auftrag, Neues zu entdecken und die Bandbreite des Genres in der Wahrnehmung des Publikums zu erweitern.
Warum sind deutschsprachige Erstaufführungen ausländischer Musicals so interessant? Sind die Musicals deutscher Autoren nicht interessant für das TfN?
Natürlich sind für uns auch Werke deutscher Autoren interessant. Wir haben ja „Kleider machen Liebe“ von Kunze und Lürig zur Uraufführung gebracht, genauso wie „Märchenmond“, das ich selbst geschrieben habe. Aktuell planen wir auch eine Uraufführung eines deutschen Teams, wozu ich aber noch nichts sagen kann. Wir sind da jedenfalls dran, Werke deutscher Autoren auf die Bühne zu bringen. Das wird auch in den nächsten Jahren in unserem Fokus stehen.
Das TfN hat einst angekündigt, jedes Jahr eine Eigenproduktion in Form eines Familienmusicals auf die Bühne zu bringen. 2010 gab es mit „Märchenmond“ den Startschuss, dieses Jahr wird „Das letzte Einhorn“ folgen. Warum sind die Eigenproduktionen denn ausschließlich Familienmusicals und keine abendfüllenden Produktionen? Wäre ein großes Musical zu teuer oder aufwändig in der Entwicklung?
Wir konzentrieren uns nicht nur auf Familienmusicals, wie wir mit „Kleider machen Liebe“ gezeigt haben. Es ist richtig, dass mit „Märchenmond“ und „Das letzte Einhorn“ zwei Familienmusicals hintereinander kommen. Aber dass die nun billiger zu produzieren seien, kann ich nicht bestätigen (lacht). Das ist überhaupt nicht so. Der Produktionsaufwand von „Märchenmond“ ist mit dem Produktionsaufwand eines Band-Musicals wie „Der kleine Horrorladen“ durchaus gleichzustellen. Es ist also keinesfalls billiger, da in einer Uraufführung ja auch mehr Entwicklungsarbeit steckt. Wir müssen Workshops machen, sind sehr lange mit der Vorbereitung beschäftigt und müssen erst mal das Notenmaterial herstellen, das es noch gar nicht gibt. Insofern ist da kein Unterschied in der Kasse spürbar, was die Produktionskosten angeht.
Mit „Märchenmond“ und „Das letzte Einhorn“ haben Sie die Rechte für zwei sehr bekannte Fantasy-Romane bekommen. War es schwer, die Rechteinhaber zu überzeugen?
Als wir das Konzept vorgelegt hatten, war es in beiden Fällen nicht mehr schwer. Wenn man das Buch „Märchenmond“ kennt, fragt man sich natürlich schon, wie dieses Monumentalepos mit seinen großen kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Bühne realisiert werden soll. Aber als wir unser Konzept vorgestellt haben und erklärt haben, wie wir an die Geschichte herangehen wollen, war das Autoren-Ehepaar Hohlbein sehr schnell sehr angetan und begeistert und auch sofort mit im Boot. Bei Peter S. Beagle, dem Autoren von „Das letzte Einhorn“, war es genauso. Beim „Letzten Einhorn“ werden wir viel mit Tanz arbeiten, und das Konzept dazu hat ihn sehr schnell überzeugt. Auch die musikalische Richtung hat ihn überzeugt, so dass er die Bühnenbearbeitungsrechte an uns vergeben hat.
Warum haben Sie sich gerade für „Märchenmond“ und „Das letzte Einhorn“ entschieden?
Zunächst mal war unser Ansatz, Musicals für alle Altersstufen zu schaffen. Nichts anderes machen ja die großen Player im Markt auch. Das ist nichts, was wir erfunden haben. Aber wir glauben, dass man gute Unterhaltung bieten kann, die alle Altersstufen anspricht, wo Kinder natürlich etwas ganz anderes daraus mitnehmen als Erwachsene. Also haben wir uns nach geeigneten Stoffen umgesehen, die wir interessant fanden und die möglichst einen Namen hatten, um die Masse anzusprechen. Im Fantasy-Bereich sind wir da dann sehr schnell fündig geworden. Bei „Märchenmond“, einem in Deutschland sehr erfolgreichen Fantasy-Roman, haben wir uns anfangs natürlich schon gefragt, ob es überhaupt möglich wäre, diesen Stoff auf die Bühne zu bringen. Aber dann haben wir das Buch noch einmal mit dieser Frage im Hinterkopf gelesen und festgestellt, dass das sehr gut möglich sein würde. Es ist allerdings nicht so, dass wir nach „Märchenmond“ unbedingt noch ein zweites Fantasy-Musical machen wollten. Es war ganz einfach ein von mir lang gehegter Wunsch, den Stoff des „Letzten Einhorns“ für eine Umsetzung auf der Bühne zu prüfen. Meiner Meinung nach schreit diese Geschichte geradezu danach, für die Bühne adaptiert zu werden. Da steckt so viel Magie, Fantasie, aber auch viel Inhalt drin. Das muss einfach auf die Bühne. So sind es also gleich zwei Fantasy-Titel hintereinander geworden. Aber daraus muss keine Regelmäßigkeit abzulesen sein. Ich denke, dass es auch im Bereich der Realstorys wunderschöne Vorlagen gibt, die sich ebenso gut für die Bühne eignen.
Verraten Sie uns noch eines: Nachdem es bei „44 Grad im Schatten“ schon einen echten Esel auf der Bühne gab – wird es im „Letzten Einhorn“ eine weiße Stute zu sehen geben?
Nein, um Gottes Willen (lacht). Das wird es nicht zu sehen geben. Und das Einhorn wird auch nicht von zwei Darstellern gespielt, wo einer im Hinter- und einer im Vorderteil steckt. Es wird eine Darstellerin sein, die das Einhorn verkörpern wird. Wir werden da sehr viel mit Tanz und Bewegung arbeiten, also ein stilisiertes Einhorn zeigen. Aber ein echtes Theaterpferd wird es nicht zu sehen geben (lacht).